Yoga als eine universale Wissenschaft

  Kapitel 2:

   Die Trennung des Menschen von Gott

Die Yogastufen stehen offenkundig in direkter Verbindung mit den Stufen, die den Abstieg der Seele von Gott markieren, was nun in umgekehrter Richtung zu den Stufen des Aufstieg der Seele hin zu Gott oder der Absoluten Wirklichkeit wird. Aus diesem Grunde sollten wir, bevor wir tatsächlich ernsthaft das Studium der technischen Yogapraxis aufnehmen, den philosophischen Hintergrund der Struktur des Universums und der Natur dieses Ab- und Aufstiegs beleuchten. 

Die Dreifaltigkeit von Adhyatma, Adhibhuta und Adhidaiva

All unsere Erfahrungen in diesem Universum beruhen auf zwei Aspekten, nämlich Purusha und Prakriti, das Bewußtsein und die Materie bzw. das Sehende und das Gesehene. In den Yogaschriften wird erzählt, daß sich unsere Erfahrungen auf das Sehende und das Gesehene gründen, was man im Sanskrit Vyavaharika Satta nennt. Dieses bedeutet, daß es sich um eine empirische Erfahrung handelt, die, obwohl sie für uns anwendbar (Vyavaharik) ist, und die für uns einzige zur Verfügung stehende Wirklichkeit zu sein scheint, doch nicht der ganzen Wahrheit entspricht. Der Aspekt des Sehenden und der Aspekt des Gesehenen, der Bewußtseinsaspekt und der Objektaspekt sowie der Purusha-Aspekt und Prakriti-Aspekt werden in den alten Texten als Adhyatma und Adhibhuta bezeichnet. Adhyatma ist das innerlich wahrnehmende, sehende Bewußtsein, das der Individualität des Sehenden innewohnt. Adhibhuta ist das Universum der Objekte oder das, was als materielle Ausdehnung vor uns erscheint. Das klassische Samkhya-System, das von Kapila verkündet wurde, beschränkt sich selbst auf diese beiden Kategorien Purusha und Prakriti, und empfindet keine Notwendigkeit für etwas anderes. Doch nicht alle Yogatexte stützen sich vollständig auf das von Kapila verkündete Samkhya-System, denn in anderen Schriften, wie in der Manu Smriti, der Mahabharata, der Bhagavad Gita und den Upanishaden findet man Veränderungen und weiterführende Verbesserungen dieses Samkhya-Konzeptes. Eine tiefergehende Analyse dieser Tatsache von der bestehenden Purusha und der Prakriti, als den einzig möglichen Wirklichkeiten in der Erfahrung, führen insbesondere die Upanishaden, aber auch die Bhagavad Gita, zu der Schlußfolgerung, daß es notwendig ist, ein drittes Prinzip zu akzeptieren, das man als Adhidaiva oder das übergeordnete Göttliche bezeichnet, und was Subjekt und Objekt sowie Purusha und Prakriti transzendiert, denn die Verbindung zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen kann nicht nur mit dem Sehenden und dem Gesehenen erklärt werden. Das Subjekt bezieht sich selbst im Bewußtsein des Objektes auf das Objekt und umgekehrt. Diese Beziehung ist aufgrund dessen, daß es zwei isolierte Wirklichkeiten geben soll, - nämlich das Sehende und das Gesehene -, eine unverständliche Annahme. Zwei voneinander abgegrenzte Prinzipien können weder miteinander in Berührung kommen noch voneinander wissen. Die Möglichkeit der Wahrnehmung durch das innewohnende Bewußtsein von etwas, das sich als Objekt außerhalb befindet, kann nur durch die Gegenwart eines ‘Bindegliedes’ zwischen Subjekt und Objekt erklärt werden, welches für unsere eingeschränkte Sehfähigkeit unsichtbar ist. Doch die logische Schlußfolgerung wünscht sich die Gegenwart oder bedarf der Gegenwart eines solchen Prinzips, denn ohne dieses Prinzip wäre es unmöglich zu erklären, wie wir uns der Existenz der Welt überhaupt bewußt sind.

