Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 36

Über Patanjali’s Yoga

Besucher: Was gibt es Wissenswertes über Patanjali?

Swamiji: Es gibt ein Yoga-System, das Patanjali-Yoga genannt wird. Ich weiß nicht, ob Du davon gehört hast. Hast Du davon gehört?

Besucher. Ja, ich habe ein wenig über Patanjali gehört.

Swamiji: Er hat die acht Stufen des Yoga beschrieben. Sie werden im Sanskrit Yama und Niyama (ethische und moralische Übungen), Asana (Körperhaltung), Pranayama (Atemübung), Pratyahara (Zurückziehen der Sinne), Dharana (Konzentration) und Samadhi (EINSSEIN mit Gott) genannt. Samadhi ist die letzte und Yama ist die erste Stufe. Du hast danach gefragt, was die erste Stufe bedeutet, nicht wahr?

Besucher: Ja.

Swamiji: Yama besteht aus den fünf Einführungsschritten. Verletze niemals ein lebendes Wesen durch Deine Worte und Taten oder auf irgendeine andere Art und Weise, sei es körperlich oder seelisch. Das kann man Ahimsa nennen. Niemand sollte ein anderes lebendes Wesen, - nicht nur menschliche, sondern alle Lebewesen -, weder durch Gedanken noch durch Worte oder Taten verletzen.

Zweitens, täusche niemals irgend jemanden durch Unwahrheiten jeglicher Art. Man soll sich niemals irgendeinen Besitz oder Eigentum aneignen, der einem selbst nicht rechtmäßig zusteht. Dann kommt eine andere Sache: Hänge nicht an irgendwelchen Dingen, die für die normale Existenz unwesentlich sind, wie zum Beispiel an fünf Automobilen, zehn Armbanduhren, zehn Häusern und anderen Luxusgegenständen, denn sie sind für die Existenz nicht erforderlich und bedeuten deshalb eine Art Ausbeutung. Man beutet durch diese Art von luxuriösem Leben die Leute aus. Greife nicht nach dem Besitz anderer.

Dann ist da noch die Selbstbeschränkung, worunter man die Kontrolle der Sinnesorgane versteht. Die Augen, die Zunge und die Ohren; alle Sinnesorgane wollen sich einmischen. Diese Sinnesorgane sollten seinerseits durch tägliche Mühe so weit wie möglich zurückgehalten werden. Diese Dinge sind als die erste Stufe im Yoga zu bezeichnen. Wir sprechen am Anfang nicht über Meditation und all diese Dinge. Ein bißchen Selbstbeschränkung ist, wie bereits erwähnt, notwendig. Sie sind als Yama, dem Selbstveredelungsprozeß, bekannt.

Du hast gefragt, wie man beginnen sollte. Genau so muß man anfangen. Ich erzähle nicht mehr darüber. Dann folgen andere, noch schwierigere Dinge.

Sei zu aller erst ein guter Mensch. Bevor man ein göttlicher Mensch wird, man muß ein wirklich guter Mensch werden. Das ist die erste Stufe.

Besucher: Du sagtest: „Verletze niemanden durch Deine Gedanken.“ Könntest Du mir das erklären.

Swamiji: Angenommen, Du verfluchst geistig jemanden: „Laß diese Person sterben; dieser Idiot verdient es nicht zu existieren. Er ist eine teuflische Wiedergeburt.“ Auf diese Weise verletzt man jemanden durch seine Gedanken, die auf ihre Weise wirken. Obgleich es nur ein Gedanke ist, wird er jene Person beeinflussen, die man auf diese Weise verflucht hat. Als Yogaschüler wirst Du dies letzten Endes, nehme ich an, nicht tun.

Besucher: Ist es nicht möglich, den Gedanken, der durch den Kopf geht, nicht zu glauben, - nur darüber zu lachen und nicht daran zu glauben? Wenn man schlecht über jemanden denkt, wenn ein schlechter Gedanke in den Kopf kommt, - ist dieser Gedanke wirklich ernst zu nehmen oder genügt es, nicht an ihn zu glauben?

