Im Tantra wird die Göttin in zahllosen Namen und Gestalten verehrt. Im Yoga meiner Tradition sind folgende Namen am gebräuchlichsten:
„Om Bhur Bhuvah Swaha
Tat Savitur Varenyam
Bhargo Devasya Dhimahi
Dhiyo Yo Nah Prachodayat“
Man kann die Symbolik der Göttinnen (insbesondere Kali, Durga, Lakshmi, Saraswati) auf verschiedenen Ebenen interpretieren. Da sie Kosmische Prinzipien darstellen, sind sie vielfältig beobachtbar. Diese vier Göttinnen repräsentieren im Hinduismus vier Ideale der Weiblichkeit. Im Katholizismus ist ein Ideal vorherrschend, das Ideal der Maria, die sich aufopfert, zur Himmelskönigin wird, die Gebete der Gläubigen erhört und an Gottvater oder Gottsohn weitergibt. In Indien gibt es vier Ideale der Weiblichkeit: Kali symbolisiert das Ungestüme, das Unangepasste, das Ungezähmte, die reine Lebenslust, das Dionysische, das aber das Bewusstsein der Vergänglichkeit in sich trägt. Durga symbolisiert das Ideal mütterlicher Liebe. Lakshmi vertritt den Aspekt des Dienens, aber auch der Verantwortung in der Gesellschaft, zudem Macht und Wohlstand. Saraswati symbolisiert die Künste, die Wissenschaften und die Weisheit, die interessanterweise als weiblich angesehen werden. Während in Indien Göttinnenverehrung oft Männersache war, fühlen sich im Westen viele Frauen von den Göttinnen angezogen. Denn gerade selbstbewusste Frauen suchen andere Ideale für Weiblichkeit als die Dienende, Angepasste, Untergeordnete und finden das in den indischen Göttinnen.
Man kann die Göttinnen auch als drei Stadien der spirituellen Entwicklung ansehen: Zunächst muss der Aspirant seine schlechten Angewohnheiten ablegen, seine negativen Eigenschaften überwinden beziehungsweise transformieren, er muss seinen Schattenseiten ins Auge schauen. Dafür stehen Kali und Durga. Dann muss er gute Eigenschaften und viel Lebensenergie entwickeln, mit anderen teilen, was er hat, und somit anderen dienen. Dies wird symbolisiert durch Lakshmi. Schließlich kommt er zu reiner Erkenntnis und intuitiver Verwirklichung der Wahrheit, was er dann auch anderen weitergeben kann, als Lehre oder als Kunstwerk. Dafür steht Saraswati.
Die Verehrung der göttlichen Mutter in der einen oder anderen Form ist im Tantra und damit im Kundalini-Yoga also sehr typisch. Bhakti, Verehrung und Hingabe, ist auf dem Kundalini-Yoga-Weg wichtig. Sie kann sich auch auf Gott, Allah, Jesus, Buddha oder die Kosmische Intelligenz beziehen. Es ist überdies nicht notwendig, zu Beginn des Kundalini-Wegs an Gott zu glauben. Ich erlebe es immer wieder, dass gerade Atheisten oder Agnostiker mit besonderer Intensität die Kundalini-Yoga-Praktiken üben und großartige Erfahrungen machen. Aus diesen Erfahrungen entwickeln sie dann oft ein ganz eigenes Gottesbild beziehungsweise eine Verbindung zu „irgendetwas Höherem“, von dem sie sich dann umgeben und geborgen fühlen. Und manche, die in ihrer Jugend ihren Kindheitsglauben verloren haben, finden durch die spirituelle Erfahrung zu ihrem christlichen Glauben zurück oder vertiefen ihn.