Wie kann jemand wissen, daß es etwas außerhalb gibt, das von demjenigen, der es als solches erblickt, vollkommen getrennt ist? Jene Dinge (Objekte) sind von dem Sehenden nicht völlig getrennt, was wiederum besagt, daß es zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen eine Verbindung gibt, die beide, nämlich den Sehenden und das Gesehene, gleichermaßen durchdringt. So betrachtet, gibt es jenseits von Adhyatma und Adhibhuta, Adhidaiva. Das eine unendliche SEIN (Adhidaiva) erscheint als zweiteilig, nämlich wie Purusha und Prakriti, Adhyatma und Adhibhuta oder wie Subjekt und Objekt, es bleibt aber dennoch wie eine Einheit erhalten. Gott nimmt nicht die Gestalt der Welt an, so wie Milch zu Quark wird, denn die zu Quark gewordene Milch kann nicht wieder zu Milch werden. Es gibt keine innere Verwandlung des Absoluten SEINS in die Gestalt dieser Welt. Wenn dies tatsächlich stattgefunden hätte, gäbe es keine Möglichkeit für die Welt zu Gott zurückzukehren, so wie es keine Möglichkeit für den Quark gibt, wieder zu Milch zu werden. Solch eine Verwandlung hat in Gott nicht stattgefunden, und sie kann sich insoweit auch nicht ereignen, da das Absolute Bewußtsein unteilbar ist, denn Unteilbares ist zu keiner Form wandelbar. Auf diese Weise bleibt der Aspekt der Einheit, trotz seiner scheinbaren Teilung in das Sehende und das Gesehene, Subjekt und Objekt, gewahrt. Damit versteckt sich hinter der erfahrenen Vielheit die Einheit eines transzendentalen Prinzips, das anstelle der Vielheit und der dualen Existenz besteht. Somit gibt es eine dreigeteilte Schöpfung über und oberhalb des dualen Schöpfungskonzeptes, das wir vorher behandelt hatten. Auf der einen Seite haben wir Adhibhuta, - das Universum -, und auf der anderen Seite befindet sich Adhyatma, das Betrachtende, den Betrachter des ganzen Universums; und jenseits dieser beiden, befindet sich das transzendentale Bindeglied. Wir können es als das Göttliche bezeichnen; wir mögen es ‘Devata’, Gott, Engel, Geist oder Kosmos nennen. Plato spricht beispielsweise von einer Aufsichtführenden Urform, die die Welt der Meinungen, der Sinneswahrnehmungen und der geistigen Erkenntnis durchdringt. Zwei Dinge können nur dann miteinander in Verbindung treten, wenn ein drittes Element bereits vorhanden ist. Dieses dritte Element wird von Plato als ‘Metaphysik’ bezeichnet. In der indischen Philosophensprache bezeichnen wir dieses dritte Prinzip im allgemeinen als ‘Devata’ oder Göttlichkeit.

Im allgemeinen glauben die Leute, daß es in Indiens Religionen viele Götter gäbe, was auf Vielgötterei hinweisen würde. Dies ist eine völlige Fehleinschätzung der philosophischen Grundlagen Indiens. Es gibt nicht viele Götter, sondern diese ‘vielen Götter’ stellen die vielfachen Ebenen dar, in denen sich das Absolute SEIN selbst offenbart, wobei ES sich in den unterschiedlichen Abstufungen immer weiter verdichtet, immer grobstofflicher wird und immer weiter zu dem Zweck hinabsteigt, damit die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gewahrt bleibt. Da es mehrere Abstufungsebenen gibt, scheint es viele Götter zu geben, doch sie alle stellen nur die verschiedenen Ebenen des einen Absoluten verbindenden Prinzips dar. Mehrere Offenbarungsebenen von ein und derselben Sache können nicht als viele betrachtet werden; darum gibt es auch nicht viele Götter. Dieser Irrtum von den vielen Göttern sollte ausgemerzt werden. Es gibt nur EINEN Gott, und dieses aufsichtführende Prinzip ist Adhi Devata, jene absolut lebenswichtige Wirklichkeit, ohne die keine Erfahrung erklärbar ist.

Tanmatras - Die Grundbausteine der Schöpfung

Die Yogaphilosophie erklärt uns, daß man die Seite der Objekte als fünf zusammengesetzte feinstoffliche Kräfte ansehen kann, die man Tanmatras nennt. ‘Tanmatras’ kommt aus dem Sanskrit, und man bezeichnet damit die wesentlichen Bausteine aller Elemente dieser Welt. Genauso wie die elektrische Energie nach der modernen Wissenschaft als der Grundbaustein aller physikalischen Objekte betrachtet wird, so wird Tanmatras als das fundamental Wesenhafte aller Objekte angesehen. Vielleicht können sie mit dem, was man heutzutage als das elektrische Kontinuum des Kosmos bezeichnet, verglichen werden. Noch einmal müssen wir uns daran erinnern, daß diese Einteilung in die fünf Ursprungskräfte nicht bedeutet, daß es fünf verschiedene Kräfte gibt. Ebenso wie die vielen übergeordneten göttlichen Prinzipien, die auf viele Gottheiten hinweisen, lediglich eine Vielfalt der Erscheinungen der Abstiegsebenen darstellen, so beruhen diese mannigfaltigen Erscheinungen der fünf Grundbausteine aller Dinge auf unseren fünf Sinnen, mit denen wir die Objekte wahrnehmen. Entsprechend unserer Hörfähigkeit, haben wir eine Tanmatra des Klanges, Shabda genannt. Der Klang ist das Objekt des Gehörsinns. Solange das Klangobjekt nicht vorhanden ist, kann nichts gehört werden. Wir haben nur fünf Wahrnehmungsorgane, und darum müssen wir ein Objekt (der Außenwelt) auch auf fünffache Weise wahrnehmen. Wenn wir angenommen eintausend Sinne hätten, dann würden wir annehmen, das es tausend grundlegende Prinzipien gäbe. Entsprechend dem Tastsinn, gibt es eine Tanmatra, die man im Sanskrit Sparsha nennt, denn Sparsha bedeutet Tastsinn. Es gibt ein entsprechend äußeres Prinzip, Sparsha genannt, das den Tastsinn hervorruft. Für das Sehen gibt es entsprechendes Prinzip (Sehsinn), Rupa oder Farbprinzip genannt. Entsprechend ähnlich gibt es ein Geschmackssinn, es gibt die flüssige Form, Rasha genannt, oder Dinge, die zu einem gewissen Prozentsatz flüssig sind. Dann gibt es schließlich den Geruchssinn, was feste Substanzen voraussetzt, von denen der Duft ausgeht. Diese festen Prinzipien werden als Tanmatra des Gandha bezeichnet. Auf diese Weise entsprechen die fünf Wahrnehmungsorgane den fünf grundlegenden objektiven Elementen, die als die Tanmatras - Shabda, Sparsha, Rupa, Rasha und Gandha - bezeichnet werden.

