28. Kapitel Besondere Bräuche

Die Mond- und Sonnenfinsternis

Als die Götter und Dämonen vor Urzeiten den Milchozean aufquirlten, entstand der Nektar der Unsterblichkeit daraus. Vishnu (der Schöpfergott) nahm die Gestalt von Mohini138, einer anmutigen Frau, an, täuschte die Dämonen und verteilte den Nektar nur unter den Göttern. Doch Rahu, einer der Dämonen, hatte die Gestalt eines Gottes angenommen. Die Sonne und der Mond informierten Vishnu(in Gestalt von Mohini) darüber, der dem Dämonen daraufhin sofort den Kopf abschlug. Doch der Nektar war bereits bis zum Hals des Dämonen gelangt, deshalb blieb sein Kopf unsterblich. So wurde sein Kopf als Rahu und der Körper als Ketu bekannt. Um diesen Verrat zu rächen, verdunkeln Rahu und Ketu seither in bestimmten Abständen die Sonne und den Mond.

Immer wenn Sonne, Mond und Erde sich in einer Linie befinden, mit dem Mond oder der Erde in der Mitte, gibt es eine Sonnen- bzw. Mondfinsternis. Solche Tage begeht man mit einem Bad in einem heiligen Fluss und wohltätigen Werken. Man spendet zum Beispiel Kühe, Geld oder Gold. Am Tag nach der Finsternis gibt man Armen, Brahmanen (Priester), Sadhus (Weiser, Heiliger, Mönch) zu essen. Danach werden die Häuser und alles Kochgeschirr gründlich gesäubert. Bevor man das nächste Mal kocht, nimmt man ein Bad.

Während der Finsternis sollte man auf Essen verzichten und auch schon so lange vorher, dass die Nahrung verdaut ist, wenn die Finsternis beginnt. Man sollte erst wieder essen, wenn die Sonne oder der Mond wieder frei sichtbar sind.

Schwangere Frauen sollten die Sonne oder den Mond während der Finsternis nicht ansehen, sonst könnte ihr Kind mit einer Behinderung, nämlich taub, stumm oder blind, geboren werden. Aus dem gleichen Grund sollte man auch auf Geschlechtsverkehr verzichten.

In dieser Zeit sollte man auch sorgfältig darauf achten, sich keine Blutungen oder Skorpionstiche zuzuziehen, denn sie haben verheerende Folgen. Selbst ein Sandwurm kann eine Infektion verursachen, wenn er während der Finsternis beißt.

Es bringt großen Nutzen, während der Zeit der Finsternis Japa (Mantrawiederholung) auszuführen. Mantrawiederholung und Kirtansingen während der Finsternis trägt zur Erleichterung der Leiden der Menschheit und der Planeten bei. Wer das tut, wird von den Göttern gesegnet und erreicht schnell die Vollkommenheit. Wer die subtile Kraft des Mantras erschließen möchte, das Skorpionstiche heilt, sollte im Wasser stehen und das entsprechende Mantra wiederholen.

Der kleine Intellekt kann viele Dinge in diesem Universum nicht verstehen. Habe darum Vertrauen in die Worte der Weisen.

Unwissenheit verfinstert die Selbsterkenntnis. Aber die Finsternis wird weichen. Du wirst in vollem Ruhm erstrahlen. Das ist die spirituelle Bedeutung der Finsternis.

138. Wörtl. die „Täuschende“; Name der wunderschönen, weiblichen Gestalt, die Vishnu annahm, um die Dämonen vom Trinken des Nektars abzuhalten.

28. Kapitel

Mahalaya Amavasya139

Die Phase des abnehmenden Mondes des Monats Aswayuja (September/Oktober) ist bekannt als Mahalaya Paksha, die vierzehn Tage nach Vollmond, an denen den verstorbenen Vorfahren Opfergaben dargeboten werden. Der letzte Tag dieser Phase, der Neumondtag, gilt als der wichtigste Tag im Jahr für Trauerfeierlichkeiten und Rituale.

Als Karna140, einer der berühmten Helden des Mahabharata (ind. Heldenepos), die irdische Ebene verließ und in die höhere Welt aufstieg, wurden ihm die großen Werke der Nächstenliebe, die er auf der Erde vollbracht hatte, hundertfach vergolten. Aber alles war nur Gold und Silber, keine Speisen, denn er hatte niemals jemanden etwas zu essen gegeben. Er betete zum Todesgott und durfte für vierzehn Tage auf die Erde zurückkehren, um diesen Mangel auszugleichen.

Vierzehn Tage lang bewirtete er Brahmanen und Arme und bot Trankopfer dar. Als er in die höhere Ebene zurückkehrte, hatte er Essen im Überfluss. Aus diesen vierzehn Tagen hat sich Mahalaya Paksha entwickelt. Dank der Gnade des Todesgottes kommen alle Opfergaben, die man dann darbringt, allen verstorbenen Seelen zugute, unabhängig davon, ob sie mit einem verbunden sind oder nicht.

Für dieses Ritual ist es besonders wichtig, Arme zu speisen. Leben hängt von Nahrung ab. Leeren Mägen kann man keine Religion beibringen! Der menschliche Körper ist das wichtigste Werkzeug, um Gott zu verwirklichen. Wie hoch müssen wir also die Nahrung schätzen, die den Körper fit hält für Yoga, für die spirituelle Praxis. Essen zu geben ist das größte Geschenk. Deshalb spende Essen im Überfluss, nicht nur während dieser vierzehn Tage, sondern das ganze Jahr hindurch.

Om Tat Sat Brahmaparnamastu

139.Amavasya heißt Neumond
140. Halbbruder der Pandavas (die Partei der „Guten“ in der Bhagavad Gita); Sohn des Sonnengottes Surya; mächtiger Krieger, der später auf der Seite der Kauravas (die Partei der „Schlechten“) gegen die Pandavas kämpfte.