Samadhi Yoga

Einleitung

Was ist Samadhi?

Geist und Atem sind wie Milch und Wasser. Raja Yoga5 ist die Kontrolle des Geistes. Wer ein vollkommener Yogi werden möchte und den wundervollen Samadhi erleben will, muss Geist und Atem kontrollieren. Er muss beständig Yoga üben und die Regeln beachten. Er muss die fünf Tattvas6 ganz und gar überwinden.

Nirodha7 (Geisteskontrolle) führt zu Jnana8. Nirodha (das Zur-Ruhe-kommen der Gedanken) ist der Höhepunkt von Sankhya9 und Yoga. Nirodha liegt allen Sadhanas10, allen spirituellen Übungen zugrunde. Die Kontrolle des Geistes ist der Wesenskern aller Verehrung. Sie ist Jnana (Erkenntnis) und Dhyana11 (Meditation). Das höchste Ziel wird durch Kontrolle des Geistes erreicht. Der Geist muss komplett von den Dingen abgezogen werden. Der Geist muss der Welt entzogen werden bis er sich im Herzen auflöst.

Atman12 oder Brahman13 ist dein unsterbliches Selbst. Es ist die einzige, strahlende Wahrheit. Nur wenn du den Atman erfahren hast, kannst du Vollkommenheit erreichen. Schon in diesem Leben kann dir Vollkommenheit beschieden sein. Der Atman will als dein innerstes Wesen durch Samadhi erkannt und erfahren werden. Nur wenn du diesen Atman kennst, der die endgültige Wirklichkeit ist, der Vollkommenheit ist, dann wird dein Leben sinnvoll und wahrhaftig. Wer den Atman, die innere Vollkommenheit, erkennt, überschreitet alles Leiden und ist frei. Wenn du diesen Atman nicht erkennst, ist das ein großer Verlust für dich.

Samadhi ist kein bloßer emotionaler Enthusiasmus oder ein erhabenes Gefühl. Er ist die einzigartige direkte, intuitive Erfahrung der Wahrheit, des absoluten Bewusstseins, der endgültigen Wirklichkeit. Er ist jenseits jeglichen Gefühls, jeglichen wilden Pochens im Herzen, jeglichen „Kicks“. Im Samadhi existiert vollkommenes Bewusstsein, welches man nicht ausdrücken kann und das kein Gefühl beschreibt. Der Schüler ist dann in seinem Zentrum verankert – dem Ziel seiner Suche –  und er erfährt absolute Freiheit, Unabhängigkeit und Vollkommenheit.

Genauso wie ein Mensch besorgt nach einem Fluchtweg aus einem Haus sucht, das in Flammen steht, sollte ein Schüler das brennende Verlangen haben, sich aus dem Feuer von Samsara14 (Kreislauf von Geburt und Tod) zu befreien. Nur dann wird es ihm gelingen, in tiefe Meditation und in Samadhi einzutauchen. Der Geist wird zu Brahman (dem Absoluten) selbst, wenn er gereinigt und in den Samadhi-Zustand gebracht wird. In Samadhi gibt es keine Wahrnehmung von Dualität mehr, der Ursache für Angst. Avidya15 (metaphysische Unwissenheit) existiert in Samadhi nicht.

Samadhi verankert dich im Atman (dem höheren Selbst). Durch Samadhi geht das endliche Selbst im Unendlichen auf, im vollkommenen Bewusstsein. In Samadhi gibt es keine mentalen Spannungen. Es herrscht absolute Stille, vollkommene Ausgeglichenheit. Der Geist ist völlig stillgelegt. Samadhi folgt auf Meditation. Tiefe Meditation ist Samadhi. Ein Geist, der mit vollendeter Disziplin in intensiver Kontemplation ausgestattet ist kann in Nirvikalpa Samadhi16 eintauchen.

In Samadhi zieht sich der gereinigte Geist von den äußeren Dingen zurück, er schaut nach innen und konzentriert sich auf das innerste Selbst, den Atman. Er löst sich auf im Atman, seiner Quelle, und wird zum Atman selbst. Er nimmt die Form des Atman an, genauso wie der Kampfer selbst zum Feuer wird.17 Das Wissen von Brahman bzw. Atman ist eine echte Erfahrung und keine bloße Kenntnis. brahma vid brahmaiva bhavati („Brahman zu kennen bedeutet Brahman zu werden“) – so lautet die eindringliche Erklärung der Upanishaden18.

