Evolution des Bewusstseins und der Shakti im Menschen

Erste Stufen des Menschseins: Befriedigung tierischer Instinkte

In den ersten Inkarnationen spielt für den Menschen zunächst die Befriedigung der animalischen Instinkte (Kama) die größte Rolle. Diese sind:

  • Nahrung (Ahara).
  • Nestgestaltung (also Schlafplatz (Nidra), Haus, Wohnung) und Kleidung.
  • Fortpflanzung einschließlich Familie (Maithuna).
  • Sicherheit/Überleben (Bhaya).

Zur Befriedigung dieser animalischen Instinkte nutzt der Mensch seinen Intellekt, manchmal sinnvoll, manchmal abstrus. Mit diesem Intellekt macht er Nahrung schmackhafter („Kochkunst“), haltbarer und produziert sie in ausreichender Menge. Mit diesem Intellekt schafft er die moderne Haustechnik. Er entwickelt die abenteuerlichsten (und großartigsten) Erziehungstheorien und Sex-Spielzeuge. Und für die Sicherheit baut er Zäune, Safes, schließt Lebensversicherungen ab, entwickelt ein Sozialsystem und die Atombombe. All das mag einen großen Teil der menschlichen Zivilisation ausmachen, ist aber letztlich nur eine ausgefeiltere Weise, die tierischen Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Zweite Stufe der menschlichen Evolution: Wunsch nach Reichtum und Anerkennung

Reichtum und AnerkennungNach einigen Inkarnationen reicht Shakti die ausgefeiltere Befriedigung animalischer Bedürfnisse nicht mehr. Artha als Wunsch nach Reichtum und Anerkennung wird wichtiger. Wenn aber Ruhm und Reichtum tatsächlich erfahren werden, lässt Shakti den Menschen erkennen, dass dies nicht dauerhaft glücklich macht.

Dritte Stufe der menschlichen Entwicklung: Entfaltung eigener Fähigkeit und Dienst für andere

In den nächsten Inkarnationen spielt Dharma, der Wunsch, anderen zu helfen und die ureigensten Talente zu entfalten und in den Dienst anderer zu stellen, eine immer größere Rolle. Und wenn man anderen hilft, versucht Leiden zu mildern, erkennt man, wie groß das Leiden auf der Welt ist und wie wenig man eigentlich daran ändern kann.

Vierte Stufe: Was ist der Sinn des Lebens? Wer bin ich?

So kommt die Frage auf: Was ist der Sinn von allem? Wenn alles vergänglich ist und immer wieder zum Leiden führt, gibt es vielleicht eine Höhere Wirklichkeit hinter allem? Wenn man versucht, seine eigenen Talente zu entfalten und zu leben, und dabei sich selbst sucht, kommen die nächsten Fragen auf: Wer bin ich wirklich? Bin ich Körper? Bin ich Denken? Bin ich die Persönlichkeit? Wenn diese Fragen stark werden, ist dies ein Zeichen, dass die Kundalini sich zwar noch im Muladhara-Chakra befindet, aber schon beginnt sich zu regen. Der Mensch beginnt, nach Moksha, Befreiung zu streben. Wenn dieser Drang stärker wird, ist es so, als ob die Kundalini-Schlange ihr Haupt hebt und nach oben in die Sushumna, die feinstoffliche Wirbelsäule, schaut. Wenn sie ihren Mund öffnet und Feuer nach oben speit, wird der Mensch dazu gebracht, spirituelle Praktiken zu üben.

Eigenverantwortung für die weitere Entwicklung

Bis zu diesem Zeitpunkt läuft die Evolution mehr oder weniger von selbst ab. Ab diesem Moment kann der Mensch sich frei entscheiden: Will er diesem Impuls zur Selbstentfaltung, zur spirituellen Entwicklung folgen und mehr und intensiver praktizieren, oder will er sich ablenken und scheinbar das Leben genießen? Kundalini-Yoga zeigt einen sicheren und machtvollen Weg, wie die Evolution beschleunigt werden kann und die nächsten Schritte zügig gegangen werden können.

Warum spirituelle Praxis – aus der Sicht des Tantra?

