Göttliche Erkenntnis

 

Einleitung des Autors Swami Sivananda

Der Atman

Wonne ist die wahre Natur des Menschen. Der zentrale Faktor im Wesen des Menschen ist die ihm innewohnende Göttlichkeit.

Die wahre Natur des Menschen ist göttlich, aber durch seine niederen Tendenzen und den Schleier seiner Unwissenheit ist er sich dessen nicht bewußt. Der Mensch identifiziert sich in seiner Unwissenheit mit Körper, Geist, Prana und Sinnen. Wenn er all dies transzendiert, wird er eins mit Brahman, dem Absoluten, das reine Wonne ist.

Brahman, das Absolute, ist die vollste Realität und das vollständigste Bewußtsein. Das, worüber hinaus es nichts mehr gibt, das, was das innerste Selbst von allem ist, ist Atman oder Brahman. Der Atman ist das allen Wesen gemeinsame Bewußtsein. Ein Dieb, eine Prostituierte, ein Straßenkehrer, ein König, ein Spitzbub, ein Heiliger, ein Hund, eine Katze oder eine Ratte - sie alle haben denselben gemeinsamen Atman.

Es besteht ein scheinbarer, vermeintlicher Unterschied nur in Körpern und Geisten. Es gibt Unterschiede in Farben und Meinungen. Aber der Atman ist derselbe in allen. Wenn Du sehr reich bist, kannst Du ein eigenes Dampfschiff, einen eigenen Zug oder ein eigenes Flugzeug für deine selbstsüchtigen Interessen besitzen. Aber Du kannst keinen eigenen Atman haben. Der Atman ist allen gemeinsam. Er ist kein eingetragener Alleinbesitz.

Der Atman ist das eine unter den vielen. Er ist beständig unter den Formen, die kommen und gehen. Er ist das reine, absolute, eigentliche Bewußtsein aller bewußten Wesen. Die Quelle allen Lebens, die Quelle allen Wissens ist der Atman, dein innerstes Selbst. Dieser Atman, die höchste Seele, ist transzendent, unausdrückbar, unableitbar, undenkbar, unbeschreiblich, immer friedvoll und nichts als Wonne.

'Es gibt keinen Unterschied zwischen Atman und Wonne. Atman ist Wonne selbst. Gott, Vollkommenheit, Frieden, Unsterblichkeit und Wonne sind eins. Das Ziel des Lebens ist es, Vollkommenheit, Unsterblichkeit, Gott zu erreichen. Je näher man der Wahrheit kommt, desto glücklicher wird man. Denn die eigentliche Natur der Wahrheit ist tatsächliche absolute Wonne. Es ist keine Wonne im Begrenzten. Wonne ist nur im Unbegrenzten. Ewige Wonne kann nur aus dem ewigen Selbst empfangen werden.

Das Selbst zu kennen, bedeutet ewiges Glück und immerwährenden Frieden zu genießen. Selbstverwirklichung schenkt ewiges Sein, absolutes Wissen und ewige Wonne. Niemand kann ohne Selbstverwirklichung gerettet werden. Das Streben nach dem Absoluten muß unter Aufgabe des Liebsten unternommen werden, selbst des Lebens, selbst mit dem Risiko des größten Schmerzes. Auch wenn Du noch so viele philosophische Bücher liest, auf deiner Reise um die Welt Vortrag um Vortrag hältst, hundert Jahre lang in einer Höhle im Himalaya lebst und fünfzig Jahre lang Pranayama machst, kannst Du ohne die Verwirklichung des Einsseins mit dem Selbst keine Befreiung erlangen.

Die Bedeutung vom Moksha

Die Einheit des Selbst, die Einheit des Seins ist eine Realität, und die Verwirklichung dieser Realität ist Moksha.

Moksha ist das Einstürzen der Barrieren, die getrenntes Sein verursachen. Moksha ist der absolute Seinszustand, wo die Einheit des alles erfüllenden und alles durchdringenden Bewußtseins ebenso sicher erkannt wird wie eine Orange, die man in der Hand hält.

Moksha ist nicht das Erlangen von Befreiung aus einem faktischen Zustand der Bindung, sondern die Verwirklichung der Befreiung, die bereits vorhanden ist. Es ist Freisein von einer falschen Vorstellung von Bindung.

