Erläuterungen zur Mandukya Upanishad

 

Der Gott des Universums: Ishvara

Das dritte Viertel von Atman, genannt Prajna, ist gleichzeitig das dritte Viertel des universalen Bewusstseins, Ishvara. Ishvara ist allmächtig und letztlich die Quelle aller Schöpfungen. Dieses Prajna ist die Ursache des Universums, äußerlich wie innerlich. Makrokosmisch sehen wir dieses Bewusstsein als den Schöpfer des gesamten Universums, während mikrokosmisch dasselbe Bewusstsein der Schöpfer dieser internen Welt des Jiva ist.

Dieses Bewusstsein ist als Quelle aller Dinge auch Herr über allem, - Esha sarvesvarah. Dieses Beiwort ‚Sarvesvara‘ ebenso wie die andere Qualität ‚Sarvajna‘ (Allwissenheit) können nicht dem Jiva (dem Individuum) zugeschrieben werden. Die Mandukya Upanishad scheint keinen fühlbaren Unterschied zwischen dem Individuum und dem Kosmos zu machen, sondern harmonisiert die Beziehung zwischen Jiva und Ishvara. Die kausale Voraussetzung des Jiva, d.h. Prajna, wird nur als ein Teil des kosmischen kausalen Zustandes von Ishvara angesehen. Dieses ist nur die eine Wirklichkeit. Die Unterschiede, die wir zwischen dem Kosmos einerseits und dem Individuum andererseits, d.h. zwischen Ishvara bzw. Jiva machen, werden in der höheren Analyse der Upanishad überwunden. Alles ist Gott, und nur Gott allein, Ishvara, ist überall. Jiva hat keinen Platz neben dem Sein von Ishvara. Wenn man also die Natur Gottes beschreibt, dann muss man alle Schöpfungen als Inhalte inklusive der Jivas mit einbeziehen. Wenn wir einen Ozean beschreiben, müssen wir nicht jeden Tropfen einzeln beschreiben. So wird der Ozean mit seinen Kausalitäten beschrieben, der hier als Ishvara zu betrachten ist, und aus dem Hiranyagarbha und Virat hervorgehen. Esha sarvesvarah: dieses ist der Herr aller Dinge, die absolute Macht, allwissend. Nichts ist diesem Sein verborgen. Ishvara ist allgegen- wärtig und darum ist ER allwissend und allmächtig. Die alldurchdringende Gegenwart von Ishvara erklärt Seine Allwissenheit. Das Jiva kann nicht derartig charakterisiert werden, da es sich an lokalen Punkten im Raum befindet und sein Geist nicht in der Lage ist, sich außerhalb seines Körpers zu bewegen, denn seine/unsere Gedanken beziehen sich auf eine Persönlichkeit. Das Wissen von Ishvara beschränkt sich nicht auf das Erkennen von Objekten. Weder das Erkennen noch die Wahrnehmung können als Teil von Allwissenheit angesehen werden, denn die wahrgenommenen Objekte kommen nicht unbedingt unter die Kontrolle des Erkennenden. Obwohl wir äußere Objekte erkennen, so können wir uns nicht ihrer vollständig bemächtigen. Wir sehen die ganze Welt mit unseren Augen, doch welche Macht haben wir über sie? Unser Wissen bringt uns keine Macht, obwohl es heißt: Wissen ist Macht. Wissen ist Macht, doch nicht das Wissen, das durch die Sinne aufgenommen wird. Es ist ein völlig anderes Wissen, das mit Macht gleichzusetzen ist. Sarvajnatva stimmt nur unter ganz bestimmten Umständen mit Sarvasaktimatva überein. Obwohl wir großes Wissen im Sinne des Lernens erlangen und erlangt haben, können wir nicht behaupten, in dieser Form Macht über Dinge oder Objekte erlangt zu haben. Während das Wissen von Jivas von Sinneswahr- nehmungen abhängt, so ist das Wissen Ishvara’s intuitiv. Während das Wissen von Jivas nicht mit der Existenz ihrer Objekte gleichzusetzen ist, so ist das Wissen Ishvara’s mit der Existenz von allem identisch. Während ‚Sat‘ und ‚Chit‘ im Sein von Ishvara vereint sind, werden sie bei Jivas getrennt. Dieses ist der Grund, warum das Individuum weder Sarvajna noch Sarvesvara ist. Für Jivas ist die Welt außerhalb ihres Wissens, obwohl Jivas Kenntnis von Objekten durch einen künstlichen Prozess erhalten, der durch die Beziehung von Raum und Zeit hervorgerufen wird. Das Wissen von Ishvara liegt jenseits von Raum und Zeit und ist beziehungslos. Das Wissen von Jivas ist relativ. Das Wissen von Ishvara hingegen absolut, denn sein Selbstsein ist allwissend und allmächtig zugleich, während das Dasein von Jivas nicht mit Wissen und Macht gleichgesetzt werden kann. Die Existenz von Jivas ist von ihrem Wissen getrennt, und ihr Wissen von ihrer Macht, während all dieses in Ishvara vereint ist. Darum kann nur Ishvara als Sarvesvara und Sarvajna gleichzeitig ausgestattet sein. Offensichtlich sieht man im dritten Teil der Mandukya Upanishad, der sich mit dem Atman beschäftigt, IHN als die Quelle aller Dinge und als Sarvesvara und Sarvajna qualifiziert, und bezieht IHN auf den universalen Ishvara.

