Das Geheimnis der Katha Upanishad

 

Vortrag 3

Die großen Hindernisse beim spirituellen Fortschritt sind Avidya, Kama und Karma, was Unwissenheit, Wünschen und Handlung bedeutet. Dabei handelt es sich nur um ein Hindernis, dass sich in dreifacher Weise präsentiert. Die Unkenntnis der Wahrheit und der absoluten Natur wird als Avidya bezeichnet. Diese Unwissenheit, Avidya, sinnt nach äußeren Sinnesobjekten, - Kama (Wünschen). Die Unwissenheit setzt in ihrem Charakter eine Selbstbehauptung der Persönlichkeit voraus, - Ahamkara – und wünscht sich den Kontakt zu anderen Menschen. Avidya verursacht gleichzeitig Ahamkara. Sie sind beinahe, wie die Hitze und das Licht im Feuer, nämlich unzertrennlich. In dem Augenblick, wo die Selbstbehauptung aus der Unwissenheit heraus geboren wird, ergibt sich notwendigerweise folgende Konsequenz, d.h. ein Verlangen nach Wiedergutmachung für etwas, was verloren gegangen zu sein scheint. Das wird Kama genannt. Um Kama oder den Wunsch zu erfüllen, entsteht Karma oder die Handlung. Das ganze Leben der Menschen wird durch diese drei Bemühungen von Avidya, Kama und Karma beherrscht, - in der Abfolge von Unwissenheit, Wünschen und Handlung. Dieses ist Tripura oder die dreifache Säule der dominierenden Kräfte, die von Lord Siva durch einen einzigen Pfeil gebrochen wurden. Dieses sind drei Zitadellen aus Geld, Silber und Eisen, wie es in den Puranas heißt. Dieses sind die drei Knoten (granthis) – Brahma-granthi, Vishnu-granthi und Rudra-granthi, von denen die Hatha- und Kundalini-Yogis und die Tantriker sprechen, d.h. Avidya, Kama und Karma. Es handelt sich um eine Kraft mit scheinbar drei unabhängigen Hindernissen bzgl. des Wissens.


Trinaciketas tribhiretya sandhim
Trikarmakrt tarati janma-mrityu


Die drei Fasttage Nachiketas kann man mit dem Bemühen der Seele vergleichen, diese drei Kräfte, mit einem schrittweisen Zurückziehen vom Äußeren und vom Inneren, dem Überwinden der Karma-, der Kama-Kräfte und letztendlich dem Überwinden von Avidya zu durchbrechen. Man muss sich drei Disziplinen (Tapas) unterziehen. Dazu bedient man sich dreier Sadhanas oder spiritueller Übungen. Dieses wird in den Upanishads als Trinachiketa bezeichnet. Mit diesen drei Prozessen wird Geburt und Tod überwunden. Man meistert die Grenzen des Körpers in all seinen drei Ausprägungen, d.h. auf der physischen, der astralen und der himmlischen Ebene. Diese stellen die wesentlichen Bindungen der Seele dar, innerlich wie äußerlich begrenzen sie ihre Ausdrucksmöglichkeiten und beschränken sie auf Samsara (die Wiedergeburt) oder die irdische Existenz und das Leid. Das Überwinden dieser dreifachen Bindung ist der Inhalt von Trinachiketa. Als Instrumente zur Überwindung dienen uns der Geist, der Intellekt und der Spirit (manas-buddhi-atma), die alle zusammen kombiniert werden, - Tribhiretya sandhim. Man muss dazu drei tugendhafte Handlungsformen (Trikarma) einhalten, wie sie auch im achtzehnten Kapitel der Bhagavadgita erwähnt werden, d.h. Yajna, Dana, Tapas. Yajna bedeutet Opfern, um die Einheit mit der Wirklichkeit zu erreichen. Es enthält alle Formen der Loslösung vom „Ich“ und die Hingabe. Yajna ist ein universaler Begriff mit einer tiefen Bedeutung. In gewisser Weise enthält es die gesamte Kultur von Bharatavarsha (Ishvara, Gott) zusammen gefasst in einem einzigen Wort, d.h. Yajna. Der Herr selbst wird mit Yajna verglichen, - Yajno vai vishnuh, und in der meisterhaften Purusha-Sukta der Vedas wird die ganze Schöpfung mit einer Yajna des Absoluten Seins verglichen. Yajna ist darum das absolute Bemühen der Seele, sich selbst mit Gott zu vereinen. Dana ist die wohltätige Haltung der Seele gegenüber anderen. Wohltätig zu sein bedeutet, nicht nur ein paar Dollar oder Euro zu teilen, sondern es handelt sich vielmehr um eine innere Einstellung. Sie drückt sich in der ganzen Verhaltensweise aus. Sie beinhaltet ein Gefühl von Mitleid, es ist ein tugendhaftes Verhalten gegenüber Anderen. Es ist die Fähigkeit, die Bedürftigkeit anderer richtig einzuschätzen. Wenn man in der Lage ist, die Situation und das Seelenleben anderer einzuschätzen, so zu fühlen, wie sie fühlen, so zu denken, wie sie denken, und so zu handeln, wie sie handeln, - mühelos und ganz spontan, - dann handelt es sich um das Wesenhafte einer wohltätigen Persönlichkeit, - Dana. Tapas bedeutet Disziplin, d.h. körperlich, verbal und mental. Jemand, der dieses dreifache Bemühen anwendet, überwindet Geburt und Tod; - Tarati janma-mrityu.

