Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 2

Intellektuelles Verstehen

Norma (aus dem Libanon): Wir Ausländer kommen hierher und bitten deshalb um Deine Hilfe, weil wir nicht in der Lage sind, die Probleme, die wir uns selbst gemacht habe, zu lösen. Sehr oft, wenn ich mit einer Frage hierher gekommen bin, mußte ich feststellen, daß ich, wenn ich intensiv genug darüber nachgedacht habe, entweder irgendeine Art Antwort gefunden habe oder das Gefühl hatte, daß Du mir über das Buch „Das Mysterium der Existenz“ für jede Art von Ereignis eine Antwort mit den Worten gibst, daß man nur dann in der Lage ist wirklich etwas zu verstehen, wenn man es ausführt, und daß ich das Pferd stets von hinten aufzäumen wollte. Wir machen unser Leben selbst zu einem dramatischen Problem, sehen das Problem womöglich als Ganzes und lösen es auch durch diese Sichtweise; - ich versuche Tag um Tag, vielleicht auch Jahr für Jahr, meine Denkweise zu ändern und doch funktioniert es nicht. Vielleicht bin ich in der Lage, zehn Minuten lang zu erkennen, daß „ein Ding ein Ding ist, weil ich es als ein Ding bezeichne“, doch in dem Augenblick, wo ich es als Ding bezeichne, setze ich ein ICH voraus. Ich kann dies verstehen, aber es verändert nichts an meinem Zustand.

Swamiji: Es wird von Dir auch nicht nur erwartet etwas zu verstehen, sondern, daß Du das, was Du verstehst, auch im täglichen Leben anwendest.

Norma: Das, was ich verstehe, wende ich auch an, aber ich kann es mir irgendwie nicht ständig vergegenwärtigen. Darum möchte ich gerne wissen, warum das so ist?

Swamiji: Dieses Verstehen muß ein Teil Deines Lebens werden. Das ist das Wesen des spirituellen Lebens. Das Verstehen alleine ist nicht genug.

Norma: Ja. Ich weiß.

Swamiji: Das Verstehen ist nur eine Information, die einem gegeben wird, damit man es in seinem persönlichen Leben anwendet. Das bedeutet praktische Meditation. Man versenkt den Inhalt dessen, was man versteht, tief in sein Herz und wird praktisch zu dem, was man verstanden hat und verändert damit seinen Charakter. Das Objekt des Verstehens ist so weit eingedrungen, daß man es selbst wird. Dein Wissen und Dein Verstehen wird zu Deinem Wesen. Verstehst Du das?

Norma: Ich verstehe jetzt, aber dann fahre ich wieder nach Hause, lebe und kommuniziere mit anderen. Eine Zeitlang bleibe ich trotz aller äußeren Einflüssen standhaft, doch dann komme ich schließlich wieder zurück zu meinem „Ego“ und denke daran, „daß diese oder jene Person wohl wieder etwas von mir will“. Selbst, wenn ich dies bis zu einem bestimmten Punkt unter Kontrolle habe und dabei zu Anfang auch nicht verwirrt bin.....

Swamiji: Am Anfang kann man es nur eine bestimmte Zeit lang bewahren. Wenn Du als Anfänger still sitzt und meditierst, bist Du in der Lage, dieses Bewußtsein einige Minuten oder eine Stunde lang zu bewahren, aber es ist Dir dies nicht über den ganzen Tag oder für immer möglich.

Norma: Bist Du denn dazu in der Lage?

Swamiji: Nun, wir versuchen es, denn wir existieren nur zu diesem Zweck, - was hätte das Leben Besseres zu bieten?

Norma: Ja, aber die meisten von uns machen es nicht, und sogar in den Schriften ist zu lesen, daß es nur einer unter Tausenden schafft, dorthin zu gelangen.

Swamiji: Du mußt tagein und tagaus darüber nachdenken. Es gibt in dieser Welt nichts anderes zu tun. Du sagst, daß Du viel zu tun hast und Dein Verstand hin und her wandert.

Norma: Nein, ich sagte, daß ich sehen kann, wie unproduktiv es für mich ist, und daß es für meinen Verstand unmöglich zu sein scheint, sich zu ändern, obwohl ich es erkennen kann.

