Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 57

Die Guru-Schüler Beziehung

Suzanne: Dies ist eine umfangreiche Frage und darum stelle ich sie in zwei Teilen.

Swamiji: Die Antwort wird kurz sein.

Suzanne: Diese Frage betrifft nicht nur mich, sondern jeden. Sie bezieht sich auf die Schüler, - nicht nur auf die Suchenden und Ergebenen, - die sich nicht in der körperlichen Nähe zum Guru befinden..

Swamiji: Der Schüler befindet sich nicht in der körperlichen Nähe zum Guru?

Suzanne: Einige schon; - doch wie weiß der Guru, was mit jenen, die nicht in seiner körperlichen Nähe sind, geschieht?

Swamiji: Was meinst Du mit „geschehen“?

Suzanne: Alle ernsthaften Dinge im Leben eines Schülers, der zu seinem allgegenwärtigen Guru vollkommenes Vertrauen hat.

Swamiji: In unser aller Leben geschieht etwas. Es gibt niemanden, bei dem nichts geschieht. Wie lautet also Deine besondere Frage?

Suzanne: Angenommen, ein Schüler sagt: „Ich habe Vertrauen. Ich gehe und lebe mein Leben. Ich möchte meinen Guru hin und wieder sehen; er sieht mich und segnet mich.“ Der Guru sagt: „Geh. Du brauchst nicht bei mir zu bleiben. Tue, was auch immer Du für Dein Leben für richtig hältst.“ Der Schüler glaubt nun, daß nichts Dramatisches geschehen wird, und dennoch geschieht etwas. Ich denke, Swamiji, daß jedem alles zustoßen kann....

Swamiji: Bist Du der Meinung, daß das, was Du als Dramatisch bezeichnest, einem Menschen nicht widerfahren sollte?

Suzanne: Kann es nicht durch den Guru verhindert werden? Ist ihm nicht bewußt, was geschieht? Meine Frage lautet, ob es ihm bewußt oder nicht bewußt ist?

Swamiji: Die Geschehnisse im Leben eines Menschen stammen nicht aus der Schöpfung eines Gurus, noch ist er dafür verantwortlich. Was auch immer jemandem widerfährt, es geschieht aufgrund der Einflüsse, die durch die eigenen Gedanken und Taten aus früheren Leben erschaffen wurden. Möchtest Du nun sagen, daß diese Handlungen aus den früheren Leben ihre Folgen nicht hervorbringen sollten?

Suzanne: Nein. Weiß der Guru davon? Ist er sich der Geschehnisse bewußt?

Swamiji: Wenn er es wüßte, welchen Vorteil erhoffst Du Dir dadurch für Dich?

Suzanne: Ich möchte gerne wissen, ob er Kenntnis davon hat.

Swamiji: Angenommen, er weiß es. In welcher Weise betrifft es Dich? Möchtest Du, daß er die Einflüsse aus früheren Handlungen aufhält?

Suzanne: Nein, nein. Dies ist Ursache und Wirkung. Das verstehe ich. Dies ist „Prarabdha Karma“ (Summe des Karmas aller früheren Leben).

Swamiji: Wenn sich Dein Herz vollkommen mit der Seele des Gurus vereint hat, wird er sich verantwortlich zeigen und dich führen, und er wird bestimmte Konsequenzen aus zurückliegenden Karmas lindern, aber nicht verhindern können. Angenommen, ein Chirurg muß operieren und dabei ein Körperglied amputieren, was große Schmerzen verursacht, - diese Schmerzen werden durch die Anästhesie gelindert. Genauso handeln auch Gott oder der Guru, wer dies auch immer sein mag, wie Anästhesisten, wenn der Schüler unliebsame Erfahrungen durchmachen muß, - die Erfahrungen jedoch können sie nicht verhindern. Diese Erfahrungen müssen durchgemacht werden, denn man muß für alle seine Taten bezahlen.

Suzanne: Selbst mit dem Tod?

Swamiji: Selbstverständlich auch mit dem Tod, wer könnte ihn vermeiden?

Suzanne: Manchmal wird er verhindert, Swamiji. Wir haben in Büchern von großen Seelen gelesen, die den Tod ein wenig hinausgeschoben haben.

Swamiji: Was hast Du gegen das Sterben?

Suzanne: Ich habe nichts dagegen. Es betrifft nicht mich persönlich, Swamiji.

Swamiji: Möchtest Du als alte Frau bis in alle Ewigkeit leben?

Suzanne: Nein, Swamiji, ich bin bereits sehr alt.