Die individuelle Seele fühlt sich gebunden durch die von der Macht von Avidya hervorgerufene Unwissenheit. Wenn die falsche, aus Täuschung entstandene Vorstellung durch das Erkennen des Atman beseitigt worden ist, wird der Zustand von Moksha bereits hier und jetzt, noch in diesem jetzigen Leben, verwirklicht. Er kommt nicht nach dem Tod.

Die Ursache der Täuschung ist der Wunsch im Menschen. Wünsche erzeugen Gedankenwellen, und Gedankenwellen verschleiern die wahre Natur der Seele, die wonnevoll, unsterblich und ewig ist. Wenn die Wünsche ausgelöscht sind, dämmert im Individuum die Erkenntnis Brahmans auf.

Die Erkenntnis Brahmans ist keine Handlung. Du kannst ebensowenig Brahman erreichen, wie Du Dich selbst erreichen kannst, es sei denn, Du erkennst Dich selbst. Das Wissen von Brahman ist absolut und direkt. Sie ist eine intuitive Erfahrung.

Vernunft und Intuition

Intuition taucht auf wie ein Blitz. Sie wächst nicht allmählich. Das unmittelbare Wissen durch Intuition vereinigt die individuelle Seele mit der höchsten Seele. Die Intuition läßt das Subjekt, das Objekt der Erkenntnis und den Vorgang des Erkennens im Absoluten aufgehen, wo es keine Dualität gibt. In der Intuition wird Zeit zu Ewigkeit und Raum zu Unendlichkeit.

Nur intuitives Erkennen ist höchstes Erkennen. Es ist das unauslöschliche, unendliche Wissen um die Wahrheit. Das Wissen, das durch die Sinne erlangt wird, ist Wissen um das Sichtbare aber nicht um Wahrheit.

Sinneswahrnehmung ist falsches Wissen, und Intuition ist richtiges Wissen. Atma-Jñana, Selbsterkenntnis, kann durch Intuition, und nur durch Intuition allein, erlangt werden.

Wenn der Verstandesmensch nicht Intuition entwickelt, bleibt er unvollkommen. Der Verstand hat nicht die Kraft, um in den innersten Bereich der Wahrheit vorzudringen. Der Verstand arbeitet im dualen Bereich, ist aber machtlos im Bereich der Nichtdualität.

Geist und Verstand sind endliche Instrumente. Die Vernunft ist endlich. Sie kann nicht in das Unendliche eindringen. Nur die Intuition kann in das Unendliche vordringen.

Wissenschaftliche Versuche zum Beweis des Unendlichen sind aussichtslos. Die einzige wissenschaftliche Methode hier ist die Intuition.

Meditation führt zu Intuition. Meditation ist der Schlüssel, um das Göttliche, den Atman, das in allen Namen und Formen verborgen ist, zu entfalten.

Der Vorgang der Meditation

Es gibt keine Erkenntnis ohne Meditation. Der Strebende durchforscht seine eigene Seele. Die Wahrheit wird manifest.

Durch regelmäßige Meditation wächst Du allmählich an Spiritualität. Die göttliche Flamme wird immer heller.

Meditation bringt Dir allmählich das ewige Licht und Intuition. Durch beständiges Üben von Konzentration und Meditation wird der Geist so durchsichtig und klar wie ein Kristall. Der Lärm des Strebens nach weltlichen Dingen wird umso leiser, je mehr man nach innen geht.

Es gibt Gesetze auf der neuen Ebene. Die Musik ist anders. Die Melodie ist sehr lieblich. Es herrscht ein ständiges Durchdrungensein von etwas Besserem.

Der Glanz spirituellen Erwachens verändert die Sicht, und man sucht hingebungsvoll nach dem, was wirklich dauerhafte Freude und auf lange Sicht Frieden bringt. Dadurch verringert sich auch das Streben nach materiellen und unmittelbaren Vorteilen.

Meditation führt mehr und mehr nach innen, vom Grobstofflichen zum Feinen, vom Feinen zum Feineren, vom Feineren zum Feinsten, dem höchsten Geist.

Wenn das Körperbewußtsein durch Meditation über den Herrn transzendiert wird, ist universelle Herrschaft erreicht. Alle Wünsche sind erfüllt.

Meditation ist der einzige richtige königliche Weg zur Erlangung von Unsterblichkeit und ewiger Wonne. Frieden und Wonne findet man nicht in Büchern, Kirchen oder Klöstern. Sie werden verwirklicht, wenn die Erkenntnis des Atman dämmert.

