Vers 12

Semmaan Magalaith Thirudum Thirudan
Pemmaan Murugan Piravaan Iravaan
Summaa Iru Sollara Enralume
Ammaa Porul Onrum Arindhilane


Der Dieb, der Valli geraubt hat, die von einer Hirschkuh Geborene;
Dieser glorreiche Murugan, todlos und ungeboren –
Als er mich, ohne Sprache, anwies „sei still“,
Was für ein Wunder! Nicht eines einzigen Gegenstandes war ich mir bewusst.


„Was für ein Wunder! Als Lord Murugan – der Dieb, der Valli entführte, die von
(Lakshmi in der Gestalt) einer Hirschkuh geboren wurde, der glorreiche Eine,
ohne Geburt und ohne Tod – mich durch Stille unterwies (Upadesa ohne
Sprache) still zu sein, siehe! Ich kannte keinen Gegenstand der Welt.“

Erklärung:

Gott ist der glorreiche Eine. Seine Glorie ist jenseits menschlichen Verstehens. Er ist unsterblich, geburtlos und todlos. Weder wird er geboren noch stirbt er wie wir, gezwungen durch die Karmas, sondern Er erscheint in einer menschlichen Gestalt aus seinem freien Willen heraus zum Wohle seiner Verehrer, was Avatara genannt wird, die Herabkunft Gottes zur Rettung der Menschheit. Gott, der sich auf der relativen Ebene manifestiert, ist ein Avatar. Es ist, im höheren Sinne, der Abstieg des Gottesbewusstseins für den Aufstieg des Jiva- Bewusstseins zu ihm.

In Vers 6 haben wir schon die Geburt von Valli durch die Hirschkuh gesehen. Valli entwickelte von Geburt an eine intensive Liebe zu Gott und diese wurde im Laufe der Jahre immer stärker. Weil er dies wusste, kam Murugan eines Tages verkleidet zu dem Kornfeld, wo Valli war und prüfte ihre Hingabe. Zufrieden mit der Standhaftigkeit ihrer wahren Hingabe, offenbarte Er seine Identität und versicherte ihr, dass er bald zu ihr nach Hause kommen und sie zur Frau nehmen würde. So erwartete Valli Tag und Nacht sehnsüchtig sein Kommen. Mitten in der Nacht kam Er dann, als alle anderen fest schliefen, nahm sie ohne das Wissen von irgendjemandem mit und machte sie zu seiner göttlichen Gefährtin. Darum bezeichnet man ihn auch als den „Dieb von Valli“.

Tatsächlich ist Gott der größte und wirkliche Dieb, weil er die Herzen der Menschen gefangen nimmt. Die Entführung von Valli um Mitternacht hat auch eine spiritu -elle Bedeutung. Valli ist der Jivatman, die Seele, die sich nach Vereinigung mit Gott sehnt. Wenn der Jiva entschlossen ist, Gott zu erreichen und ernsthaft Sadhana übt, prüft Gott den Jiva auf unterschiedliche Weise und gibt ihm schließlich durch innere spirituelle Erfahrung und Überzeugung die Zusiche -rung, dass er die Seele annimmt, wie er es im Fall von Valli getan hat. Die Seele erwartet nun den gesegneten Moment und ist immer wachsam; und Gott er-scheint mitten in der Nacht, wenn alle schlafen und alles still ist.

Wenn es ganz Nacht für die Sinne, den Geist und den Verstand ist, d.h. wenn sie aufhören zu funktionieren, weil ihre Kräfte im Feuer des Strebens des Jiva nach Gott verbrannt wurden, nimmt Gott die Seele gefangen – das höhere spirituelle Bewusstsein nimmt Besitz von der individuellen Seele. Hier wird das Geheimnis enthüllt, dass das Erwachen des höheren spirituellen Bewusstseins (was das Erscheinen Gottes ist) nur möglich ist, wenn die nach außen gehenden Tendenzen der Sinne, die veräußerlichende Natur des Geistes und der objekti -fizierende Charakter des Bewusstseins zurückgezogen und im Herzen gesammelt werden, welches die Wohnstätte des Selbst ist.

