Sei ehrlich zu dir selbst

Die große spirituelle Eroberung

Uddharedatmantmanam natmanamavasadayet;
Atmaiva hytmano bandhuratmaiva rpuratmana;
Bandhuratma’tmanastasya yenatmaivatmana jitah;
Anatmanastu satrutve vartetatmaiva satruvat.

„Man sollte das Selbst durch das Selbst preisen. Man sollte das Selbst nicht von sich weisen, denn das Selbst allein ist der Freund des Selbst, und allein das Selbst ist auch der Gegner des Selbst. Das Selbst ist dessen Freund, dessen Selbst durch das Selbst erobert wurde. Dort, wo das Selbst ungezügelt bleibt, wird das Selbst zum Feind, wie ein äußerer Gegner.“

Das ganze sechste Kapitel ist in diesen beiden Versen enthalten. In der Yogameditation liegt die Kunst des höheren Selbst, das niedere Selbst mit enormer Kraft hochzuziehen. Das Selbst muss durch das Selbst erhoben werden. Wir müssen unser Selbst durch unser Selbst hochziehen. Was bedeutet das?

Das wirkliche Selbst, das Original, das göttliche Selbst, das absolute Selbst, das wir auch darstellen, erhebt das niedere Selbst, das individuelle Selbst, das körperliche Selbst, den Herrn und die Frau Selbst, das politische Selbst usw. Ihr könnt euch eine Liste aller Selbst‘ erstellen, die alle Übergänge des Selbst versinnbildlicht; dies ist ein Konglomerat dessen, was als das individuelle Selbst bekannt ist. Dieses muss zusammengeschmolzen werden, wie ein Klumpen Eis in der Sonne des Wissens des höheren Selbst‘. Doch wo ist das höhere Selbst? Wie weit ist es entfernt?

Wie weit ist die Entfernung zwischen wachen und träumen, - wie viele Kilometer oder Lichtjahre liegen zwischen wachen und träumen? Eine wirklich bemerkenswerte Entfernung! Von einer Welt sind wir in eine andere Welt gegangen. Es muss dort eine Entfernung geben. Doch ihr werdet feststellen, dass sie zwar logisch existiert, aber nicht wirklich messbar ist.

Es existiert keine wirkliche Entfernung zwischen dem höheren Selbst und dem niederen Selbst, bzw. zwischen Gott und dem Menschen. Sie berühren sich, nicht so wie zwei Finger sich berühren, sondern so, wie ein höherer Gedanke einen niederen Gedanken beinhaltet, das höhere Wissen das niedere Wissen durchdringt, die höhere Ausbildung die geringere Ausbildung verschlingt, die größere Weisheit die niedere Weisheit aufsaugt. Sie sind im Raum nicht körperlich oder mathematisch nachweisbar, sondern sie sind nur Maße des Verstehens.

Dieses höhere Selbst, dieses gottgetriebene Selbst, das unser eigenes Selbst ist, ist unser wahrer Freund, von dem wir uns jederzeit ernähren können. Es sondert verschiedenerlei Honig ab. Doch wenn der niedere Egoismus seine Unabhängigkeit behauptet und sich nicht, wie eine niedere Ebene des eigenen höheren Selbst verhält, wird es zu seinem eigenen Gegner und durchkreuzt all sein Bemühen. Dann heißt es: „Sei ehrlich zu dir Selbst!“

Die Taittiriya Upanishaden sagen: „Wenn der Raum selbst nicht das Feld der großen Freude wäre, wer würde dann atmen?“ Wenn das Atmen nicht von großer Freude wäre, wer wollte dann leben? Der Atem würde deine Atemwege verbrennen. Der Akasa, der Raum um uns, ist nur ein Feld der Freude. Wir wollen uns in der Weise des Raumes erfreuen, indem wir ihn anschauen und ihn ständig einatmen und ausatmen. Existenz und Unterkunft an sich sind das höchste Gut von Freiheit und Glückseligkeit.

Manchmal sagen wir, der Mensch denkt und Gott lenkt. Es sieht so aus, weil sich das Selbst an das höhere Selbst wendet, als ob das höhere Selbst alles lenkt, was ich denke, doch dies wird sich nicht derart darstellen, wenn ich freundlich mit IHM verbunden bin. Wer ist derjenige, mit dem das höhere Selbst freundlich umgeht? Wen kann man als Freund des höheren Selbst ansehen?

Eine bestimmte Art von Persönlichkeit, die ihr individuell darstellt, kann sich als Freund des höheren Selbst schätzen. Nicht jeder Art von Persönlichkeit ist es möglich, ein Freund des Selbst‘ zu sein. Solange ihr euch nicht ungefähr auf die gleiche Ebene begebt, wie ER steht, könnt ihr IHM nicht einfach die Hand geben, wie einem höher gestellten Würdenträger. Wenn ihr dem höheren Selbst die Hand geben wollt, müsst ihr dafür bestimmte Qualitäten entwickeln. Welche Qualitäten sind das? Die Eroberung des Selbst‘: atma jaya.