Warum viele Bücher lesen? Es hat keinen Sinn. Das große Buch ist in deinem Herzen. Schlage dieses unerschöpfliche Buch auf, die Quelle allen Wissens. Du wirst alles erfahren.

Schließe die Augen. Ziehe die Sinne zurück. Beruhige den Geist. Bringe die sprudelnden Gedanken zum Schweigen. Glätte die Wellen des Geistes. Tauche tief in den Atman, das Selbst, die höchste Seele, das Licht der Lichter, die Sonne der Sonnen. Alles Wissen wird sich Dir enthüllen. Alle Zweifel werden verschwinden. Alle geistigen Qualen werden aufhören. Alle heißen Diskussionen und hitzigen Debatten werden enden. Einzig und allein Frieden und Jñana werden zurückbleiben.

Alle Namen und Formen verschwinden in tiefer Meditation. Es herrscht das Bewußtsein unendlichen Raumes. Auch dieses vergeht. Es entsteht ein Zustand des Nichts. Mit einem Mal dämmert die Erleuchtung auf, Nirvikalpa Samadhi.

Die Wonne von Samadhi

Nirvikalpa Samadhi ist die Verwirklichung des Allerwertvollsten. In Nirvikalpa Samadhi wird die Wirklichkeit in ihrer Totalität intuitiv erfahren. Es ist die Erfahrung des Einsseins mit dem Absoluten. Du hast das Überbewußtsein Brahmans anstatt des Bewußtsein des Jiva, das aufgehört hat.

Die Fülle erfahren ist Samadhi. Es ist Freisein von Kummer. Es ist absolute Wonne.

Samadhi ist nicht das Verlöschen der Persönlichkeit. Es ist die Vervoll- kommnung der Persönlichkeit. In diesem Stadium höchster Erleuchtung wird die Einheit von Subjekt und Objekt fühlbar. Man sieht nichts anderes, hört nichts anderes und weiß nichts anderes. Erkenntnis führt direkt zur Erleuchtung. Sie verlangt nicht von dir, nach dieser Erleuchtung irgend etwas zu tun.

Wissen ist Sein. Wissen und Sein können nicht von einander getrennt werden. Chit und Sat sind ein und dasselbe. Wo absolutes Wissen und absolutes Sein sind, ist auch absolute Wonne. Die Wonne der Selbst- verwirklichung kann nicht mit Worten beschrieben werden. Ruhe, die von nichts berührt werden kann, höchster Friede, ohne jede Störung, ungetrübtes Licht und ungetrübte Wonne - das ist ein Schimmer von Selbstverwirklichung.

Sinnesvergnügen ist nichts, verglichen mit der Wonne von Meditation und Samadhi. Erhebe Dich aus dem Sinnenleben. Erwache und erkenne, daß Du der reine, unsterbliche Atman bist. Sieh den einen Atman in allen Wesen, und erlange Unsterblichkeit und ewige Wonne.

Höre alles über den Atman, die Seele. Dann verstehe den Atman. Dann reflektiere über den Atman. Dann meditiere über den Atman. Dann ver- wirkliche den Atman. Tat Twam Asi. Das bist du.

Du bist Atman! Atman ist du. Verwirkliche dies und sei frei. Nichts kann Dich an der Verwirklichung deiner wahren Natur hindern. Selbstverwirklichung ist keine Erfindung. Sie ist nur das Entdecken des Selbst. Sie ist das Erkennen des eigenen Selbst. Sie ist Bewußtheit.

Selbstverwirklichung ist nicht etwas, das neu erlangt werden muß. Du brauchst den Atman, das Selbst, nicht erreichen oder erlangen. Du bist in der Tat Atman, das höchste Selbst. Du mußt nur dein inneres Auge öffnen.

Die Vedantaphilosophie ruft den Menschen zu seiner Freiheit, seinem Ruhm und seiner Würde auf. Erkenne diese Quelle der Freiheit, die Wurzel der Wonne, und sei frei. Wonne ist in der Tat deine wahre Natur.

Wonne ist dein Geburtsrecht. Du bist der glorreiche Erbe unendlicher Wonne. Verwirkliche diese Wonne jetzt, in dieser Sekunde.

