Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 51

Methodische Werkzeuge:

Mike: Welche Beziehung gibt es zwischen Kontemplation und Handlung?

Swamiji: Es gibt gefühlsmäßig einen feinen Unterschied zwischen beiden. Wenn man sagt, daß sie sich nicht unterscheiden, sondern identisch sind, ergeben sich keinerlei Fragen. Glaubst Du, daß es zwei unterschiedliche Dinge sind? Ist Meditation eine Beschäftigung und die Handlung als solche eine andere? Wenn das der Fall ist, gibt es keine Harmonie und es besteht ganz sicher ein Widerspruch zwischen beiden; doch wenn die beiden nur zwei Namen für ein und dieselbe Sache sind, dann erheben sich keinerlei Fragen bezüglich der Ausübung beider Dinge, denn sie unterscheiden sich nicht.

Die rechte und die linke Hand tun zwei unterschiedliche Dinge; ich kann mit der rechten Hand schreiben und mit der linken etwas hochheben. Dies sind zwei unterschiedliche Handlungen, nicht wahr? Doch es sind Deine Handlungen und deshalb sind es auch keine unterschiedlichen Handlungen. Obgleich das Heben eines Gegenstandes und das Schreiben mit der Hand keine identischen Handlungen sind, - man könnte sagen, daß sie vollkommen gegensätzlich sind - bist Du es, der sie ausführt. Darum gibt es keinen Unterschied zwischen zwei unterschiedlichen Handlungsweisen, - ob man sie Meditation, Gemeinschaftsdienst oder sonst irgendwie benennt.

Dies alles hängt letztendlich von der Beziehung zwischen Dir und dem sozialen Umfeld ab. Bist Du ein völlig unabhängig, nach Befreiung suchendes Individuum, was sicherlich die wertvollste Sache wäre; oder bist Du auch mit der Gesellschaft verbunden und nicht vollkommen von ihr unabhängig, weil Du auch Pflichten gegenüber der Gesellschaft hast?

Hier erhebt sich die Frage hinsichtlich der Beziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Auf welche Weise ist man mit der Gesellschaft verbunden? Man kann sagen, daß man keine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft hat: „Ich bin nur mir selbst gegenüber verantwortlich; auf welche Weise bin ich mit der Welt verbunden? Ich kann tun und lassen, was ich möchte.“ Jedermann ist unabhängig. Du kannst Deiner Wege gehen, und jeder andere kann seiner Wege gehen, welche Beziehung besteht also zwischen Euch? Dennoch scheint es sogar eine Beziehung zu den Bäumen und Bergen zu geben. Man kann nicht sagen, daß die Bäume, die Berge, die Sonne, der Mond und die Sterne ohne Beziehungen zu Dir sind.

Man atmet die Luft der Atmosphäre; man ist mit der Luft verbunden, oder ist man von ihr unabhängig? Man lebt im Sonnenlicht, ohne das man sterben würde; - ist man mit der Sonne und dem Mond verbunden? Man trinkt Wasser, das Gott allen Menschen gegeben hat; man ist mit dem Wasser verbunden, oder ist man vom Wasser unabhängig? Man braucht Wärme; ist man mit der Wärme verbunden, oder von ihr völlig unabhängig? Man benötigt Lebensraum; ist man vom Raum unabhängig, oder ist man mit dem Raum verbunden?

Ist man überhaupt in irgendeinem Sinne unabhängig? Oder ist man kosmologisch in einem Netzwerk von Beziehungen in die ganze Schöpfung eingebunden; in welchem Fall auch immer, nenn’ es Meditation, Arbeit, irgendeine Tätigkeit, alles findet im Rahmen der ganzen Schöpfung statt. Was sagst Du dazu?

Mike: Ich habe verstanden, daß Kontemplation und Handlung zwei Aspekte für ein und dieselbe Sache einer tiefergehenden Wirklichkeit sind, und wir haben sicherlich dabei herausgefunden, daß wir auf unserem eigenen Lebensweg und in unserem Wunsch, unser eigenes spirituelles Leben zu entwickeln, aufrichtig sein und anderen helfen sollten, es auch zu tun.

Swamiji: Insofern Du mit der kosmischen Einrichtung verflochten bist, gibt es so etwas wie „Dein und Mein oder etwas Eigenes“ nicht. Diese Wörter haben keine Bedeutung. „Mein Eigen“ kann auf die Dinge, die in der Welt geschehen, nicht angewendet werden. Man ist mit der ganzen erschaffenen Einrichtung organisch verbunden, deshalb gibt es solch eine Sache wie „Mein Eigen“ nicht. Dieses „Mein Eigen“ bedeutet das Universale Ganze. Die ganze Schöpfung ist „unser Eigen“. Gott hat jeden erschaffen, Gott hat die Welt erschaffen und niemanden von der Welt ausgeschlossen. Wenn man tiefer darüber nachdenkt, stellt man fest, daß es keinerlei Art von Widerspruch im Leben gibt, da niemand von der Welt ausgeschlossen ist. Die Suche nach Gott und die Suche nach Frieden in der Gesellschaft sind offenbar nicht zwei verschiedene Dinge, denn, wenn man überhaupt irgend etwas tut, so geschieht dies innerhalb des Terrains der Göttlichen Schöpfung.