Die Objekte, die wir mit unseren Augen wahrnehmen, nämlich jene, die hart, gegenständlich und fest sind, haben eine weit höhere Festigkeit oder dichtere Form als die fünf Grundelemente, da diese Elementen untereinander in bestimmten Anteilen und Kombinationen vermischt bzw. versetzt wurden. Man vermutet hinter dieser Mixtur von Formationen die fünf Grobelemente, Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde, die im Sanskrit als Akasha, Vayu, Agni, Jal oder Aap und Prithvi bekannt sind, die fünf Grundprinzipien - Shabda, Sparsha, Rupa, Rasha und Gandha -. Es gibt nur diese fünf Dinge in der Welt. Wohin wir auch schauen, wir werden nur diese Dinge und nichts anderes sehen. Die Vielfalt, die wir in dieser Welt sehen, beruht lediglich auf der Vielfalt der Formationen von Individualitäten, die aus den fünf Elementen bestehen, die wiederum äußere Offenbarungen dieser Grundprinzipien von Shabda, Sparsha, Rupa, Rasha und Gandha sind. Auf diese Weise sind wir auf die niedrigste materielle Ebene, genannt Erde, heruntergekommen.

Ein Schwachpunkt in der westlichen Evolutionstheorie

Laßt uns jetzt das betrachten, was als Evolutionsdoktrin insbesondere im Westen verkündet wird. Die westliche Lebensphilosophie berücksichtigt nicht die Aspekte der Wirklichkeit, die wir bis hin zur irdischen Ebene analysiert haben. Die westliche Evolutionstheorie beginnt mit der niedrigsten materiellen Ebene, von wo aus sich Erheben ein immer größeres Organismen offenbartes Leben mit Verstand und Intellekt entwickelt hat, wie man anhand der Reihenfolge von Pflanzen, Tieren und menschlichem Dasein sehen kann. Die uns bekannte westliche Erziehung macht uns Glauben, daß wir uns von einer niedrigeren zu einer höheren Ebene entwickeln. Es wird uns immer erzählt, daß es einen Aufstieg und eine Vervollkommnung gibt, von der Materie zum Leben, vom Leben zum Geist und vom Geist hin zum Intellekt, wobei immer davon ausgegangen wird, daß der Mensch die Krone der Schöpfung ist. Der Mensch steht in jeder Beziehung über den Tieren, die Tiere stehen über den Pflanzen und die Pflanzen stehen über der unorganischen Materie. Dies ist die normale Denkweise. Dies ist den Menschen eingepflanzt worden. Dies ist uns unermüdlich durch unser erzieherisches Standardvokabular eingetrichtert worden. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Es bedeutet nicht, daß wir uns zur ‘Wirklichkeit’ hinbewegen, wenn wir uns von der Materie zum Leben, vom Leben zum Geist und vom Geist zum Intellekt oder dem Verstand des Menschen erheben. Warum es sich hier nicht um eine wirkliche Vervollkommnung handelt, kann nur durch tiefes Nachdenken erfaßt werden, wofür ein kleiner Hinweis (eine Idee) in einer Upanishade, namens Aitareya Upanishade, zu finden ist. Die Feinheit dieses Gedankens (dieser Idee) ist fast ohnegleichen und ist in anderen Gedankensystemen nicht so leicht zu entdecken.

Dies läßt sich durch ein Beispiel verdeutlichen: Zwei ist mehr als eins, drei mehr als zwei, vier mehr als drei und fünf mehr als vier. Jemand, der zwei Dollar sein Eigen nennt, ist reicher als jener mit einem Dollar usw.. Wenn wir also fünf Dollar besitzen, fühlen wir uns reicher als jener mit vier, drei zwei oder einem Dollar, nur weil fünf eine größere Nummer darstellt. Doch ist minus zwei nicht mehr als plus eins, denn minus zwei ist weniger als plus eins, obwohl zwei im normalen Sprachgebrauch die höhere Nummer ist. Eine bloße quantitative Messung ist in diesem Analyseprozeß nicht das einzige Kriterium unserer Beurteilung. Es findet eine Art Reflexion statt, und es liegt im Charakter dieser Reflexion, daß die Wirklichkeit sich von ihrer Basis aus in die Gegenrichtung bewegt, und auf diese Weise geschieht es, daß, je mehr wir uns auf die Reflexion zubewegen, desto mehr nimmt auch die Entfernung der ursprünglichen Wirklichkeit zu.