Suche nicht außen nach Licht, Frieden, Freude und Wonne, sondern schau nach innen. Moksha, die Rettung, ist weder im Himmel noch auf dem Berg Kailas. Der unerschöpfliche, höchste, göttliche Schatz, die Perle des Atman, ist tief in deinem eigenen Herzen verschlossen, in der Schatztruhe der Stille. Entdecke die wahre Wirklichkeit im Herzen deiner eigenen Subjektivität, in der Tiefe deines eigenen Wesens.

Maya und Geist

In Wahrheit gibt es keine Dualität. Jede Veränderung ist Täuschung. Vielfalt ist Illusion. Maya projiziert Vielfalt. Maya schafft Trennung, Trennung zwischen der individuellen Seele und der höchsten Seele.

Maya ist eine ungeheure täuschende Kraft Gottes. Maya ist die materielle Stofflichkeit dieser Welt. Maya ist die Quelle des physischen Universums. Diese Welt der Namen und Formen ist eine falsche Show, die durch die Tricks von Maya aufrechterhalten wird.

So wie ein an einer Seite brennender Stock die Illusion eines Feuerkreises, Alata Chakra, entstehen läßt, wenn er rasch bewegt wird, so verhält es sich mit der Vielfältigkeit der Welt. Maya täuscht uns.

Maya wirkt verheerend durch den Geist. Die Dinge, die wir überall um uns herum wahrnehmen, sind nur Geist in Form und Substanz.

Die Welt ist ein Produkt des Geistes. Die ganze Welt ist eine Erweiterung des Geistes. Das ganze Universum entsteht und existiert im Geist.

Nichts auf der Welt ist außerhalb des Geistes. Erde, Berge und Flüsse - das alles sind Bruchstücke des Geistes, die gleichsam außerhalb zu existieren scheinen.

Die Welt existiert nicht aus sich selbst. Sie wird nicht ohne die Hilfe des Geistes wahrgenommen. Sie verschwindet, wenn der Geist aufhört, zu arbeiten.

Es ist nichts anderes als die Einbildung, die die Formen von Zeit, Raum und Bewegung annimmt. Raum und Zeit bestehen nicht unabhängig von Brahman, dem Selbst, das Bewußtsein ist.

Es gibt keinen Raum ohne Zeit und keine Zeit ohne Raum. Raum und Zeit treten gemeinsam auf. Raum und Zeit bedingen sich gegenseitig. Sie sind unwirklich.

Zeit und Raum sind geistige Gebilde. Zeit und Raum sind geistige Projektionen, so unwirklich wie Träume. Sie mögen noch so wirklich scheinen, sie sind letztlich nicht real. Das zeitlose, raumlose Brahman ist die einzige Realität.

Brahman allein ist. Nichts anderes als Brahman glänzt als die Welt bunter Objekte, so wie Wellen das Wasser in viele Arten von Schaum, Blasen, usw. differenzieren. Brahman erscheint als die Welt, wenn es durch Geist und Sinne wahrgenommen wird.

Materie und Geist

Dieses ganze Universum ist der Leib Gottes. Diese ganze Welt ist Gott, Virat Svarupa. Diese Welt ist nicht eine Welt toter Materie, sondern lebendige Gegenwart. Die Welt ist eine Manifestation des Geistes.

Der grundlegende Irrtum aller Zeiten ist die Annahme, die spirituelle und die materielle Welt seien voneinander getrennt. Geist und Materie sind weder verschieden noch trennbar.

Materie ist Geist, der durch die Sinne wahrgenommen wird. Materie ist manifestierter Geist. Materie ist Geist in Bewegung. Materie ist die Kraft Gottes. Materie ist der dynamische Aspekt des statischen Gottes. Die Welt ist ein Ausdruck Brahmans, des Absoluten.

Diese Welt ist ein Schatten Brahmans. Sie ist ein Überfließen der Wonne Brahmans. Sie ist eine Emanation Gottes. Sie ist eine Manifestation Gottes. Sie ist eine Reflexion Gottes.

Die Welt ist erfüllt vom Glanz, vom Ruhm und von der erhabenen Größe Gottes.

Gott ist das eine Licht, das in mannigfachen Formen scheint. Er ist die eine Stimme, die in verschiedenen Sprachen spricht. Er ist das eine Leben, das durch jedes Atom in diesem Universum pulsiert.

Gott erfüllt überall. Gott ist auf gleiche Weise und in Fülle in allen Dingen enthalten. Die Welt ist ein Spiel Gottes. Gott, die Kette und der Schuß, ist mit der Welt verwoben.