Darum gibt es solche Dinge wie „Mein Eigen“ oder „Meine Befreiung“ nicht. Wenn man nach Befreiung sucht, muß man die Auswirkungen verstehen. Es ist die ganze Sache, mit der man verbunden ist, die sich erhebt. Ein Organismus kann nicht in zwei Teile geteilt werden, und das Universum ist ebenso ein Organismus wie der eigene Körper, wie die Gesellschaft, wie eine familiäre Beziehung, wie überhaupt alles. Die ganze Wirklichkeit ist ein Organismus, der nicht teilbar ist.

Wenn also eine Sache getan wird, werden gleichzeitig auch andere Dinge vollzogen. Erinnert sich jemand des alten Dichterspruches: „Wer eine Blume im Garten berührt, ruft damit eine Reaktion bei den Sternen am Himmel hervor?“ Es gibt keinen Unterschied zwischen Kontemplation und Handlung. Letztendlich gibt es auch keinen Unterschied zwischen Dir und mir.

Vor uns ist liegt die ganze Wahrheit des spirituellen Lebens ausgebreitet. Es ist das Göttliche Leben, welches nicht vom irdischen, sozialen oder sonst einer Art Leben getrennt werden kann. Alles Leben ist EINS, was bedeutet, daß, wenn immer man irgend etwas tut, es so aussieht, als wäre die ganze Welt in die Tätigkeit mit einbezogen. Man lebt kein individuelles Leben, sondern ein gesamtes Leben. „Persönliche Zufriedenheit“, „persönliche Befreiung“ sind Wörter, die in der Gesamteinrichtung des kosmischen Organismus keine große Bedeutung haben. Wenn Gott ein Ganzes ist, ist auch die Schöpfung ein Ganzes und jedes Individuum ist gleichermaßen ein Ganzes. Es existieren keine Bruchstücke und keine Zersplitterungen. Dies ist, so kann man sagen, ganzheitliches kosmisches Denken. Was ist also Deine Frage? Ich habe etwas gesagt und glaube, Deine Frage von meinem Standpunkt aus beantwortet zu haben.

Alan: Ich glaube, daß wir aus der geistigen Sicht Christlicher Tradition vielleicht auf neue Art und Weise oder zum ersten Mal die Einheit der ganzen Schöpfung in dem Sinne entdecken, daß wir nicht nur Mitglieder der Menschheit, sondern mit der ganzen Schöpfung wirklich verbunden sind; und ich denke mir, daß dies das Beste ist, was aus unserer Tradition hervorgegangen ist, aber zur Zeit verloren gegangen scheint.

Swamiji: Was ist verloren gegangen?

Alan: Die Einheit der Schöpfung. Das Bewußtsein.......

Swamiji: Du hast das Bewußtsein für die Einheit der Schöpfung verloren?

Alan: Ja. Das Bewußtsein dafür, daß wir alle wirklich miteinander verbunden sind.

Swamiji: Ja. Wir müssen uns darum die Tatsache der Universellen Existenz wieder bewußt machen und das unglückliche, begrenzte, endliche, selbstsüchtige, physikalische Bewußtsein usw. überwinden. So, glaube ich, können wir Gott wirklich verehren. Wie Gott zu denken und vielleicht auch wie Gott zu handeln, würde die größte Verehrung Gottes sein. Was sagst Du dazu?

Mike: In unserer Tradition war Jesus der größte Lehrer, der sagte: „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst.“

Swamiji: Warum lieben? Du bist untrennbar mit Deinem Nächsten verbunden. Dies ist weitaus mehr als nur Liebe. Das eigene Selbst ist in Deinem Nächsten eingepflanzt. Das Selbst Gottes ist überall gegenwärtig, deshalb handelt es sich nicht nur um Liebe, sondern um weit mehr als das. Man muß weit freundlicher mit einem Menschen umgehen als nur in sozialer Art und Weise, - liebe den anderen Menschen auf dienende Weise. Es ist die Seele, die sich mit einer anderen Seele vertraulich unterhält, was weit mehr ist als ein soziales Lehren. Es ist ein göttliches Lehren.

Alan: Wir kennen von einem der Schüler Jesu’ eine Tradition, in der er die Menschen ermutigt, sich in den Geist Christi zu versenken, um die innerliche Einheit mit Christus zu finden.

Swamiji: Wenn wir so denken können, wie Christus dachte, würde es danach keine Probleme mehr geben. Wir müssen erkennen, was er dachte, und denken wie ER. Dann werden keine Probleme mehr auf Dich zukommen.

Mike: Vielen Dank.

Swamiji: Vielen Dank. Gott segne Dich. Wir hatten einen wunderschönen Satsanga. Satsanga bedeutet heilige Versammlung. Wir haben gerade eben an Gott gedacht, und ich glaube, ER hat sich über uns gefreut.