Vers 48

 

Arivonrara Ninru Arivaar Arivil
Pirivonrara Ninra Piraan Alaiyoo
Serivonrara Vandhu Irule Sithaiya
Veri Venravarodu Urum Velavane


Ablassend von allem Wissen, jene, die wissen, o Herr,
Stehst Du nicht untrennbar in deren Intelligenz?
Ihre Beziehungen werden zu nichts, Dunkelheit zerstört,
O Velava! Du wohnst in denen, die ihre Täuschung besiegt haben.


„Im Bewusstsein (Intelligenz) jener, die wissen und die von allem (sinnesabhängigen) Wissen  Abstand nehmen, stehst nicht Du, o Gott, (vereint) ohne die geringste Trennung? (Und wenn diese Praxis wiederholt und intensiviert wird) wird jede (weltliche, äußere) Beziehung (aufgrund von  Vikshepa) zu nichts, die Dunkelheit (des Schleiers, Avarana) wird zerstört, sie überwinden ihre Täuschung (Avidya); und in ihnen lebst Du (für immer) o Velayudha.“

Erklärung:

Dies ist ein außergewöhnlich seltener Vers, in dem der heilige Arunagiri das Geheimnis der Yogapraxis und den Zustand Göttlicher Erfahrung beschreibt. Gott ist die allgegenwärtige Wirklichkeit. Er ist überallfern und nah, außen und innen, oben und unten. Daher ist er auch immer mit uns. Er ist unsere wahre Essenz, das Substrat in uns. Und dennoch ist es eine Ironie, dass wir Ihn nicht wahrnehmen, ihn erfahren oder erkennen. Warum ist das so? Unsere Suche ist grundlegend falsch. Wir suchen Ihn „außen“, als ein Objekt. Aber, sagt der Heilige, wir müssen Ihn als unser eigenes Wesen suchen, als das Selbst, als den Kenner in uns, als die Intelligenz in uns. Wie soll man das machen? Als erstes müssen wir mit der Sinneswahrnehmung aufhören. Aber wir sind so sehr mit den Sinnen verheiratet, dass wir keine andere Art des Erkennens kennen. Für uns ist nur das wirklich, was wir durch die Sinne wahrnehmen und selbst Gott soll durch die Sinneswahrnehmung kommen! Dieses sensorische Wissen bzw. die extrovertierte Natur der Sinne und des Geistes muss als erstes aufhören.

Die Sinne und der Geist müssen sich zurückwenden; sie sollen sich nach innen richten und still werden durch das Aufhören aller Arten von Sinneswahrnehmung. Nicht ein einziger Sinn, einschließlich des Geistes, der der sechste Sinn ist, sollte aktiv sein. Daher sagt Arunagiri: „Arivu Onru Ara Ninru“, d.h. fest begründet in dem Zustand, worin kein einziger Sinn (einschließlich des Geistes) mehr wirkt. Dies ist vollständiges Herstellen von Pratyahara (vollständiger Rückzug der Sinne), was Vollkommenheit in Yama, Niyama etc. voraussetzt. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, sollten wir „wissen“. Aber wir tun dies nie. Ohne Beherrschung der Sinne, ohne die Übung von Yama und Niyama, ohne Beherr schung der nach außen gehenden Tendenz der Sinne und des Geistes ver suchen wir Konzentration und Meditation zu üben und Gott zu verwirklichen. Wie kann das erfolgreich sein?

Darum sagt Arunagiri: „sich abkehren von jeder Sinneswahrnehmung“. Aber wenn man das versucht, spielt einem der Geist einen Streich. Die natürliche Tendenz des Geistes ist, dass er entweder aktiv ist oder einschläft. Wenn wir seine nach außen gerichtete Tendenz (Rajas) kontro llieren und versuchen uns zu konzentrieren, wird er in Trägheit oder Schlaf (Tamas) entschlüpfen. Das müssen wir sorgfältig vermeiden. Wir müssen das Bewusstsein aufrechterhalten. Dies wird durch das Wort „ Arivaar“, „jene, die wissen“, deutlich gemacht. Dieses Wissen kommt daher nach dem Aufhören jeder Sinneserkenntnis. Daher ist es eine ganz neue Art des Wissens. Es ist direktes Wissen durch das Prinzip der Intelligenz selbst, befreit von den Fesseln des Geistes und der Sinne. Wenn die Sinne nicht arbeiten und der Geist still ist, wird der Intellekt stetig.

