Vertrauen und Hingabe

  1. Sehne dich nach Gott. Schmachte nach Ihm. Gib Ihm alle deine Liebe. Lege dein Ego Ihm zu Füßen. So wirst du eins mit Ihm.
  2. Die Göttliche Gnade ist der größte Schatz des Lebens.
  3. Die Gnade Gottes ist das Wichtigste in deinem Leben.
  4. Die Göttliche Gnade kommt nur, wenn der Geist durch selbstlosen Dienst, Mantrawiederholung, Kirtansingen und den Beistand von Heiligen gereinigt wurde.
  5. Erst durch Selbstaufgabe kann die Göttliche Gnade in dich fließen.
  6. Gottes Gnade kommt in dem Maße über dich, in dem du dich hingibst: Je mehr Hingabe, desto mehr Gnade.
  7. Bist du unaufrichtig, scheinheilig und heuchlerisch, so bist du noch nicht reif für die Gnade Gottes.
  8. Gott schaut mit wachsamen Auge auf dich.
  9. Die Gnade Gottes hält den Aspiranten auf seinem spirituellen Weg.
  10. Die Göttliche Gnade sollte die eigenen Anstrengungen unterstützen. Nur so ist die Gottverwirklichung möglich.
  11. Die höchste Liebe kommt nur durch Göttliche Gnade.
  12. Die Göttliche Liebe ist die unsterbliche Wonne der Freiheit, die durch die Gnade Gottes kommt.
  13. Glaube und Hingabe gehören zusammen.
  14. Der Glaube heilt und erschafft Neues. Glaube bewirkt Wunder und versetzt Berge.
  15. Unerschütterlicher Glaube an Gott gibt eine mysteriöse Kraft, die alle Hindernisse überwindet.
  16. Unerschütterlicher Glaube versetzt den Aspiranten in Kontakt mit dem Unendlichen.
  17. Glaube stärkt die Schwachen und macht die allzu Mutigen furchtsam.
  18. Glaube macht das Unmögliche möglich.
  19. Glaube argumentiert nicht, denkt nicht, begründet nicht und theoretisiert nicht.
  20. Der Verstand ist unzuverlässig, schwankend und nur ein begrenztes Instrument.
  21. Der Glaube ist der Lichtkegel auf der Suche nach Gott.
  22. Wisse, das alles verloren ist, wenn der Glaube abhanden gekommen ist.
  23. Glaube fest an Gott. Sein Name ist deine einzige Stütze, deine einzige Zuflucht und deine einzige Unterstützung.
  24. Beim Gebet steigt die Seele auf den Flügeln der Hingabe zum Himmel.
  25. Beten ist nicht bitten. Es ist die Sehnsucht der Seele nach Vereinigung mit Gott.
  26. Durch Gebete und striktes Leben der Selbstaufopferung kommst du der Erlösung näher.
  27. Das Gebet lässt das Herz leuchten und erfüllt den Geist mit Frieden, Kraft und Reinheit.

Versuchung:

Einmal servierte der Meister eine Mangolimonade.  Einer der Anwesenden konnte seinen Gaumen nicht kontrollieren. Der Meister wusste um den schwachen Magen jenes Mannes und riet ihm deshalb, nicht zuviel davon zu trinken. Aber das Gesicht des Mannes verriet ihm, dass er das Getränk in vollen Zügen genießen wollte. So sprach der Meister statt dessen mit freundlicher Stimme: „Ach, was macht es schon, trink so viel du magst, der Doktor ist ja nicht weit.“
Was der Mann allerdings nicht wusste war, dass dies ein Test für ihn war. So wurde er ein Opfer der Versuchung. Schließlich mussten sie ihn ins Bett bringen. Später mahnte ihn der Meister: „Du hättest das Getränk gar nicht erst anrühren sollen. Siehst du, wie schwer es ist, die Sinne zu kontrollieren?“

Ein spirituelles Tagebuch:

Auf einer Konferenz erzählte der Meister einmal seinen Zuhörern, wie nützlich es ist, ein spirituelles Tagebuch zu führen.
„Führe ein spirituelles Tagebuch. Notiere in ihm, wenn du ärgerlich geworden bist oder die Gefühle anderer verletzt hast. Dies ist sehr, sehr wichtig. Wenn du deinen Ärger oder dein Verletztsein anderen gezeigt hast, so bestrafe dich selber. Verzichte auf das Abendessen oder wiederhole zusätzlich fünfzig Malas (Gebetsketten) Mantras. Notiere Dinge wie: ‚Heute habe ich zwei Mal vergessen, in einem Menschen Gott zu erkennen.’ Wenn du in dieser Weise ein oder zwei Jahre fortfährst, wirst du mit Sicherheit großen Frieden, spirituellen Fortschritt und eine starke Willenskraft in dir entwickeln. Viele Kümmernisse, Misslichkeiten und innere Zerrissenheiten werden von dir abfallen und sich statt dessen ein Gefühl der Hingabe entwickeln. Deine innere Entwicklung wird so schnell vonstatten gehen. Du wirst ein anderer Mensch - ein wahrhaftiger Gott auf Erden. Werdet ihr, meine lieben Freunde, von heute an ein spirituelles Tagebuch führen?
Blättere einmal die Woche in deinem Tagebuch zurück. Wenn du heute noch täglich 20 Fehler begehst, so wirst du in einem halben Jahr, wenn du dein Tagebuch weiter führst, nur noch täglich fünf Fehler machen. Schließlich wird für dich eine wunderbare Zeit anbrechen, wenn du an einem Tag keinen einzigen Fehler mehr gemacht hast.“
Seinen Schülern schrieb der Meister einmal: „Vernachlässigt eure spirituellen Tagebücher nicht. Sie sind der Guru an eurer Seite.“
Anlässlich seines 66. Geburtstages sprach der Meister erneut über das spirituelle Tagebuch: „Bei der Selbstanalyse beobachtet ein Teil des Geistes einen anderen Teil. Durch dieses Verfahren  kannst du deine Fehler erkennen und sie dann in deinem spirituellen Tagebuch festhalten. Jeder sollte ein solches Tagebuch führen. Menschen führen alle möglichen Tagebücher: Haushaltsbücher, Reisetagebücher etc.; aber die wichtigste Sache, das was deinen Geist wie ein Peitsche zu Gott treibt, ist dein spirituelles Tagebuch.
‚Wann bin ich heute aufgewacht? Welches Sinnesorgan macht mir gerade Schwierigkeiten? Wie viel Mal habe ich meine Mantras heute wiederholt? In welchem Zustand befindet sich mein Geist? Wie viel Sattwa habe ich heute erreicht?’  In dieser Art musst du Dinge täglich niederschreiben, um ewige Wonne, Unsterblichkeit und immerwährenden Frieden zu erreichen.“

