Vishnu-Devananda

Hiermit wollen wir Stellung beziehen zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauches gegenüber Vishnu-Devananda. Damit verdeutlichen wir unseren Yogaweg in der Tradition von Sri Sankaracharya und Swami Sivanandas, der auf Transparenz statt Vertuschung setzt. Außerdem möchten wir dazu beitragen, dass Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe keinen Platz im Yoga haben.

Die Hintergründe

Im Dezember 2019 ging die ehemalige Assistentin von Vishnu-Devananda mit ihrer persönlichen Geschichte an die Öffentlichkeit. Sie beschrieb während ihrer 11-jährigen Assistenzzeit (1982-1993) bei Vishnu-Devananda 3 Jahre lang (1984-1987) eine sexuelle Beziehungen zu ihm gehabt zu haben. Diese beschreibt sie heute als sexuell übergriffig (“sexual abuse”). Zwei weitere Frauen berichteten von ähnlichen Erfahrungen in den 1970er Jahren. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung kam es in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des Yoga Vidya e.V. zu folgenden Beschlüssen: die Bilder von Vishnu-Devananda von allen Altären zu entfernen, seinen Namen aus Ritualen und Anrufungen zu streichen und seine Bücher nicht mehr als Pflichtlektüre zu verwenden.

Zusammenhänge zwischen Yoga Vidya und Vishnu-Devananda

Yoga Vidya wurde 1992 von Sukadev Volker Bretz (geb. 1963) gegründet. Dieser lernte 1980-1991 in den von Vishnu-Devananda gegründeten Sivananda Yoga Vedanta Zentren. Im Jahre 1988 war er außerdem als Devanandas persönlicher Assistent tätig und von 1989 bis 1991 aktives Mitglied im Vorstand. Mit der Zeit entstanden jedoch Unstimmigkeiten zwischen Sukadev und seinem Lehrer, insbesondere im Bezug auf das Mönchsgelübde, die Sozialversicherung der Gemeinschaftsmitglieder und aufgrund autoritärer Entscheidungsprozesse. So trennte er sich 1991 von Vishnu-Devananda und den Sivananda Yoga Vedanta Zentren, um einen anderen Weg einzuschlagen.

Es war und ist bis heute das Anliegen von Sukadev und dem Yoga Vidya e.V., die Tradition des Yoga mit humanistischer Psychologie, demokratischen Entscheidungsprozessen, sowie klaren Regeln gegen jegliche Ausnutzung von Lehr- oder Verantwortungspositionen zu verbinden. Bei allen Differenzen zu Vishnu-Devananda wollte Sukadev dennoch das Gute seiner Ausbildung dankbar weitergeben und behielt so einen hohen Respekt zu seinem ehemaligen Lehrer. So wurden ab Ende der 1990er Jahre Bilder von Vishnu-Devananda in den Yoga Vidya Zentren und Ashrams aufgehängt und sein Name in Verehrungsritualen mit einbezogen. Diese Praxis endete im Dezember 2019 aufgrund der folgenschweren Vorwürfe seiner Person gegenüber.

Statement des Vorstands des Yoga Vidya e.V.

Zunächst möchten wir den Menschen, die durch Vishnu-Devananda tiefes Leid erfahren, nochmals ausdrücklich unser Mitgefühl aussprechen. Wir haben Respekt und Hochachtung vor Juli Salter, die am 10. Dezember mutig genug war, das ihr widerfahrene Leid öffentlich zu machen. Viele scheinen noch zu hoffen, dass Vishnu-Devananda weder sie noch andere Personen sexuell missbraucht hat. Uns bei Yoga Vidya erscheinen die Schilderungen jedoch glaubwürdig.

Als Gemeinschaft basieren wir auf grundlegenden Werten, die für uns alle gelten. Egal ob als Mithelfer*in, Sevaka/Sevika (Gemeinschaftsmitglieder) oder Vereinsmitglied auf Leitungsposition. Aufgrund der Äußerungen der Betroffenen müssen wir davon ausgehen, dass Vishnu-Devananda einige dieser Grundwerte verletzt hat. Darunter Ahimsa (Nichtverletzen), Satya (Ehrlichkeit), und Brahmacharya, das Vermeiden sexuellen (Fehl-)Verhaltens. Dies steht im eklatanten Widerspruch, sowohl zu seinem Mönchsgelübde als auch dem, was wir als Gemeinschaft im Umgang miteinander gut heißen. Übergriffiges Verhalten jeglicher Art lehnen wir entschieden ab - egal auf welcher Ebene. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei ungleichen, durch Abhängigkeit geprägte Beziehungen. Diese könnten durch hierarchische Strukturen, unterschiedliche Positionen zwischen leitenden, lehrenden und lernenden Menschen, aber auch durch spirituelle Rahmenbedingungen geschaffen sein.