Dann wird das Jiva-Bewusstsein, Chidabhasa, das eine Spiegel ung des Kutastha Atman, des reinen Bewusstseins im Intellekt, ist, vollständig selbstzentriert. Auf dieses selbstzentrierte Chidabhasa bezieht sich „ Arivu“, was nicht den Intellekt, sondern die Intelligenz als solche meint. Daher muss das Jiva-Bewusstsein zuerst von der Vergegenständlichung (Arivu Onru Ara Ninru) befreit werden. Gleichzeitig muss es das Bewusstsein aufrechterhalten, also nicht einschlafen (Arivaar). In diesem nicht nach außen gerichteten Chidabhasa, gekoppelt mit dem Bewusst sein des Selbst (Arivil) ist Gott, die höchste Wirklichkei, vereint, ohne die geringste Trennung (Pirivu Onru Ara Ninra Piraan). Was ist diese „Vereinigung ohne die geringste Trennung“?

Das Kutastha Chaitanya, der Atman, ist die unveränderliche Wirklichkeit. Er ist das Zeugen- Bewusst sein, das immer leuchtet. Seine Spiegelung im Intellekt ist das Jiva-Bewusstsein, Chidabhasa. Wenn die Sinneswahrnehmung aufhört, wenn der Geist still und der Intellekt stetig wird, dann wird die Spiegelung des Chidabhasa in ihnen auch stetig und ist in Vereinigung mit dem Kutastha Atman. Ein Bild zur Erklärung. Die Sonne scheint. Ihre Strahlen fallen auf einen Spiegel, der sie reflektiert. Die Sonne entspricht dem Kutastha, die Spiegelung dem Chidabhasa. Der Spiegel ist, wie der Intellekt, das Medium der Reflexion. In dem Reflexions punkt im Spiegel, wo der Sonnenstrahl einfällt und die Reflexion ausstrahlt, sind beide untrennbar. An diesem Punkt können wir nicht unterscheiden, ob es der Sonnenstrahl oder seine Spiegelung ist. Beides ist richtig, weil beide gleichzeitig dort sind.

Dies ist der Zustand von Chidabhasa und Kutastha in den höheren Bereichen der Meditation, wo aufgrund der Festigung in Pratyahara (Sinneskontrolle) und Dharana (Konzentration des Geistes) das Chidabhasa zur Quelle, zum Reflexionspunkt, zurückkehrt und sich nicht auf ein äußeres Objekt richtet, sondern auf das Kutastha selbst. In diesem Bereich der Meditation sind beide untrennbar verschmolzen. Der Punkt in dem Spiegel, und die Vorstellung von „Ich“ kann sich hier gleichermaßen auf Kutastha oder Chidabhasa beziehen, je nachdem wofür es sich entscheidet oder was es fühlt. Aber es gibt einen feinen aber wichtigen Unterschied zwischen der Reflexion der Sonne in einem Spiegel und der Reflexion des Kutastha im Intellekt.

Im ersten Fall sind das Original (die Sonne) und das Medium der Spiegelung (und deshalb die Spiegelung) getrennt, da die Sonne ein begrenztes Objekt ist; im letzteren Fall sind die beiden immer zusammen, weil das Kutastha alldurchdringend ist. Wenn also die nach außen gehende Tendenz des Chidabhasa vollständig aufgehoben ist, geht es zu seiner Quelle zurück, in seinen natürlichen Zustand untrennbarer Vereinigung mit dem Kutastha. Diesen Zustand erfahren wir jeden Tag im Tiefschlaf. Aber dann ist es kein Bewusstsein da und genau das macht den Unterschied zwischen Schlaf und Meditation aus. Das Bewusstsein, das nicht auf ein Objekt gerichtet ist, aber sich auch des Selbst nicht bewusst ist, ist Schlaf.

Das Bewusstsein ohne konkrete Inhalte zusammen mit Bewusstsein des Selbst ist Meditation (Dhyana). Aber selbst das ist noch nicht das höchste Ziel von Yoga, die Selbstverwirklichung, weil es immer noch die Ursache des Jivatva gibt. Avidya ist noch nicht zerstört. Das höchste Ziel ist Samadhi (Überbewusstsein), was noch höher ist. Daher sagt Arunagiri in dem Vers noch mehr, nämlich dass dieser Zustand des Yoga, der „Einheit ohne die geringste Trennung“ dauerhaft werden muss, wodurch Avidya, die Ursache des Jivatva zerstört wird und Kutastha (Gottesbewusstsein) allein erstrahlt, d.h. Samadhi (Überbewusstsein) sich einstellt. Zurück zum Hauptthema. In den höchsten Regionen der Meditation ist Chidabhasa ganz vereint mit Kutastha.