Über spirituellen Fortschritt:

Am 11. Mai 1951 besuchte General Cariappa den Ashram. Neben anderen Dingen zeigte er reges Interesse an den spirituellen Tagebüchern, die ihm in Form einer großen Sammlung gezeigt wurden.
„Swamiji“, fragte der General, „hast du Beweise dafür, dass deine Schüler und Anhänger von deinen Lehren wirklich profitiert haben und dass sie durch das Umsetzen deiner Worte bessere Menschen und bessere Bürger dieses Landes geworden sind?“
„Ja“, antwortete der Meiser, „ ganz besonders in den Fällen jener Aspiranten, die ihre spirituellen Tagebücher regelmäßig führen. Gerade sie zeigen merklich schnellere Fortschritte bei der Überwindung schlechter Eigenschaften und der Entwicklung Göttlicher Tugenden.“

Verbinden:

Einmal arbeitete ein Ashrambewohner noch um 9 Uhr abends mit der Schreibmaschine an der Fertigstellung von Zeitschriftenartikeln. Plötzlich erschien der Meister vor seiner Tür und fragte: „Wie viele Malas Mantras hast du heute gebetet?“
„Mantras?“, die Augen des Aspiranten sanken unter dem fragenden Blick des Meisters zu Boden.
„Lege die Schreibmaschine beiseite!“, mahnte der Meister. „Immer nur Arbeit, Arbeit, Arbeit und das 24 Stunden am Tag? Das wird dich nicht zur Befreiung führen. Du musst die Arbeit mit deiner spirituellen Praxis verbinden; Arbeit allein wird dich nicht weiterbringen.“

Verehre alle Propheten:

„Gehst du immer zum Gottesdienst?“, fragte der Meister einmal ein Hindumädchen namens Vijayalakshmi, welches in einem christlichen Konvent erzogen worden war.
Das Mädchen schüttelte den Kopf, worauf der Meister die Gelegenheit nutzte, etwas Licht auf ihren spirituellen Pfad zu werfen.
„Glaube den Christen nicht, wenn sie sagen, dass ihr Pfad der einzige ist, der zur Erleuchtung führt und dass ihre Religion die einzig wahre ist. Es ist falsch, zu glauben, dass Christus der einzige Prophet war. Es gab viele solcher Propheten, die von Zeit zu Zeit erschienen. Wir Inder glauben, dass Buddha, Krishna, Rama, Christus, Mohammed und noch viele andere alle bedeutende Boten Gottes waren. Sie vervollkommneten sich durch Buße und strenge Einfachheit. Sie waren alle selbstverwirklichte Seelen. Wir verehren Jesus genauso wie Krishna. Die christliche Lehre: ‚Gesegnet sind, die reinen Herzens sind; sie werden das Reich Gottes schauen’ ist für uns auch von höchster Bedeutung.
Gehe also zur Kirche, folge den Lehren und sieh Christus als einen Avatar an. Aber halte nicht an der Vorstellung fest, dass er der einzige Prophet war. Die Wahrheit kann nicht das alleinige Eigentum einer einzigen Person sein, wie großartig sie auch sein mag. Wir sollten uns vor blindem Eifer und Engstirnigkeit hüten.“

Lies zuerst unsere Schriften:

Im November 1956 wandte sich ein Besucher mit folgenden Worten an den Meister: „Swamiji, manchmal ist mein Vertrauen in spirituelle Dinge noch sehr schwach. Ich habe Bücher über östliche und westliche Religion und Philosophie gelesen, aber mein Vertrauen ist dabei sehr schwach und wechselhaft geblieben.“
Der Meister riet: „Solange du noch keine feste Grundlage in deiner eigenen Philosophie entwickelt hast, solltest du keine westlichen Bücher lesen. Sie verunsichern dich nur. Lies die Gita, die Upanishaden und die Brahma Sutras, damit du dich in unserer Gedankenwelt verwurzelst. Später dann kannst du Bücher von westlichen Philosophen lesen. Bis dahin praktiziere viel Japa (Mantrawiederholung). Es wird dir inneren Frieden geben.“

Samadhi:

Anasuya, eine Schülerin des Meisters, wurde von einem ernsten Zweifel geplagt. „Swamiji“, wagte sie zu fragen, „ist es möglich, in 40 Tagen Samadhi (überbewusster Zustand) zu erreichen und nach 15 Minuten Meditation bereits spirituelle Erfahrungen zu machen?“ Ihr nachdenklicher Blick verriet, dass sie ernste Zweifel hatte. Mit angehaltenem Atem erwartete sie die Antwort des Meisters.
„Selbst nach 40, ja selbst nach 400 Wiedergeburten kann Samadhi nicht erreicht werden!“ Der Meister warf Anasuya einen mitfühlenden Blick zu. Nach einer kurzen Pause sprach er weiter: „Die Menschen sehen einige Lichter und schon denken sie, es sei Samadhi.
Schließlich beseitigte er die falschen Hoffnungen seiner Schülerin und vieler der im Satsang Anwesenden, indem er seine erste Angabe wiederholte.
„Samadhi“, bekräftigte er mit ernster Miene, „kann nach 40 Wiedergeburten erreicht werden.“

Rezept für gutes Sehvermögen:

Einmal konsultierte ein Ashrambewohner einen Augenarzt, der den Ashram besuchte. Der Meister unterbrach die laufende Untersuchung mit einer Reihe von Fragen an den Patienten.
„Übst du Surya Namaskar (Sonnengruß; eine Yogaübung)?“
„Nein.“
„Wiederholst du die 12 Namen von Surya (Wesenheit der Sonne) zusammen mit dem Dhyana Mantra (Mantra für die Meditation)?
„Nein.“
„Betest du morgens und blickst regelmäßig in die Morgensonne?“
„Nein.“
„Hältst du am Sonntag eine salzfreie Diät ein?“
„Nein.“
„Übst du regelmäßig Shirshasana (Kopfstand), Sarvangasana (Schulterstand) und Tratak (Meditation durch Schauen auf eine Kerzenflamme)?“
„Nein.“
„Rezitierst du die Aditya Hridaya (Hymne)?“
Jedes Mal als der Ashrambewohner mit „Nein“ antworten musste, fühlte er große Scham in seinem Herzen. Aber das Schlimmste sollte erst noch kommen.
„Wie kannst du dann erwarten, eine vollkommene Sehkraft zu besitzen?“, fragte der Meister. Was nun folgte, enthüllte des Meisters beharrliche spirituelle Praxis und seine Verehrung der Gottheiten wie des Sonnengottes Surya.
„Schau, seit langer Zeit übe ich regelmäßig den Sonnengruß, wiederhole die 12 Namen Suryas und das Dhyana Mantra. Ich meditiere auf die aufgehende Sonne, verzichte sonntags auf Salz und übe regelmäßig Asanas (Yogaübungen) und Pranayama (Atemübungen). So habe ich durch die Gnade Suryas ein gutes Sehvermögen. Mit guten Augen kann man mehr für die Menschheit tun. Das Auge ist das wichtigste Organ. Ohne Augenlicht bist du so gut wie tot. Anstatt anderen dienen zu können, brauchst du dann Dutzende von Menschen, die dir dienen!“

Humor und Anweisungen:

Einmal kam ein bärtiger junger Mann mit wallendem Haar in den Ashram, um Yogastellungen im Satsang vorzuführen. Man sagte, er kenne Hunderte von Stellungen, er zeigte an diesem Abend jedoch nur einige ausgewählte. Die Stellungen waren perfekt, aber am Ende jeder Stellung schaute der junge Mann immer wieder auf ein Blatt Papier, um sicherzustellen, dass er die Stellungen in der richtigen Reihenfolge vorführte. Der Meister lobte den Mann hier und da während seiner Vorführung und erläuterte kurz den therapeutischen Nutzen verschiedener Stellungen.
Als der Mann dann immer häufiger auf das Blatt schielte, schlug ihm der Meister vor: „Wenn du nach Amerika gehst, mache alles ohne Papier, aus dem Kopf.“
Jedes Mal, wenn sein langes Haar ihm in die Stirn und ins Gesicht fiel, strich der angehende Yogi die lockigen Strähnen wieder nach hinten.
„Morgen, als Erstes“, sagte der Meister mit einem Lächeln zu einem der Ashram Swamis, „nimmst du unseren Asana-Professor mit zu Murari.“ (Murari war der Ashram-Frisör.)
Auch die Unterwäsche des Yogi schien etwas zu groß zu sein, er musste sie oft hoch ziehen, damit sie richtig saß. Der Meister hatte auch das bemerkt und ordnete weiterhin an: „Lasst den Schneider eine schöne, gut sitzende…ihr wisst schon was…anfertigen!“

Die Forest University:

Am 12. November 1949 kamen zwei Schweizer Touristen in den Ashramtempel, um den Meister zu treffen, der gerade auch im Tempel war. Auf dem Weg zum Ashramtempel hatten die beiden ein Schild mit der Aufschrift „Yoga-Vedanta Forest University“ gesehen. Sie hatten vorher auch schon das Wochenmagazin der Universität gesehen. Die erste Frage, die den beiden über die Lippen kam, als sie den Meister trafen, war: „Wie lange dauert es, wenn man an der Forest University studiert?“
„Ein Leben lang“, lachte der Meister.
„Waaaas?“, riefen die von Besucher, von dieser Antwort völlig verblüfft.
So erklärte ihnen der Meister, was er meinte: „Ja, wenn ihr die letzte Prüfung der Yoga-Vedanta Forest University, die Selbstverwirklichung, bestehen wollt, so müsst ihr euer ganzes Leben dem Studium und der Praxis des Yoga und des Vedanta widmen. Es reicht nicht aus, einfach nur ein paar Bücher zu lesen und das angesammelte Wissen anschließend auf den Prüfungsbogen auszuspucken, um sich dann befriedigt mit dem Gedanken zurücklehnen: ‚Was bin ich doch für ein toller Yogi.’
Yoga und Vedanta sollten Teil eures gesamten Wesens werden. Es genügt nicht, sie nur rein intellektuell zu verstehen. Ihr müsst Yoga und Vedanta leben und fühlen, damit ihr die Wahrheit, die sie verkünden, auch wirklich erfahren könnt.“