Esha yonih sarvasya prabhavapyayau: ER ist die Gebärmutter aller Dinge. Alle Dinge gehen von IHM aus, wie der Baum aus der Saat. Ein Baum kann sich weit in den Raum ausdehnen; doch sein Potenzial ist in der Saat verborgen. Seine zukünftige Struktur oder Natur wird durch den Inhalt der Saat bestimmt. Wenn ein Saatkorn zu keimen beginnt, ist es ausgeschlossen, dass sich etwas gänzlich Neues entwickelt. Es kommt nur das als Folgeform ans Licht, was bereits im Saatkorn steckt. Das Universum ist nur in dem Sinne Selbst-bestimmend, was bereits in ihm steckt und kausal im Sein des Ishvara gegenwärtig ist. Auf diese Weise ist im kosmischen Sinne alles, bis in alle Ewigkeit, vorherbestimmt. Nichts kann durch irgendwelches Bemühen hervorgebracht werden, da alle Mühen Aktivitäten des Jiva sind, dessen Existenz, Wirken und Funktionen durch das Saatkorn kontrolliert werden, d.h. durch Ishvara, von dem alles ausgeht. Allwissenheit schließt das Wissen über die Zukunft ein. Wenn die Zukunft unbestimmt ist, gibt es auch keine Allwissenheit. Die Zukunft kann nicht durch individuelles Bemühen verändert werden. Die Einflussnahme, um so genannte Veränderungen der Zukunft herbeizuführen, sind Ishvara bereits bekannt, und all unser Bemühen, die Zukunft zu bestimmen, geschieht durch den Willen Ishvaras. Darum ist die freie Wahl aus Sicht des Jiva, Bestimmung nach dem Willen von Ishvara. Während wir scheinbar die Gesellschaft verändern, kennt Gott bereits das ‚Warum‘ und ‚Wie‘ der Veränderungen, die wir vermeintlich einbringen. Auf diese Weise ist es aus Sicht von Ishvara kosmische Bestimmung, doch aus Sicht des aktiven Jiva scheint es ein Veränderungsprozess mit unbestimmter Zukunft zu sein. Darum ist Ishvara allmächtig, allwissend, die Saat aller Dinge und der Anfang und das Ende von Allem.

Prabhavapyayau hi bhutanam: Alles geht von IHM aus und alles geht zu IHM zurück, alles befindet sich auch in IHM. Unsere Bewegungen können uns nicht aus Seinem Körper heraustragen. Selbst wenn wir Millionen von Kilometern im Raum zu den Sternen hin reisen, bleiben wir im Körper von Ishvara. Wir können IHN nicht verlassen. Wenn die Gedanken, die Seelen in höchste Höhen oder tiefste Tiefen Seines Imperiums flögen, so blieben sie innerhalb Ishvaras Wissen. Welche Freiheiten ein Vogel in den Lüften auch immer haben mag, so lange er an die Erde gefesselt ist, bleibt seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Unsere Bewegungsfreiheit ist durch unser Prarabdha, d.h. Karma begrenzt. Wir genießen Freiheiten, doch begrenzte und keine absolute Freiheiten. Es ist die Freiheit, die ein Baby von seiner Mutter erhält. Das Kind hat Freiheiten, doch sie sind durch seine Mutter eingeschränkt. Ishvara gibt uns in dem Sinne Freiheiten, dass wir bis zu einem gewissen Grad verstehen, Situationen reflektieren und beurteilen können. Doch all diese Urteilsfähigkeit ist durch die Gesetze Ishvaras beschränkt, und wir können diese Grenze auf Grund Seines Verbots nicht überschreiten. Wenn wir gelegentlich egoistisch dagegen handeln, dann erfahren wir Seine Reaktion. Diese Reaktionen werden als das karmische Gesetz bezeichnet. Karma ist nichts weiter als die Folge der Gesetze von Ishvara, Sein Wille ist selbstloses Karma. Das ist Karma-Yoga. Doch wenn wir uns gegen Seinen Willen stellen und uns nach unserem Ego richten, erzeugen wir bindendes Karma. Ishvara ist darum alles Sein, das Hineinkommen und das Herauskommen aus allen Dingen eingeschlossen. Dieses ist das Wunder, die Schönheit und die Größe Gottes, Ishvara, dessen wesentlichen Teile, die organischen Glieder, die Jivas sind, und alle Dinge, seien sie lebendig oder nicht. Für IHN machen weder lebendiges noch nicht-lebendiges Sein, organisches oder unorganisches Sein irgendeinen Unterschied. Für IHN ist alles Bewusstsein. Es gibt für Ishvara weder Jadatva noch tote Materie, denn es ist sein Sein. ER durchdringt alle Dinge; ER ist Antaryamin. Dieses ist der kausale Zusammenhang des Universums. Entsprechend ist die kausale Erfahrung der Jivas, die als Prajna bezeichnet wird. Der individuelle kausale Zustand ist Prajna; der universale kausale Zustand ist Ishvara. Der individuelle subtile Zustand ist Taijasa; der kosmische subtile Zustand ist Hiranyagarbha. Der individuelle umfassende Zustand ist Visva; der kosmische umfassende Zustand ist Vaisvanara oder Virat. Ishvara wird häufig als das vollkommene Sein verstanden, in dem alle kosmischen Zustände vereint sind.