Swamiji: Warum sagtest Du dann, daß es kein Sterben geben sollte? Tod ist der Umwandlungsprozeß einer ganzen Persönlichkeit in eine neue Persönlichkeit, die vielleicht besser als die gegenwärtige ist. Wer könnte also sagen, daß der Tod etwas Schlechtes ist? Das ganze Universum unterliegt diesem Evolutionsprozeß, und die Evolution ist nichts weiter als die Beendigung zurückliegender und der Eintritt in neue Bedingungen. Möchtest Du den Evolutionsprozeß vollständig unterbinden?

Suzanne: Nein, es mag sicherlich sehr gut sein. Doch geschieht das alles mit oder ohne das Wissen des Gurus?

Swamiji: Das, was als Tod bezeichnet wird, ist die Beendigung früherer Bedingungen und die Erschaffung neuer Bedingungen, die man Wiedergeburt nennt. Das ist weder gut noch schlecht; es ist notwendig. Worauf willst Du letztendlich hinaus?

Suzanne: Meine Frage bezog sich auf das Bewußtsein des Gurus.

Swamiji: Wenn ihm bewußt wäre, was geschieht, welchen Vorteil hättest Du davon?

Suzanne: Warum sollten wir dann überhaupt einen Guru haben, wenn wir keinen Vorteil davon hätten?

Swamiji: In Wirklichkeit weiß Gott allein, was Dir geschieht. Warum möchtest Du also einen Guru? Wenn Gott selbst in der Lage ist zu wissen, was geschieht, warum möchtest Du dann einen „kleineren Gott“?

Suzanne: Es gibt keinen kleineren Gott. Es gibt nur einen Gott.

Swamiji: Dann nenne ihn Guru. Und deshalb kann es auch nicht viele Gurus geben. Es gibt nur einen Guru und jeder ist nur Schüler eines einzigen Gurus.

Suzanne: Ja, aber die Menschen glauben nicht daran, Swamiji. Jeder sagt von sich, daß er einen anderen Guru hat. Woran liegt das?

Swamiji: Es gibt einen Guru der Gurus, der weder sterben noch verloren gehen wird, denn ER ist zeitlos und unterliegt nicht dem Zeitprozeß. Halte an IHM fest, dann offenbaren sich alle Gurus sofort selbst und man hat keine Probleme mehr. Vielleicht glaubst Du, daß der Guru ein Mensch ist. Ist es das, woran Du glaubst?

Suzanne: Nein. Es fing einmal so an und der Kontakt findet auf dieser Ebene statt.

Swamiji: Der Guru ist kein menschliches anatomisches Gerippe, das man mit den Augen sehen kann. Es ist das Leben, das durch einen Körper handelt; gibt es sonst noch einen Unterschied zwischen einem Guru und einem Schüler? Beide sind anatomisch und physiologisch gleiche Wesen. Sie nehmen die gleiche Nahrung zu sich, atmen dieselbe Luft und machen die gleichen Erfahrungen; doch es gibt einen Unterschied. Der Unterschied liegt in dem Licht, das die Persönlichkeit des Gurus durchdringt, und welches bei anderen Menschen nicht so konzentriert gegenwärtig ist. Der Guru ist Bewußtsein, das wie ein Mentor oder Schutzengel handelt.

Manchmal kündigt man an, daß eine große Persönlichkeit kommt. Wenn man dies sagt, bedeutet es nicht, daß ein großer Körper kommt. Nein, denn die Größe dieses Menschen liegt nicht in der Länge und Breite des Körpers, sondern im Bewußtsein, das in dieser Erscheinung wirkt. Die wirkliche Größe besteht in der Intensität des Bewußtseins, das in diesem Menschen strahlt. Wenn das Bewußtsein verdeckt ist und nicht ordentlich arbeitet, sieht es so aus, als ob sich eine normale Kreatur umher bewegt.

Wenn Dein Herz mit etwas vereint ist, weiß dieses Etwas, was mit Dir geschieht. Es kann der Guru sein oder irgend etwas anderes; selbst ein Baum wird Dir antworten, vorausgesetzt Dein Herz hat sich mit ihm verbunden.

Suzanne: Swamiji, bedeutet das, daß das Bewußtsein des Suchenden oder Schülers ebenfalls zum Universum des Bewußtseins wurde, obgleich es sich von der Bewußtseinsebene des Lehrers unterscheiden kann?

Swamiji: Ja, das ist richtig. Wenn sich Dein Herz mit etwas vereint hat, was auch immer dies sein mag, wird Dir dieses Etwas wie eine Mutter antworten. Die Ganga wird zu Dir sprechen, die Berge der Himalayas, die Sonne, der Mond und die Sterne werden zu Dir sprechen. Es gibt hier nur Freunde, die alle Deine Gurus sind.