Im vorhergehenden Vers sagte Arunagiri, dass Gott ihm Upadesa über die höchste Wirklichkeit gegeben hat, aber er sagte nicht, worin diese Unter-weisung bestand. In diesem Vers tut er es. „Sei still“ war das Upadesa.

Es gibt drei Arten von Stille, Mauna – physisch, verbal und mental. Körperlich fest und bewegungslos in einer Haltung zu bleiben, ist physische Stille, Kashtha-Mauna. Nicht zu sprechen ist Vang-Mauna. Dann gibt es noch die Stille des Geistes aufgrund der Auslöschung der Vasanas, der Wünsche, was Mano-Mauna ist. Es mag in Kashtha-Mauna keine mentale Stille geben und in Vang-Mauna können Körper und Geist aktiv sein. Aber in Mano-Mauna stellen sich physische und verbale Stille automatisch ein. Darum ist mentale Stille am schwierigsten zu erreichen und ist den beiden anderen übergeordnet. All drei Arten von Mauna sind nur mit bewusster Anstrengung auszuüben und zu erreichen.

Aber es gibt noch eine andere Art von Mauna, das spirituelle Mauna, das insgesamt von einer anderen Natur ist, das die drei Arten einschließt und transzen diert und nur durch Gottes Gnade erfahren werden kann. Spirituelles Mauna ist die Stille der Seele, das Ruhen des Jiva in Gottes-bewusstheit, wobei der Geist automatisch in Stille ruht, der Mund nicht spricht und der Körper sich nicht bewegt. Wenn Gott dieses spirituelle Mauna, das sprachlose Upadesa, verleiht, das die Manifestation des Gottesbewusstseins ist, wird der Jiva „still“, sieht nichts von dieser Welt, verliert sich in Gott und wird eins mit allem. Dies ist wahrlich eine seltene Erfahrung, die nur ein paar wenigen Auserwählten gegeben wird.

Das Upadesa „sei still“ ist die letzte Anweisung auf dem spirituellen Pfad. Und es ist unnötig zu sagen, dass sie durch Stille gegeben wird. Was ist dieses sprachlose Upadesa? Oder wie lehrt man, ohne zu sprechen? Ja, Sprache ist das Mittel der Belehrung, aber jeder Aspekt des menschlichen Wesens hat eine eigene Sprache, speziell nur für ihn.

Es gibt verschiedene Arten von Sprache, die die verschiedenen Aspekte der Persönlichkeit verstehen. Wir sprechen nicht mit Tieren und sagen ihnen nicht, sie sollen etwas tun; sie verstehen unsere Sprache nicht. Darum nehmen wir Zuflucht zur „Sprache des Stocks“, um sie zu erziehen. Es gibt eigensinnige Kinder, die ihren Eltern nicht zuhören wollen. Eine ordentliche Tracht Prügel ist die Belehrungsmethode, die sie sofort verstehen. Das könnte man „physische Sprache“ nennen. Die normale „verbale Sprache“ verstehen im Allgemeinen alle. Emotionen wie Liebe, Mitgefühl und selbst Ärger werden durch die „Sprache der Augen“ ausgedrückt. Der Liebhaber und die Geliebte sprechen in dieser Sprache miteinander. Dann gibt es die „Sprache des Herzens“; ein Verehrer spricht in dieser Sprache zu Gott und umgekehrt durch Gefühle. Und schließlich gibt es die „Sprache des Geistes“, in der Gott zu einer reifen Seele spricht. Dies ist die „Sprache der Stille“, die ein Jnani (Weiser) versteht. Göttliche Weisheit wird durch Stille übermittelt. Jede folgende Sprache ist der vorhergehenden überlegen. Daher das Sprichwort: „Die Sprache der Stille ist mächtiger als die Sprache des Redens.“ Man kann in einer Sprache verstehen oder lehren, die dem Level entspricht, auf dem man sich befindet. Darum kann Gott, der das Absolute ist, durch Stille sprechen, durch seine Allwissenheit, die sprachloses Upadesa ist.