In Samadhi erfährt man Offenbarung, Einsicht, Intuition. Das Jnana Chakshus19 (innere Auge des Wissens) bzw. Divya Chakshus20 (innere Auge des Lichts) geht auf. Das dritte Auge der Weisheit öffnet sich von selbst, wenn Brahmakara Vritti21 (Gedankenwelle des in Brahman-Aufgehens) aufsteigt. Der aus Samadhi-Erfahrung geborene Weise ist in seinem eigenen Selbst verankert. Er ist mit kosmischer Vision und transzendentem göttlichen Wissen gesegnet.

Solange du in Samadhi Nishta22 verweilst gibt es nur Brahman, das Absolute. Nirantara Samadhi23 bedeutet nicht, blind dazusitzen; es ist vielmehr eine Lossagung vom Anhaften am physischen Körper und das Erkennen der individuellen und der höchsten Seele als eins, sowie das Wissen, dass der Praktizierende selbst Paramatman24 (das Höchste Selbst) ist und es bedeutet, dann aus diesem Wissen heraus zu handeln.

Samadhi ist das Erlöschen oder die Integration des Geistes. Wo er auch hinschweift, überall nimmt er das eine Selbst wahr. Weder Selbst-Entsagung noch Selbsterkenntnis reicht aus, sondern es ist die Koexistenz von Selbst-Entsagung und Selbsterkenntnis, die den Nirantara-Samadhi bildet. Selbsterkenntnis ist Brahma-Nishtha25. Wer sie erreicht hat, hat keinen Körper mehr.

Der Zustand, in dem der Geist frei von Eindrücken ist heißt Mukti26 (Befreiung). Mit Vishaya27 ist die Aktivität der Sinne gemeint. Darum ist der Zustand, in dem der Geist nicht verbunden ist mit den Sinnen oder mit seinen eigenen Aktivitäten und Funktionen, d.h. mit Hoffen, Angst etc., Mukti. Ohne Verbindung zu Brahman kann der Geist sich nicht von den Sinnen lösen. Wird der Geist eins mit Brahman ist das Mukti. Es ist der Nirvishaya28-Zustand.

Die individuelle Seele wird zur Höchsten Seele. Das ist Mukti. So wie Salz, das man mit Wasser mischt zu Wasser wird, so wird schließlich der Geist, wenn er sich mit Brahman verbindet zu Brahman selbst. Wenn der Geist zu Brahman wird, schmilzt auch diese Welt, die eine Schöpfung des Geistes ist dahin und geht in Brahman über, wird Brahman selbst. Darum wird „All dies ist Brahman“ nur für denjenigen erlebbar, der diese Nishtha29 geübt hat.

Der Vedanta30-Philosophie nach führt das Auflösen von Avidya, der Unwissenheit, zu Samadhi. Laut Patanjali31 erreicht der Schüler Samadhi, wenn er durch Übung und Disziplin den Griff der Prakriti32 entfernt.

Der Vedantin33 sich an der ewigen Wonne und der natürlichen Leichtigkeit des Sahaja Samadhi34. Er bleibt ein Sakshi35, ein stiller Zeuge. Er unternimmt keinen bewussten Versuch, den psychischen Strom oder den Gedankenfluss zu kontrollieren. Er ruft die Brahmakara Vritti, den Gedanken an Brahman, durch Meditieren über die Bedeutung des „Tat Tvam Asi“ Mahavakya36 hervor.

Das Chitta37 (das Denken) wird zu Brahmakara Vritti transformiert. Alle anderen Formungen des Geistes hören auf. Diese Vritti (Gedanke) beseitigt die Unwissenheit, stirbt dann selbst ab, und Brahman erstrahlt in dem Moment wo der Suchende seine wahre Identität erkennt. Wenn diese Vritti beständig ist, erreicht man die höchste Form von Samadhi, Nirvikalpa Samadhi. Wenn sie phasenweise besteht, erlangt der Weise Savikalpa Samadhi38.