All dies dient als Einführung der Upanishad auf dem Weg zum wirklichen Geheimnis, um das es sich bei der dritten Frage von Nachiketas dreht. ‚Nachiketas erwartet nichts weiter von diesem mächtigen Herrn des Wissens, will sich nicht mit irgendwelchen Angeboten von ihm abspeisen lassen, sondern im Mittelpunkt steht nur die Beantwortung der dritten Frage nach dem ‚Großen Jenseits‘ (Mahati Samparaye). Die Antwort auf die dritte Frage betrifft das tiefste Geheimnis der Dinge, das in den Kammern der Herzen allen Seins versteckt ist. Nichts anderes kann Nachiketas zufrieden stellen; - Nanyam varam nachiketa vrnite.‘

Nun kommt Yama zu dem Hauptpunkt der ganzen Upanishad, zum Herzen und zur Seele des Schülers Nachiketas. Wie kann man es erfahren? Es muss etwas sehr Geheimnisvolles geben, ansonsten hätte Yama sich nicht derart zögerlich verhalten. Auch wenn man sich an den Kopf kratzt, sich das Gehirn zermartert, argumentiert, liest, spricht usw., es bleibt unverständlich.


Nayam atma pravacanena labhyo
Na medhaya na bahuna srutena.


Selbst, wenn man in alle möglichen Richtungen nachdenkt, erhält man keine Erkenntnisse. So schwierig ist dieses tief verborgene Wunder zu erfassen. Darum wollte Yama lieber darüber schweigen. Doch Nachiketas ließ nicht locker.


Na narena avarena prokta esha
Suvijneyo bahudha cintyamanah.


Ein normaler Mensch kann das Geheimnis nicht lüften. Ein nur mäßig intelligenter Mensch kann es nicht erfassen, wenn er es auch im wortwörtlichen Sinne eingrenzen kann. Doch es geht hier nicht um Wissen auf der wissenschaftlichen Ebene. Es geht auch nicht um ein Studium, wie auf einer Universität. Es hat nichts mit dem zu tun, was wir sehen, hören oder berühren können. Es geht um Wissen, das weder erfasst noch ausgedrückt werden kann. Selbst Gedanken, die irgendwie beschränkt sind, können dieses Wissens weder formulieren, erfassen, ausdrücken noch aufhellen. Wie kann das Unbeschränkte durch einen beschränkten Geist übermittelt werden? Diese Weisheit ist unsterblich, ewig, und kann darum nicht durch einen vergänglichen Transponder übermittelt werden.

Das rationale Gedankengut reicht nicht, denn die höchste Form des Rationalen steht nur in wissenschaftlicher Form zur Verfügung. Wir sind richtig informiert, wenn es heißt, dort wo die Religion anfängt, hört die Wissenschaft auf. Die Grenzen der Wissenschaft sind der Anfang einer höheren Weisheit. Auf Grund der Feinheit seiner Natur wird diese Weisheit jenseits jeder Logik. Dieser Atman, die Wahrheit aller Dinge, kann weder durch Argumentation noch durch Lehrreden, durch das Studium der Schriften oder durch einen akribisch arbeitenden Intellekt aufgenommen werden, denn die Feinheit des Intellekts ist letztendlich das, was man als logisches Gesetz oder Prinzip bezeichnet. Heutzutage kleben die Menschen an dem logischen Denksystem als der Weisheit letzter Schluss. Doch die Logik ist die Folge einer Annahme, die selbst eine angenommene Hypothese darstellt, die anfechtbar ist. Die ganze Logik ist ein Versuch, um eine Einheit zwischen einem Subjekt und einem Prädikat der Argumente herzustellen. Jene, die Logik, Addition und Subtraktion, gelernt haben, wissen was dies bedeutet. Jede logische Ergänzung beruht auf Subjekt und Prädikat und muss allen Sinnen bekannt gemacht werden. Diese Ergänzung muss in allen Sätzen und Verbindungssätzen ausgedrückt werden können, die einen Bezug zur Bedeutung des Prädikats mit dem Subjekt und umgekehrt hat. Dieser Unterschied, der zwischen Subjekt und Objekt (Prädikat) gemacht wird, beruht auf einer Annahme des Geistes, der davon ausgeht, dass die Dinge voneinander getrennt sind. Warum sollte man versuchen, Subjekt und Prädikat miteinander zu verbinden? Die Notwendigkeit des Verbindens ergibt sich nur, wenn sie verschieden sind. Doch warum sollte man annehmen, dass sie sich voneinander unterscheiden? Existieren wir als körperliche Individuen individuell? – und dass diese Individuen eine äußere Welt beobachten ist eine Hypothese, die wissenschaftlich nicht bewiesen werden kann, weil alle wissenschaftlichen Argumente auf dieser Annahme beruhen, dass diese Welt existiert, und das wir ein Teil davon sind; doch diese Anname selbst ist unannehmbar, denn sie ist nicht bewiesen. Woher wissen wir, dass diese Welt existiert? – Nur, weil man sie sieht! Woher wissen wir, das unsere Sichtweise richtig ist? Man kann sie logisch nicht beweisen. Man kann nur sagen: ‚Ich sehe sie, und darum muss es sie geben.‘ Dieses bezeichnet man als Dogma. Die Wissenschaft ist gegen alle Dogmen, doch die Wissenschaft selbst ist ein Dogma, nämlich, dass die Welt ist, und dass auch Wissenschaftler in ihr existieren. Menschliches Verstehen und allgemeine Intelligenz sowie das Erlernte, das darauf aufbaut, ist an dieser Stelle unnütz bzw. wenig hilfreich. Solange man nach einer anderen Bedeutung des Wissens sucht, findet man keinen Einstieg in dieses Geheimnis, - Ananyaprokte gatir atra nasti, - heißt es in der Upanishad.