So wie es keinen Unterschied gibt zwischen Gold und Schmuck, so gibt es auch keinen Unterschied zwischen Gott und dem Universum. Gott nimmt wahr. Er selbst ist die Wahrnehmung. Die Welt unterscheidet sich nicht von Gott. Gott ist in allem und außerhalb von allem. Es gibt keinen Ort, wo Gott nicht ist. Alles ist Gott, und es gibt nichts außer Gott.

Ist die Welt unwirklich?

In Wirklichkeit gibt es keine Welt. Sie ist eine bloße Erscheinung, wie die Schlange im Seil. Alle Namen und Formen sind unwirklich so wie der Schatten, wie das Wasser in der Fata Morgana und das Blau im Himmel.

Die Unwirklichkeit der Welt ist in letzter Analyse die Wahrheit. Aber im relativen Sein kann man sie nicht verleugnen. Empirisch gesehen ist sie sehr real.

Diese Welt ist nicht absolut unwirklich, denn Du nimmst sie wahr und fühlst sie. Sie ist auch nicht absolut wirklich, denn sie verschwindet, sobald Du Weisheit erlangst.

Diese Welt ist unwirklich. Für wen? Und wann? Nur für den befreiten Heiligen ist diese Welt unwirklich. Für den weltlichen Menschen ist sie eine feste Realität. Erst nach dem Erwachen wird der Traum unwirklich. Während Du träumst, ist der Traum für Dich sehr real.

Diese Welt ist unwirklich. Aber in welchem Sinne? Ist sie so unwirklich wie das Horn eines Hasen, der Sohn einer unfruchtbaren Frau oder der Lotus am Himmel? Nein. Sie ist nicht so fest oder wirklich wie Brahman. Im Vergleich zu Brahman ist sie unwirklich. Sie ist bloße Erscheinung.

Die Schöpfung ist das Sichtbarwerden des Herrn, der eins ist, als vieles. Atman, der von Natur aus eins und unveränderlich ist, scheint unzählige Gestalten angenommen zu haben. Brahman, das Absolute, manifestiert sich durch Formen als das Universum.

Das Rätsel des Bösen

Diese Welt ist die Offenbarung Gottes von Sich Selbst. Seine Wonne und Freude nimmt alle diese Formen an.

Alles Leben ist gleich. Das universelle Herz schlägt im geringsten Leben. Der Herr atmet in allem Leben.

So wie ein einziger Faden alle Blumen einer Girlande durchläuft, durchdringt das eine Selbst alle diese Lebewesen. Sieh dieses eine Selbst in allem. Diene allen. Liebe alle. Sei zu allen freundlich. Gib den Gedanken der Verschiedenheit auf.

Die Welt ist weder gut noch schlecht. Der Geist schafft Gut und Böse. Denken macht sie dazu.

Für den Guten ist die Welt voll von Gutem; für den Bösen aber ist sie voll Bösem.

Das Böse ist nicht in der Welt. Es ist im Geist. Der Mensch nimmt nur die Reflexion seines Geistes wahr. Wenn Du vollkommen wirst, wird die Welt Dir gut erscheinen.

Sieh immer den Herrn, in allem. Dann siehst Du nichts Böses. Dann siehst Du überall Gutes. Dann findest Du Frieden.

Die Einheit des Seins

Eine einzige Seele ist in allem. Es gibt eine einzige Menschheit. Es gibt eine einzige Bruderschaft. Es gibt eine einzige Atmanschaft. Niemand ist hoch. Niemand ist niedrig. Alle sind gleich. Nichtig sind die Unterschiede. Barrieren, die Menschen errichtet haben, müssen unbarmherzig eingerissen werden. Erst dann wird es auf dieser Welt Frieden geben.

Es gibt nur eine Kaste, die Kaste der Menschheit. Es gibt nur eine Religion, die Religion der Liebe. Es gibt nur ein Gebot, das Gebot der Wahrhaftigkeit. Es gibt nur ein Gesetz, das Gesetz von Ursache und Wirkung. Es gibt nur einen Gott, den allgegenwärtigen, allmächtigen, allwissenden Herrn. Es gibt nur eine Sprache, die Sprache des Herzens, die Sprache der Stille.