Von bestimmten Denkern im Westen, wie Henri Bergson, wurde beispielsweise folgender wichtiger Punkt herausgefunden: Bergson ist sich ziemlich sicher, daß Tiere aus gewichtigen Gründen der Wirklichkeit näher sind als Menschen, was vielen normal denkenden Menschen nicht geläufig ist. Der Instinkt der Tiere ist der Wahrheit näher, als der Verstand der Menschen, denn die Denkfähigkeit wurde erarbeitet, wurde mit außerordentlichem Aufwand mathematisch errechnet. Wohingegen Tiere plötzliche Reaktionen zeigen, obwohl solche Reaktionen verschwommen und unklar erscheinen mögen. Dieser Instinkt der Tiere scheint, obwohl er unklar ist, der Wirklichkeit näher, als die Klarheit des sogenannten menschlichen Intellekts. Diese instinktive Empfindung der niederen Kreaturen steht den Menschen nicht zur Verfügung. Selbst Hunde und Katzen haben eine Art "Siebten Sinn" in Verbindung mit der Wirklichkeit, der uns nicht zur Verfügung steht. Man sagt, daß es Schnecken gibt, die drei oder vier Kilometer unter der Wasseroberfläche des Ozeans leben, in Tiefen, wo sie weder das Mondlicht noch das Sonnenlicht erreichen kann. Diese Insekten, die am Boden des Ozeans entlangkriechen, können selbst das Tageslicht nicht sehen. Solche Insekten, so wurde herausgefunden, werden durch den zunehmenden und abnehmenden Mond am Himmel in einer Entfernung von ca. zweihunderttausend Meilen beeinflußt. Im Vergleich zu all diesen Empfindungen der Schnecken, Ameisen und Bienen, sind wir schwerfällig. Selbst einen Monat vor Beginn der Regenzeit wissen die Ameisen bereits, daß der Regen kommen wird; wohingegen wir selbst nicht einmal wissen, ob es morgen regnen wird, es sei denn, wir erfahren es vom meteorologischen Institut. Selbst bei dieser Wettervorhersage geht häufig etwas daneben. Selbst Pflanzen kennen die sie umgebenden Schwingungen. Die Entdeckungen von Sir J. C. Bose widerlegen den alten Glauben, daß Pflanzen nicht fühlen, nicht denken und nichts wissen können.

Die tiefere Verwicklung des Menschen nach dem Sturz vom Himmel

In der Aitareya Upanishad wird davon berichtet, daß, als sich die Individualität selbst behauptete, eine Art Katastrophe stattfand, was, meiner Meinung nach, dem Sündenfall aus der Bibel gleichkam. Dieser ‘Fall’ ist nichts weiter, als eine katastrophale Isolation von dem Absoluten, der durch die Selbstbehauptung verursacht wurde. Die Isolation ist schlimm genug. Doch etwas Schlimmeres muß stattgefunden haben, aufgrund dessen wir nicht einmal die Tatsache der Trennung erfassen können. In der Doktrin über die Isolation des Individuums von dem Ganzen wurde darauf hingewiesen, daß der individuelle Teil uns letztendlich häufig qualitativ dasselbe Gefühl wie das Ganze vermittelt. Ein Zuckerkörnchen ist qualitativ dasselbe wie ein Zuckerberg. Ein Tropfen Gangeswasser ist qualitativ dasselbe wie der ganze Fluß. Ein Tropfen des Ozeans ist qualitativ dasselbe wie der ganze Ozean. Auf diese Weise sind wir qualitativ dasselbe wie das Absolute. Sind wir auf diese Weise als ein kleiner Teil oder Bruchteil qualitativ dasselbe wie das Ganze? Nein! Es stimmt zwar, daß wir isolierte oder abgetrennte Teile des Absoluten Seins sind, doch daß wir qualitativ dasselbe wie DAS sind, stimmt nicht. Wir sind keine kleinen denkenden Götter. Nein. Wir sind in unserem Verstand nicht einmal im geringsten mit göttlichem Denken ausgestattet, unabhängig von der Verkündung der Schriften, daß wir isolierte Teile des Ganzen sind. Es hat eine plötzliche Umkehr der Wahrnehmung stattgefunden, was unglücklicher Weise bei jedem geschieht. Diese Umkehr ist nur schwer zu verstehen. Wir wurden aus dem Paradies gewiesen, aus dem Reich Gottes geworfen, aus dem engelhaften Status verbannt, den wir im Brahma-Loka innehatten. Wir sind von unserer Heimat weit entfernt.

Wenn normalerweise ein Familienmitglied von zu Hause weg ist, hört er nicht auf ein Mensch zu sein. Obwohl er nicht bei der Familie ist, ist er dennoch derselbe. Doch haben wir hier aufgehört, qualitativ dasselbe wie im Original zu sein, denn sonst würden wir in unseren kleinen abgetrennten Körpern wie Gott denken. Dies ist für uns nicht möglich. Diese Situation wird in den Aitareya Upanishaden sehr rätselhaft, malerisch und reißerisch dargestellt. Die Upanishaden sagen, daß das Individuum in dem Augenblick von Hunger und Durst ergriffen wird, wo es von dem Absoluten getrennt wird. Dieser Hunger und Durst ist zunächst von philosophischer Natur, und verdichtet sich dann selbst zu dem bekannten Hunger- und Durstgefühl; dieses ist das bekannte Hunger- und Durstgefühl in unserem täglichen Leben. In menschlicher Ausdrucksform ist das eine Höllenqual, ein unbeschreiblicher Schmerz. Der weltliche Besitzverlust ist nicht von solch schmerzlicher Erfahrung, wie der Kontaktverlust mit dem Absoluten Sein. Der nachfolgende Schmerz ist unbeschreiblich; wenn wir wüßten, was dieses bedeutet, würde unser Herz selbst bei dem Gedanken daran zerbrechen. Wenn wir die überlieferte Beschreibung der Upanishaden betrachten, dann befinden wir uns in der mißlichsten Situation überhaupt. Wir sind die armseligsten Individuen.