Swamiji: Nein, man sollte sich mit solchen Gedanken nicht beschäftigen. Die Frage nach dem Loslassen kommt erst, wenn man sich damit beschäftigt, nur dann erhebt sich die Frage nach dem Loslassen. Laß den Gedanken überhaupt nicht aufkommen.

Besucher: Das bedeutet, daß man seinen Verstand nicht kontrollieren kann, und daß Gedanken kommen und gehen können, ohne daß man es verhindern kann.

Swamiji: Ich verstehe. Wenn Gedanken auf diese Weise kommen und gehen, dann sprich zu Dir selbst: „Solche Gedanken sollten nicht in meinem Verstand aufkommen. Ich werde in Zukunft nicht mehr auf diese Weise denken.“ Am nächsten Tag denkst Du: „Ich habe einen Fehler in meiner Denkweise gemacht; das sollte nicht sein. Es tut mir leid. Ich will in Zukunft nicht mehr in dieser Weise denken.“ Wenn Du Deinem Verstand sagst, daß er in Zukunft nicht mehr so denken soll, dann denkt er auch nicht mehr so. Vergangenheit bleibt Vergangenheit; laß sie ruhen, denn in Zukunft wirst Du es letztendlich nicht mehr so machen. Du hast einen Fehler gemacht; gut, doch letztendlich hast Du ihn bereut und den Entschluß gefaßt, diesen Fehler in Zukunft nicht mehr zu wiederholen.

Besucher: Selbst wenn man über jemanden schlecht gedacht hat, und selbst wenn man diesem Gedanken keinen Glauben schenkt, könnte er dennoch Karma erzeugen.

Swamiji: Wenn man über etwas nachdenkt, erzeugt es Karma, denn jeder Gedanke erzeugt Karma. Solange Dein Denken nicht auf universelle Art und Weise organisiert ist, und sich Deine Gedanken nicht in Harmonie mit der Universellen Existenz befinden, wird Karma hervorgerufen. Karma ist nichts weiter als die Reaktion, die durch Aktionen hervorgerufen wurden. Gedanken sind auch Aktionen, darum kann jeder Gedanke eine Reaktion hervorrufen; doch, wenn Deine Gedanken in Harmonie mit der Universellen Struktur der Dinge sind, werden sie keine Reaktion oder Karma hervorrufen; wenn Du aber wie ein normales Individuum denkst, werden Reaktionen die Folge sein.

Besucher: Swamiji, ich habe eine Frage bezüglich Deiner Aussage am Anfang unseres Gespräches. Nach unseren Erfahrung ist das von Dir beschriebene Verhalten eine Folge der Gott-Verwirklichung, aber ohne diese Gott-Verwirklichung ist es unmöglich, auf diese Weise zu denken.

Swamiji: Sogar jetzt, wo Du noch keine Gott-Verwirklichung erreicht hast, wirst Du dies als ein gutes Verhalten zu schätzen wissen, oder nicht? Möchtest Du erst ein guter Mensch werden, nachdem Du Gott erreicht hast und vorher schlecht sein? Du mußt bereits jetzt versuchen gut zu sein und Dir dabei weiterhin Mühe geben. Du magst nicht vollkommen sein, doch letztlich ist ein kleiner Schritt, ebenso gut wie viel Erfolg zu haben. Selbst eine Stufe, die Du in Richtung Gott nimmst, ist eine Leistung, obwohl es nur eine Stufe ist.

Auf dem spirituellen Pfad gibt es keine verlorene Mühe. Jede noch so kleine Anstrengung, die man in dieser Richtung aufwendet, wird zu einem Guthaben auf dem spirituellen Konto. Selbst ein Pfennig, den man zur Bank bringt, ist ein persönliches Guthaben, obwohl es nur ein Pfennig ist. Viele Pfennige lassen das Konto anschwellen, darum gehe langsam, Schritt für Schritt, voran. Viele Tropfen ergeben den Ozean, doch „ohne Fleiß kein Preis“.

Besucher: Ist es nach Deinen Erfahrungen in der Gott-Verwirklichung notwendig, alle Stufen, von denen Patanjali sprach, zu durchschreiten?