Aufnahmebedingungen:

Am 10. März 1950 besuchte ein Dozent der Universität London den Ashram. Sein Name war Pathy.
„Wie viele Studenten sind an deiner Universität, Swamiji?“, fragte er.
„Zur Zeit nur eine Handvoll“, antwortete der Meister. „Du wunderst dich vielleicht, warum es nur so wenige sind. Das liegt daran, dass eine der wichtigsten Aufnahmebedingungen die Leidenschaftslosigkeit ist. Sie allein kann den Einzelnen dazu inspirieren, im Yoga und Vedanta das Wissen und die Wahrheit zu suchen. Diese Abkehr von weltlichen Genüssen ist aber schwer zu erreichen und nur wenige spirituell Suchende besitzen die notwendigen Voraussetzungen dafür.“

Anweisungen für einen Arzt:

Der Meister saß im Büro. Um ihn herum auf dem Boden saßen einige seiner Schüler. Unter ihnen war Mira, eine Medizinstudentin. Um sie nicht gleich in Verlegenheit zu bringen, stellte der Meister ihr zunächst einige einfache Fragen.
Meister: „Welches ist der größte Muskel des Körpers?“
„Der Quadrizeps.“    
„Und welches ist die wichtigste Körperdrüse?“
„Die Hirnanhangsdrüse, die Hypophyse.“
Der Meister brachte das Gespräch dann auf die widerliche Art jener Ärzte, deren einziges Ziel es war, immer mehr Geld verdienen zu wollen. „Sogar ihren Vätern schicken sie eine Behandlungsrechnung“, sagte der Meister und wandte sich dann an Mira: „Kümmere dich nicht ums Geld. Finde die Erlösung in dir selbst. Gott wird dir Geld geben.“
Es entstand eine kurze Pause, nach der der Meister erneut begann: „Behandelst du auch arme Menschen, die kein Geld haben?“, fragte er und fügte hinzu: „Dies ist die Ethik der Medizin.“ Hierauf fragte er Mira, wie hoch die Bezahlung für ihre Konsultation sei.
„Ich erhebe noch keine Gebühr, Swamiji.“
„Nachdem du deine Approbation hast, kannst du ja noch eine Facharztprüfung ablegen. Wie viele Körper hast du denn in deinem Studium seziert?“
„Drei oder vier.“
„Ganz und gar?“
„Nein, zur Hälfte,...und einige Teile.“
„Warst du ganz allein, während du sie seziert hast?“
„Nein, Swamiji.“
Das Mädchen hatte den Meister in diesem Zusammenhang vielleicht zu wörtlich genommen. Was er wirklich gemeint haben könnte, war, ob sie sich schon jemals einer vedantischen Befragung unterzogen und sich Fragen wie: „Was ist der Körper? Was ist der Geist? Was ist die Seele? Wer bin ich? Was sind die Elemente?“ usw. gestellt hatte. Wenn der Meister jemanden auf diese Art befragte, mochte die Person verstehen, worauf er wirklich hinaus wollte oder auch nicht – aber die spirituelle Ebene der Fragen ging dem Befragten später, durch die Gnade des Meisters, wie ein Geistesblitz auf.
Der Meister kümmerte sich um ein, zwei andere Dinge, dann wandte er sich wieder an die Medizinstudentin.
„Kannst du kochen, Mira?“
„Ja“, antwortete das Mädchen.
Auf ein Zeichen des Meisters wurde den Anwesenden Kaffee und eine Kleinigkeit zu Essen angeboten. Shanta, ein Student aus dem Süden, rezitierte ein Kapitel aus der Gita und der Meister stellte den Besuchern einige Bücher vor. Dann wandte er sich wieder an Mira.
„Was ist der Unterschied zwischen Viren und Bakterien?“, fragte er, und bevor das Mädchen noch überlegen konnte, fragte er weiter: „Ist ein Virus zu klein, um ihn mit dem Mikroskop zu sehen?“
„Ja, Swamiji“, antwortete sie.
„Richtig“, sagte der Meister, „das eine kann man sehen, das andere aber nicht.“
Wie subtil seine Unterweisungen waren, wie schön und mit den jeweils passenden Analogien versehen: Bakterien können wir mit einem Mikroskop sehen, Viren aber nicht; die Welt können wir sehen, Gott aber nicht; Saguna Brahman (Brahman, welches mit Eigenschaften versehen ist) können wir sehen, Nirguna Brahman (das formlose, eigenschaftslose Brahman) aber nicht.

Eine klare Antwort:

„Wenn alle Menschen entsagen, also auf weltliche Genüsse verzichten würden, was würde dann passieren?“, fragte Sampath, ein Besucher.
„Wenn alle Frauen plötzlich unfruchtbar würden, was würde dann passieren?“, kam die Gegenfrage des Meisters.

