Sivanada Yoga


Sich auf den Lehrer einstimmen


Der Lehrer vermittelt dem Schüler die Theorie, bildet ihn aus und hilft ihm in seiner Praxis. Swami Sivananda erwartete nicht, dass der Schüler sich vorbereitete, bevor er zu ihm kam, also war er sowohl Acharya (der Lehrer) als auch Guru. Vielen war er vielleicht nur ein Acharya, der sie lehrte oder (was noch interessanter ist) einfach ein guter Mann, der sich um sie kümmerte. Viele kamen arm hierher, er kümmerte sich um sie. Viele kamen verzweifelt hierher, er gab ihnen Hoffnung. Viele wussten nichts mit sich anzufangen, er gab ihnen Arbeit. Er repräsentierte für verschiedene Menschen etwas anderes.

Der Guru führt eine ganz besondere Beziehung zu den Menschen – nicht im Sinne von über- oder untergeordnet, sondern anders. Ein Beispiel: Jemand war vom Leben enttäuscht, hatte seine Arbeit verloren, sein Geld, seine Familie, Frau oder Kinder und kam verzweifelt hierher und traf Swami Siva nanda. Als dieser Mann Swamiji anschaute, sah er, ohne ein Wort gewechselt zu haben, dass er all die für das Glück so wichtigen Dinge - Geld, Besitz, Frau und Kinder - nicht hatte und doch glückselig war. Dieser Mann dachte: „Entweder stimmt etwas mit ihm nicht oder mit mir.“ Also begann er sich zu allererst zu fragen, ob es ihm auch möglich wäre, unabhängig von all jenen Dingen glücklich zu leben und keine Enttäuschung zu erleiden.

Orthodoxer Tradition zufolge konnte man nicht einmal aus dem Elterhaus ziehen, ohne diese ganze Untersuchung des Lebens beendet zu haben, doch Swamiji sagte: „Komm her, wir werden herausfinden, was zu dir passt.“ Wenn man erst einmal zu den Füßen des Acharya gelangt ist, will man lernen. Solches Lernen ist unmöglich, wenn man nicht auch dazu fähig ist, sich auf den Lehrer einzustellen. Es ist nicht immer seine Aufgabe, das zu tun. Der Acharya mag, besonders wenn er auch ein erleuchteter Mensch (ein Jivanmukta) ist, in seinem höchsten Erbarmen auf deine Ebene herunterkommen, um dich zu lehren. Doch wenn man darauf beharrt, auf dieser Ebene zu verbleiben, mag er einen dort zurücklassen. Also muss man hier und da einen Versuch starten, sich auf die Wellenlänge des Acharya zu erheben, so dass man ihn verstehen kann.

Wie weiß man aber, dass man sich nicht auf der Wellenlänge des Lehrers befindet? Der Test ist ganz einfach. Sicherlich habt ihr alle mal mit eine kleinen Transistorradio gespielt. Man weiß, dass man nicht auf der exakten Frequenz eines bestimmten Senders ist, wenn es rauscht. Dasselbe passiert in einem. Der Meister sagt etwas und es entsteht ein Rauschen innen, ein seltsame Art inneren Widerstandes. Es ist nicht totale Ablehnung, sondern so etwas wie Knirschen in einem. Das bedeutet, dass man wahrscheinlich dem Lehrer gegenüber keine Ablehnung empfindet, doch ein wenig Anpassung ist angebracht, du bist nicht auf der gleichen Wellenlänge. Man kann weder ja noch nein sagen. Wenn der Lehrer einen also bittet, etwas zu tun und da dieser innere Widerstand ist, bedeutet das, ihr seid nicht auf derselben Wellenlänge und es ist ihm nicht möglich, mit dir zu kommunizieren. Es ist nicht sein Fehler und es ist auch nicht dein Fehler, aber irgendwo ist da ein Fehler.

Der Student, der also (orthodoxer Tradition zufolge) zu frühzeitig zum Meister geht, muss an sich arbeiten, um auf dieselbe Wellenlänge zu kommen. Wird das nicht getan, ist Kommunikation schwierig und Ausbildung unmöglich, wie großartig auch immer der Meister sein mag. Erinnert euch bitte daran, dass Krishna (den wir als Inkarnation Gottes verehren), Jesus Christus und Buddha nicht immer fähig waren, Erleuchtung seitens ihrer Schüler oder Menschen mit denen sie in Kontakt kamen, zu bewirken. Krishna musste sogar sogenannte Dämonen töten, weil sie niemals auf dieselbe Wellenlänge mit Krishna hätten kommen können. Auf dieselbe Weise konnte Jesus Christus Wind und Wellen anhalten, aber er konnte nicht jene ihn verfolgenden Rüpel aufhalten. Sind sie nicht auf derselben Wellenlänge, so ist es nicht möglich, sich mit ihnen zu befassen.