Als die vier Kumaras zu Shiva (Dakshinamurti) kamen, um Belehrung zu bekommen, erklärte Shiva die niedrigeren Stufen des Yoga; als die letzte Stufe von Samadhi gelehrt werden sollte, blieb er in Stille (Samadhi) und ließ auch sie in Samadhi eingehen. Er enthüllte ihnen diesen Zustand nicht durch irgend eine Anweisung, sondern durch Sein. Samadhi ist die höchste Stille und er gab die Belehrung über Samadhi (d.h. still zu sein), indem er selbst still war. Dies ist das Mysterium der Offenbarung des Avatara, der Gotteserfahrung. Darum sagt die Bhagavad Gita: „Wer das Selbst sieht, vom Selbst spricht und hört, ist ein wunderbarer Mensch. Er ist einer unter Tausenden. Denn das Selbst ist sehr schwer zu erkennen“ (II, 29). Daher ruft der Heilige auch:

„Was für ein Wunder, ich habe diese seltene Segnung bekommen!“

Der Guru oder Gott steht nicht außerhalb und belehrt den Schüler. Physisch mag es so erscheinen, aber er manifestiert sich als das Bewusstsein des Schülers und lehrt so in Stille. Gottesbewusstsein tritt ins Jiva-Bewusstsein ein, der Lehrer und der Belehrte werden eins. Also ist das Hinzukommen des Gottesbewusstsein selbst das sprachlose Upadesa, wie auch die Anweisung, still zu sein.

Deshalb sagt Arunagiri, diese Anweisung, „still zu sein“, erfolgte nicht durch gesprochene Worte. Es ist keine Unterweisung durch Aktivität oder äußere Demonstration, keine verbale Anleitung, nicht einmal eine Gedankenübertragung. Es ist ein geheimnisvolles „Geschehen“ – ein Prozess des Geistes, vom Geist, durch den Geist. Gott oder das höhere Selbst offenbart sich als das eigene Selbst. Es ist ein spirituelles Bewusstsein, das nur durch die Gnade Gottes gewährt wird und nicht durch rein menschliche Anstrengung erlangt werden kann. Darauf beziehen sich die Upanishaden mit: „Er offenbart sich dem, den Er erwählt.“ Siehe da! In dieser höchsten spirituellen Bewusstheit hört die Welt auf zu existieren – die Welt wie sie jetzt wahrgenommen wird, als eine Entität, die außerhalb und unabhängig vom Wahrnehmenden besteht, abgeschnitten von der universalen Existenz Gottes. Den Jiva gibt es nicht mehr und auch die Welt hört auf zu sein; Gott alleine existiert.

Es ist sehr interessant und wichtig, dass in dem Moment, als Gott das Upadesa gab, still zu sein, Arunagiri nichts von der Welt wusste. Es war nicht so, dass er die Anweisung in die Praxis umsetzen und dann die Erfahrung haben musste. Nein, so war es nicht. Gott lehrte, und er machte die Erfahrung, das ist alles. Dies geht ganz offensichtlich aus dem Vers hervor, worin der Heilige sagt: „ Als Er mich lehrte, sei still – da wusste ich nichts anderes mehr.“ Das Wort ‚Enralume’ ist eindeutig. Es lässt keinen Raum zu sagen, dass die Erfahrung nach einiger Übung kam, sondern weist mit Bestimmtheit darauf hin, dass sie in diesem Moment da war. Nach der Unterweisung war es nicht notwendig, bewegungslos zu sitzen, verbales Mauna zu beachten, den Geist zu beruhigen oder irgendetwas in dieser Art zu tun, um in diesen Zustand zu kommen. Es war kein Prozess daran beteiligt; es war ein gleichzeitiges Geschehen. Das Upadesa Gottes und die Erfahrung des Heiligen folgten nicht aufeinander, sondern waren gleichzeitig. Die beiden waren eins. Wir haben auch gesehen, wie die nonverbale Unterweisung und das Upadesa, still zu sein, ebenfalls gleichzeitig waren. Also waren die drei – das nonverbale Upadesa, die Anweisung, still zu sein und die Erfahrung der Stille bzw. nichts mehr von der Welt zu wissen – nicht verschieden, sondern alles geschah gleichzeitig auf einen Schlag.