Den perfekten Guru finden:

„Ich möchte den perfekten Guru finden“, sagte einmal ein junger Mann.
„Bist du denn ein perfekter Schüler?“, fragte der Meister zurück.
Die Frage schockierte den jungen Mann, er hatte sie nicht erwartet. So stammelte er: „Nein, Swamiji, es ist mir bewusst, dass ich voller Fehler bin.“
„Wie kannst du dann einen perfekten Guru finden? Mit welchem Recht vermagst du über einen Guru zu urteilen, wenn du selbst nicht vollkommen bist? Auf dieser Stufe deiner Entwicklung ist es egal, wer dich lehrt. Für einen kleinen Jungen ist die Dorfschule völlig ausreichend. Erst wenn er älter wird, kann er zur Schule in die Stadt und dann zur Universität gehen. Es gibt in diesem Land so viele Mahatmas. Wähle dir irgendeinen aus. Diene ihm und lerne dabei.“

Göttliches Leben:

Einmal fragte ein Besucher den Meister: „Besitzt die Divine Life Society auch heilige Bücher wie die Bibel und den Koran?“
„Die Bibel und der Koran sind die heiligen Bücher der Divine Life Society“, antwortete der Meister. „Unsere Organisation ist keine neue Religion, denn sie stärkt nur das Vertrauen eines jeden Menschen in seine eigene Religion und lehrt ihn Toleranz gegenüber anderen Glaubenssystemen.“

Die Rolle des Moskito:

Am 4. Mai 1950 suchte der Industriemillionär Rai Bahadur G. M. Modi den Meister auf und fragte: „Ich verstehe ja, warum Gott all die guten Dinge dieser Welt erschaffen hat, Swamiji, aber warum hat er denn auch die Moskitos gemacht? Sie nützen doch wirklich niemanden etwas; sie plagen uns nur.“
„Nichts in der Schöpfung ist völlig nutzlos“, entgegnete der Meister. „Im Spiel der Schöpfung hat alles seine Aufgabe, auch die Moskitos. Sie dienen der Fledermaus und den Vögeln als Nahrung. Gott, der die Fledermaus und die Vögel erschaffen hat, gab ihnen in Form von Moskitos eine Nahrung.
Aber die Moskitos arbeiten auch für den Gott des Todes. Durch Mangel an Selbstkontrolle vermehren sich die Menschen viel zu schnell. Wir haben auch Lebensmittelknappheiten und andere Krisen. Es kommt zu einer Überbevölkerung der Erde. Die Boten des Todes, die Moskitos, übertragen deshalb den Erreger der Malaria auf viele tausend Menschen, die dann sterben müssen. Damit ist der Erde diese Überlast genommen.
Aber es gibt noch eine dritte wichtige Funktion der Moskitos: Sie wecken dich durch ihren Stich auf. Jedes mal, wenn du gestochen wirst, denkst du daran, was für ein übler Ort die Welt ist! Es gibt Moskitos, Skorpione, Kobras, Tiger und andere wilde Tiere; es gibt sengende Sonne im Sommer und beißende Kälte im Winter, es gibt Sand- und Schneestürme, Kriege und Revolten. Wünschst du dir einen Ort, wo es alle diese Dinge nicht gibt?
Der Ort, an dem es keine Moskitos gibt, ist Moksha, das Reich Gottes in dir! Die Moskitos erinnern dich lediglich wieder an diese Wahrheit. Sie zwingen dich, an Gott zu denken und retten dich vor der Misere einer weltlichen Existenz.
Verstehst du jetzt, warum die Moskitos genauso wichtig sind wie der Rest der Schöpfung?“
Rai Bahadur Modi bedankte sich für die detaillierte Erklärung des Meisters, die ihm die Rolle der Moskitos in dieser Welt verständlich machte.

Wie man die Leidenschaft besiegt:

Ein Aspirant schrieb dem Meister: „Seit fünf Jahren arbeite ich als Jurist im Strafrecht. Ich habe eine Schwäche, die meinen Geist immer beschäftigt. Ich will dir die nackten Tatsachen erzählen, in der Hoffnung, dass du mir hilfst, mich zu bessern. Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber während meiner Ausbildung hat mich der Teufel dazu gebracht, zu Prostituierten zu gehen. Jetzt bin ich verheiratet und habe Kinder. Trotz meines intellektuellen Hintergrundes und meines schlechten Gewissens gebe ich auch heute noch der Versuchung nach, zu Prostituierten zu gehen. Ich verabscheue es, aber manchmal überwältigen mich meine Gefühle. Das Bewusstsein, dass ich gegenüber mir selbst sowie meiner Frau und meinen Kindern sündige, bereitet mir am meisten Schmerzen – aber ich tue es trotzdem. Ich suche Inspiration und Führung, damit ich mich bessern kann. Kannst du mir sagen, was mit mir nicht in Ordnung ist? Gibt es Hoffnung für mich oder bin ich völlig verloren?“
Der Meister schrieb daraufhin die folgende lange Antwort:
„Ich habe deinen Brief mit Freude gelesen. Er reflektiert sehr gut, wie dein edles inneres Selbst wirklich das göttliche Leben und das höchste Ziel im Leben sucht: die Gottverwirklichung.
Die Lust, die dich überkommt, gehört nicht zu deiner wahren Natur, sonst hättest du nicht solch erhabene Gedanken, wie du sie in deinem Brief an mich beschrieben hast. Du bist rein und voller guter spiritueller Eindrücke. Es scheint so, als ob du diese Lust geerbt oder durch schlechte Gesellschaft in der Kindheit oder Jugend erworben hast. Sie ist aber nur eine vorbeiziehende Wolke. In dem Moment, in dem du mir diesen Brief geschrieben hast, ist sie schon weitergezogen. Das Licht der Reinheit strahlt nun wieder in dir. Schau es dir an. Meditiere darüber. Vergiss die Vergangenheit. Mache deinen Weg frei und gehe weiter auf dem Weg der Reinheit bis zum Gipfelpunkt der himmlischen Herrlichkeit.
Die Lust ist wie ein Hund. Je mehr du sie loswerden willst, desto mehr folgt sie dir. Ignoriere sie. Sie wird dich dann noch eine Weile still von fern verfolgen, doch wenn sie merkt, dass du sie ignorierst, wird sie dich schließlich in Ruhe lassen. Wende dich deiner spirituellen Praxis und deiner Arbeit zu. Gehe deinen eigenen göttlichen Weg mit entschlossenen Schritten. So wirst du die Lust und andere Schwächen loswerden, daran gibt es keinen Zweifel.
Halte dich Tag und Nacht beschäftigt und bleibe nach Sonnenuntergang niemals alleine. Halte abends einen Kirtan (Singen von Mantras) ab. Lies zusammen mit deiner Familie und deinen Freunden einige erhebende Werke spiritueller Literatur. Fange noch heute damit an. Lass deinen Geist nicht in die Vergangenheit wandern – nicht einmal, um dir zu deiner Transformation zu gratulieren. Halte deinen Geist beschäftigt, bis du einschläfst.
Japa, Japa und nochmals Japa (Wiederholen eines Mantras). Das Wiederholen des Namen Gottes ist das einzige Heilmittel gegen alle Versuchungen des Bösen. Widme von nun an mindestens einen Monat lang jeden Abend der Mantrawiederholung, dem Kirtan, dem Studium der Schriften und der Meditation. Wenn du sonst abends nicht arbeiten musst, kannst du diese Gewohnheit für immer fortführen.
Nimm nach 3 Uhr nachmittags keine Stimulantien mehr ein – keinen Tee, keinen Kaffee, keine Betelblätter, keine scharfen Speisen. Iss abends nur leichte Speisen, wenn möglich für eine Weile nur Milch und Früchte.
Es ist ganz besonders wichtig, dass du auch tagsüber keine obszöne Literatur irgendwelcher Art liest oder obszöne Bilder anschaust. Halte deinen Geist vollkommen beschäftigt und auf einer hohen spirituellen Ebene.
Das Wichtigste ist aber, dass du dir weder über deine Schwäche Gedanken machst, noch darüber, wie du sie überwinden willst. Mache dir folgendes zum festen Vorsatz: ‚Ich bin von diesem Moment an in Gedanken, Worten und Taten rein. Gott wird mir Kraft geben.’ Vergiss die Vergangenheit und verfolge deine spirituelle Praxis.
Ich sende dir mit getrennter Post noch eine Mala (Gebetskette). Verwende sie für die Mantrawiederholung. Wenn du kannst, trage sie immer um den Hals oder zumindest ab dem Abend, wenn du von der Arbeit nach Hause kommst, bis du zu Bett gehst. Sie wird dich an deine Vorsätze erinnern und wie ein Talisman beschützen.
Ich sende dir auch einige Vorlagen für ein spirituelles Tagebuch. Führe es von heute an. Sei offen und ehrlich, wenn du es ausfüllst. Schicke mir jeden Monat eine Kopie davon. Ich will dir dienen und dich führen, damit du dich gründlich veränderst zu einem großartigen Menschen, ja, zu einem Übermenschen.
Möge Gott dich mit Wohlstand, Gesundheit, einem langen Leben, Frieden und Befreiung segnen!“

Über Gebete:

Ein anderer Briefpartner wollte wissen, wie man betet. In seinem Brief fragte er: „Was ist eigentlich ein Gebet und wie soll man beten, damit es Gott auch gefällt? Ein Gauner betet zu Gott, um für sein Handeln Buße zu tun, aber auch, um mehr Kraft und Mut für seine künftigen Betrügereien zu bekommen.“
Der Meister antwortete: „Die, die wirklich zu Gott beten, wissen, dass Gebet und Rechtschaffenheit gleichbedeutend sind. Das ‚Gebet’ des Gauners ist kein Gebet, sondern nur ein Auswuchs seines Bemühens, einer Bestrafung zu entkommen. Wäre es wirklich ein aufrichtiges Gebet, so würde ihm von Gott, so wie es Krishna in der Gita versprochen hat, eine Intelligenz zuteil werden, mit der er Seine Lotusfüße berühren könnte, eine Intelligenz, die es ihm sofort ermöglichen würde, zu verstehen, dass Gott alldurchdringend ist und dass Er deshalb identisch mit dem Selbst derjenigen ist, die er, der Gauner, zu betrügen versucht.
Je nach Tiefe und Ehrlichkeit des Gebetes wird die Wandlung dann früher oder später eintreten. Die Auswirkungen seiner schlechten Taten mögen aber noch so stark sein, dass er nach einem Gebet geradewegs zur nächsten Betrügerei übergeht; aber jedes Mal, wenn er so verfährt, wird er spüren, wie die Rebellion in ihm immer größer wird. Dies ist ein gutes Zeichen. Wenn er mit seinen Gebeten weiter fortfährt, wird er bald wieder rechtschaffen sein.
Ein Mensch aber, der innerlich davon überzeugt ist, dass die Gaunerei eine gute Sache ist, der nur betet, um die Öffentlichkeit von seinen Taten abzulenken oder um Gott zu bestechen, der betrügt sich nur selbst. Aber sogar in einem solchen Falle ist ein Gebet besser als nichts. Es wird früher oder später seine Früchte hervorbringen, denn das Böse, dass sich immer mehr anhäuft, kommt irgendwann wieder zu seiner Quelle zurück, Stück für Stück. Nur wenige können in einem Menschen, der in Armut, Elend und unheilbaren Krankheiten verstrickt ist, den wohlhabenden Millionär erkennen, der in einem vorherigen Leben, durch seine Habgier geblendet, das unerbittliche Gesetz des Karma nicht erkannt hat.