Gott hat uns in zweifacher Hinsicht bestraft. In der Bibel steht geschrieben, daß ein flammendes Schwert den Zutritt von Adam und Eva im Paradies verhindert. Dieses flammende Schwert gibt es zweifellos, so daß wir nicht einmal an Gott denken können. Diese Unfähigkeit unsererseits an das Ganze zu denken, dessen Teil wir sind, ist als Avarana bekannt, ein Schleier, der uns vollkommen einnebelt. Der Schleier ist schlimm, und daß wir nicht an die Wahrheit denken können ist wirklich schlimm genug. Doch weitaus schlimmer ist es, daß wir an das glauben, was da ist. Es ist wie bei einem Menschen, der verrückt geworden ist und gleichzeitig von einem Teufel besessen wird! Verrückt zu sein ist schon schlimm genug, doch weitaus schlimmer ist es, wenn jemand darüber hinaus auch noch von einem Teufel geplagt wird. Auf diese Weise gibt es einerseits das vollkommene Vergessen dieser Beziehung zum Ganzen. Das ist Avarana. Andererseits gibt es etwas, was als Vikshepa oder Bewußtseinsstörung bekannt ist, d.h. sich selbst nach außen hin in Raum und Zeit zu projizieren und die Wirklichkeit als ein außenstehendes Bewußtsein anzusehen. Das Ganze oder die Vollkommenheit der kosmischen Struktur erscheint den Sinnesorganen des einzelnen als äußeres Objekt. Ein Kommentar über einen Abschnitt dieser Upanishade erzählt uns, daß man diese ‘Umkehrung’ ähnlich wie ein Spiegelbild betrachten kann. Im Spiegelbild, scheint rechts links zu sein und links erscheint als rechts. Auf ähnliche Weise erscheint durch die ‘Umkehrung’, die stattgefunden hat und bei der wir von dem Absoluten getrennt wurden, das Innere als etwas Äußeres. Das Universum bzw. die Welt ist nichts Äußeres, denn es ist unmöglich, daß die Natur der Dinge dem Bewußtsein äußerlich erscheinen. Doch scheint das, was wir mit unseren Augen sehen, ausschließlich äußerlich zu sein? - Nur äußerlich und nicht anders.

Die Anatomie des menschlichen Wunsches

Mit der Trennung des Teiles vom Ganzen beginnt die Individualität der Dinge, seien es Pflanzen, Tiere, die Menschen oder seien es selbst die sogenannten Engel im Himmel. Jedes Selbstbewußtsein, daß man als etwas Getrenntes sieht, wird als Individual-, Selbstsinn oder Asmita bezeichnet. Grob gesagt, handelt es sich hier um Ahamkara oder Egoismus. Die eigene Existenz, getrennt von anderen Dingen zu betrachten, wird philosophisch im eigentlichen Sinne im Yoga und in der Samkhya als Egoismus bezeichnet. Die Trennung vom Absoluten wird gleichzeitig von einer Wahrnehmungsumkehrung begleitet, d.h., das Universum erscheint als ein äußeres und materielles Objekt, das seines Bewußtseins beraubt wurde. Die Wand scheint ohne jedes Bewußtsein, und alles Äußere hat keine Intelligenz, weil die Intelligenz keine Intelligenz wahrnehmen kann. Es kann lediglich als etwas ‘Existierendes’ erkannt werden. Alles, was wir äußerlich wahrnehmen, ist lediglich eine Erscheinung eines Körpers oder eine Bewegung dessen, doch das tatsächlich Sehende wird nicht erkannt, denn das Sehende kann nicht gesehen werden. Die Gegenwart des Sehenden in mir kann lediglich durch dessen Offenbarung gefolgert werden. Die objektive Welt erscheint als äußeres Etwas, und aus diesem Grund fühlt man eine innere Notwendigkeit, die verlorene Einheit wiederherzustellen, denn die Wahrheit triumphiert stets, und die Wirklichkeit behauptet sich selbst. Und die Wirklichkeit ist, daß die Welt nicht außerhalb von uns ist. Die Wahrheit ist, daß die Welt nicht außerhalb von uns ist. Diese scheinbare Tatsache eines außerhalb von uns befindlichen Universums, oder selbst außerhalb des Universums zu sein, ist falsch. Aus diesem Grund wollen wir diesen Irrtum korrigieren, indem wir mit allen Dingen in Kontakt kommen möchten, nach allem greifen und sie uns zu Eigen machen wollen! Der Wunsch zu besitzen, größtmögliche Dinge zu ergreifen, ist nur deshalb vorhanden, weil wir mit der Allmacht vereint sein möchten. Der Wunsch zu besitzen, ist ein Wunsch zur Vereinigung. Die Reflexion kann sich selbst nicht mit dem Original vereinigen, denn die beiden unterscheiden sich in der Qualität von Grund auf. Auf diese Weise kommen wir, trotz all unserer Wünsche, nicht wirklich mit den Dingen in Berührung. Darum ist jede Wunscherfüllung letzten Endes entmutigend. Ungeachtet der Bemühungen die Dinge zu besitzen, sorgen wir uns weiter. Wünsche sind aufgrund dessen verdammt, weil dieser Irrtum in der Wunscherfüllung eingeschlossen ist, obwohl sich hinter der Offenbarung eines jeden Wunsches eine Grundfrömmigkeit verbirgt. Jeder Wunsch ist in dem Sinne heilig, weil sich dahinter im Grunde der eigene Wunsch nach Vereinigung mit allen Dingen verbirgt. Doch es gibt auch einen teuflischen Aspekt, nämlich der Versuch, zur eigenen Befriedigung körperlich mit den Objekten in Raum und Zeit, - was unmöglich ist, - in Berührung zu kommen.