Im Wesentlichen bedeutet also die Entführung von Valli im spirituellen Sinn: Gott offenbart sich im Herzen als höchste Stille oder das Selbst und ist „sprachloses Upadesa“ (Sollara Upadesam); die gleichzeitige Absorption des Jiva-Bewusstseins ist „still zu sein“ (Summa Iruththal); und das daraus folgende Nicht-Bewusstsein der Welt ist „nichts zu wissen“ (Porul Onrum Aridhal Illaamai) – die alle gleichzeitig auftreten. Darum sagt Arunagiri: „Der Herr, der Valli von ihrer Familie geraubt hat und sie zu seiner Gefährtin machte, stahl auch mich von diesem Weltbewusstsein und ließ mich „stille sein“, aufgegangen im Bewusstsein Gottes.

Warum ist „sei still“ ein großartiges Upadesa? Gott ist allgegenwärtig, alldurchdringend. Daraus entsteht die Frage, warum wir Gott nicht fühlen oder erfahren? Aber die Antwort ist leicht – wir sind nicht „still“. Wir machen den Fehler ihn zu „suchen“. Er ist überall. Wo gibt es dann die Notwendigkeit, nach Ihm zu suchen? Aber das ist der Fehler, den wir begehen! Es ist ein Fehler, denn zu suchen, heißt Gott zu lokalisieren oder zu externalisieren. Und Gott, der alldurchdringend, universal ist, kann man nicht lokalisieren. Das Universale schließt die Veräußerlichung von Raum und Zeit aus. Darum die Notwendigkeit, mit dieser Suche aufzuhören. Dieses „ Aufhören“ heißt „still zu sein“. Das Bewusstsein, alle Aktivitäten durch den Geist und die Sinne zu beenden und in sich selbst zu ruhen, ist „still sein“. Dann ist man sich natürlicherweise nichts Äußerem mehr bewusst.

*

Da eine Unterweisung allein dem Schüler nicht viel hilft (Verse 8 bis 10), gibt ihm der Guru diesmal zusätzlich zum Upadesa (Vers 11) einen vorübergehen- den Zustand höheren Bewusstseins durch seine spirituelle Kraft. Auf einmal vergehen alle Objektivitäten, er sieht nichts von der Welt und hat einen kurzen Schimmer dieser verblüffenden Erfahrung des nichtdualen Bewusstseins. Dieser vorübergehende Zustand gibt dem Aspiranten auch eine Einsicht in die Natur Gottes und des Gurus, die er nach seiner Rückkehr zum normalen Bewusstsein mitteilt (im nächsten Vers). Der Lehrer gibt den spirituellen Bewusstseinszustand nicht durch verbale Anweisung, sondern durch Stille – vielleicht durch eine Berührung, einen Blick oder sogar durch eine Geste. Obwohl es im Falle von Arunagiri tatsächlich Verwirklichung des Absoluten bedeutete, ist es im Falle des Sadhaka nur ein vorübergehender Zustand, vom Guru gegeben, um ihn von der Existenz höherer spiritueller Erfahrungen und von seinen übernatürlichen Kräften zu überzeugen, um dem gestörten Geist des Suchers Vertrauen in die Fähigkeit des Gurus, ihn zur Gotteserfahrung zu führen, einzuflößen. Sri Ramakrishna Paramahansa ließ Vivekananda durch eine Berührung in eine Ekstase spirituellen Bewusstseins fliegen, und in diesem Zustand sah er nichts als Bewusstsein überall. Aber es ist nicht das Erreichen des Ziels. Der Sucher kehrt in seinen normalen Zustand zurück und muss sich anstrengen, um diese Erfahrung selbst zu verwirklichen.