Abschied auf Französisch:

Einmal verschwand aus dem Ashram ein französischer Sadhu und niemand wusste, wo er hingegangen war. Als er nach einiger Zeit wieder auftauchte, grüßte ihn der Meister und fragte ihn höflich nach seinem Befinden.
Om Namo Narayanaya! Wann bist du angekommen? Geht es dir gut?“
Der Franzose aber erwiderte: „Es tut mir sehr leid, Swamiji. Ich bin gegangen, ohne mich zu verabschieden. Bitte entschuldige mein Fehlverhalten. Ich ging nach Badrinath und kehre gerade von dort zurück.“
„Oh, das ist schon in Ordnung“, beruhigte ihn der Meister. „Wir nennen das hier ‚Abschied auf Französisch’! Und da du nun einmal Franzose bist, darfst du auch einfach so entschwinden!“
Der Franzose war ziemlich verblüfft zu sehen, wie sein Fehlverhalten unbeachtet blieb und ihn der Meister so heiter begrüßte.

Dein Schicksal:

Ein Schüler des Meisters hatte ein Buch mit dem Titel: ‚Indiens Schicksal’ geschrieben. Er schenkte dem Meister ein Exemplar, der ihm dafür dankte und ihn fragte: „Und was ist dein Schicksal?“
„Mein Schick...mein Schicksal...?“
Der Schüler suchte nach Worten. Um ihn herum hörte man verhaltenes Gelächter.

Des Meisters Offenheit:

Ein ausländischer Besucher besah sich mit skeptischem Blick den großen Werbeapparat des Ashram. Seine Zweifel und Skepsis vergrößerten sich aber noch sehr, als er den Meister in einen modernen europäischen Mantel gekleidet antraf. Als er aber an dem Meister herunterblickte, welch Überraschung erwartete ihn da! Der Meister ging barfuss! Von diesem Moment an war sich der Besucher sicher, dass der Meister nicht nach seinem Äußeren zu beurteilen war.
Der Meister erläuterte ihm: „Dass ich diesen Mantel in dieser Umgebung hier trage, mag dir absurd vorkommen, aber er wurde mir von einem Schüler geschenkt und es ist kalt hier im Winter. Es ist nicht die Kleidung, die einen Mönch ausmacht.“
Der Besucher war überwältigt von der entwaffnenden Offenheit des Meisters.

Unberührbarkeit:

In den späten 50er Jahren kam eine Schweizerin namens Myriam Orr in den Ashram. Ein recht sonderbares Schauspiel erwartete sie dort: Ein älterer Mann, dem Anschein nach von guter Herkunft, das freundliche Gesicht voller Güte und Herzlichkeit, ein englischer Mantel oberhalb der nackten Füße, schritt dreimal im Kreis um einen armen, abgerissenen Mann, dessen Körper mehr schlecht als recht von einem zerrissenen Leinentuch gegen den kühlen Himalajawind, der durch das Flusstal blies, geschützt wurde. Nach der Umrundung verbeugte sich der ältere Mann vor dem vor Erregung zitternden Bettler, nahm ihn mit in die Küche des Ashrams, ließ ihm eine Mahlzeit servieren und aß dort zusammen mit seinem Gast etwas Reis. Danach sang er mit klangvoller Stimme einen vedischen Gesang über das Göttliche und die Brüderlichkeit unter den Menschen.
Der ältere Mann war niemand anders als der Meister, Swami Sivananda.
Später schrieb Frau Orr in dem Schweizer Journal ‚La Tribune de Genève’ über diese Ereignisse. In einem der vielen Interviews, die ihr vom Meister gewährt wurden, erklärte er ihr diesen Vorfall: „Den Mann, den du bei deiner Ankunft sahst, ist ein Unberührbarer. Er hat mich aufgesucht, weil er den nahenden Tod in sich spürte. Ich begrüßte ihn auf die uns überlieferte Art und lud ihn ein, in unserem Krankenhaus zu bleiben. Er ist sehr krank. Wir werden für ihn tun, was in unserer Macht steht und ihn während seines Leidens mit unserer Liebe umgeben. Es gibt nur eine Kaste, die Kaste der Menschheit.
Einen Menschen als ‚unberührbar’ abzustempeln  ist schändlich und hat nichts mit Religion zu tun. Es ist ein Irrweg, ein Aberglaube, der immer noch seine Opfer fordert. Wir sollten alle dagegen ankämpfen, bis nichts mehr davon übrig ist, denn es gibt nur eine Kaste, die Kaste der Menschen.“
Myriam Orr fragte den Meister, ob er sich vor allen Unberührbaren, die in den Ashram kommen, verbeuge. Er antwortete ihr, dass es für ihn in dieser Hinsicht keine festen Regeln gäbe.
Und weiter: „Dieser Mann hat sehr viel durchlitten. Sein Herz, sein ganzes Wesen, ist mit einer Reinheit und Güte angefüllt, wie man sie nur selten sieht. Er hat noch niemandem etwas zuleide getan. Er sieht in jedem Wesen den Funken der Unendlichkeit.“
„So kennst du ihn schon seit langer Zeit, verehrter Swamiji?“
„Nein, ich sah ihn das erste Mal, als du hier ankamst.“
„Kannst du denn die Seele eines Menschen und sein gesamtes Leben so sehen wie ihre körperliche Hülle, Swamiji?“, fragte die Schweizerin.
„Jeder kann das! Jeder kann diese Kraft, wenn er es nur versucht, in sich entwickeln“, schloss der Meister.