Swamiji: Welche Vorgehensweise würdest Du sonst vorschlagen? Du mußt einen Weg gehen. Wonach gehst Du vor?

Besucher: Nun gut, als ich meinen Lehrer traf, habe ich mit allen Übungen, wie Yoga und Meditation, die ich vorher praktizierte, aufgehört, und ich fühlte, daß ich sie auch nicht mehr länger benötigte.

Swamiji: Was benötigst Du denn?

Besucher: Nichts.

Swamiji: Wenn das der Fall ist, dann benötigst Du auch keinen Guru. Was sagst Du dazu? Gehe bitte sorgfältig mit Deinen Gedanken um, wenn Du Entscheidungen triffst, und treffe keine voreiligen Entschlüsse. Du kannst nicht einfach sagen, daß Du nichts benötigst, denn Du brauchst sicherlich viele Dinge.

Besucher: Das ist richtig, natürlich war mein Guru notwendig, ganz bestimmt sogar.

Swamiji: Nicht nur das, denn Du hast noch viele andere Bedürfnisse in dieser Welt. Es gibt viele Bedürfnisse bezüglich der körperlichen Existenz. Wie kannst Du also sagen, daß Du keine Bedürfnisse hast? Du mußt Dich auf vielerlei Weise schützen, denn das ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Du benötigst Kleidung, Essen und ein Dach über dem Kopf; sind das keine Bedürfnisse?

Besucher: Ja, doch.

Swamiji: Warum sagst Du dann, daß Du keine Bedürfnisse hast?

Besucher: Nein, weil ich es auf die Übungen bezogen habe. Ich habe mich nur gewundert, weil......

Swamiji: Wenn Du also solche physikalischen Grundbedürfnisse hast, warum gehst Du dann mit den höheren Bedürfnissen so lieblos um?

Besucher: Es tut mir leid, aber ich habe das nicht richtig verstanden...

Swamiji: Aber was erzählst Du mir dann eigentlich?

Besucher: Ich habe nur gefragt, ob Du gemäß Deiner Erfahrung der Gott-Verwirklichung alle diese Stufen, über die Patanjali gesprochen hat, durchgegangen bist.

Swamiji: Man muß Patanjali nicht unbedingt folgen. Diese technologischen Terminologien sind nicht unbedingt erforderlich, aber man muß die Grundsätze befolgen. Patanjali sagt: „Sei ein guter Mensch.“ Wenn man nun Patanjali in dieser Hinsicht nicht folgt, ist man dann wirklich ein schlechter Mensch?

Besucher: Nein.

Swamiji: „Wenn ich Patanjali nicht folge, werde ich schlecht sein“, - so ist das nicht gemeint. Die Grundsätze gelten für jeden - für Patanjali oder irgend jemand anderen, denn die Stufen sind für alle Leute gleich. Wer wollte nicht gerne ein guter Mensch sein? Wer möchte sich nicht gerne selbst beherrschen? Wer möchte nicht gerne selbstlos sein? Dies sind Grundsätze, die für alle gelten, so daß sie niemand missen kann, denn dies sind die vorbereitenden Stufen.

Besucher: Sicher, aber ich bezog mich mehr auf die Yogapraxis, Pranayama, Pratyahara....

Swamiji: Du kannst daraus erkennen, daß körperliche Yogaübungen und Pranayama für Dich persönlich nicht erforderlich sein mögen, aber für jemand anders können sie nützlich sein. Willst Du deshalb irgendeinen Grundsatz verallgemeinern? Du könntest Dich auf einer Stufe befinden, wo sie nicht notwendig sind. Da stimme ich Dir zu, aber, für einige andere, die sich auf einer anderen Stufe befinden, können sie von Bedeutung sein, darum laß alles so, wie es ist.

Besucher: Vielen Dank.

Swamiji: Ich bin glücklich, weil Ihr alle sehr gute, aufstrebende Seelen seid. Dies empfinde ich deshalb, weil Eure Fragen alle sehr praktisch und intelligent sind. Ihr habt keine unsinnigen Fragen gestellt. Das bedeutet, daß ihr auf dem richtigen Weg seid. Sehr gut. Ich bin glücklich, Euch hier zu sehen.