Samadhi ist für den Jnani39 mühelos und spontan. „Yatra yatra mano yaati tatra tatra samdhaya“ – wo der Geist auch wandelt erlebt er Samadhi. Er weilt immer in Samadhi. Es gibt kein „in Samadhi“ und „nicht in Samadhi“ für den Weisen. Er erlebt Samadhi beständig und ohne Anstrengung. Daher nennt man es Sahajavastha oder Sahaja Samadhi. Er erfährt Freiheit, Wonne und Frieden in jedem Augenblick seines Lebens. Er trinkt den Nektar der Unsterblichkeit schon in diesem Leben.

Der auf Raja Yoga (der Beherrschung der Gedanken) beruhende Samadhi ist analytisch und unterscheidend. In diesem Samadhi wird die Betonung vermehrt auf die Unterscheidung von Prakriti (Urnatur, Schöpfung) und Purusha40 (Bewusstsein) gelegt. In Jnana Samadhi dagegen bedarf es keinerlei Unterscheidung. Brahmakara Vritti, hervorgerufen durch das Bestreben, mit dem Höchsten Selbst identisch zu werden (Brahma Chintana = Erkenntnis, Bewusstsein von Brahman), zerstört Avidya (Unwissenheit) und löst sich dann von selbst auf.

Hindernisse auf dem Weg zu Samadhi

Seid mutig, Freunde! Wenn ihr es angeht, den Geist zu kontrollieren und in Samadhi einzutauchen, werdet ihr auf verschiedene Hindernisse stoßen. Ihr müsst Laya (geistige Trägheit), Vikshepa (Abgelenktsein), Kashaya (Leidenschaft) und Sukharaga (Vergnügungslust) bezwingen.

Laya, geistige Untätigkeit, ist ein schlafähnlicher Zustand. Er ist eine ebenso große Quelle für Schlechtes wie die Leidenschaft. Weckt den Geist aus Laya auf. Selbst wenn ihr Trägheit und Abgelenktsein schon durch wiederholtes Üben, durch Vairagya41 (Leidenschaftslosigkeit) und Jnanabhyasa42 (Bemühen um Erkenntnis)  überwunden habt, wird der Geist dennoch nicht in einen Zustand perfekter Ausgeglichenheit und Ruhe eintreten. Er wird in einem Zwischenstadium sein. Er ist da immer noch nicht frei von Raga43, dem Anhaften, das der Same für alle seine Aktivitäten im Außen. Immer noch lauert die Leidenschaft, versteckte Vasanas, auch Kashaya (Wünsche). Ihr müsst den Geist wieder und wieder mittels Vichara44 (Unterscheidung, Hinterfragen) zurückziehen, gründlich meditieren und Samprajnata Samadhi45 bzw. Savikalpa Samadhi (höheres Bewusstsein, aber noch dualistisch) üben. Lasst euch schließlich in euch selbst, in Asamprajnata46, dem samenlosen Samadhi (Nirbija Samadhi)47 ruhen.

Es ist dir nicht möglich, in Samadhi einzutreten, weil du nicht meditieren kannst. Du kannst nicht tief meditieren, weil du den Geist nicht fokussiert halten kannst, dich nicht konzentrieren kannst. Und du kannst dich nicht richtig konzentrieren, da du kein gründliches Pratyahara, den Rückzug der Sinne von den Dingen, zu praktizieren vermagst. Praytahara kannst du nicht mit Sorgfalt üben, weil du über die Asanas48 und das Prana noch keine Meisterschaft durch Pranayama49 erlangt hast und Yama (ethisch-moralische Grundregeln) sowie Niyama (Regeln im Umgang mit sich selbst), das Fundament des Yoga, noch nicht verwirklicht hast.

Ein Schüler, der Samadhi erreichen möchte braucht Geduld wie der Vogel Tittibha, der den Ozean mit seinem Schnabel zu leeren versuchte. Fasst man erst einmal den festen Entschluss, kommen Götter zu Hilfe, in gleicher Weise wie Garuda50 Tittibha zu Hilfe eilte. Hilfe kommt immer, von allen Wesen, wenn eine rechte Tat vollbracht wird. Sogar die Affen und die Eichhörnchen halfen Rama51, Sita52 zu retten.53 Wer Selbstkontrolle besitzt, Mut, Tapferkeit, innere Stärke, Geduld, Ausdauer, Kraft und Geschicklichkeit kann alles erreichen. Gib niemals dein Streben auf, selbst wenn sich dir unüberwindbare Schwierigkeiten in den Weg stellen.