Das ist nicht leicht zu erreichen und selbst wenn man es mit großer Anstrengung und Geschick erreicht, hält es am Anfang nur einen kurzen Augenblick an. Diese Einheit kommt und geht wie ein Blitzstrahl. „Man wird dann sehr achtsam“, sagt die Kathopanishad, „denn Yoga wird erreicht und schnell wieder verloren.“ Daher muss man durch beständiges Üben und Wachsamkeit solche Momente intensivieren und häufiger machen, bis schließlich diese Einheit, Yoga, dauerhaft bleibt. Was geschieht, wenn man beständig übt, sagt Arunagiri in der letzten Hälfte des Verses, der alles oben Erwähnte einschließt. Vikshepa (Zerstreutheit) kommt zum Ende; Avarana (Schleier der Unwissen heit) wird zerstört; die große Täuschung von Avidya (Unwissenheit) wird überwunden.

In dieser gesegneten Seele lebt Gott für immer. Arunagiri verwendet den Begriff „Veri“ für Avidya. „Veri“ bedeutet Täuschung, Verwirrung, Verrücktheit, Unwissenheit etc. Daher steht es für Avidya. Und er stellt auch klar, was Avidya ist. Avidya hat zwei Aspekte bzw. Kräfte, nämlich Avarana und Vikshepa. Avarana ist die verhüllende Kraft und Vikshepa die projizierende Kraft. Avarana ist die Dunkelheit (Irul), die wie ein Vorhang die Wirklichkeit, den Atman verbirgt und Vikshepa verursacht die Unruhe des Intellekts und des Geistes, die Ursache weswegen Dualität wahrgenommen wird und man in Beziehung mit der äußeren Welt tritt. Äußere Beziehungen mit der Welt der Objekte entstehen durch einen der fünf Sinne, die durch den Geist aktiviert werden. In der Meditation mit vollkommenem Pratyahara hört diese Sinnesaktivität vollständig auf. Man hat dann keine einzige Beziehung mit der Welt, weil kein einziger Sinn aktiv ist. Darum sagt Arunagiri: „Wenn jede Beziehung aufgehört hat“ (Serivu Onru Ara Vandu wegen Arivu Onru Ara Ninru).

Dieses Aufhören aller Beziehungen ist Freiheit von Vikshepa, die vollständige Überwindung von Rajas. Dies ist die Voraussetzung für die Zerstörung des Schleiers der Dunkelheit (Avarana), der vor allem Tamas ist. Wenn Vikshepa überwunden ist und so die Sinne und der Geist vollständig zusammengebracht werden, wird der Geist ungeheuer mächtig, weil keine Energie mehr durch Sinnesaktivität vergeudet wird. Diese starke konzentrierte Macht zerstört die Dunkelheit, den Schleier von Avarana, wenn man dem Geist nicht erlaubt, in Trägheit oder Schlaf zu entschlüpfen, sondern das Bewusstsein aufrechterhält. Wenn also so durch wiederholte Übung der Zustand von Yoga, der untrennbaren Einheit, den man in tiefster Meditation erreicht, dauerhaft wird, kommt jede Beziehung mit der Welt (Rajas oder Vikshepa) zu einem Ende und die Dunkelheit (Tamas oder Avarana) wird zerstört. Was passiert dann?

Weil Vikshepa und Avarana die beiden Kräfte von Avidya sind, ist ihre Zerstörung die Auslöschung von Avidya selbst. Der Jiva ist Malina Sattwa, d.h. Sattwa vermischt mit Rajas und Tamas. Mit dem Aufhören von Vikshepa, also Rajas und der Zerstörung von Avarana, also Tamas wird der Intellekt als Medium der Spiegelung sattwig. In ihm erstrahlt Kutastha Chaitanya, das Bewusstsein des ewigen Zeugen unverzerrt und ungehindert. Der Ausdruck Velavan bezieht sich auf Kutashta. Es ist das Vel-Bewusstsein, auf das in vielen vorherigen Versen Bezug genommen wird. Von den vielen Namen Skandas benutzt Arunagiri hier bezeichnenderweise „Velavan“, um nahezulegen, dass Gott als Weisheit oder Bewusstsein in denjenigen lebt, die so ihre Unwissenheit überwunden haben.