Aber warum sollte man mehr praktizieren und die Evolution beschleunigen? Sind nicht das ganze Weltall und das ganze Leben, so wie es jetzt ist, göttlich? Warum die Rückkehr zum Ursprung beschleunigen? Kundalini-Yoga gibt hier keinen normativen, ethisch-moralischen Grund, wie beispielsweise „weil Gott es so geboten hat“ oder „sonst kommst du in die Hölle“. Vielmehr ist es so: Wenn einmal die Kundalini ihr Auge geöffnet hat und der Mensch ernsthaft nach Höherem strebt, werden ihn die kleinen Vergnügen dieser Welt nicht mehr dauerhaft glücklich machen. Der Mensch ahnt: In mir schlummern unendliche Wonne, unendliche Fähigkeiten, unendliches Sein. Er wird nicht mehr glücklich sein, bis er diese Unendlichkeit voll erfahren hat. Es ist wie bei jemandem, der bisher nur Flachland kennt, aber die Besteigung von Hügeln ganz großartig findet und die Aussicht von 75 Meter Höhe genießt. Wenn er hört, wie toll der Blick von den Alpen ist, wird ihn die Besteigung der 50 oder 100 Meter hohen Berge nicht mehr dauerhaft befriedigen. Oder ein leidenschaftlicher Bootsfahrer, der bisher nur auf einem kleinen See kleine Boote gesteuert hat, wird ans Meer oder auf größere Seen fahren wollen, wenn er davon hört. Der Mensch wird nach dem Höchsten streben, wenn er davon hört. Selbst wenn es ihm gelingt, diese tiefe Sehnsucht zu verdrängen, wird die innere Kraft, die Kundalini, ihn immer wieder drängen. Wenn man gar nicht auf sie hört, wird sie so machtvoll aktiv werden, dass ein normales Leben für eine Weile unmöglich wird, sei es durch Krankheit, durch Krisen, durch spontane Bewusstseinserweiterungs- oder Energieerfahrungen. Die Kundalini-Yoga-Meister raten uns, zügig den Weg zu gehen. So finden wir Befriedigung und Sinn im Leben. Der Weg ist nicht immer einfach. Wenn die Kundalini erst mal ihr Auge geöffnet hat, können wir letztlich nicht anders. Wir brauchen dabei gleichzeitig Ungeduld und Geduld: Zum einen heißt es, wenn der Wunsch nach Befreiung größer wird als alle anderen Wünsche zusammen, können wir die Befreiung noch in diesem Leben erreichen. Zum anderen heißt es, dass es einige Inkarnationen vom ersten Moment der ernsthaften spirituellen Praxis bis zur höchsten Verwirklichung dauert. Da wir aber nicht wissen, wie viele Leben wir schon praktiziert haben, heißt es letztlich: Ohne Anhaftung voranschreiten, die göttliche Mutter um Hilfe bitten und sie in allem sehen, den Anweisungen unseres Lehrers folgen, die Mitgeschöpfe als Manifestationen der Kosmischen Shakti lieben und ehren und alles als göttliches Spiel ansehen.

Strebe bewusst nach der höheren Wirklichkeit

Uns stehen dann noch einige weitere Meilensteine auf dem spirituellen Weg bevor: Nachdem der Wunsch nach Befreiung erwacht ist, gilt es, den Intellekt zu nutzen, um Fragen zu stellen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist wahres Glück? Was ist Schöpfung? Wie komme ich zum Höchsten? Wir müssen den Verstand nutzen, um einen authentischen Lehrer zu suchen, eine sinnvolle spirituelle Praxis zu finden und den Weg wirklich zu gehen.

Finde Zugang zur göttlichen Führung und allumfassenden Liebe

Überdies ist es aber auch die Aufgabe des Menschen, einen Zugang zur Kausalwelt zu finden. Auf dieser Ebene findet er höhere Intuition, universelle Liebe und große Seligkeit. Wenn er Zugang zur Kausalebene erhält, wird er zum Heiligen, zum Meister, der sein Glück von einer Höheren Ebene findet, jeden Menschen, auch die scheinbaren Feinde, lieben kann, durch die Kraft der Intuition geführt wird und in der Meditation in die ersten Stufen des Samadhi, des Überbewusstseins, eingehen kann. Schließlich muss er auch jenseits dieser Ebene gehen: Denn Shakti will letztlich alle Begrenzungen transzendieren und in die vollkommene Einheit mit Shiva eingehen. Dann verschmilzt das Individuum mit dem Kosmischen. Für andere mag das Weltenspiel weitergehen. Für die Selbstverwirklichten ist alles eins geworden.