Wenn dich Gelüste piesacken, versuche, Vairagya (Verhaftungslosigkeit) zu erlangen, indem du dir die Unvollkommenheiten äußerer Freuden klar machst. Pflege Gleichgültigkeit gegenüber äußerlichen Genüssen. Denke daran, dass Genuss Schmerz und andere Verwirrungen mit sich bringt, und dass nichts von Dauer ist. ziehe deinen Geist immer wieder von den weltlichen Dingen ab und richte ihn auf das unsterbliche Selbst oder ein Bild Gottes. Wenn der Geist zu einem Zustand der Gelassenheit gefunden hat, wenn er frei von Ablenkung und Trägheit ist, störe ihn nicht.

Du musst den Geist auch von den Freuden des Savikalpa Samadhi, auch Rasasvada54 genannt, abbringen. denn Rasasvada ist ebenfalls ein Hindernis. es verhindert, dass der Suchende Nirvikalpa Samadhi (reines Einheitsbewusstsein) erreicht. Einige Schüler fallen in eine falsche Zufriedenheit darüber, diese Freude erlangt zu haben, und hören mit ihrem Sadhana auf. Sie versuchen nicht mehr, den Nirvikalpa- Zustand zu erreichen.

Uddalakas Erfahrung

Der Weise Uddalaka schaffte es nicht, Samadhi zu erreichen, der einen in das wonnevolle Reich unveränderlichen Wirklichkeit führt, da sein Affen-Geist von einem Ast der sinnlichen Dinge zum andern fegte. Er setzte sich in Padmasana55 hin und tönte Pranava (OM) in hohem Ton. Dann begann er zu meditieren.

Er kontrollierte seinen Geist mit aller Gewalt. Unter größter Anstrengung trennte er seine Sinne von den Dingen. Er löste sich ganz und gar von den Dingen im Außen. Er verschloss die Zugänge zum Körper. Er verankerte seinen Geist in seinem Herzen. Sein Geist wurde so frei von allen Vikshepas (Ablenkungen). Er zerstörte alle Gedanken an Dinge so wie ein Krieger einen Feind, der wieder und wieder gegen ihn anstürmt, mit seinem Schwert erlegt.

Er sah ein strahlendes Licht vor sich. Er ließ Moha56 (Täuschung) fallen. Er durchlief die Zustände von Dunkelheit, Licht, Schlaf und Moha. Schließlich erreichte er den Zustand von Nirvikalpa Samadhi und erlebte vollkommene Stille. Nach sechs Monaten erwachte er aus seinem Samadhi. Er versank tageweise, monatelang oder sogar für Jahre in tiefen Samadhi, und dann erwachte er wieder.

Wie Yogis aus dem Samadhi wieder herabfallen

Sikhidhvaja versank in Nirvikalpa Samadhi. Er war so unbeweglich wie eine Steinsäule im Nirvikalpa Samadhi. Seine Frau (Königin Chudalai) brüllte wie ein Löwe. Das weckte ihn nicht aus Samadhi. Sie warf ihn auf und nieder. Der Körper viel herab, aber sein Bewusstsein kam nicht auf die Erde zurück. Dann konzentrierte sie ihren Geist und sie fand in ihrer yogischen Vision heraus, dass noch eine Spur von Sattva in seinem Herzen war, was bedeutete, dass noch Intelligenz in diesem Körper war und ihn am Leben hielt. So wie Blumen oder Früchte bereits im Samenkorn schlummern, verbleibt immer ein Rest Sattva, die Ursache der Intelligenz, im Herzen eines in Samadhi Versunkenen.

Darauf drang Chudalai in den feinstofflichen Körper des Königs ein und brachte den Teil, in dem das verbleibende Sattva57 lag, zum Vibrieren. Dann kehrte sie in ihren eigenen Körper zurück und sang die Sama Veda Lieder58. Schließlich kam Sikhidhvaja zurück in sein äußeres Bewusstsein. Nur durch das verbleibende Sattva werden Jivanmuktas59 zur äußeren Wahrnehmung der Dinge wiedererweckt.