Alles Leben ist eins. Die Welt ist ein einziges Zuhause. Alle sind Mitglieder einer einzigen menschlichen Familie. Jedes Geschöpf ist ein organisches Ganzes. Kein Mensch existiert unabhängig von diesem Ganzen. Der Mensch macht sich unglücklich, indem er sich von anderen abgrenzt. Trennung ist Tod. Einheit ist ewiges Leben. Pflege kosmische Liebe. Schließe alles mit ein. Umfasse alles. Erkenne den Wert anderer. Zerstöre alle Vorurteile bezüglich Rasse, Religion und Natur, die Menschen von Menschen trennen. Erkenne die nichtdualen Prinzipien, die unsterbliche Wesentlichkeit in allen Geschöpfen. Schütze Tiere. Laß alles Leben Dir heilig sein. Dann wird diese Welt ein Paradies der Schönheit und ein Himmel des Friedens und der Ruhe sein.

Wenn ein einziger Atman in allen Wesen ist, warum haßt Du dann andere? Warum verspottest und mißbilligst Du dann andere? Warum gebrauchst Du harte Worte? Warum versuchst du, andere zu lenken und zu beherrschen? Warum beutest Du andere aus? Warum bist Du intolerant? Ist dies nicht der Gipfel deiner Torheit? Ist dies nicht schiere Unwissenheit?

Lerne, als Mitglied einer einzigen Familie zu leben. Meistere das Ideal einer einzigen menschlichen Gesellschaft. Lebe in Frieden in einer Welt. Alle sind Kinder Gottes. Die ganze Welt ist eine einzige Familie Gottes. Spüre dies. Verwirkliche dies. Sei glücklich.

Sieh das Eine in allem und alles in dem Einen. Fühle: »Ich bin alles«, und »Ich bin in allem«. Fühle: »Alle Körper gehören mir. Die ganze Welt ist mein Körper, mein süßes Zuhause«. Fühle: »Ich wirke in allen Händen. Ich esse in allen Mündern.« Fühle: »Ich bin das unsterbliche Selbst in allem.« Wiederhole diese Formeln geistig mehrere Male täglich. Wiederhole Om im Geiste, und fühle Einheit des Lebens, Einheit des Bewußtseins, wenn Du Fußball oder Tennis spielst, wenn Du trinkst und ißt, wenn Du redest und singst, wenn Du sitzt und gehst, wenn Du badest und Dich ankleidest, wenn Du einen Brief schreibst, wenn Du im Büro arbeitest, und wenn Du den Bedürfnissen der Natur nachkommst. Vergeistige jede Bewegung, jede Handlung, jeden Gedanken und jedes Gefühl. Verwandle sie in Yoga.

Yoga und Religionsausübung

Yoga ist das bewußte und andauernde Streben nach Selbstvervollkommnung. Das Ziel des Yoga ist das Ruhigstellen des Geistes, sodaß er ohne Verzerrung den hinter dem Geist verborgenen Atman widerspiegeln kann.

Zügle die Sinne. Beherrsche den Geist. Meditiere regelmäßig. Sei ein Yogi, sei ein Yogi, sei ein Yogi. Lebe das yogische Leben und verbreite die große Lehre.

Du hast vergessen, nach innen zu schauen, Dich innen umzuschauen, Innenschau zu halten, Dich zu konzentrieren und zu meditieren, und daher bist Du unwissend, Du bist in Dunkelheit verloren.

Gehe in dich. Schau nach innen. Versuche, deine Fehler zu beseitigen. Das ist das wahre Sadhana. Das ist das schwierigste Sadhana. Du mußt es um jeden Preis machen. Intellektuelle Entwicklung ist nichts. Sie ist einfacher.

Setze Dich drei bis sechs Jahre lang mit einem Wörterbuch in die Zentralbibliothek in Baroda oder die Imperial Bibliothek in Kalkutta. Du kannst deinen Verstand ausbilden. Aber um Fehler zu beseitigen, mußt Du viele Jahre lang sehr hart kämpfen. Viele tückische Gewohnheiten werden getilgt werden müssen.

Es gibt große Mandalesvars, die eine Woche lang über einen Sloka der Gita oder der Upanishaden Vorträge halten können. Ihnen gebührt Respekt, und doch sind sie bei den Menschen nicht beliebt, weil sie nach wie vor große Fehler haben. Sie haben nicht viel Innenschau gehalten. Sie haben nur ihren Verstand entwickelt. Wie ungeheuer schade!

