Das Yoga System

Tiefenpsychologie

Avidya ist ein Zustand, wo man die Wirklichkeit vergisst und sich der Unwissenheit seiner Existenz nicht bewusst ist. Wir haben irgendwie die wahre Natur von uns selbst vergessen, d.h. die Universalität unseres wahren Seins. Dieses ist der Hauptgrund für unsere Unwissenheit. Doch hat dies weitaus ernsthaftere Konsequenzen. Denn es ist auch ein Fehler des Nichtewigen (Anitya) gegenüber dem Ewigen (Nitya), des Unreinen (Asuchi) gegenüber dem Reinen (Suchi), des Schmerzes (Duhkha) gegenüber dem Vergnügen (Sukha) und dem Nichtselbst (Anatman) gegenüber dem Selbst (Atman). Es ist offensichtlich, dass die Welt mit seinen Inhalten vergänglich ist, und doch wird sie wie ein wahres Ganzes umarmt. Selbst die so genannte Festigkeit oder Substanz der Dinge wird heutzutage durch die Entdeckungen der modernen Wissenschaft in Frage gestellt. Die Relativitätstheorie hat der stabilen Materie oder den Körpern ein Ende gesetzt, und selbst die scheinbar stabilen physischen Gesetze oder Regeln bedürfen der Überarbeitung. Doch die Welt wird als Wirklichkeit geliebt. Dieses ist Bestandteil von Avidya. Auf diese Weise werden die unreinen Körper als reine Substanzen geliebt, obwohl sie stinken, wenn sie ihrer Lebendigkeit beraubt oder im täglichen Leben unbeachtet sind. Der Juckreiz der Nerven wird als ein Anreiz zum Vergnügen gesehen, und diesem Verlangen nachzukommen, dass man sich als Befriedigung vorstellt, scheint das Ziel aller Sinnenkontakte im Leben zu sein, welcher Art sie auch immer sein mögen. Durch jedes Nachgeben steigern sich die Wünsche (Purinama), - nach jeder Wunscherfüllung entstehen ungewollte Ängste (Tapa), - aus jeder Sinnesbefriedung nehmen wir unerwünschte psychische Eindrücke (Samslara-duhkha) mit, - die normale Aktivität der relativen Dinge (Sattva, Rajas und Tamas genannt), die sich wie ein Rad drehen, das nie zur Ruhe kommt (Guna-vritti-nirodha), wird blockiert, was darauf hindeutet, dass weltliches Vergnügen für den Unwissenden Schmerzen bereitet. Selbst die Objekte werden wie Eigentum geliebt, obwohl sie nicht unser Eigentum sind. All dies macht den Charakter von Avidya oder Ajnana aus, auf Grund dessen die Wirklichkeit in eine vollkommen verzerrte Form gebracht wird, in der ein Universum von Raum, Zeit und Objekten erscheint.

Ein anderes Ergebnis, das unmittelbar Avidya folgt, ist (Asmita) der Sinn des Seins. Dieser Sinn ist ein Bewusstsein über die eigene Individualität, die eigene Persönlichkeit und des Egos (Ahamkara) oder der Selbstbehauptung. Das Vergessen der Universalität endet in einer Behauptung der eigenen Individualität. Die falsche Vorstellung, dass das Individuum organisch von dem Universum getrennt ist, erzeugt als Konsequenz einen Drang nach Selbstbehauptung (Asmita), ein Gefühl von Mögen und Nichtmögen (Ruga- Dvesha) und ein Verlangen, den eigenen Körper unter allen Umständen zu schützen und zu leben (Abhinivesa), wobei all diese Verhaltensweisen eine schrittweise logische Abfolge von Avidya darstellen. Das universale Sein ist uns unbekannt. Wir kennen nur das Besondere und das Individuelle. Wir lieben oder hassen Objekte. Wir hängen am Leben und fürchten den Tod. Der erste Fehler liegt in dem Glauben: „Ich bin nicht das Universale“. Der zweite Fehler liegt in der Bestätigung: „Ich bin etwas Besonderes.“ Der dritte Fehler liegt darin, bestimmte Dinge zu lieben und andere zu hassen. Das vierte Problem liegt darin, durch Selbstschutz, nach einem unsterblichen Individuum und nach Fortpflanzung zu streben. Der Irrtum, das Universale zu vergessen, hat zur Selbstbehauptung geführt, die Liebe und Hass oder Mögen und Nichtmögen hervorgerufen hat, was wiederum das Wunschdenken und die Todesangst erzeugt. Dieses ist unser gegenwärtiger Zustand. Wir müssen jetzt von diesem vernebelten Denken erwachen und zum universalen Denken zurückkehren. Die Einheit vom Individuellen und vom Universalen ist Yoga.