Prahlada saß fünftausend Jahre lang in Nirvikalpa Samadhi. Gott Hari ließ seinen Panchajanya (Muschelhorn) ertönen, um Prahlada seine Ankunft gewahr werden zu lassen. Prahlada erlangte langsam wieder sein Bewusstsein auf der physischen Ebene. Langsam öffnete er die Augen. Prana (feinstoffliche aufbauende Energie) und Apana (feinstoffliche Energie aller abfließenden Prozesse) begannen, durch alle Nadis60 (Energiekanäle) zu fließen. Innerhalb einer Sekunde wurde der Geist grobstofflich und seine Augen, sein Geist, Prana und sein Körper begannen, in ihren jeweiligen Funktionen mit Leben zu strahlen.

Im Falle der Jivanmuktas existieren die reinen Vasanas (subtile Samen der Wünsche) wie ein versengtes Samenkorn. Sie werden nie mehr eine Wiedergeburt produzieren. Diese reinen Vasanas sind mit Sattva Guna61 (der Qualität der Reinheit) und Atma Dhyana (tiefer Meditation) verbunden. Sie existieren im Jivanmukta wie ein Vasana im Tiefschlaf. Selbst wenn tausend Jahre vergehen, sind diese reinen Vasanas schlummernd im Herzen der Jivanmuktas vorhanden, solange der Körper existiert und sie schmelzen langsam dahin. Nur durch diese reinen Vasanas werden Jivanmuktas zur Wahrnehmung der äußeren Welt erweckt.

Oh Mensch! Du bist umzingelt von den Flammen des Samsara (Kreislauf von Geburt und Tod) und der drei Feuer. Du wanderst in dem schrecklichen Wald von Moha. Der Geist-Tiger droht dich zu verschlingen. Du wirst von den sechs Dieben gefangen, jener Räuberbande, dem Arishadvarga62, d.h. von Gier, Zorn, Habsucht etc. die Schlange Asha63, das Verlangen, beisst dich. Schnell, finde einen Weg, zu fliehen. Gehe auf einen spirituellen Lehrer zu. Diene ihm voll Vertrauen und Hingabe. Erlange spirituelle Unterweisung von ihm. Folge ihr aufs Wort getreu. Befreie dich aus der Leibeigenschaft von Geist und Materie indem du Nirvikalpa Samadhi betrittst.

Pseudo Samadhi

Eines Tages, auf einer meiner seltenen Reisen,für die ich Ananda Kutir64 verließ, hielt mir ein gut gekleideter Herr, der neben mir im Zugabteil saß, eine Zeitung entgegen und fragte: „Swamiji, kennst du diesen Swami? Er machte unlängst eine Vorführung von Samadhi. Er ließ sich für ganze zweiundvierzig Tage in einer Kiste unter der Erde begraben und kam erst am dreiundvierzigsten Tag heraus, nachdem der Deckel geöffnet wurde. All das fand in der Gegenwart des zuständigen Finanzbeamten, von Universitätsprofessoren, Ärzten und anderen statt.“ Ich persönlich hatte die letzten zwanzig Jahre keine Zeitung mehr gesehen. Doch das Ereignis war so interessant, dass es jeden intelligenten Menschen und selbst Wissenschaftler fesselte. Ich sah in das Gesicht meines fragenden Gegenübers und sagte: „Nun, das ist kein echter Samadhi. Das ist nur Jada Samadhi (Leblosigkeit des Körpers); dieser Sadhu65 (Mönch) muss von dem einen oder anderen Kraut aus dem Himalaya erfahren haben und dessen Wirkung zuvor an sich selbst in mehreren Versuchen getestet haben. Samadhi ist kein Zustand, den man demonstrieren sollte und er kann auch nicht demonstriert werden. Nur Menschen, die ihr Herz gereinigt haben, Menschen, die eine enorme Hingabe zu Gott leben, können in diesen hohen Zustand des Yoga eintreten, und solche Menschen führen ihn nicht öffentlich zur Schau.“ Mein Mitreisender jedoch schien sein Interesse an der Geschichte nicht aufzugeben.

Ein anderes Mal zeigten mir Schüler eine indische Wochenzeitschrift mit dem Photo eines Südinders, der Samadhi ungefähr vierundzwanzig Stunden lang vorgeführt hatte, indem er sich unter der Erde vergraben hatte.

