Goraksha Shataka - Version 2

 

Vers 99: Wechselatmung: Einatmung rechts mit Visualisierung

 

Indem der die Atemregulierung Praktizierende auf die im Bereich des Nabels (visualisierte) Sonnenscheibe als ein intensives Licht eines brennenden Feuers meditiert, sei er voller Wonne.


    प्रज्वलज्ज्वलनज्वालापुञ्जमादित्यमण्डलम् |
    ध्यात्वा नाभिस्थितं योगी प्राणायामे सुखी भवेत् || ९९ ||


    prajvalaj-jvalana-jvālā-puñjam āditya-maṇḍalam |
    dhyātvā nābhi-sthitaṃ yogī prāṇāyāmī sukhī bhavet || 99 ||

    prajvalaj-jvalana-jvala-punjam aditya-mandalam |
    dhyatva nabhi-sthitam yogi pranayami sukhi bhavet || 99 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    prajvalaj-jvalana-jvālā-puñjam
: als eine Menge (Punja) Licht (Jvala) eines brennenden (pra + jval) Feuers (Jvalana)
    āditya-maṇḍalam : auf die (visualisierte) Sonnenscheibe (Adityamandala)
    dhyātvā : indem er meditiert, sich vorstellt, visualisiert ("meditiert habend", dhyā)
    nābhi-sthitaṃ : die sich am Nabel (Nabel) befindet (Sthita)
    yogī : der Yogi (Yogin)
    prāṇāyāmī : der die Atemregulierung, Atemverhaltung Praktizierende (Pranayamin)
    sukhī : glücklich, voller Wohlbehagen (Sukhin)
    bhavet : werde er, sei er (bhū)

Anmerkungen: Dieser Vers wird nahezu wortwörtlich als Vers 46 der Version 1 des Goraksha Shataka (vgl. die dortige Anm.) sowie mit einigen Lesarten in der Yogachudamani Upanishad (Vers 97) überliefert. Letztere liest im dritten Pada hṛdi sthitaṃ "die sich im Herzen (Hrid) befindet" statt nābhi-sthitaṃ. Dies ist insofern ungewöhnlich, als die innere "Sonne" in den Hatha Yoga-Texten in der Regel in der Nabelgegend verortet wird, wie bspw. in Vers 57 der Version 1 des Goraksha Shataka, wo es im Zusammenhang der Praxis von Viparita Karani heißt: nābhi-deśe bhavaty eko bhāskaro dahanātmakaḥ ... "In der Region (Desha) des Nabels (Nabhi) existiert eine immer brennende Sonne (Bhaskara) ...".

Daher liegt es nahe, wie im vorliegenden Vers die Visualisierung der inneren "Sonnenscheibe" (Adityamandala) auch auf diesen Körperbereich zu richten. Abgesehen davon kann im Rahmen einer meditativen Praxis natürlich Licht auch in jedem anderen Bereich innerhalb oder außerhalb des Körpers visualisiert werden (vgl. Trilakshya in der Anm. zu Vers 13 der Version 1 des Goraksha Shataka).

Die in den Versen 97 und 99 im Zusammenhang der Wechselatmung gelehrte innerliche Visualisierung der Mond- bzw. Sonnenscheibe bezieht sich möglicherweise auch nur auf die Phase der Atemverhaltung, wenn man das dem Wort Pranayamin zugrundeliegende Pranayama im engsten Wortsinn versteht, wo es "das Anhalten des Atems (Prana)", also Kumbhaka bedeutet, vgl. die Anm. zu Vers 4 der Version 1 des Goraksha Shataka, wo Pranasamyama (d.h. Pranayama) als das zweite der sechs Glieder des Hatha Yoga aufgezählt wird.