Auf dieselbe Wellenlänge zu kommen ist die erste Pflicht eines jeden Studenten, der ein Schüler/Aspirant werden möchte. Schüler (engl. disciple) bedeutet Disziplin und Disziplin bedeutet Studium, sich selbst fortwährend studieren. Man kam hierher aus eigenem Entschluss, man sah etwas Außergewöhnliches im Meister, das man in sich selbst nicht finden konnte, doch dieser Faktor wird schnell vergessen. Man kam hoffnungslos, verzweifelt, hilflos, in innerer Qual, weil man gespürt hat, dass man die Antworten auf die Fragen um das Leben, die in einem entstanden sind, nicht hatte und man hat gespürt, dass er sie haben würde. Das wird schnell vergessen und das innere Rauschen beginnt – wenn er etwas sagt, traut man sich nicht, nein zu sagen und man kann nicht ja sagen. Man muss es selbst studieren. Der Guru wird es nicht tun. Die Funkstation wird sich nicht selbst auf den Empfänger einstellen, obwohl Swami Sivananda das in seinem höchsten Erbarmen oft getan hat. Das war ein Wunder, ein außergewöhnliches Phänomen. Er ist oft auf unsere Ebene herunter gekommen, um uns allen zu helfen. Der Guru kommt nicht herunter, weil er Gesellschaft liebt, sondern um einen zu erheben, und wenn man sich weigert, erhoben zu werden, wird er einen spirituell dort lassen. Dann behandelte er einen als Armen, indem er ihn mit Lebensnotwendigkeiten versah – das, was man wollte! Dieser Prozess des Erhebens ist in der Bhagavad Gita wunderbar beschrieben:

tad-viddhi pranipatena pariprasnena sevaya upadekshyanti te jnanam jnaninas-tattvadarsinah (IV.34
)

„Wisse die Wahrheit von den Kennern der Wahrheit durch Demütigung vor ihnen, durch ihre Befragung und durch Dienen für sie.“

Drei Faktoren werden uns hier gegeben: Hingabe, Fragen und Dienen. Wenn der Student diese drei Faktoren in seinem Leben verkörpert, ist er befähigt, sich selbst wirksam zu studieren, sonst nicht.

Dem Guru zu dienen ist äußerst wichtig. Durch das Dienen lernt man, wie man sich auf die Wellenlänge des Gurus erhebt. Während man ihm dient, entdeckt man die Wellenlänge. Alles, was man tut, tut man auf bestimmte Weise, in einer gewissen Stimmung – der Acharya tut es anders. Es mag sogar seine persönliche Eigenart sein. Aber trotzdem wird man sich nicht auf seine Wellenlänge erheben können, wenn man nicht lernt, die Dinge, die man tut, auf seine Weise zu tun. Daher ist dieses Dienen wirksam. Es ist nicht so, dass der Acharya deinen Dienst benötigt. Swami Sivananda bemerkte oft: „Wenn ein Mann den Ashram und seinen Dienst verlässt, warten zwei weitere darauf zu kommen.“ Selbst wenn Swamiji uns spüren ließ, dass unser Dienst ein wichtiger Beitrag für die Mission war, schuf er uns damit eigentlich Möglichkeiten zu dienen und uns auf den Meister einzustellen, uns ihm anzupassen.

Das war wieder ein einzigartiges Merkmal Swami Sivanandas. Er arbeitete sehr hart daran, ein Übungsfeld für dein Talent zu schaffen und einem so dabei zu helfen, innerlich zu wachsen, so dass Kommunikation stattfinden konnte. Ich will Euch nur zwei Beispiele nennen. Ein junger Mann kam in den Ashram und sagte, dass das einzige, was er konnte, Papierproduktion war. Sofort veranlasste Swamiji, dass die erforderliche Grube gegraben und das Rohmaterial beschafft wurde. Er erhoffte von dieser Hüttenindustrie nicht, dass dadurch der Ashram mit dem notwendigen Papier versorgt werden würde! Doch das war, was der junge Mann brauchte. Und der Meister diente dem Schüler und half ihm zu wachsen. Die ersten Jahre hat Swami Sivananda während des Satsangs Musik nicht besonders gefördert. Dann schlossen sich dem Ashram aber ein paar Musiker an und ihretwegen organisierte er Musikstunden, kaufte die notwendigen Instrumente, gab ihnen einen Raum und so weiter. So hat sich das Sendegerät auf den Empfänger eingestellt! Ohne dies realisiert zu haben, wäre der Suchende noch immer nicht in der Lage, spirituelle Kommunikation zu genießen. Hat man dies realisiert, dann wird man dem Meister hingebungsvoll dienen und die Wellenlänge finden. In seinen Schriften, seinen Gesprächen und seinem eigenen Leben pries Swami Sivananda Guru Bhakti (Hingabe an den Lehrer) und Guru Seva (Dienst am Lehrer). Er diente der Menschheit unaufhörlich, weil er seinen Guru - Gott in allem sah. Er verehrte sogar seine Acharyas, von denen er alles gelernt hatte. Und vergötterte buchstäblich den Unberührbaren, von dem er die Kunst des Fechtens gelernt hatte.