Ich möchte noch von einem weiteren lustigen Ereignis schreiben, das einen Jugendlichen betrifft, der zu mir in den Ashram kam um spirituell zu praktizieren. Eines Tages schloss er die Türen zu seinem Kutir (Hütte), setzte sich in eine einfache Asana66 und begann Trataka67, Konzentration und Meditation über ein Bild von Narayana68. Sein Atem ging automatisch die unteren Lungenflügel hinauf und er saß über vierundzwanzig Stunden lang da wie ein Baumstamm. Sein Fehlen in der Ashram-Küche und auf dem Gelände weckte Aufmerksamkeit und die Ashramiten69 hielten es für ratsam, die Türen zu seinem Kutir aufzubrechen, nachdem alle anderen Wege, sie zu öffnen fehlgeschlagen waren und kein noch so lautes Rufen ihn aus seinem Schlaf erwecken konnte. Als man die Türen geöffnet hatte, fand man ihn dort im Sitzen mit ganz leichter Atembewegung um die Nasenflügel. Ab und zu zuckten die Augenlider und sein Kehlkopf bewegte sich alle paar Sekunden auf und ab. Kein Lärm, kein Schreien vermochte den Jungen zu wecken und sein ganzer Körper schien taub, mit Ausnahme der vorher genannten Lebenszeichen. Ich schlug dann einem der Ashramiten vor, ihm die Brücke zwischen den beiden Augenbrauen ein wenig nach unten zu drücken, auf dass seine Konzentration abgesenkt werde. Das hatte auch den gewünschten Effekt. Der Atem wurde regelmäßig, der Junge öffnete die Augen und schaute wie ein gerade aus zwanzig Jahren Schlaf erwachter Rip Van Winkle in alle Ecken des Raumes. Im Alltag konnte ich keine Spur von Sat-Chit-Ananda70 (Sein-Wissen-Wonne, höchste Verwirklichung) an ihm ausmachen, weder in seinen Worten noch in seinem Tun und Gebaren. Diesen Vorfall sehe ich mich gezwungen hier wiederzugeben, damit der Leser verstehen möge, dass dieser Junge auch damit anfangen könnte, sich für ein paar Stunden in einer Kiste vergraben zu lassen und Vorführungen zu machen.

Manchmal begibt sich so jemand in einen kataleptischen Zustand, einen Zustand erstarrten Lebens, in dem alle gewöhnlichen Anzeichen für Leben aussetzen. Seinen bewusstlosen Körper legt man dann auf die scharfen Kanten zweier Sensenblätter, eines an seinen Schultern und das andere unter seinen Fußgelenken. Dann wird ein enormer Felsbrocken, der mehr als einen Zentner wiegt, auf ihn gelegt und mit einem Vorschlaghammer in Stücke geschlagen. Wenn der Körper darunter hervorgeholt wird, gibt es keine Zeichen von Schnitten oder Quetschungen. Manchmal werden Pfeile durch den Körper gestoßen, nur ein wenig oberhalb des Herzens, bis sie auf der Rückseite wieder herauskommen. Die Kehle wird mit einem Messer durchbohrt und die Brust mit einem Dolch. Wenn man die Waffen entfernt gibt es kein Zeichen einer Wunde. Der Vorführende kann die Wunde bluten lassen und wieder aufhören lassen zu bluten, ganz nach seinem Willen. Derartige erstaunliche Kunststücke mögen in den Zuschauern Staunen und Bewunderung auslösen. Doch derartige Heldentaten haben nichts mit wahrem Yoga zu tun. Sie sind kein Zeichen dafür, dass der Yogi den höchsten Gipfel der Vollkommenheit oder Erkenntnis erreicht hat. Ein wahrer Yogi kann solche großen Kunststücke machen, doch im allgemeinen geben nur Pseudo-Yogis derartiges nach Gaukelspielerart zur Schau. Ein echter Yogi bietet sich niemals an, solche Kunststücke in der Öffentlichkeit zum Besten zu geben.