Solche gesegneten Seelen sind Jivanmuktas, Jnanis, Weise oder Gottmenschen, die das Ziel erreicht haben. In diesem einzigen Vers fasst der heilige Arunagiri geschickt und genau die Essenz der Lehren der Mantras 10, 11, 14 und 15 von Valli VI der Kathopanishad zusammen. Die erste Hälfte des Verses entspricht dem Mantra 10, das sagt: „Wenn die fünf Sinnesorgane der Erkenntnis zusammen mit dem Geist stehen und der Intellekt nicht arbeitet (d.h. ruhig wird), das nennt man den höchsten Zustand.“ Dies scheint der höchste Zustand der Meditation zu sein, nicht die höchste Verwirklichung selbst, weil dieser Yoga, die „Einheit ohne die geringste Trennung“ verloren geht, wenn man nicht wachsam ist. Darum warnt das Mantra 11: „Die feste Beherrschung der Sinne wird als Yoga bezeichnet.

Dann wird man achtsam, denn Yoga wird erworben und verloren.“ Wenn man also mit äußerster Achtsamkeit dieses Bewusstsein des Yoga, der Vereinigung, immer wieder hat und es dauerhaft macht, brechen allmählich die Knoten des Herzens auf und das Ziel ist erreicht, wie es in den Mantras 14 und 15 offenbart wird. „Wenn alle im Herzen vorhandenen Wünsche enden, wird der Sterbliche unsterblich und erlangt Brahman auf Erden.“ „Wenn alle Knoten des Herzens hier auf der Erde gelöst werden, dann wird der Sterbliche unsterblich, ist die Anweisung.“ Die Zerstörung der Knoten des Herzens (Avidya, Kama und Karma) der obigen Mantras bescheibt Arunagiri in der zweiten Hälfte des Verses genau. Avidya wird explizit erwähnt und Avarana und Vikshepa entsprechen jeweils Kama und Karma.

Die Notwendigkeit kontinuierlicher Übung, die der Inhalt von Mantra 11 der Kathopanishad ist, findet sich ebenfalls implizit in de letzten beiden Zeilen des Verses. Ein weiterer interessanter Punkt zeigt Arunagiris Geschick der Enthüllung subtiler Geheimnisse der spirituellen Erfahrung von Suchenden. Gott, der die allgegenwärtige und alldurchdringende Wirklichkeit ist, ist immer bei uns, in untrennbarer Einheit. Obwohl dies eine Tatsache ist, können wir uns dieser untrennbaren Einheit in drei verschiedenen Stufen bewusst werden. Diese Stufen erklärt er in diesem Vers. Zunächst ist Gott „Piraan“, d.h. niemals von irgendetwas getrennt, jederzeit eins mit allem. Dies ist der Zustand des Aspiranten, in dem wir uns Seiner untrennbaren Existenz in uns überhaupt nicht bewusst sind.

Er ist mit uns, mit allem; aber wir sind uns dessen nicht bewusst und noch viel weniger die unbelebten Gegenstände. Dies ist der allgemeine Zustand der Jivas, die niedrigste Stufe der Manifestation der Wirklichkeit (Gott), auf der nur der Sat, der Existenz- Aspekt des Göttlichen offenbar wird. Zweitens ist Gott „in untrennbarer Einheit in der Intelligenz, die weiß und deren Sinneswissens aufhört“ (Arivaar Arivil Privonrara Nirpavan). In höchster Meditation gibt es Momente intuitiver Erkenntnis, wo man sich einen kurzen Moment der untrennbaren Einheit Gottes mit uns als reines Bewusstsein gewahr wird. Dies ist der meditative Zustand, in dem das meditative Bewusstsein Gott erkennt, wenn auch nur für einen Moment, da das Bewusstsein untrennbar davon ist. Dies ist der höhere Zustand der Manifestation der Wirklichkeit, in dem Chit, der Bewusstseinsaspekt des Göttlichen ebenfalls offenbar wird.

Drittens, aufgrund achtsamer kontinuierlicher Meditationspraxis, wenn Avidya aufgelöst wird, „lebt Gott in untrennbarer Einheit mit ihnen“ (Veri Venravarodu Urum Velavan). Dies ist der Zustand der Verwirklichung, Sakshatkara. Hier ist die Einheit dauerhaft und bleibend, und weil Avidya vernichtet ist, ist sie auch voller Wonne. Dies ist die höchste Stufe der Manifestation der Wirklichkeit, wo sich auch der Ananda-, der Wonneaspekt des Göttlichen enthüllt. Man kann diese drei Zustände auch als Ajnana Avastha, Dhyana Avastha und Anubhuti Avastha bezeichnen, wo sich der Jiva der untrennbaren Einheit mit Gott, der immer mit ihm ist, nicht bewusst, zeitweise bewusst und dauerhaft bewusst ist und wo ebenso der Sat-, Chit- und Ananda-Aspekt der Wirklichkeit (Satchidananda) fortschreitend offenbar werden.

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Arunagiri lehrt in diesem Vers das Geheimnis und die Essenz der Yogaübung und Verwirklichung.