Die Natur der Wirklichkeit wird zur Schwierigkeit für das menschliche Verstehen, denn es kennt keine definierende Charakteristik der Wirklichkeit. Man kann nicht behaupten, es hätte eine Färbung oder ein Muster. Es hat auch keine spezifische Qualität, die in der menschlichen Sprache ausdrückbar wäre. Alle Definitionen sind bildlichen oder sensiblen Charakters. Der sensible Charakter eines Objektes stellt keine letztendliche Definition dar, denn hier wird versucht, die wesentlichen Inhalte eines Objektes zu verstehen und nicht seinen Charakter, wie er sich den Sinnen präsentiert. Die Prüfung der Wirklichkeit, der Natur der Wahrheit, oder Satya, ist widerspruchslos. Der Wahrheit kann niemals durch eine andere Definition, Erfahrung oder Verwirklichung widersprochen werden, d.h. die Ewigkeit ist der Charakter der Wahrheit. Nichts in der Welt kann als letztendlich wirklich angesehen werden, denn alles ist irgendwelchen Veränderung unterworfen. Die ganze Welt ist vergänglich. Sie besteht aus Teilprozessen, Teilen eines Ganzen, und deshalb sind diese Teile nicht vollkommen. Ein Nebeneinander von Teilen kann nicht als eine Wirklichkeit betrachtet werden, denn das Wirkliche bleibt ewig bestehen. Es gibt keine Objekte, keine Menschen in dieser Welt, die ewig Bestand haben. Uns wird selbst von den Astronomen berichtet, dass unser Sonnensystem endlich ist. Selbst die Sonne hatte ihren Anfang und sie wird auch ihr Ende haben. Der Kosmos wird nach einer gewissen Zeit vergehen. Wie kann man ihn als wirklich ansehen? Eine zufrieden stellende Definition kann nicht für irgendetwas Sichtbares gefunden werden. Wie sollte man es dann definieren? Der Geist des Menschen ist sein Zentrum des Wissen. Es ist völlig abhängig von den Informationen, die durch die Sinne zusammengetragen werden. Die Funktion des Geistes besteht meistens in der Bestätigung und im Assoziieren von Gedanken, die bereits früher durch die Sinne aufgenommen wurden. Der Geist verfügt über keine Informationen, die er unabhängig von den Sinnen, irgendwo anders aufgenommen haben könnte. Was nicht sichtbar oder hörbar ist, was nicht geschmeckt oder berührt werden kann, ist dem Geist unbekannt. Auf diese Weise ist der Geist ebenfalls eine Art Sinnesorgan, - er wird auch als sechster Sinn bezeichnet. Seine Fähigkeit liegt ohne Zweifel in der Zusammensetzung der verschiedenen Berichte der Sinne; doch die Synthesefähigkeit ist noch kein Wissen. In dieser Organisation des Wissens, das von dem Geist hervorgebracht wird und von den Sinnesorganen abhängt, erhalten wir kein neues Wissen. Wir erhalten nur eine neue Organisation dessen, was bereits vorhanden ist und durch die Sinne erfasst wurde. Der Intellekt ist nur eine Form der Beurteilung, das durch das organisierte Wissen des Geistes hindurchgegangen ist. Auf diese Weise scheinen der Intellekt, der Geist und die Sinne eine allgemeine Gruppierung zu sein. Sie gehören derselben Kategorie an. Welche andere Fähigkeit kennen wir außer dem Intellekt, dem Geist und den Sinnesorganen? Mit diesen unzuverlässigen Dienern des Wissens, die wir für unser Wissen beschäftigen, können wir nicht wissen, was wirklich die Wahrheit ist. Aus diesem Grunde warnt uns die Katha Upanishad davor, mit einfachen Argumenten, intellektuellen und rationalen Studien, der Wahrheit beikommen zu wollen.

Die Wahrheit kann nur von jemanden erfahren werden, der auf besondere Weise gesegnet ist. Kein Kommentator ist in der Lage richtig zu erklären, was man unter dem Begriff ‚Anayaprokte‘ zu verstehen hat. Viele der in den Upanishads gebrauchten Begriffe sind kryptisch. Sie sind wie schwer zu knackende Nüsse. ‚Ananya‘ bedeutet grammatikalisch: ‚nicht anders als das, was bereits dort ist‘, oder ‚sich nicht unterscheidet‘. Dieser Begriff taucht auch in der Bhagavadgita auf. Auch dort geben die Kommentatoren unterschiedliche Interpretationen. Der Lehrer sollte nicht ‚anya‘ oder kein ‚anderer‘ sein, sondern muss ‚ananya‘ bzw. ‚nicht anders‘ sein. Ein ‚ananya‘ ist jemand, der sich nicht von dem unterscheidet, was er lehrt. Heutzutage gibt es Professoren, die viel wissen, doch ihr Leben unterscheidet sich von dem, was sie predigen. Sie sind ‚anya‘ oder verhalten sich ‚anders‘ als ihr Wissen. Das praktische Leben eines Professors unterscheidet sich von dem, was er lehrt. Wenn das gelehrte Wissen sich von dem geführten Leben unterscheidet, dann wird das Wissen zur Schale ohne Substanz. Dann wird es zur Last, die man mit sich herumschleppt. Das Wissen wird dann wertvoll, wenn es zu ‚ananya‘ im eignen Leben wird. Das Wissen wird bedeutungsvoll, wenn man es lebt und nicht nur lehrt, hört oder liest. Das Wissen ist mit dem Sein identisch, - sat und chit werden als identisch angenommen. Das ‚sat‘ oder die Existenz bzw. das Leben stimmt mit dem ‚chit‘ oder dem Wissen, den Lehren und den Studien überein. Dieses Wissen kann nur von jemanden vermittelt werden, der in dieses Wissen aufgeht, der ein Brahmanishtha ist. Ein Guru ist ein Shrotriya und ein Brahmanishtha. Ein Shrotriya ist jemand, der bei seinen Studien sehr gründlich vorgeht, und die Fähigkeit hat, sie auch entsprechend sprachlich zu vermitteln. Ein Brahmanishtha ist mit Gott vereint, doch deshalb muss er sein Wissen nicht unbedingt weitergeben. Er ist jenseits des Körperbewusstseins und schwebt über den irdischen Dingen. Ein reiner Shrotriya hingegen ist wie ein Gelehrter. Wenn er kein Brahmanishtha ist, hat er auch keine Überzeugungskraft. Die Lehre sollte kraftvoll sein. Sie sollte die Herzen der Zuhörer erreichen. Das ist nur möglich, wenn man im Wissen lebt und verankert ist, und wenn man auch die Möglichkeit hat, dieses Wissen richtig zu überbringen.