Swamiji: Das liegt daran, daß Du nicht in der Lage gewesen bist, Dein Verständnis zu einem Teil Deines Lebens zu machen. Du lebst auf die eine Weise und Dein Verstand befaßt sich anderweitig mit einem Buch oder mit dem Intellekt. Du bist aber kein Intellekt, sondern eine Seele und darum ist das, was Du als Verstehen bezeichnest, eine durch den Intellekt verstandene Wahrheit. Dieses Verständnis muß in die Seele eintreten, was ich übrigens meinte, als ich sagte, Wissen ist Sein. Es erfordert über einen längeren Zeitraum eine enorme Praxis, und was auch immer man in dieser Hinsicht verstanden hat, ist nicht unangemessen, sondern ausreichend.

Du weißt etwas, und das ist gut genug. Das einzige, was Du tun mußt ist, Dir Zeit zu nehmen, um alleine zu sitzen. Du magst eine sehr geschäftige Person sein, aber auch dann mußt Du im Anfangsstadium ein oder zwei Stunden, vielleicht auch weniger und doch so lange wie möglich, still sitzen, um mit Hilfe Deines Verstandes Dein Bewußtsein zu erkennen. Später, wenn Gott will, mag es Dir sogar möglich sein, den ganzen Tag daran zu denken, so daß Dich die Verwirrungen des Lebens nicht mehr umwerfen mögen.

In Wirklichkeit gibt es keine Verwirrung. Es sind lediglich verschiedene Dinge, die Du nicht, mit dem integrierten Ganzen in Einklang zu bringen vermagst. Die Dinge der Welt sind keine Zerstreuungen. Sie sehen nur deshalb so aus, weil Du nicht in der Lage bist, sie im richtigen Verhältnis zueinander einzuordnen.

Gott hat keine Zerstreuungen erschaffen. Er hat ein Universum erschaffen, das in sich selbst vollkommen ist, und darum mußt Du die ganze Welt so ansehen, wie Gott Selbst sie sehen würde, als vollkommenes Ganzes, in dem alle zerstreuten Elemente einen richtigen Platz finden, denn sie sind an ihrem eigenen Platz vollkommen richtig aufgehoben. Wenn man sie aus dem Zusammenhang nimmt, sehen sie ungleichmäßig aus und sind nicht immer wünschenswert usw.. Wenn man jedoch alles in den richtigen Zusammenhang bringt, ist alles in Ordnung. Die ganze Welt ist vollkommen, und auch Du selbst bist vollkommen, denn Du bist ein Teil davon. Diese Art Meditation habe ich in meinem Buch „Das Mysterium der Existenz“ vorgeschlagen. Denke darüber nach. Später, wenn Du in den Libanon zurückgekehrt bist und noch einige Fragen dazu hast, kannst Du uns schreiben.

Die Schöpfung ist voller Widersprüche. Nichts ist wie das andere. Kein Blatt am Baum gleicht irgendeinem anderem Blatt desselben Baumes. Keine Person ist wie eine andere Person. Alles ist unterschiedlich. Es gibt so viele Widersprüche und doch ist alles in einer harmonischen Mischung und stellt eine Schönheit der Schöpfung dar. Dies wird in den Widersprüchen innerhalb der Familie Lord Shivas und auch in der perfekten Harmonie symbolisiert, die ER beständig aufrecht hält. Das schlimmste Schlangengift ist Nektar für seinen Körper. Nichts kann IHM schaden. Gott Selbst ist die Absolute Vollkommenheit und in Ihm wird jeder Widerspruch auf wundervolle Weise harmonisiert.

In unserem Körper gibt es angenehme und auch weniger angenehme Dinge, die alle in unserer Persönlichkeit harmonisiert werden. Jeder hat Lungen, Herz, Magen, Eingeweide, Blut, Knochen, Fleisch und Mark bekommen, die alle sehr unschön anzusehen sind, - da sie aber in einem Käfig aus Haut eingeschlossen sind, sieht die Person schön aus. Angenommen, die Haut würde weggenommen, - würde die Person dann noch genauso hübsch aussehen? Man würde vor ihr in dem Glauben weglaufen, daß sich ein Geist nähert. Welch ein Widerspruch und Abscheu! Eine Zusammensetzung unschöner Dinge in unserem eigenen Körper führt durch den Hautüberzug zu einem schönen Anblick, so daß wir gut aussehen. Selbst in unserem eigenen Körper wird somit der Widerspruch harmonisiert. Wir sind wie ein kleiner Kosmos, ein Symbol Gottes. Man sagt, daß der Mensch ein Spiegelbild Gottes ist, der die Allmacht symbolisiert. Was auch immer Gott hat, das hat man ebenfalls.