Diese Frage ergab sich in früherer Zeit aus einem Zusammenhang in der Udyoga Parva der Mahabharata, wo Dhritarashtra folgende Frage an Sanjaya richtete: „Kann ich den großen Botschafter der Pandavas sehen, der uns in unserer Zusammenkunft begegnen soll? Kann ich IHN zu Gesicht bekommen?“ Sanjaya, der weise Minister von Dhritarashtra, sagte: „Du hast mich gefragt, ob du IHN sehen kannst. Der nicht-befreite Mensch (Akritatman) kann nicht den befreiten (Kritatman) Shri Krishna sehen.“ Kritatman ist derjenige, der das Selbst vollständig erobert hat, wohingegen ein Akritatman ein Sklave des niederen Selbst ist. Derjenige, der Sklave seiner Wünsche und durch seine Sinneseindrücke benebelt ist, kann nicht das große Sein Krishnas erblicken, der ein vollkommener Meister seines Selbst ist. Das Ewige strahlt durch Krishnas Persönlichkeit.

Das Zurückziehen der Sinnesorgane ist die Möglichkeit, das Selbst zu erobern. Das zu erobernde Selbst ist nichts weiter, als das Selbst des Verlangens der Sinne. Das Selbst der Sinne ist dasjenige Selbst, das umgewandelt werden muss. Wir leben jetzt in einer Welt der Sinneswahrnehmungen und das Selbst, das wir selbst sind, wird durch die Mächte der Sinneskontakte bzw. Sinneswahrnehmungen oder Wünsche getrieben. Dieses Verlangen muss in der Macht des höheren Selbst aufgelöst werden. „Du musst wissen, dass der Eine, der da kommt, alles-in-allem ist, und all deine Kinder und all deine Handlanger sind nirgendwo hinter dieser einen Person zu finden, “ sagte Sanjaya zu Dhritarashtra.

Es gibt viel Schönes und Mächtiges, viele Freuden auf dieser Welt, doch das höhere Selbst ist einmalig. Das eine Sein ist größer als all die vielen Dinge dieser Welt. Darum machte Duryodhana den Fehler, die Armee Krishnas zu wählen, während Arjuna so weise war, nur einen, nämlich Krishna, zu wählen. Dieser Eine war größer als die mannigfache Erscheinung starker Soldaten der Armee.

In der Mundakopanishad gibt es ein ähnliches Beispiel. Zwei Vögel saßen auf demselben Ast eines Baumes. Ein Vogel schaute auf die wunderschönen Früchte, doch aß er niemals davon. Der andere Vogel war so sehr damit beschäftigt, die wunderschönen Früchte zu essen, dass er nicht einmal seinen Freund in seiner Nähe wahrnahm. Als er mit dem Essen der wunderschönen Früchte aufhörte, weil er satt war, schaute er seinen Freund an, der ihn immer noch ruhig beobachtete und nichts aß; da fand er seine Befreiung.

Solange, wie Arjuna nur auf die Armee schaute, fürchtete er sich. Als er seinen Blick Krishna zuwandte, strömte Energie in ihn ein. Die Menschen, denen er sich gegenübersah, waren Bekannte und Unbekannte, Verwandte und Gegner, und alle zusammen waren sehr aktiv und wirkten stark. Als er sie sah, fühlte er sich angegriffen und in ihm offenbarte sich mehr und mehr ein Gefühl von Tapferkeit, gepaart mit Kampfgeist und Angriffslust. Doch dann schaute er auf den lächelnden blauen Menschen, der tatenlos zusah. Und dieses Nichtstun bewirkte alles. Die Menschen tun viele Dinge; Gott tut nichts. Derjenige, der tatsächlich nichts unternimmt, macht mehr, als die Dinge, die scheinbar durch Menschenhand in der Welt erledigt wurden.

Im Laufe der Geschichte verblassen all unsere Aktivitäten vor den enormen Aktivitäten Gottes zu einem wertlosen Nichts. Wer kann behaupten, dass die Sonne am Himmel tatenlos ist? Sie äußert sich nicht. Sie geht am blauen Himmel still ihrer Beschäftigung nach. Ihre lautlose Existenz ist genug, um alles in der Welt zum Leben zu erwecken. Wir sehnen uns nach ihr, aber nicht umgekehrt.

Dieses höhere Selbst steht für sich allein; wir selbst sind es, die sich auf einer niederen Ebene von uns selbst befinden, die uns selbst als vielfältig wahrnehmen lässt. Wir gehen vielerlei Beschäftigungen nach, viele Dinge sind zu tun, viele Beziehungen sind zu unterhalten. Auf unserer niederen Ebene gibt es viele Aktivitäten; doch in der höheren Ebene bleibt nichts zu tun. Wir müssen nur sein. Wenn ihr allein mit eurer Existenz als höheres Selbst zufrieden seid, ist alles getan; alle so genannten Aktivitäten lösen sich auf.