Der Guru sollte zwei Qualitäten haben. Er muss leben, was er lehrt, und er sollte auch die Kraft haben, sein Wissen auszudrücken. Das ist es, was einen Brahmanishtha und einen Shrotriya zugleich ausmachen, eine wundervolle Mischung. Solch eine Person ist ein ‚ananya‘. Es gibt hierzu keine Alternativen. Solch einem Guru sollte man sich nähern, der in sein Wissen aufgeht, bei dem das Wissen zu einem Teil seines Lebens und seiner Praxis geworden ist, und der auch damit gesegnet ist, dieses Wissen weitergeben zu können. Es gibt keine andere Möglichkeit, das Wissen aus erster Hand zu erfahren. Dieses Wissen kann nicht nur über das Selbststudium erworben werden, sondern es bedarf der Gnade des Meisters. Das Wissen durch einen Guru ist lebendiges Wissen. Es trägt seine Lebendigkeit in sich, wohingegen das Wissen aus Büchern leblos ist. Es gibt einen Unterschied zwischen einer vom Baum gepflückten Mango und einer Mango, die vor drei Jahren zu Sirup verarbeitet wurde. Akademisches Wissen ist auch Wissen, doch es trägt keine Überzeugungskraft in sich und kann nicht auf andere Herzen übergehen. Was man durch seinen Guru bekommt, ist lebendige Kraft, Energie und Macht, die der Guru durch Einweihung auf seinen Schüler überträgt, was man auch als den Prozess von Shakipata bezeichnet, wobei der Wille des Gurus den Geist des Schülers betritt. Die Rolle, die der Guru bei der Übertragung des Wissen spielt, ist damit nicht gemeint. Niemand sollte diesen Prozess des Initiierens unterschätzen. Es ist eine überlogisches Mysterium, eine überwissenschaftliche Angelegenheit. Die Upanishad bestätigt dies. Wo auch immer man in den Upanishads eine Beschreibung über die Übermittlung des Wissens findet, da findet sie zwischen einem Guru und seinem Schüler statt. Indra ging zu Prajapati, um sich unterweisen zu lassen. Narada ging zu Sanatkumara, um sich unterweisen zu lassen. Die Brahmanas, die in Schriften gut bewandert waren, und auf ihre Weise großartig, gingen mit Opfergaben unterwürfig zu einem Kshatriya König. Der Kshatriya König fühlte sich dabei unbehaglich. Der König sagte: „Ich bin ein Kshatriya und nicht in Lage einen Brahmana zu unterweisen.“ Doch diese Sucher pflegten zu entgegnen: „Wir kommen nicht als Brahmanas. Wir kommen als einfache Studenten und Sucher nach Wissen.“ Die Vaishvanara-Vidya, die in der Chhandogya Upanishad beschrieben wird, wurde von einem Kshatriya als Unterweisung an einen Brahmana gegeben. Wo es um die Frage nach Wissen und die Suche nach Gott geht, spielen weder die Gesellschaftsschicht noch der soziale Unterschied eine Rolle. Jeder kann zum Schüler eines Höherstehenden werden. Es geht nur um das Wissen und nicht um die soziale Herkunft. Der Guru ist höchst wichtig und das Initiieren ganz wesentlich. Dieses scheint bei diesem Begriff ‚ananya‘ in der Upanishad überbracht zu werden. Dieses Wissen ist ganz subtil.