Wahre Religion beginnt dort, wo der Verstand aufhört. Ein unreines Herz und ein dünkelhafter Verstand können den Geist von Religion nicht verstehen.

Religion ist die Manifestation des ewigen Leuchten des Geistes im Menschen. Die Hauptabsicht von Religion ist die Entfaltung des Göttlichen im Menschen.

Gebet und Meditation sind die Hauptsäulen der Religion. Ein Leben des selbstlosen Dienens und des Opfers mit regelmäßigem Gebet und Meditation ist die höchste Religion.

Religionsausübung ist das Üben von Rechtschaffenheit, Wohlwollen, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe und Reinheit. Der rechtschaffene Mensch ist der wirklich religiöse Mensch.

Die Schlüsselbegriffe von Religion sind: Sei gut. Tue Gutes. Sei rein. Sei freundlich. Sei mitfühlend. Diene allen. Liebe alle. Sieh Gott in allem.

Nur das Befolgen dieser Regeln wird den Menschen zum Bewußtsein der Einheit der Existenz und der Verwirklichung des göttlichen Geistes im Inneren wie im Äußeren erwecken.

Religion ist Leben. Leben ist Opfer. Es ist möglich, peinlichst genau religiöse Hingabe zu praktizieren und trotzdem in Herz und Verhalten sehr unreligiös zu sein.

Religion lebt, sie spricht nicht und stellt nichts zur Schau. Wirkliche Religion ist die Religion des Herzens. Das Herz muß zuerst gereinigt werden.

Der Pfad selbstlosen Dienens

Praktiziere die Religion des Herzens. Baue am Gebäude der Liebe. Selbstloses Dienen reinigt das Herz und öffnet es zum Empfang des göttlichen Lichts. Stürze Dich in selbstloses Dienen.

Tröste den Verzweifelten. Ermutige ihn, wenn er mutlos ist. Trockne die Tränen des Leidenden. Beseitige die Sorgen eines Menschen durch freundliche, liebevolle Worte. Bringe einen Menschen, der ohne Hoffnung ist, zum Lächeln.

Sei ein Licht für die, die sich verirrt haben. Sei Arzt und Pfleger für die Kranken. Sei Boot und Brücke für die, die ans andere Ufer der Furchtlosigkeit und Unsterblichkeit gelangen wollen.

Erfülle deine Pflicht nach besten Kräften, und überlasse alles Weitere Gott. Verrichte all deine Handlungen verhaftungslos in einem Geist des Opfers an das Göttliche. Dann werden Dich Handlungen nicht binden. Dein Herz wird gereinigt werden.

Vergeistige all deine Aktivitäten. Deine Augen mögen freundlich schauen, deine Zunge süß sprechen, und deine Hand sanft berühren. Sei so mitfühlend wie Buddha, so rein wie Bishma, so wahrhaftig wie Harischandra und so tapfer wie Bhima.

Nähre deinen Geist mit Gedanken über Gott, dein Herz mit Reinheit und deine Hände mit selbstlosem Dienen. Sei durchtränkt mit dem Gedanken an Gott mit einpünktigem Geist.

Gott hat das Drehbuch. Wir haben die Rollen, die wir spielen müssen. Spiele deine Rolle im Weltendrama gut. Aber verstricke Dich nicht darin. Richte deinen Geist fest auf die Lotusfüße des Herrn. Du wirst im Ozean göttlicher Wonne schwimmen.

Sei ohne Verhaftung an diesen sterblichen Körper aus Fleisch und Knochen. Wirf ihn irgendwo ab, wie eine Schlange ihre Haut abstreift. Entschließe dich, den Körper jederzeit aufzugeben. Werde absolut furchtlos.

Solange das geringste Deha-Adhyasa, Identifikation mit dem Körper, besteht, kannst Du keine Selbstverwirklichung erwarten. Lege kühnen Geist, Furchtlosigkeit und Mannhaftigkeit an den Tag. Triff den festen Vorsatz: »Ich werde sterben oder verwirklichen«.

Geburt und Tod, Bindung und Freiheit, Freude und Schmerz, Gewinn und Verlust sind geistige Gebilde. Transzendiere die Gegensatzpaare. Du bist nie geboren worden. Du wirst niemals sterben. Du bist immer das unsterbliche Selbst, Oh Prem ! Du bist in den drei Zeiträumen immer frei. Der physische Körper kommt und geht. Erkenne, Oh Prem, daß Du die lebendige Wahrheit bist.