Die Reflexion kann nicht geschmückt werden, nur um das Original zu verschönern. Dies ist ein Bild, das in einer langen Passage in einem der Werke der Acharya Sankara gezeichnet wird. Wenn sich jemand schmückt, indem er sich eine Kette umhängt oder ein Zeichen auf die Stirn malt, schaut er auf sein Spiegelbild. Doch er legt die Kette nicht an sein Spiegelbild, sondern er hängt sie sich selbst um. Im selben Augenblick ist das Original selbst geschmückt, wobei das Spiegelbild automatisch mitgeschmückt wurde. Das Spiegelbild muß nicht auch noch dekoriert werden. Nun, all unsere Wünsche sind der Versuch, die Spiegelbilder zu schmücken, zu dekorieren oder zu besitzen, wobei das Original vernachlässigt wird, denn es befindet sich nicht außerhalb. Unsere Wünsche sind normalerweise ein Verlangen nach jenen Objekten, die sich außerhalb von uns befinden. Hier liegt ein Irrtum vor, wenn wir versuchen, uns unsere Wünsche zu erfüllen. Während nun in jedem Wunsch eine Art von Bedeutung offenbart wird, die der Mühe wert ist betrachtet zu werden, da in jedem Wunsch ein göttlicher Aspekt verborgen ist, so ist auch gleichzeitig das Gegenteil davon gegenwärtig, was uns die Rechtfertigung oder ansonsten die Erfüllung des Wunsches nur schwer verstehen läßt. Es bedarf großer Aufmerksamkeit zu verstehen, wohin wir uns bewegen, und worin unsere Beweggründe liegen. Auf diese Weise gibt es durch die Trennung des Einzelnen von der kosmischen Macht eine automatische Umkehr der Perspektive, d.h. eine Umkehr des Wahrnehmungsprozesses hinsichtlich des Ganzen durch das Abgetrennte. Das abgetrennte Teil sieht das Ganze nicht richtig. Das Objekt bewahrt nicht seine Originalität, wenn es durch das Subjekt in Raum und in Zeit betrachtet wird. Wenn abgetrennte Teile anfangen, äußere Dinge zu beurteilen, findet automatisch eine Verdrehung statt, und die Darstellung der Objekte wird fehlgeleitet. Auf diese Weise können wir vom individuellen Standpunkt aus nichts richtig beurteilen, da diese Beurteilung aus Sicht aller Individualitäten bezüglich äußerer Objekte auf dem Umkehrprozeß beruht, der bereits stattgefunden hat. Und, wenn das Einzelne sich selbst nicht in das originale Absolute Sein versetzt, wird die Beurteilung niemals korrekt sein.

Der Wahrnehmungsmechanismus - die drei Zustände und die fünf Hüllen

Der Abstieg ist hier noch nicht zu Ende. Wir müssen noch tiefer hinabsteigen. Je mehr wir unsere mißliche Lage in der Welt anschauen, desto größer wird das Heulen und Wehklagen. Wir wurden nicht nur aus dem großen Reich Gottes (Brahma-Loka), dem Garten Eden, verbannt und nicht nur in den Umkehrprozeß unserer Wahrnehmung verwickelt, sondern etwas viel Schlimmeres hat stattgefunden, denn wir fallen immer tiefer und entfernen uns immer weiter von der Absoluten Wirklichkeit. Was ist geschehen? Die Wahrnehmungen der äußerlichen Bewegungen in Raum und Zeit sind fehlerhaft. Heutzutage glauben die Menschen, daß es ein großer Fortschritt sei, Mond und Mars zu erreichen. Doch dies ist kein Fortschritt, sondern vielmehr eine sehr traurige Angelegenheit. Während der Mond und auch der Mars in Ordnung sind, so handelt es sich bei dem Wunsch, zum Mond und zum Mars zu fliegen und beide kennenzulernen, um einen Fehler unsererseits. Wir werden nichts dadurch erfahren, wenn wir uns auf diese Art und Weise nach draußen bewegen, denn in der Äußerlichkeit, ist nicht die wahre Natur der Dinge zu finden. Es ist darum eine falsche Denkweise, sich auf diese Art auf ein Objekt, sei es auf den Mond oder sonst irgend etwas draußen im Raum, zuzubewegen. Yoga erklärt uns, daß, wenn man eine Sache kennenlernen möchte, zur Sache selbst werden muß und nicht nur die Sache anschauen darf. Jeder weiß sehr wohl, daß wir nicht der Mond sein können. Worin liegt also der Nutzen dorthin zu fliegen? Es macht uns in keiner Weise klüger. Die uralte Weisheit bewegt sich, im Gegensatz zur heutigen Denkweise, in eine entgegengesetzte Richtung. Yoga ist mit nichts in Berührung. Es ist eine Einheit des SEINS mit dem SEIN.