Wie wir erfahren haben, hat die von den Sivananda Yoga Zentren beauftragte Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorwürfe gegen Vishnu-Devananda im Juni 2020 ihre Arbeit eingestellt. Dies wurde mit finanziellen Einschränkungen durch die Pandemie begründet. Da wir größtmögliche Transparenz im Umgang mit Machtmissbrauchs und sexuellen Übergriffen für unabdingbar halten - vor allem im spirituellen Kontext - bedauern wir dies zutiefst. Dankenswerterweise wurde diese Aufklärungsarbeit von dem Projekt Satya mit eigenen Mitteln fortgeführt. Wir bei Yoga Vidya wünschen uns so viel Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz aller Beteiligten wie möglich.

Wir wünschen den Betroffenen, dass sie die vollumfängliche Unterstützung finden, die eine heilsame Verarbeitung der Geschehnisse möglich macht. Mögen sie außerdem die Kraft finden um mit allem, was womöglich noch auf sie zukommt, umzugehen.

Maßnahmen zur Abgrenzung                                              

  • Die Bilder von Vishnu-Devananda wurden in allen Ashrams und Stadtzentren von den Altären und anderen Orten der Verehrung abgehängt.

  • Sein Name wurde aus allen Mantren, Stotras und Shlokas gestrichen.

  • Sein Name wurde ebf. aus dem obgligatorischen Gruß an die Meister entfernt.

  • Seine Bücher sind nicht mehr verpflichtende Lektüre in Yogalehrerausbildungen. Alternative Bücher werden empfohlen.

Yoga Vidya geht seit seiner Gründung einen eigenen Weg, welcher auf der Yoga Vedanta-Tradition Shankaracaryas und den Lehren Swami Sivanandas basiert. Orientiert an den zentralen Schriften der sechs Yogawege, sowie dem Erfahrungsschatz der vorangehenden Meister - von denen auch Vishnu-Devananda ein Teil ist - wurde die ursprüngliche Lehrtraditionen weiterentwickelt. Andere Einflüsse wurden mit aufgenommen und Abgrenzung geschah, wo diese Leitlinien unserem Verständnis eines gewaltfreien, demokratisch-humanistischen und achtsamen Umgang miteinander widersprach. Diese Entscheidungen sind auch Ausdruck unserer eigenständigen Suche nach dem Weg zu dem höchsten Ziel: der Erfahrung von Einheit als allumfassendes Sein, höchstem Bewusstsein und tiefster Freude.

Dezember 2019 (November 2020 aktualisiert)

Das Leben von Vishnu-Devananda

  • am 31. Dezember 1927 in Kerala (Indien) geboren, am 9. November 1993 in Karnataka (Indien) seinen Körper verlassen
  • war ein Yogameister und gehört zu den Pionieren des Yoga im Westen

  • auch unter dem Namen "The Flying Swami" ("Fliegender Swami") bekannt

  • direkter Schüler von Swami Sivananda

  • Gründer der Internationalen Sivananda Yoga Vedanta Zentren

  • eine wichtige Figuren der Yoga Bewegung und der Popularisierung des Yoga

  • 2019 begann eine Kontroverse über seine Person

Zum Leben gehören immer beide Seiten der Medaille: Licht und Schatten. Und so bleiben neben seinen Verfehlungen und dem Leid, dass Vishnu-Devananda einzelnen zugefügt hat, auch seine Verdienste, die wir ebenfalls nicht verschweigen wollen.

Seine Lehren

Vishnu-Devananda widmete sein Leben der Verbreitung von Yoga und war in vielerlei Hinsicht Pionier. Auch Lehrende anderer Traditionen übernahmen seine Konzepte. Hier ein paar Beispiele:

  • Gruppenunterricht: Traditionellerweise wurde Yoga im Einzelunterricht weitergegeben. Vishnu erkannte jedoch den Vorteil, Menschen in Gruppen zu unterrichten.

  • Auf die eigene Intelligenz des Körpers hören: Kein britischer Militärdrillstil, wie es andere Yogalehrende seit den 1940er/1950er Jahren unterrichteten, sondern nur so weit gehen wie, wie es angenehm ist. Der Fokus liegt auf der Atmung, Entspannung und Bewusstheit.

  • Entwicklung von systematisch aufgebauten Yogakursen, in denen Anfänger gute Fortschritte machen können.

  • Gründung von Zentren, in denen Yoga anhand von Abendkursen gelehrt wurde. Traditionellerweise mussten Schüler einige Monate bei einem Yogameister leben, um Unterricht zu bekommen.