Was bedeutet eigentlich Wissen? Warum wird es als subtil bezeichnet? Das Subtile liegt an der Tatsache, dass es kein Wissensobjekt ist. Alles, was man als Objekte des Verstehens oder des Geistes ansehen kann, sind im weitesten Sinne räumlich und zeitlich begrenzt und haben eine Ursache. Die ganze Welt ist ein Netzwerk von Raum, Zeit und Ursache. Alles ist in einem vorübergehenden und zeitlich begrenzten Prozess von Ereignissen gebunden, und alles steht irgendwie in einem kausalen Zusammenhang. Alles hat eine Ursache und gleichzeitig eine Folge. Auf diese Weise versuchen wir die Dinge zu verstehen. Doch dieses absolute Mysterium, um die sich Nachiketas dritte Frage drehte, ist nicht die Ursache einer Wirkung. Sie bringt nichts hervor und hat nichts zur Folge. Man kann sie nirgendwo örtlich zuordnen. Sie ist nicht vorübergehend, denn sie ist nicht Teil eines zeitlich begrenzten Prozesses. Sie ist nirgendwo, sondern überall, und dass, was überall ist, kann durch den Geist nicht erfasst werden. Das, was nicht eingeordnet werden kann, ist dem Geist unbekannt, denn das Wissen oder die Erkenntnis des Geistes setzt immer eine Definierbarkeit voraus. Die Definition muss nicht notwendigerweise sprachlich erfolgen. Es gibt im Erkenntnisprozess auch innerliche psychologische Definitionen. Eine Definition ist eine Aktion des Geistes, wo die Lage und die Umstände eines Objektes erkannt werden, und wo Dinge nicht zugeordnet werden können, sind sie unbekannt. Insoweit wie die Wirklichkeit nicht temporär ist und keine ursächliche Verbindung hat, ist sie nicht als logischer Charakter definierbar, und kann darum auch vom Geist nicht erkannt und durch den Intellekt nicht beurteilt werden. Jetzt können wir nachvollziehen, warum er sich weigerte, diese Frage Nachiketas zu beantworten. Was soll man denn sagen, wenn solch ein armer Junge aus der sterblichen Welt in solch eine Begeisterung verfällt? Indra musste mehrere Hundert Jahre lang Brahmacharya üben, bevor er dieses Wissen von Prajapati mitgeteilt bekam. Er musste dazu vier Mal zu Prajapati gehen. Er gab nur zaghafte Erklärungen und unterwies Indra erst, als er sich in Brahmacharya übte. Die Upanishads werden nicht müde, immer wieder die Notwendigkeit eines Gurus zur Einweihung zu betonen. Außerdem bestehen sie darauf, dass ein Schüler ein Brahmacharya sein muss. An vielen Stellen der Upanishads scheinen Brahmacharya und Brahman nahezu identisch zu sein. Wo Brahmacharya ist, da ist auch Wissen das über Brahman. Brahmacharya ist ein bedeutungsvolles Wort. Am Anfang steht Brahman. Charya bedeutet so viel wie Verhalten, Veranlagung, Benehmen und Brahma heißt Wahrheit. Die Ausübung von Wirklichkeit ist Brahmacharya. Wenn man sich also im Einklang mit der Wahrheit verhält, dann ist man wahrscheinlich ein Brahmacharya. Und wie sollte man sich im Sinne der Wahrheit bei dem täglichen Einerlei als Brahmacharya verhalten? Die Natur der Wahrheit bedeutet ‚nicht-sinnliche‘ Existenz. Die Wahrheit ist kein spürbares Objekt. Man kann es weder sehen noch hören, schmecken oder berühren. Sie wird von keinem Sinnesorgan angerührt. Darum steht der Wunsch nach Sinnesobjekten im Widerstreit zur Natur der Wahrheit. Ein Brahmacharya kennt keine Nachgiebigkeit bzgl. der Sinne. Unsere gegenwärtigen tagtäglichen Aktivitäten stehen im krassen Gegensatz zum Verhalten eines Brahmacharya. Darum sind wir in jeder Hinsicht schwach. Wir sind unfähig richtig zu sehen, zu hören, zu berühren, zu gehen, zu sprechen und unfähig unser tägliches Mahl zu verdauen. Alles ist geschwächt, denn unsere Sinne verweigern die Gegenwart Gottes. Wenn wir ein Objekt sehen, verleugnen wir Gott, denn das Verleugnen Gottes und die Wahrnehmung eines Objektes sind bei uns ein und dieselbe Sache. Wenn wir einen Klang vernehmen, verleugnen wir Gott. Wenn wir schmecken, berühren, bei jeglicher Form sinnlicher Wahrnehmung findet eine unbewusste Absage an Gott statt. Brahmacharya wurde immer als Sinneskontrolle bezeichnet. Doch die Sinneskontrolle beinhalte nicht das ganze Brahmacharya. Es ist ein spirituelles Verhalten gegenüber Dingen, was selbstverständlich die Sinneskontrolle beinhaltet. Tagsüber, wenn die Sonne über unseren Köpfen steht, weiß man, dass die Dunkelheit vergangen ist. Doch der Tag ist nicht nur eine Abwesenheit von Dunkelheit, sondern er bedeutet auch ein inneres Aufleben, ein Kraftzuwachs, den wir mit dem Sonnenlicht erhalten. Auf diese Weise bedeutet Brahmacharya nicht nur ein Zurückziehen der Sinne von den Objekten, obwohl es so scheint. Es ist ein inneres positives Verhalten. Mit Brahmacharya wird man zu einem positiven Menschen mit einer Unabhängigkeit, die keiner Hilfe von außen bedarf. Man ist sich selbst genug. Das ist Brahmacharya. Viele Leute werden zu ‚Nobodys‘, wenn ihre normale Lebensarbeitszeit zu Ende geht. Niemand will diese Rentner bzw. Pensionäre mehr haben, denn sie verfügen über kein Eigenleben. Ihr ganzer Lebensinhalt war ihre Arbeit. Ihre Bedeutung war nicht innerlich. Die Bedeutung des Geldeintreibers, des Ministers, des Königs, des Offiziers oder des reichen Menschen ist unwesentlich, denn, wenn die Bedeutung schwindet, verlieren sie ihren Status. Der innere Wert ist das Positive, was man durch die innere Erneuerung erwirbt, durch die man erfüllt ist, selbst wenn man von niemandem angeschaut wird. Die Freude kennt dann keine Grenzen, selbst wenn man nicht mehr von der Welt gebraucht wird. Man ist nicht mehr abhängig. Dieses Positive drückt sich nach außen als Sinneskontrolle und Selbstbeherrschung aus, - atma-vinigraha. Auf diese Weise ist Brahmacharya ein Streben nach einer innerlich positiven Einstellung und gleichzeitig ein Streben nach der Unabhängigkeit vom Verlangen nach Objekten. Mit dieser Qualifikation kommt man erst zu einem Guru des Wissens. Man steigt nicht einfach irgendwann aus dem Auto, um urplötzlich einen Guru aufzusuchen. Sehr schwierig! Nun kann man verstehen, warum Yama nur widerstrebend darüber sprechen wollte.