Man konnte mit Swami Sivananda über alle möglichen Probleme, die man hatte, frei sprechen. Dieser Dialog konnte dann sehr viele Formen annehmen. Durch sein Wohlwollen stellte oft ein Besucher ‘deine’ Frage und man hörte Swamijis Antwort. Manchmal fand man sie in seinen Schriften, die er einen gebeten hat, abzuschreiben, herauszugeben oder nur zu lesen. Oft wurde eine unausgesprochene Frage nonverbal beantwortet.

Während all dessen entsteht eine aufrichtige Demut in einem. Man beobachtet, was der Meister sagt und tut. Man sieht, dass er in seiner Weisheit, seiner Tüchtigkeit und seiner Lebenseinstellung überragend ist. Probleme, die jeden verwirren, löst er ohne Anstrengung. Er triumphiert in Situationen, in denen man zusammengebrochen wäre. Ereignisse, die jeden überwältigen, bewegen ihn nicht. Das liegt in der Natur Swami Sivanandas. Wenn man all dies beobachtet, entsteht eine aufrichtige Demut. Diese Demut kann nicht gebildet oder erworben werden. Sie muss entstehen. Wünscht man sich, dieses Licht anzumachen, dann bläst oder fächelt man nicht. Der Schalter ist woanders und man muss jenen Schalter drücken. Im Falle aufrichtiger Demut liegt der Schalter auch woanders – nicht im Durchgehen der externen Bewegungen von Demut, sondern im Beobachten des Wunders, welches der Meister darstellt. Sonst wird einen der Demutsanspruch nur noch egoistischer machen.

Genau diese Demut wird zur Selbstaufgabe. Das innere Rauschen hört auf. Es entstehen Freude und Eifer im Dienst des Meisters. Man stellt fest, dass der Meister alles weiß und alles unendlich besser tut als man es könnte. Mit dieser Erkenntnis leert sich das Ego. Hingabe entsteht. Diese Hingabe kann nicht einmal beschrieben werden. Sie kann nicht gebildet werden. Man kann diese Hingabe nicht spielen. Obwohl man all diese Ausdrücke benutzen mag, ist es gut zu verstehen, dass der wahre Charakter von Selbstaufgabe jenseits jeglicher Beschreibung liegt. Man kann nicht heute verkünden: „Von jetzt an gebe ich mich dir hin.“ Das ist oftmals ein heuchlerisches Bekenntnis. Es läuft hinaus auf: „Ich will mich dir hingeben. Ich will jetzt all das tun, was du willst, so dass du für mich später alles tust, was ich von dir möchte.“ Wenn der Geist still ist, weil er weiß, dass der Meister alles weiß, wenn das Herz still ist, weil es sich nach nichts mehr sehnt und wenn diese wirksam umgekehrt und auf den Meister eingestellt werden, dann geschieht Hingabe. Es ist die wunderbarste Sache.

Swamiji betonte immer und immer wieder, dass der Schüler sich dem Lehrer hingeben sollte. Aber er erkannte, dass diese Hingabe weder vom Lehrer noch vom Schüler selbst erzwungen werden konnte. Es musste geschehen. Aber sogar hier ließ er es geschehen. Er schuf das notwendige Umfeld für die Ausführung der Hingabe. Zum Beispiel konnte er etwas erwähnen, was mit seinem Wunsch, eine Arbeit verrichtet zu sehen, zu tun hatte und dann eine Menge Alternativen verbreiten. Man wählte natürlicherweise und an der Wahl konnte er sehen, wo genau man stand – ob man arrogant oder nur eingebildet war, ob gleichgültig oder heuchlerisch demütig oder wahrhaftig demütig im Sinne von Selbstaufgabe. Gleichzeitig befähigte er jeden dazu, zu sehen, wo man stand, gab jedem eine Möglichkeit, sich selbst in dieser Situation zu studieren. Auf diese Weise war man fähig, das Ego und dessen Spiel zu entdecken. Wenn man die Hässlichkeit dieser Aktivität des Selbst entdeckte, entstand Hingabe in einem.

Wenn der Student sich dem Acharya gegenüber aufgibt, wird der Acharya zum Guru. Atmajnana oder Selbsterkenntnis geschieht gleichzeitig mit Selbstaufgabe. Hingabe ist eine der höchsten Erfahrungen. Jener Geist der Hingabe selbst wird zum Guru. Man ist befreit. Gnade fließt und überschwemmt das innere Wesen mit Licht. Alle Lasten fallen ab. Dies ist vielleicht das, was Weise meinen, wenn sie behaupten, dass der Guru Karma wegnimmt. Das Karma fällt ab und innen ist Freude und Frieden.