  • Das Konzept von Yoga Ashrams, angepasst an den westlichen Stil.

  • Yoga Lehrbuch mit vielen Fotos für die eigene Praxis veröffentlicht: “Complete Illustrated Book of Yoga” - mit einer Millionenauflage in den 1960er/1970er Jahren.

  • Entwicklung von systematischen Yoga Ausbildungen (erst 6 Wochen, später 4 Wochen): Bis heute bildet keine Institution jedes Jahr so viele Yogalehrer*innen aus, wie Sivananda Yoga Vedanta. Gerade weil Vishnu-Devananda das Unterrichtswissen so frei weitergab, konnte sich der Yoga in diesem Maße entwickeln und verbreiten. Auch viele Lehrende anderer Traditionen haben anhand seiner Vorlage eigenständige Ausbildungen entwickelt.

Vishnu-Devananda: Licht und Schatten

Gleichbehandlung von Geschlechtern, Kulturen, Religionen: In den von Vishnu-Devananda gegründeten Zentren und Ashrams gab und gibt es vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter: sowohl Frauen als auch Männer führen die Yoga Zentren und Ashrams, leiten Yoga Ausbildungen und können Swamini/Swami (Nonne/Mönch) werden. Dies schlägt sich ebenso auch im Vorstand nieder. Große Diversität herrscht hingegen beim kulturellen und religiösem Background: katholisch, protestantisch, jüdisch, hinduistisch oder atheistisch - hier ist alles vertreten und willkommen. In den Ashrams erlebt man “United Nations”: Menschen aus den verschiedenen Ländern und Kulturen kommen zusammen gehen eine harmonische Verbindung ein.

Einsatz für den Weltfrieden: Vishnu-Devananda hat sich durch unterschiedliche Missionen für den Frieden in der Welt eingesetzt: Friedensflüge von Israel nach Ägypten (ca. 1972), Friedensmarsch durch “No-Go-Areas” in Belfast mit dem Schauspieler Peter Sellers (1970er Jahre), Friedensflüge im Indo-pakistanischen Krieg 1971, Mediationsversuche in den Hindu-Sikh-Unruhen 1984, Kopfstände für den Frieden vor vielen Parlaments- und Regierungsgebäuden vieler Staaten. In Deutschland ist er vor allem für seinen Flug über die Berliner Mauer im Jahre 1983 bekannt. So setzte Vishnu-Devananda immer wieder sein Leben aufs Spiel, um die Botschaft vom Frieden zu verbreiten.

Einsatz für Ökologie, Vegetarismus: Vishnu-Devananda organisierte schon in den 1970er und 1980er Jahren Kongresse für Ökologie, propagierte vegetarische Ernährung und einen nachhaltigen Lebensstil.

Interreligiöser Dialog: Vishnu-Devananda zählte Angehörige unterschiedlicher Religionen, wie jüdische Rabbis oder christliche Priester zu seinen Freunden. Sein Credo lässt sich am besten mithilfe seines Lieblingslieds beschreiben: Namen sind viele, aber Gott ist eins, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. (“Names are many but God is one. Love Thy neighbour as thyself”). So wurden in den Ashram und Zentren auch Reden, Vorträge und Gottesdienste unterschiedlicher Traditionen abgehalten.

Verbindung von Komplementär- und Schulmedizin, Naturwissenschaft, Ayurveda und Yoga: Vishnu-Devananda förderte die empirische Untersuchung der Wirkungen des Yoga. Es war ihm eine wichtige Angelegenheit, die überlieferten Aussagen auch wissenschaftlich zu belegen. In der Verbindung von Schul- und Alternativmedizin, gepaart mit Erkenntnissen aus der Naturwissenschaft, sowie den alten Traditionen des Ayurveda und Yoga, sah er die Zukunft für das moderne Gesundheitswesen.

Letztlich stand Vishnu-Devananda für die Verbindung von Yoga mit Gleichberechtigung, Völkerverständigung, Friedfertigkeit unter den Religionen, Pazifismus, Ökologie, sozialem Ausgleich, der Wissenschaft, Medizin und Psychologie, sowie anderen sozialen, spirituellen und ökologischen Bewegungen. Er lehrte Ahimsa (Nichtverletzen) und Satya (Wahrhaftigkeit) als Grundlage aller Ethik und yogischem Verhalten.

Umso tragischer ist es, dass er seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde, und dem Anschein nach Schülerinnen gegenüber übergriffig geworden ist. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Mögen sie Heilung erfahren und dieser Prozess, des Offenlegens der Verfehlungen von Vishnu-Devananda, sie dabei unterstützen.