Nachdem wir uns ausreichend vorsichtig mit der Schwierigkeit über die Annäherung zu diesem Geheimnis der Geheimnisse vertraut gemacht haben, wollen wir versuchen zu verstehen, was Lord Yama letzten Endes zu Nachiketas gesagt hat. Selbst als Yama zum eigentlichen Punkt der Frage kommt, beantwortet er sie nicht direkt. Er versuchte sich schrittweise zu nähern. Auf diese Weise nähert man sich bei allen Fragen der Wissenschaft oder der Kunst. Wenn man über ein Thema spricht oder einen Teilaspekt berührt, sollte man nicht gleich zu Anfang auf den Kernpunkt kommen. Das wäre für die Schüler nur schwer verständlich. Man sollte sich beim Unterricht der sokratischen Methode bedienen. Man begibt sich auf die Ebene der Schüler, verhält sich bescheiden, was die Schüler aufmerksam werden lässt. Wenn man spricht, nimmt man den Standpunkt der Schüler und nicht den eigenen Standpunkt ein. So erlangt man die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Wenn man die eigene Wichtigkeit und das eigene Wissen herausstellt, ist man weder ein guter Psychologe noch bei seinen Schülern sehr erfolgreich. Ein erfolgreicher Lehrer versteht seine Schüler, wobei er den Geist seiner Schüler sanft lenkt. So verhält sich auch Yama, indem er schrittweise auf die letztendliche Bedeutung zusteuerte, und den Geist Nachiketas systematisch vom Niederen zum Höheren führte, ein Prozess, der in einigen Versen der Katha Upanishad zum Ausdruck kommt.


Indriyebhyah para hyartha
Arthebhyasca param manah;

Manasas tu para buddhir
Buddher atma mahan parah;

Mahatah param avyaktam
Avyaktat purushah parah;

Purushan na param kincit
Sa kashtha sa para gatih.


Wir haben in Indien eine Logik, die man Arundhati-Darshana-Nyaya nennt. Mit Arundhati wird ein „bestimmter“ Stern am Himmel bezeichnet. Angenommen man möchte beschreiben, wo sich dieser der Stern am Himmel befindet. Auf Grund der vielen Sterne am Himmel, ist es kaum möglich den Ort genau zu bestimmen, selbst wenn man irgendwo hinzeigt. Wie geht man nun vor? Angenommen in der Nähe steht ein Baum. Man deutet auf den Baum. Dann fragt man z.B.: „Siehst du den Zweig des Baumes dort, der in nördliche Richtung zeigt?“ Die Antwort ist: Ja. „Siehst du den Stern direkt am Ende des Zweiges?“ Die Antwort ist wieder: Ja. „Siehst du den Stern rechts davon?“ Ja. „Siehst du das kleine Etwas daneben funkeln? – Das ist Arundhati!“ Auf direkten Wege hätte der Gesprächspartner den Stern niemals ausmachen können. Diesen Arundhati-Darshana-Nyaya Weg hat auch Yama gegenüber Nachiketas angewendet: „Was siehst du?“ „Eine Welt.“ „Lass uns im Augenblick die Welt aus Gründen der Bequemlichkeit annehmen.“ Doch wer kennt diese Welt? Die Sinne kennen die Welt. Wie darf man das Wissen um die Welt durch die Sinne beurteilen? Die Sinne sind in der Lage, Informationen über die Qualität der äußeren Dinge zu sammeln, die als Welt bekannt sind. Wie nehmen die Sinne die Informationen auf? Durch direkten Kontakt. Sie kommen mit den Objekten nicht in unmittelbare Berührung. Wenn man beispielsweise einen Baum nur von weitem anschaut, kommen die Sinne nicht mit ihm in Berührung. Entweder so und auf ähnlich Weise erhalten die Sinne ihr Wissen von den äußeren Objekten. Sie sind machtvoll, verfügen über eigene Kräfte, sie haben die Fähigkeit das Wissen vorhandener Objekte zu ergreifen, ohne mit ihnen in Berührung zu kommen. Wenn die Sinne schwach sind, wären die Erkenntnisse unvollkommen. Wenn die Sinne kraftvoll sind, wenn man die Augen eines Adlers hat, hat man eine klare Sicht der Dinge. Darum sollten die Sinne als wichtiger Aspekt im Erkenntnisprozess betrachtet werden. Doch die Sinne sind nicht von physischer Natur. Die Augäpfel sind nicht die Augen. Die Trommelfelle sind nicht die Ohren. Die Zunge stellt nicht das Geschmacksprinzip dar. Die Nase ist nicht das, was riecht. Das Prinzip hinter den Sinnesaktivitäten, d.h. die sinnliche Wahrnehmung unterscheidet sich von den eigentlichen Organen. Man kann die Augen öffnen, doch wenn der Geist zurückgezogen ist, sieht man nichts. Man kann sich auf irgendetwas konzentrieren und hört dabei nicht einmal einen Kanonenschuss. Die Sinne sind in Wirklichkeit keine physischen Organe. Dahinter steht etwas Anderes. Dieses wird als Artha oder rudimentäres Prinzip bezeichnet, was aus dem Sanskrit auch als die Tanmatras bekannt ist, die über der Sinneskraft stehen und aus denen die sinnliche Kraft begründet ist. Von der Welt sind wir zu den Sinnen gekommen, von den Sinnen sind wir zur Kraft gekommen, die sie begründet. Dahinter steht der Geist, denn wenn der Geist nicht funktioniert, können uns die Sinne keine Informationen zukommen lassen. Angenommen, der Geist funktioniert nicht einwandfrei; was geschieht dann? Man sieht Dinge, aber versteht sie nicht. Yama sagt: ‚der Geist steht über den Sinnen. Seine Bedeutung ist höher einzuschätzen als alle anderen Instrumente, die die Sinne ausmachen, und er ist auch höherwertiger als die Position oder der bestimmende Charakter eines äußeren Objektes.‘ Doch selbst wenn der Geist wach ist und der Intellekt nicht funktioniert, kann man die Dinge nicht richtig einschätzen. Man betrachtet dann die Objekte wie eine Kuh oder ein Schaf, die die gleichen Objekte wie wir sehen. Sie haben allerdings nicht die Möglichkeit wie der Mensch, die Vor- und Nachteile der wahrgenommenen Objekte zu beurteilen. Darum sollte der Intellekt höher als der Geist eingestuft werden.