Gespräch mit einem Westler:

Ein amerikanischer Schüler des verstorbenen Paramahansa Yogananda war nach Indien gereist und besuchte nun den Meister. Zwischen den beiden entspann sich ein interessanter Dialog:
Amerikaner: „Swamiji, ich habe schon viel von dir gehört und auch einige deiner Bücher gelesen. Sie sind wirklich sehr inspirierend. So sehr, dass ich mir gewünscht habe, dich zu treffen. So kam ich direkt von Delhi hierher. Ich habe auch eine deiner Schülerinnen, Radha in Kanada, kennengelernt.“
Meister: „Welche Sehenswürdigkeiten hast du denn in Delhi besucht?“
Amerikaner: „Es gibt dort nicht viel zu besichtigen. Höchstens die rote Festung.“
Meister: „Das sind doch nur Steine, Schlamm und Zement. So etwas kannst du auch in den Staaten besichtigen. Suche stattdessen lieber die heiligen Männer Indiens auf. Gibt es denn noch welche in Delhi? Falls ja, dann gehe dorthin.“
Amerikaner: „Ja, Swamiji, du hast recht. Mir steht der Sinn auch nicht nach Sehenswürdigkeiten, denn ich bin hier, um in der Gegenwart von weisen Männern wie deiner Heiligkeit zu verweilen. Stimmt es, dass der Darshan heiliger Menschen einer suchenden Seele wie der meinen eine große Hilfe auf ihrem Weg ist? Was ist überhaupt der Nutzen von Darshan?“
Meister: „In der Gegenwart von Heiligen findest du Inspiration, Frieden und Wonne. Der Geist der Unterscheidungskraft und Leidenschaftslosigkeit keimt in dir auf. Je mehr ein Aspirant von dieser Atmosphäre in sich aufnehmen kann, desto größer wird der Nutzen für ihn sein. Hat der Schüler einen reinen Geist, so wird er unvergessliche Eindrücke von dieser Begegnung mitnehmen.“
Amerikaner: „Stimmt es, dass ein Heiliger die Leiden seiner Schüler auf sich nehmen und so deren Prozess der Selbstverwirklichung beschleunigen kann? Im Christentum gibt es eine solche Vorstellung und, so weit ich gelesen habe, auch in manchen östlichen Religionen. Ist dem tatsächlich so?“
Meister: „Für einen Heiligen gibt es kein Leiden. Wie kann es für einen selbstverwirklichten Heiligen Leiden und Trübsal geben?“
Amerikaner: „Ich bin sicher, dass ein selbstverwirklichter Mensch in seinem spirituellen Bewusstsein jenseits allen Leidens ist, aber da er noch einen Körper besitzt, so muss es doch auch in einem solchen Fall noch körperlichen Schmerz geben.“
Meister: „Ja, der Körper fühlt den Schmerz. Dieses mitfühlende Leiden ist eine Tatsache. Der Guru nimmt das Prarabdhakarma (das aktivierte Karma; die Wirkung von Handlungen aus früheren Geburten, die sich im gegenwärtigen Leben auswirken) seiner Schüler auf sich, um deren Selbstverwirklichung zu beschleunigen. Er übernimmt aber nur das Leiden der Menschen, die durch den kosmischen Plan in Kontakt mit ihm kommen. Er kann und wird nicht das Leiden des gesamten Universums auf sich nehmen; das wäre unmöglich.
Welche Bücher liest du gerade? Was hast du bisher gelesen?“
Amerikaner: „Ich habe bisher einige deiner Bücher und einige von Swami Vivekananda gelesen; aber es scheint mir, als ob mir ein Übermaß an Theorie nicht wirklich weiterhilft. Yogananda, mein Guru, hat mich einige Techniken für das Sadhana gelehrt, die ich regelmäßig befolge. Ich denke, dass sie mir weiterhelfen. Wenn ich zu viele Bücher von verschiedenen Autoren lese, so verwirrt mich das nur. Es scheint so viele spirituelle Wege zu geben. Sollte man denn nur einem Pfad folgen oder kann man die verschiedenen Methoden miteinander kombinieren?“
Meister: „Ein Pfad reicht vollkommen aus. Folge ihm mit Ernsthaftigkeit, Fleiß und Beharrlichkeit, so wird dir Erfolg zuteil werden. Es ist wirklich wahr, dass ein Pfad ausreichend ist.“
Amerikaner: „Vielen Dank für deinen wertvollen Rat. Gerade diese Frage hat mich eine lange Zeit sehr gequält. Nun sind meine Zweifel beseitigt, Swamiji.
Ich glaube, es wird im Westen, besonders in den Vereinigten Staaten, ein durchgreifendes spirituelles Erwachen geben. Es bewegt sich zur Zeit dort sehr viel. Es gibt sehr viele spirituelle Institutionen dort, die sich an die Arbeit gemacht haben. Glaubst du, dass so ein Wiedererwachen wahrscheinlich ist?“
Meister: „Ja, nach dem materiellen Fortschritt ist ein Hang zum Philosophischen nur natürlich. Niemand kann mit materiellem Wohlstand allein zufrieden sein. Nur die spirituelle Wonne ist von Dauer und wirklich befriedigend. Amerika und der Westen werden sich immer mehr den spirituellen Idealen annähern. Sie müssen es einfach.“
Amerikaner: „Das ist eine sehr ermutigende Antwort von Euch, Euer Heiligkeit. Ich werde diese Nachricht mit mir nach Amerika tragen. Es gibt dort viele Menschen, die darauf warten.“
Der Meister ließ dem Besucher noch einige Kekse bringen, die ihm direkt in die Hand gegeben wurden. Der Meister erklärte: „Du musst sie ohne Teller und Tisch nehmen. Einfachheit ist eine große Tugend.“
Amerikaner: „Ja, Swamiji, wir haben alle diese aufgesetzten Konventionen satt. Wir mögen die Einfachheit Indiens.“
Danach wurden noch einige Bücher und Prasad verteilt. Der junge Mann dankte dem Meister von Herzen und verabschiedete sich.