Einmal hatten es sich ein paar Sannyasins71aus Benares in den Kopf gesetzt, einen Yogi zu testen. Sie hatten gehört, dass er Samadhi erfahren hatte und da sie die Shastras (Schriften) kannten, wussten sie, dass einer der Brahman erkannt hatte alles wusste, und so gingen sie zu ihm, um ihn zu testen. Der Yogin bestand den Test ohne weiteres. Die Sannyasins fragten ihn danach, wie ein Schuh gemacht wird. Der Yogi zeigte ihnen die Methode, wie man näht und dabei den Faden durchbeißt etc. und führte ganz richtig vor, was ein Schuhmacher tut. Man muss hierbei bedenken, dass der Yogi selbst von Beruf kein Schuhmacher war, und es kann auch nicht davon die Rede sein, dass er die Art und Weise, einen Schuh zu reparieren so minuziös beobachtet hätte. Sie fragten weiter „Wie schmecken Fäkalien?“ Er antwortete: „Es schmeckt wie Zwiebel.“ Dann nahmen sie ein Kraut aus dem Wald und befragten ihn nach dessen Namen, Verwendung etc. Er gab ihnen sofort eine richtige Antwort. Ich würde diese Begebenheit hier nicht erwähnen, ginge es nicht darum, zu beweisen, dass einer, der wahrhaft in Samadhi eingetreten ist, Wissen von allem hat und noch dazu im Detail. Er kennt alle Sprachen und kann in allen Sprachen reden. Er versteht alle Sprachen. Er kennt alle Wissenschaften.

Ein vedischer Spruch:

„kasmin tu bhagavo vijnate sarvam idam vijnatam bhavati –[muṇḍaka-upaniṣad 1.3]

Wenn ein Aspirant den Bhagavan72 in seiner Meditation oder von Angesicht zu Angesicht sieht, wird er sich alles in diesem Universum bewusst.

Er kennt auch die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, da er über die drei Zustände hinausgegangen ist und auch den vierten Zustand – Turiya73 – gesehen hat.

Samadhi ist die höchste Frucht des Yoga. Durch Selbstreinigung, durch das Ausmerzen aller schlechten Gewohnheiten und Samskaras74 (Eindrücke im Unterbewusstsein), durch das Nähren guter und frommer Eigenschaften, durch Yama und Niyama, Asanas, Pranayama, Pratyahara, Dharana75 und Dhyana, gleich einer stetigen Kerzenflamme, versucht ein Sadhaka (Übender) einen Blick auf Samadhi zu erhaschen, der dann durch wiederholte Versuche zum täglichen Erlebnis für ihn wird. Und dann beginnt er allmählich, eine innere Freude zu fühlen, seine frühen Morgenstunden dafür zu nutzen, dieses süße Ambrosia zu trinken, bevor er auf die Ebene seiner gewöhnlichen Pflichten zurückkehrt. Und wie er so fortschreitet, verlängert er auch sein Leben dabei. Und wenn er schließlich spürt, dass er lange genug auf dieser Ebene gelebt hat, verlangt er danach, für immer in Samadhi einzutreten um nie mehr in das Leben der Sterblichen und ihr Reich zurück zu kehren. Sein Atem zentriert sich im Brahmarandhra76 und der Körper wird absolut leblos. So alleine zurückgelassen verwest der Körper mit der Zeit. Darum ist es auch Brauch in einigen Gegenden des Landes, den toten Sannyasin (Mönch) mit einer Kokosnuss auf den Kopf zu schlagen und dabei den Schädel aufzubrechen, bevor der Körper in einem Mausoleum beerdigt wird. Denn man glaubt allgemein, und das stimmt auch, dass Sannyasins Samadhi praktizieren und ihr letztendliches Ableben wird als der Übergang in Mahasamadhi77, den Höchsten Samadhi, angesehen.

Der Leser muss sich bewusst sein, dass Samadhi der Höhepunkt der spirituellen Suche eines Menschen ist. Ebenso wenig wie man den Reichtum der Minen von Goconda schätzen kann, kann die spirituelle Fülle dieses höchsten Zustandes von keinem bemessen werden. Es ist ein Zustand, in den der glückliche Sadhaka, wenn er ihn einmal betreten hat, versucht sich immer mehr zu versenken. Es ist der Akshaya Zustand, der Zustand jenseits des Todes.

Mein Ziel mit diesem Buch „Samadhi Yoga“ ist, Schülern und Suchenden sowie Hunderten von anderen Lesern ganz klar die wahre Bedeutung von Samadhi aufzuzeigen, und ihre Augen für die hypnotisierenden Fallen zu öffnen, die von vielgepriesenen Samadhisten ausgelegt werden. 

Ich wünsche euch allen göttlichen Zugang in diese Schatzkammer himmlischen Wissens.

                                                    Swami Sivananda