Hier müssen wir innehalten, denn wir kommen nicht über den Intellekt hinaus. In der buddhistischen Psychologie wird der Intellekt als Vijnanadhara bezeichnet. Der Buddhismus bietet eine großartige Analyse für das Verstehen. Wir verstehen intellektuelles Verständnis nicht als eine statische Handlung des Bewusstseins in uns, sondern als ein Prozess direkter Verbindungen, die schrittweise, wie Bilder eines Films, aufeinander folgen. Im Kino sieht man nicht die Einzelbilder eines Films, sondern viele Bilder nacheinander, die wie ein kontinuierlicher Fluss ohne Unterbrechung ablaufen. Wenn man sich das Filmmaterial genauer anschaut, erkennt man, dass sich der Film aus vielen Einzelbildern zusammen setzt. In der Psychologie der Buddhismus heißt es, dass Vijnana ein dhara ist, d.h. ein ständiger Fluss augenblicklicher und eigenständiger Verbindungen, die nicht miteinander verbunden sind, sondern nur diesen Augenschein erwecken. Auf diese Weise besteht die Welt nicht von irgendwelchen Abfolgen von Objekten, sondern sie besteht aus den augenblicklich vorhandenen und verbindenden Kräften. Die Welt ist eine Momentaufnahme, Kshanika, sagt Buddha. Wir glauben, dass ein Baum beispielsweise ein festes statisches Objekt ist, dass ein Stein statisch und ein Gebäude statisch ist. Die Psychologie sagt: das ist nicht so. Bedingt durch unser Wissen scheinen sie, auf Grund der temporären Verbindungen oder Vereinigungen, und unter der Bedingung des Augenblicks eines Objektes, nur statisch zu sein. Der temporäre Charakter einer Sache ist dem Geist unbekannt, und darum missdeutet der Geist auf Grund einer seltsamen Aktivität, die in uns in Verbindung mit den momentanen äußeren Objekten stattfindet, diesen Augenblick als statisch und ewig. Wir wissen nicht, was wirklich in uns stattfindet. Die Geschwindigkeit der Geistesbewegung tritt manchmal unter den Bedingungen der Objekte auf, deckt sich mit ihren Strickmustern oder kooperiert irgendwie mit den augenblicklichen Objekten. Und weil sich diese Gleichmäßigkeit vorübergehend, für eine gewissen Zeit und zwischen zwei Augenblicken bzgl. der mentalen Funktionen und den damit verbundenen äußeren Objekten des Augenblicks festigt, scheint vor uns ein festes Objekt zu existieren, obwohl es nicht ewig sein kann. Auf diese Weise kann intellektuelles Wissen nicht als wirkliches Wissen betrachtet werden. Die Information ist eine Illusion, die durch einen Trick zu Stande kommt, bei dem uns, in einer gleichartigen Aktion oder in stillschweigender Duldung zwischen dem Objekt und den Sinnen, ein Streich gespielt wird. Yama sagt: ‚damit ist es nicht genug.‘

Es gibt ein höheres Wissen als das menschliche Verstehen. Diese höhere Intelligenz wird als Mahat-Tattva oder Mahat bezeichnet. Im Vedantischen wird es auch manchmal als Hiranyagarbha bezeichnet. Unter dem Dach dieser kosmische Intelligenz finden sich alle individuellen Intelligenzen. Dieses entspricht der allgemeinen Beschreibung; doch dieses ist nicht richtig, denn das Universale ist nicht nur eine Zusammenfassung von allem Individuellen. Viele dumme machen noch keinen Weisen. Selbst alle Individuen zusammen machen keinen kosmischen Geist. Die kosmische Intelligenz unterscheidet sich völlig von der mathematischen Zusammenfassung individuellen Verstehens. Das Wissen Gottes ist nicht nur eine Zusammenfassung von allem menschlichen Wissen. Wenn alle Lebewesen gleichzeitig husten, heißt das nicht, dass Gott einen großen Hustenanfall hat! ER hustet nicht, obwohl wir alle husten. Die Qualität ist der feine Unterschied zwischen kosmischer Existenz und dem individuellen Prozess. Man kann Individualität nicht als absolute Existenz schlechthin ansehen. Man kann sie nur als einen Prozess, ein Werden und nicht als ein Sein betrachten. Nur das Sein ist der absolute Zustand. Das Mahat oder die kosmische Intelligenz unterscheidet sich in ihrer Qualität vom individuellen Verstehen genauso, wie das Wissen im Wachzustand vom Gewahrsein im Traumzustand. Man kann nicht behaupten, dass das Wissen im aufgeweckten Zustand nur eine Sammlung allen Wissens der Traumzustände wäre. Es unterscheidet sich qualitativ völlig voneinander, darum ist man als Bettler im Wachzustand z.B. glücklicher als ein König im Traum. Das kosmische Wissen unterscheidet sich qualitativ vom menschlichen Wissen und steht darüber. Yama sagt: ‚Mahat-Atman oder Hiranyagarbha ist eine höhere Wirklichkeit als menschliches Verstehen, zu dem die menschliche Natur neigt.‘ Die Evolution ist mit der menschlichen Erfahrung noch nicht vorüber. Die Menschheit ist lediglich ein Bindeglied in der Prozesskette der Evolution(en). Man muss noch weiter zu Mahat hingehen. Doch selbst Mahat ist nicht vollkommen. Avyakta steht noch über ihm.