Erkenne, daß Du immer untrennbar bist von dem einen Wesentlichen, das allen diesen trügerischen Namen und Formen und falschen schattenhaften Erscheinungen zugrunde liegt. Verwurzle Dich fest in Brahman, dem Licht der Lichter. Nichts kann Dich jetzt beeinträchtigen. Du bist unverwundbar geworden. Fühle dies. Fühle es intuitiv, wenn Du in tiefes Samadhi, die höchste Stille eintrittst, mein Kind!

Der Gott des Todes wird jetzt vor Dir erzittern. Auf dein Gebot hin scheint die Sonne, brennt das Feuer und weht der Wind. Auf dein Geheiß verrichten Indra, Prajapati, Agni und Varuna ihre jeweiligen Aufgaben. Du bist jenseits von Zeit, Raum und Ursächlichkeit.

Du brauchst vor Maya keine Angst mehr zu haben. Sie ist unter deiner vollkommenen Kontrolle. Stehe fest wie der Fels da drüben. Sei unerbittlich. Bewege Dich jetzt in der Welt wie ein Löwe, und erhebe die jungen kämpfenden Seelen aus dem Sumpf von Samsara. Verbreite Wissen um das Selbst. Teile es anderen mit. Sei allumfassend, liberal und universal, alles einbeziehend. Liebe alle. Sei zu allen freundlich. Weite dein Herz aus. Mache in deinem Herzen Platz für alle, auch für den, der plant, Dich zu vergiften, oder der den Dolch zieht, um Dir die Kehle durchzuschneiden. Werde ein praktischer Vedantin. Werde ein Kriya-Advaitin.

Vertraue auf dein Selbst, deine innere geistige Stärke. Steh auf deinen eigenen Füßen. Sei unabhängig von Geld, Freunden oder irgend jemandem. Wenn die Freunde auf die Probe gestellt werden, werden sie Dich im Stich lassen. Buddha traute nicht einmal seinen Schülern. Wenn er ernstlich krank war, hüpfte er selbst wie ein Frosch, um Wasser aus dem Fluß zu trinken. Binde Dich an niemanden, keinen Ort und kein Ding. Habe nicht den Wunsch nach Besitz. Besitz bringt Leid. Werde absolut frei durch die Identifikation mit dem inneren Selbst, deinem inneren Lenker, werde unsterblich. Nimm es jetzt mit der ganzen Welt auf.

Erhebe dich, Oh Prem! Folge mir. Genieße die Wonne des Atman. Der Fluß der Freude des Atman fließt überall. Eine Flut von Wonne ergießt sich aus dem Selbst. Trink diesen Nektar nach Herzenslust. Kümmere Dich nicht um die Welt. Geh deinen Weg. Laß andere Reichtum horten, Millionäre und Fabrikanten werden. Sie sind nur unglücklich. Laß andere Rechtsanwälte, Richter und Minister werden. Sie bleiben doch unwissende Menschen. Kümmere Dich kein bißchen darum. Der Reichtum der drei Welten ist nichts, bloßes Stroh, verglichen mit dem spirituellen Reichtum, dem Reichtum von Atma-Jñana. Die Freude der drei Welten ist ein bloßer Tropfen, verglichen mit dem Meer der Wonne des Selbst. Das Wissen aller weltlichen Wissenschaften ist bloße Streu, verglichen mit dem Wissen um das Selbst. Hier liegen die unbezahlbaren Schätze des Atman für dich. Hier ist der unerschöpfliche Reichtum von Brahma-Jñana. Genieße diese Reichtümer. Kein Dieb oder Räuber kann Dir diesen unvergänglichen Reichtum an Tattva-Jñana rauben. Keine Zahlungsunfähigkeit, kein Bankirrtum und kein Bankraub sind hier möglich. Nimm Besitz von diesem spirituellen Schatz, dem Glanz Brahmans, und frohlocke für immer und ewig. Du bist nun ein wirklicher König unter Königen, Schah unter Schahs und Kaiser unter Kaisern. Indra und Brahma werden Dich nun beneiden, Oh Prem! Geh und verteile diesen unzerstörbaren Reichtum an Wissen um das Selbst nah und fern. Gepriesen seist du! Friede sei mit Dir für immer und ewig!