Auf diese Weise verursacht diese Trennung, die durch die Umkehrung der Wahrnehmung verursacht wurde, bestimmte Schwierigkeiten in Form von Unwohlsein, und wenn das nicht sofort ausgeheilt wird, ist das der beste Nährboden für weitere Krankheiten. Zunächst handelt sich dabei nur um eine Verstopfung, dann um ein wenig Kopfweh, danach um Fieber und in der Folge um Schlimmeres! Und schließlich wird daraus etwas Chronisches, da ein kleines Unwohlsein wurde am Anfang mißachtet wurde. Auf die gleiche Weise findet zunächst die Trennung des Menschen vom Absoluten statt; danach folgt die Umkehrung der Wahrnehmung, wobei das Universum als ein äußeres Objekt erscheint. Nun, diese Wahrnehmung des Universums als ein äußeres Objekt erfordert einen bestimmten Wahrnehmungsmechanismus, so daß das Individuum bestimmte Instrumente hervorbringt. Dies sind die Sinnesorgane und die psychologischen Strukturen in uns, die als Geist, Verstand, Ego, Unterbewußtsein, Unbewußtheit usw. bekannt sind. Genauso, wie jemand, der einen kräftigen Schlag auf den Kopf bekommen hat, sein Bewußtsein verliert und nicht weiß wie ihm geschah, so hat das Individuum in dem Augenblick einen schrecklichen Schlag erhalten, als seine Trennung von dem Ganzen stattfand. Und so erlag der Mensch einer plötzlichen Unbewußtheit und fiel hinab, ohne zu wissen, was geschah. Dies ist die erste Katastrophe: eine Ohnmacht, in die wir aufgrund eines kräftigen Schlages fielen, die durch die Trennung verursacht wurde. Dann verwandelte sich dieser plötzliche "Schlafzustand" schrittweise in eine ohnmachtsartige Wahrnehmung, die wie eine Wahrnehmung der Dinge im Traumzustand ist. Der Mensch, der langsam aus der Ohnmacht erwacht, sieht die Dinge nur verschwommen und nicht klar. Und später beginnt er klar, aber die Dinge falsch zu sehen; der Wachzustand beginnt.

Die Aitareya Upanishad besagt, daß die drei Zustände -, Schlaf-, Traum- und Wachzustand, - die drei Zufluchtsburgen des getrennten Bewußtseins sind. Dies ist die Heimstatt der drei Dämonen, die in den Puranas als die drei Tripuras erwähnt werden: Einer ist aus Gold (Schlaf-) einer aus Silber (Traum-) und einer besteht aus Eisen (Wachzustand). Wir drehen uns, als würden wir in einem Karussell mitfahren und dabei durch diese Erfahrungen des Schlafes, der Traumwelt und des Wachseins rotieren. Andere Erfahrungen sind nicht möglich. Diese drei Erfahrungen sind abgewandelte Bedingungen des individuellen Bewußtseins. Sie sind zu weiterer Teilung imstande, die normalerweise als die Hüllen oder in der Vedanta-Sprache als die Koshas bezeichnet werden. Die dunkle, ursächliche, schlafende Bedingung ist als Anandamaya Kosha bekannt. Durch diese offenbart sich die nach außen gerichtete ‘Intelligenz‘, die aus einem Samen entspringt. Zusammen mit der Intelligenz offenbaren sich der Egoismus, das arbeitende Prana (die Lebensenergie) und der sichtbare Körper. Auf diese Weise wird Anandamaya Kosha als die ursächliche Bedingung bezeichnet; der Intellekt ist der Vijnanamaya Kosha; der Verstand ist Manomaya Kosha; und der physische Körper ist Annamaya Kosha oder die Nahrungshülle.

Der Drang, das verlorene Königreich zurückzugewinnen und auf welche Weise es sich manifestiert

Das ist also der Abstieg, wie er bis zum Körper hin stattgefunden hat. Wir betrachten den Körper als eine feste und solide Substanz. Wir sind vom Himmel gefallen und immer tiefer gesunken; - zunächst haben wir uns getrennt, dann schauen wir nach außen und bringen die drei Zustände des Bewußtseins und dann schließlich die fünf Hüllen hervor. Selbst das scheint uns nicht zu genügen, denn wir sind noch immer unzufrieden. Wir bewegen uns noch weiter abwärts, bis hin zu dem sogenannten organisierten und gesellschaftlichen Leben. Ein Individuum kann nicht in seiner eigenen Individualität ruhen. Es ist nicht genug, wenn jemand bloß in seine Körperhülle eingetreten ist. Das bedeutet noch nicht, daß alles zu Ende ist, denn das endliche Individuum ist voller Sorge, da der Zustand des einkasernierten Bewußtseins innerhalb der Körperwände kaum toleriert werden kann, so daß sich das endliche Sein in seiner außerordentlichen Ruhelosigkeit - hervorgerufen durch die körperliche Wohnung - bemüht, diese Endlichkeit des Körpers zu verlassen. Das gefangene Bewußtsein möchte sein Körpergefängnis unter allen Umständen so schnell wie möglich verlassen. Welche Möglichkeiten stehen hierfür zur Verfügung? Das Individuum versucht, sein Endliches dadurch zu überwinden, indem es seine Endlichkeit durch die Anhäufung vieler Endlichkeiten weiter ausdehnt, die durch die Vielzahl von Endlichkeiten ein größeres Erscheinungsbild darstellen. Das endliche Wesen dehnt sich aus, es löst seine Begrenzung dadurch auf, indem es zum eigenen Wesen weitere Endlichkeiten hinzufügt. Ein Endliches ist nicht genug; es fügt ein Endliches hinzu, und es werden zwei. Zwei sind nicht angemessen, und darum wird noch etwas hinzugefügt usw.. Wir fügen unter dem Eindruck, daß viel Endliches eine Form des Unendlichen ergibt, immer noch etwas hinzu. Doch das Unendliche ist keine Ansammlung von Endlichem. Hier liegt wiederum ein Denkfehler. Aus diesem Grunde sind reiche Leute auch nicht glücklich. Auch jene Menschen, die gesellschaftliches, soziales oder politisches Ansehen genießen, sind nicht glücklich. Niemand wird durch die Ansammlung physischer oder psychologischer Endlichkeiten glücklich, denn Endliches bleibt trotz vieler endlicher Einheiten endlich. Die Beziehung zwischen zwei endlichen Wesen ist als soziale Beziehung bekannt. Bei dieser Beziehung kann es sich um zwei Menschen oder zwischen einem Menschen und irgendeiner Sache der Welt drehen. Jede Art von äußerer Beziehung ist eine gesellschaftliche Formation, und wir glauben ohne sie nicht existieren zu können. Auf diese Weise sind wir immer tiefer bis zu dieser Ebene eines sozialen Bewußtseins heruntergekommen, was uns noch weiter zur letzten Ebene, dem politischen Bewußtsein, hat abstürzen lassen, - einer höchst künstlichen Organisationsform, an die man kaum zu denken wagt, in die wir da hineingefallen sind.

