Ma‘s Krankheit

Wie schon erwähnt war Ma von August bis Dezember 1936, nur von Virajamohini begleitet, inkognito durchs Land gereist. In Etawah hatte sie leichte Magenbeschwerden bekommen. Als Virajamohini deshalb den Chirurgen Dr. Pitambar Panth, Leiter des städtischen Gesundheitsamtes, aufsuchte, brachte er Ma einige Medikamente. Sie empfing ihn freundlich, sagte aber, sie haben nicht das Kheyala, irgendwelche Medizin zu nehmen. Lächelnd fügte sie jedoch hinzu, falls sie einmal ärztliche Behandlung benötige, werde sie sich seiner Pflege anvertrauen.
      Anfang 1938 war Ma in Dehra Dun, von wo sie viele Reisen ins Bergland unternahm, obwohl sie zwei Monate lang ständig an Fieber litt. Viele Devotees baten sie, ihr Kheyala auf die Genesung zu richten, worauf sie lächelnd antwortete: »Was habt ihr gegen Krankheit? Sie stört mich überhaupt nicht. Alles ist Freude.« Doch das Fieber ängstigte die Devotees sehr. Die neue Gruppe in Dehra Dun, die Ma noch nicht so gut kannte, protestierte gegen Bholanaths Zögern, sie ärztlich behandeln zu lassen. Zuletzt beugte er sich dem allgemeinen Wunsch und willigte ein, Ma von dem angesehenen Dr. Shome behandeln zu lassen. Als dieses Thema besprochen wurde, fiel Ma ihr Versprechen an Dr. Panth in Etawah ein. Jemand hatte erfahren, daß Dr. Panth nun in der Nähe von Hardwar im Ruhestand lebte. Ma hatte daraufhin das Kheyala, nach Hardwar zu fahren und Dr. Panth aufzusuchen. Er freute sich, sie wiederzusehen, aber ihre Beschwerden betrübten ihn. Nur zögernd sagte er zu, ihr Medikamente zu verordnen: »Ich kann nur gewöhnliche Leute behandeln. Meine Medizin wird nicht wirken, wenn Du nicht das Kheyala hast, diese Krankheit zu beenden.«
      Vom ersten Tag der medikamentösen Behandlung an wurde Ma bettlägerig. Ihren besorgten Gefährten sagte sie lächelnd: »Die Krankheit möchte eine Weile bei mir bleiben. Ich schicke auch keinen von euch fort, nicht wahr? Ich bin nicht krank, aber wenn ich Medizin schlucke, dannn muß ich natürlich ›krank‹ sein, oder nicht?«
      Auf Dr. Panths Bitte zog Ma in der letzten Februarwoche in sein sehr geräumiges Haus am Ufer des Ganges, das sich bald mit Devotees zu füllen begann. Langsam fing Ma an, ein paar Schritte zu gehen. Ihre Krankheit und Genesung verliefen wie immer nach ihrem eigenen Muster, das keinen Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten erkennen ließ. Manchmal sah sie gesund aus, empfing Besucher und unterhielt sich ganz normal mit ihnen. Dann wieder sah sie müde und krank aus. Dem Arzt war das ein Rätsel, er war mit seiner Weisheit am Ende. Eines Tages bat sie Didi, ihr zum Mittagessen etwas von der Speise zu bringen, die für alle gekocht worden war. An diesem Tag war das Hauptgericht taker dal [zusammen mit unreifen Mangos gekochte Linsen], also ein sehr saures, herbes Gericht, absolut keine Schonkost für Kranke. Ma fragte Bholanath, ob sie diese schwerverdauliche Speise essen solle. Er spürte, daß es ihr Kheyala war und willigte ein. Dann bat sie ihn, sie zu füttern. Nachdem sie ein oder zwei Mundvoll davon gegessen hatte, sagte sie: »Ich werde Pitaji [dem Arzt] sagen, daß Bholanath mich aufgefordert hat, diesen Dal zu essen, und daß er mich eigenhändig gefüttert hat!«

Bholanath stimmte in das Lachen der anderen Anwesenden ein und sagte: »Natürlich, immer bin ich der Schuldige!« Aber nach dieser unpassenden Mahlzeit schien sich Ma ein wenig zu erholen. Als Dr. Panth erkannte, daß Medikamente nicht wirkten, bat er sie, sich selbst zu heilen. Eines Tages sah man Ma gewisse Kriyas ausführen. Ihre Gefährten meinten, sie habe nun vielleicht das Kheyala, der Krankheit endlich Lebewohl zu sagen. Ihr Zustand besserte sich ein wenig.
      Es war das Jahr der Kumbha Mela in Hardwar. Die Stadt wimmelte von Sadhus und Mahatmas. Täglich gab es Prozessionen zum Ganges. Bholanath führte oft Kirtangruppen durch die Straßen von Hardwar. Seine stattliche Erscheinung zog viel Aufmerksamkeit an. Etliche Fremde schlossen sich der Gruppe um ihn an. Oft hob er Bindu, einen kleinen Jungen, auf seine Schultern, so daß das Kind Vorsänger beim Kirtan sein konnte. Bholanath mochte Bindu besonders gern, weil er so eine schöne Stimme hatte. Die Kirtangruppe aus Delhi traf ein, um ihr besonderes Nama-Yajña in Dr. Panths Haus ›Peetkuthi‹ zu singen. Auf diese Weise beteten sie für Ma‘s Genesung.
      Zu Holi (Mitte März 1938) waren Haus und Hof des Peetkuthi von den Klängen des Nama-Sankirtan erfüllt. Sogar die Passanten auf der Straße fühlten sich angezogen. Ein Augenzeuge schreibt: »Der Kirtan brachte eine große Menschenmenge zusammen. Der Sadhu ließ seinen Danda [Stab] und sein Kamandalu [Wassergefäß] liegen, der Beamte vergaß seine Arbeit, der Bettler seine Bettelschale und der Normalbürger seine Geschäfte. Alle fühlten sich magnetisch angezogen. Ma betrat den Saal und trug durch ihre segensreiche Gegenwart zu den in herrlichem Rhythmus steigenden und sinkenden Wellen der Ekstase bei. Bholanath war immer im Zentrum des Kirtan, verstärkte die Begeisterung und feuerte ermattende Gemüter wieder an.«
      Die Elemente scheinen Kirtan zu lieben. Wenn große Menschenmengen Kirtan singen, regnet es immer in Strömen. Auch diesmal war es. Wegen des Sturms wurde das Tor zum Grundstück geschlossen. Nach einiger Zeit sah man Ma durch den Regen zum Tor eilen und es wieder öffnen. Sie sagte: »Pitaji, du bist ja ganz durchnäßt, komm herein, komm herein.« Man erkannte den Mann, für den Ma über den Hof geeilt war, als Maulana Talatuff Husain, einen Moslem-Devotee aus Dehra Dun, der sie auf die Nachricht von ihrer Erkrankung hin besuchen wollte.
      Der Kirtan endete mit Jubel, denn man sah, daß Ma ihr normales Strahlen wiedergewann. Einmal hatte sie der Gruppe gesagt: »Ihr alle erhaltet mit euren gottergebenen Gedanken diesen Körper gesund. Euer Nama-Japa ist dafür Medizin, und ein Kirtan ist wie eine Spritze zur schnellen Erholung!«