Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 10

Buße und Strenge

Carlos: Was ist Tapas?

Swamiji: Tapas ist Energie und Hitze, eine Kraft, die in einer Person dadurch hervorgerufen wird, indem die Sinnesorgane daran gehindert werden, Energie nach außen in Richtung auf die Objekte zu lenken. Wenn Du etwas siehst, riechst, schmeckst, berührst oder darüber nachdenkst, wird das Bewußtsein Deine ganze Energie durch die Sinnesorgane in Richtung auf die Objekte abgelenkt. Wenn Du Dein Bewußtsein daran hinderst, etwas zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu berühren oder über irgend etwas außerhalb von Dir Befindliches nachzudenken, wird diese Energie den Körper nicht verlassen. Sie wird im Körper festgehalten. Dann wirst Du Dich stark, voller Energie und machtvoll fühlen. Dieser Vorgang wird Tapas, eine im Inneren festgehaltene Kraft, genannt.

Für den Anfänger und sein Verständnis ist diese Erklärung über Tapas ausreichend, das höchste Tapas aber bedeutet, wie Gott Selbst zu denken. Wenn Du genauso wie Gott denkst, dann ist dies das höchste Tapas. Du kannst Dir das Denken Gottes so vorstellen: ER erfaßt mit einem einzigen Gedanken direkt den ganzen Kosmos, ohne irgendein Sinnesorgan (Augen, Ohren, Nase, usw.) zu benutzen. Sein ganzes SEIN ist Sein Gedanke; Sein Gedanke und Sein SEIN sind identisch. In Bezug auf das menschliche Sein besteht der Gedanke aus einem Objekt, aber in Bezug auf Gott besteht der Gedanke selbst aus SEIN. Dieses höchste Tapas mußt Du eines Tages erreichen, aber am Anfang bedeutet es das Zurückziehen der Sinnesorgane und das Hervorrufen von Energie im System. Damit hat Tapas eine einführende und auch eine höhere Bedeutung. Beide sind auf das Wort Tapas anwendbar.

Tapas bedeutet sowohl das Konservieren von Energie; die Vergrößerung der Kraft im System durch die Kontrolle der Sinne; das Zurückziehen der Sinnesorgane, als auch das Bewußtsein daran zu hindern, sich mit externen Dingen zu verausgaben, um es dann im universellen Sein, welches der Gott-gedanke ist, zu zentrieren und zu fixieren. Dieses ist das höchste Tapas. Es gibt dort nichts Mysteriöses. Es ist eine einfache Sache, wenn Du es sorgfältig analysierst. Yoga ist nicht mysteriös; es ist ein einfacher Prozeß.

Tapas ist nichts anderes als das, was Du in diesem Leben sowieso tun solltest. Niemand erwartet von Dir, Deine Energie zu verschwenden, damit Du verweichlichst, und an etwas denkst, was eigentlich gar nicht vorhanden ist. Wir denken meistens nur über Illusionen nach. Die Welt befindet sich weder außerhalb von Dir, noch bist Du außerhalb dieser Welt; und doch schaust Du so auf diese Welt, als würdest Du Dich außerhalb von ihr befinden und die Welt außerhalb von Dir. Dieses stellt für alle Menschen ein Problem dar. Wenn Du dieses Mißverständnis, daß sich die Welt außerhalb von Dir befindet und Du außerhalb der Welt bist, auflösen könntest, dann würdest Du herausfinden, daß Du durch die Welt beschützt würdest.