Nun, der ganze Zweck der Yogapraxis ist, das verlorene Königreich zurückzugewinnen. Zuallererst müssen wir wissen, wo unser Königreich ist. Wir haben uns immer weiter und immer tiefer vom Zentrum des SEINS entfernt. Insbesondere das Patanjali-System ist sehr wissenschaftlich und logisch aufgebaut. Der große Lehrer nimmt seinen Standpunkt auf der niedrigsten Stufe ein, denn die Psychologie der Yogaerziehung erfordert, daß Lehrer oder Schüler zunächst den niedrigsten Standpunkt einnehmen sollen, und nicht eher zu einer höheren Ebene gehen, solange wie die niedrigeren Ebenen nicht eingehend untersucht und durchdrungen wurden. Yoga ist ein stufenweises Durchdringen und nicht ein Verleugnen der Wirklichkeiten. Yoga fordert nicht dazu auf, den Wirklichkeiten zu entsagen, sondern vielmehr die niederen Wirklichkeiten zu dem Zweck zu durchdringen, höhere Stufen zu erreichen. Häufig wird geglaubt, das Yoga Sannyasa (Entsagung)bedeutet, und man setzt Sannyasa mit dem Wegwerfen physischer Gegenstände, der Entsagung von Haus und Vieh, Vater, Mutter und Arbeit gleich, um irgendwo zu sitzen. Mit Yoga hat das nichts zu tun, denn Yoga bedeutet nicht, irgendwelche Dinge über Bord zu werfen, sondern es bedeutet, falsche Vorstellungen über die Dinge und die Welt als Ganzes aufzugeben. Das Wesen von wirklichem Entsagen, Sannyasa oder Mönchstum hat nichts mit einem Entsagen von Objekten zu tun, sondern mit dem Entsagen von der Objektivität oder Äußerlichkeit der Objekte. Es ist ein Zurücknehmen des Gedankens, daß die Objekte sich außerhalb von uns befinden. Das ist Sannyasa. Es ist ein Fehler, lediglich von einem Ort zum anderen zu laufen, in dem Glauben, irgend etwas entsagt zu haben, denn, selbst wenn wir uns geographisch bzw. physisch von einem Ort zum anderen bewegen, so bleibt das Objekt unserer Entsagung immer noch außerhalb unserer Wahrnehmung. Wir glauben immer noch, daß es sich um etwas Äußeres handelt, wir haben immer noch dieselbe vorgefaßte Meinung oder dasselbe Vorurteil, und eine wirkliche Entsagung hat nicht stattgefunden.

Yoga erfordert von uns zweifellos Entsagung. Patanjali sagt, daß Vairagya und Abhyasa zusammengehören sollten. Die Bhagavad Gita macht dieselbe Aussage. Vairagya bedeutet Entsagung, Verleugnung, Tyaga oder Verzicht, Abhyasa ist die positive Praxis. Doch Entsagung, Aufgabe, Verleugnung oder Verzicht wovon? Dies muß zunächst geklärt werden. Die Absolute Wahrheit der Bhagavad Gita ist eine ständige Botschaft an alle Yogasuchende, in der immer wieder betont wird, daß ‘ENTSAGUNG’ und Asakti richtig verstanden werden muß. Der Verhaftung an die Dinge muß entsagt werden und nicht den Dingen als solches, obwohl man verschiedene physische Methoden und gesellschaftliche Notwendigkeiten aufrecht erhalten muß, um das Ziel dieser wirklichen Entsagung zu erreichen. Doch grundsätzlich bedeutet es, das VERLANGEN nach den Dingen zu vermeiden, was man als Entsagung bezeichnet, wobei nicht die physische Nähe der Objekte zu vermeiden ist. Wenn das Verlangen bleibt, hat wirkliche Entsagung nicht stattgefunden, selbst wenn man die physischen Objekte weit hinter sich läßt. Genau hier wird das Problem zu einem Problem des Bewußtseins. Letztendlich ist Yoga oder Yogaphilosophie ein Studium des Bewußtseins. Und das Problem wird nicht dadurch gelöst, indem man die Sinne vom Kontakt mit der physischen Natur ihrer Objekte zurückhält.