Avyakta ist jene geheimnisvolle, unbeschreibliche Vorbedingung für die Offenbarung aller Dinge, die als Prakriti, Maya, Avayakrita usw. bezeichnet wird, wobei all diese Begriffe nicht die wahre Bedeutung widerspiegeln. Die Vorbedingung, die Ursache hinter dem Erscheinungsbild dieses Universums ist Avyakta. Jede Folge hat ihre Ursache. Wenn, logisch betrachtet, das Universum eine Folge darstellt, dann muss es auch eine Ursache dafür geben. Dieses ist die Saat aller Dinge. Und jenseits dieser letzten Ursache befindet sich die ursächliche Ursache, die bewegungslose Bewegung, die Purusha.

Jenseits von Avyakta ist die Purusha. Das Purusha ist absolut. Was ist dieses Purusha? Den Begriff Purusha wenden wir für etwas an, das wahrhaftig IST, d.h. die Absolute Existenz. Wir können ES aber auch nicht als Existenz bezeichnen, denn ES ist weder existent noch nicht-existent. ES ist weder Sat oder Sein, noch Asat oder Nichtsein, sondern jenseits von beidem. Das Purusha ist Bewusstsein, wenn man ES überhaupt in dieser Art und Weise definieren kann. ES ist das Absolute Sein, das Sein allen Seins, das Wirkliche von allem, was wirklich ist, Satyasya satyam. ES ist nicht die Ursache des Universums, sonst wäre ES vergänglich. Darum wird ES als jenseits von Avyakta angesehen, was die Ursache aller Dinge darstellt. ES ist weder Ursache noch Folge. Wir verwenden ES in keine Richtung. Wir nennen ES nicht Sat; wir nennen es nicht Asat. Wir können ES nur erkennen, wenn wir ES sind. Darum sagte Yama, dass man ES nicht lehren kann. Wie kann man etwas lehren, dass man nur kennen kann, wenn man ES ist? Darüber gibt es keinen Unterricht. Es gibt darüber keine Lehren. Es gibt kein Wissen darüber, außer die tatsächliche Erfahrung oder Verwirklichung von ES.

Die Purusha wird nicht durch irgendeine Form der Mühe erreicht. Wenn wir etwas über Schwierigkeiten wissen, stoßen wir unvermittelt darauf. Normalerweise brauchen wir etwas Mühe, um irgendetwas zu erreichen. Wir bemühen uns um Objekte, doch ein normale Anstrengung hat wenig Sinn beim Bestreben um das Wissen der Purusha. Die Purusha ist weder irgendwer noch irgendetwas oder irgendwo. Der große Kommentator der Vedantatexte, Acharya Shankara, sagte, dass man ein Dorf oder eine Stadt über eine Straße erreichen kann, doch die Purusha ist weder ein Platz noch ein Ding oder eine Person. Wie sollte man sie da durch irgendeine Bewegung erreichen können? Man kann sich nicht einfach ins Auto oder Flugzeug setzen und zu ihr düsen. Ein Hinbegeben gibt es nicht. Ein Hinbewegen zu Gott, wobei Existenz und Gott identisch sind, ist nicht möglich. Wie soll man sich zur Existenz hinbewegen, wenn man ein Teil von ihr selbst ist? Wenn das Wissen der Purusha nicht mit einer physischen Bewegung im Raum verbunden werden kann, muss es mehr mit Erleuchtung als mit Besitzstreben zu tun haben. Göttliches Wissen ist kein Ereignis, das in der Zukunft, der Vergangenheit oder Gegenwart liegt, sondern es ist ewiges Sein. Es ist Ewigkeit schlechthin. Es ist Hier und Jetzt. Wie ist es? Dazu folgendes Beispiel zum Verständnis: Angenommen man träumt, man sei ein Schmetterling. Man schwebte durch die Lüfte, von Blume zu Blume, von Ort zu Ort. Man hätte jegliches Bewusstsein für das menschliche Dasein verloren. Was soll man tun, wenn man nun wieder eine menschliche Gestalt annehmen möchte? Muss man dann von Ort zu Ort oder von Blatt zu Blatt hüpfen? Was sollte man tun, um wieder die menschliche Gestalt anzunehmen, dessen Bewusstsein man verloren hat? Um ein Mensch zu werden, braucht der Schmetterling nicht von Ort zu Ort zu fliegen. Er muss nicht einmal daran denken. Er braucht überhaupt nichts zu tun. Er muss sich von allem lösen, was er ist, und sein Bewusstsein umbilden. Das Bewusstsein des Schmetterlings muss wieder reorganisiert, in menschliche Form gebracht, neu geordnet und in das menschliche Bewusstsein platziert werden. Das nennt man erwachen. In dem Augenblick, wo das Bewusstsein des Schmetterling umgebildet wird, so heißt es, erwacht man aus dem Traum und sagt: ‚Ich bin ein Mensch.‘ Hat man sich jetzt, in diesem Augenblick von der Stelle wegbewegt? Nein, es gab überhaupt keine Bewegung, und doch fand eine völlige Veränderung statt. Ähnliches geschieht auch, wenn man zu Gott geht, denn man steigt nicht in eine Rakete und fliegt einfach zum siebenten Himmel empor, sondern es verhält sich genauso wie bei dem Schmetterling, der zum Menschen wird. Nur der Bewusstseinszustand verändert sich, wo auch immer sich etwas aufhält. Es ist so, als würde man sich seines alten Zustandes entledigen, indem man sich hier und jetzt nur zu schütteln bräuchte. Darum ist die Purusha, die jenseits von Mahat und Avyakta ist, und die ewig und unendlich ist, tief in der Kammer des Herzens verborgen. Die Purusha kann nicht durch vorübergehende Aktivitäten erreicht werden, sondern durch eine Methodenform, die unbeschreiblich ist. Nachiketas! Es ist schwierig, dieses Wissen zu erreichen.