Jetzt wirst Du wie eine unerwünschte Person von der Welt ausgestoßen, und Du wünschst Dir, sie ebenfalls als etwas Unerwünschtes von Dir wegzuschieben. Sie möchte ihre Eigenständigkeit bewahren und Du möchtest es ebenfalls. Ihr seid zwei miteinander wetteifernde Parteien. Die subjektive und die objektive Seite stehen in Opposition zueinander und bekämpfen sich. Dieses ist die wirkliche Mahabharata (ind. Epos), wie sie als Konflikt zwischen Subjekt und Objekt, Dir selbst und der Welt, bekannt ist. Dieses sind die Themen der Mahabharata, des Trojanischen Krieges, der Ilias, Odyssee und des Ramayana; dies alles sind Heldenepen von dieser Welt mit symbolischem Hintergrund, wie sie von Dichtern und Autoren beschrieben werden, und in denen der Konflikt zwischen Dir selbst und der Welt in epischer Form dargestellt wird. Wenn sich dieser Konflikt fortsetzt, gibt es keinen Ausweg mehr. Dieses Tapas, das ich Dir gegenüber erwähnte, ist ein einfacher Prozeß, um diesen Konflikt aufzulösen und Harmonie zwischen Dir selbst und der Außenwelt durch Einführung einer durchdringenden einheitlichen Macht zwischen beiden (Subjekt und Objekt) herzustellen.

Dieser Prozeß ist als Yoga, Tapas, Spiritualität bekannt; dies ist Religion, dies ist Deine Pflicht im Leben, und dieses ist auch der Weg zur Gottesverwirklichung. Das Leben als Ganzes ist eine Summe vieler kleiner Verwicklungen der menschlichen Tätigkeiten. Es gibt keine Notwendigkeit, viele Bücher zu lesen. Die Sache ist einfacher, wenn Du tief in sie hineingehst.

Die Welt wird auf Dich zuströmen, wenn Du EINS mit ihr bist. Du mußt nicht hinter den Dingen herlaufen; sie werden auf Dich zukommen. Du wirst danach von niemandem mehr als Sklave ausgenutzt werden, Du wirst ein Meister sein. Jetzt hast Du die Welt aus Deinem Bewußtsein gestrichen, und darum siehst Du wie eine kleine, winzige hilflose Person aus, aber in Wirklichkeit bist Du das nicht. Du bist keine winzige, hilflose Person. Die ganze Macht und Größe ist in Dir. Sie muß durch den Tapas-Prozeß hervorgebracht werden. Die einzigen Pflichten in diesem Leben sind letztendlich Tapas, Strenge und Selbstkontrolle. Sogar im normalen täglichen Geschäftsleben ist eine Art von Selbstkontrolle erforderlich. Du kannst nicht Deine ganze Energie einfach verausgaben und dennoch glücklich sein.

Versuche „Alles“ in Deine Gedankenwelt einzubeziehen. Denke nicht nur an einen Teilaspekt. Warum denkst Du nur an etwas Besonderes? Warum schenkst Du Deine Aufmerksamkeit nur bestimmten Dingen, während alle anderen Dinge gleich gut sind? Laß etwas in Deinen Gedanken Einzug halten, in dem beide, Du selbst und die Welt, Platz finden. Das ist dann ein Gedanke mit Transzendenz. Dieses ist das höchste Tapas.

Besucher: Wie ist die Beziehung (falls es eine Beziehung gibt) zwischen dem Erkennenden und dem, was erkannt werden muß?

Swamiji: Zwischen demjenigen, der erkennt, und dem, was erkannt wurde, gibt es einen Prozeß der Erkenntnis. Letztendlich ist Atman derjenige, der erkennt, und das, was er als Außenstehendes betrachtet, ist das, was erkannt wurde. Unter dem „Erkannten“ versteht man, daß Du etwas erkennst, was Du selbst nicht bist. Wenn die Leute normalerweise sagen, daß sie etwas erkennen, dann meinen sie nicht damit, daß sie sich selbst kennen. Es ist die allgemeine Idee im Verständnis der Menschen, daß sie, wenn sie glauben etwas zu erkennen, damit etwas anderes meinen als sich selbst; derjenige, der erkennt, unterscheidet sich durch den allgemeinen Prozeß der Erkenntnis von dem Erkannten. Aber, wenn Du den ganzen Prozeß analysierst, wirst Du feststellen, daß beide, derjenige, der erkennt, und dasjenige, das erkannt wird, - durch eine Intelligenz, durch ein Bewußtsein, miteinander verbunden sind; sonst könnte derjenige, der erkennt, nicht mit dem Objekt der Erkenntnis in Verbindung treten. Du kannst einen Berg vor Dir erkennen, obwohl der Berg weit von Dir entfernt ist, und doch weißt Du, daß sich dort ein Berg befindet. Woher weißt Du, daß sich das Objekt vor Dir befindet, wenn es zwischen Dir und dem Objekt keinen Blickkontakt gibt?

Wenn der Verstand erkennt, daß sich etwas innerhalb des Körpers befindet, dann wird es im Körper eingeschlossen und kann nicht irgend etwas außerhalb des Körpers sein. Du kannst keinen Menschen, der vor Dir sitzt, erkennen, falls sich Dein Verstand nur mit Dingen innerhalb des Körpers beschäftigt. Woher kommt dieses Wissen?

Der Verstand, der sich scheinbar aus praktischen Gründen nur mit Dingen innerhalb des Körpers beschäftigt, ist von Grund auf eine universelle durchdringende Intelligenz. Der sogenannte individuelle Verstand wird im Rahmen des Erkenntnisprozesses mit dem universellen Verstand verbunden, wie das zum Beispiel bei einem Sendevorgang einer Radiostation der Fall ist. In einer Radiostation wird gesprochen und Geräusche werden produziert. Diese Geräusche werden in Radiowellen umgewandelt und in den Äther geschickt. Das, was durch den Raum reist, sind keine Geräusche; es ist ein mysteriöser Energieinhalt (Radiowellen), welcher durch den Raum reist, der von einem Empfänger, der irgendwo eingeschaltet ist, empfangen wird, wo wiederum dieser Energieinhalt (Radiowellen) in Geräusche umgewandelt wird, die Du dann als Geräusche hören kannst. Es bedeutet eigentlich nicht, daß die Geräusche durch den Raum reisen. Ein universelles Prinzip setzt zwei Bedingungen voraus, (erstens den eingeschalteten Empfänger auf der einen Seite, und zweitens die Sendestation auf der anderen Seite).

In ähnlicher Form existiert ein unbekanntes Medium zwischen Subjekt und Objekt. Du kannst die Sendestation sehen, Du kannst den eingeschalteten Empfänger sehen, aber Du kannst nicht erkennen, was zwischen beiden geschieht; es bleibt unsichtbar. Auf ähnliche Weise kannst Du einerseits Dich selbst und andererseits den Berg sehen, aber Du kannst nicht erkennen, was zwischen beiden geschieht. Das „dazwischen“ ist ein sehr wichtiger Punkt. Der universelle Verstand fungiert zwischen Dir und dem außerhalb liegenden Objekt und verbindet den individuellen Verstand durch das universelle Medium mit dem außenstehenden Objekt. Wenn das universelle Prinzip nicht arbeitet, wirst Du niemals irgend etwas außerhalb Deines Körpers erkennen. Dann würdest Du innerhalb Deines Selbst eingeschlossen sein.

Somit gibt es einen universellen Verstand, der überall arbeitet, von dem Du ein Teil bist und von dem auch das Objekt ein Teil ist. Schließlich mußt Du Dir eingestehen, daß nur eine Sache existiert, und das ist der Universelle Verstand. Wenn Du Dich tief auf diese wesentliche Tatsache konzentrierst, wirst Du wie ein kosmischer Mensch und nicht länger wie eine individuelle Person denken. Du wirst zu einem Übermensch werden und genauso wie ein Yogi oder ein Gottmensch denken.

Du selbst bist Dein eigenes Problem; Du hast keine anderen Probleme. Du wünschst, vor Dir selbst sicher zu sein. Das größte Problem ist das eigene Selbst. Niemand anders bereitet Dir Probleme. Deine Unwissenheit, Deine Dummheit, Deine Individualität, Deine Endlichkeit sind Deine Probleme und zeigen Dir, wer Du in Wirklichkeit bist. Davor mußt Du Dich schützen. Man muß sich vom eigenen niederen Selbst fernhalten, um die Gnade des Höheren Selbst zu erreichen. Im sechsten Kapitel der Bhagavad Gita steht geschrieben: „Das Höhere Selbst ist die Sicherheit vor dem niederen Selbst.“