Wichtig zum Verständnis von Tantra, der Kundalini-Erweckungsphänomene wie auch für die Wirkung der Yoga-Praktiken ist eine Kenntnis der Feinstoffphysiologie, also des Astralkörpers. So wie der physische Körper Organe hat, hat der Astralkörper die Chakras genannten Energiezentren. So wie der physische Körper Leitungssysteme wie Blutgefäße, Lymphgefäße und Nerven hat, hat der Astralkörper Nadis genannte Energiekanäle. Und so wie im physischen Körper Blut, Lymphe und Nervenimpulse zirkulieren, so zirkuliert im Astralkörper die Lebensenergie Prana.
Das Konzept der 3 Körper und fünf Hüllen kommt eigentlich aus dem Vedanta. Ein Verständnis dieses Konzeptes hilft aber für das Verständnis der Tantra Feinstoffphysiologie.
In der Vedanta Philosophie werden drei Körper (Shariras) und fünf Hüllen (Koshas) unterschieden. Sharira bedeutet auch „Träger“: Shariras sind die Träger der unsterblichen Seele (Atman, Brahman, Shiva, Purusha). Koshas sind die „Hüllen“, welche die Seele umhüllen und verhüllen.
Letztlich bestehen alle drei Körper, fünf Hüllen und sechs Schöpfungsebenen aus dem gleichen „Material“, der gleichen Energie, der gleichen Kosmischen Shakti. Auf der physischen Ebene schwingt die Shakti am langsamsten, auf der Kausalebene schwingt sie am schnellsten.
Als Analogie mögen die drei Aggregatzustände des Wassers gelten: Eis, Wasser und Wasserdampf bestehen alle aus dem gleichen Material, nämlich H2O. Dieses H2O schwingt aber bei verschiedenen Temperaturen in unterschiedlicher Intensität. Unter null Grad Celsius schwingt das Wasser sehr langsam. Daher werden die einzelnen Moleküle in einem Kristallgitter relativ fest gehalten. Das Wasser ist fest, also Eis. Ab null Grad schwingen die einzelnen Moleküle so schnell, dass sie nicht mehr in einem Kristallgitter gehalten werden können und sich relativ frei bewegen. Allerdings bleiben sie sich innerhalb der Reichweite der anderen Moleküle, also ist das Wasser flüssig. Ab zirka hundert Grad Celsius schwingen die H2O-Moleküle so machtvoll, dass sie gar nicht mehr zusammenbleiben und in alle Richtungen strömen. So wird Wasser zu Wasserdampf, also gasförmig.
Ähnlich besteht physische, astrale und kausale Materie letztlich aus der gleichen Energie, der Shakti. Je nachdem, wie schnell Shakti schwingt, bildet sie physische, astrale oder kausale Materie beziehungsweise Körper. Auf der physischen Ebene ist laut Einstein die Lichtgeschwindigkeit die schnellstmögliche Geschwindigkeit. Vielleicht ist es so, dass die Shakti sich in astrale Energie verwandelt, wenn sie schneller als Lichtgeschwindigkeit schwingt. Swami Vishnu-devananda erwähnte manchmal, dass alte Schriften verschiedene Geschwindigkeiten beschreiben: Vayuvega ist die Geschwindigkeit des Klanges in der Luft – also die Schallgeschwindigkeit. Tejasvega ist die Geschwindigkeit des Lichtes – also die Lichtgeschwindigkeit. Manovega ist die Geschwindigkeit der Gedanken in der Astralwelt. Und es heißt, dass Manovega ähnlich viel größer ist als Tejasvega wie Tejasvega größer ist als Vayuvega. Ob das nur als Analogie zu verstehen oder wörtlich zu nehmen ist, sei dahin gestellt.
Wichtig zu verstehen ist, dass physischer und astraler Körper räumlich nicht gänzlich verschieden sind. So wie Magnet- und Röntgenstrahlen feste Körper zu durchdringen vermögen und die Frequenzen der verschiedenen Radio- und Fernsehstationen gleichzeitig das gleiche Zimmer durchdringen, so befinden sich physischer, astraler und kausaler Körper an der gleichen Stelle.
An der gleichen Stelle wie die Brustwirbelsäule im physischen Körper befindet sich das Anahata-Chakra im Astralkörper. Die Chakras sind also nicht im physischen Körper, sie werden nach dem Tod durch Sezieren nicht auffindbar sein. Denn im Moment des Todes verlässt die Seele zusammen mit dem Astralkörper und dem Kausalkörper den physischen Körper.
Der physische Körper löst sich nach dem Tod auf. Im Astralkörper ist alles Wichtige aus dem letzten und allen vorhergehenden Leben gespeichert: Erinnerungen, gelernte Lektionen, Temperament, Neigungen, Fähigkeiten, Persönlichkeitsanteile und so weiter. Im Kausalkörper ist das weitere Karma gespeichert, also die künftigen noch zu lernenden Lektionen. Nach dem Tod verweilt die Seele mit dem Astralkörper eine Weile in der Astralwelt, bis sie sich wieder einen neuen Körper sucht, um sich dann in zwei Schritten (Empfängnis und Geburt) wieder in der physischen Welt zu inkarnieren. Die Spanne zwischen Tod und Reinkarnation kann zwischen wenigen Tagen bis zu Jahrhunderten oder Jahrtausenden dauern. Da auf der Astralebene Zeit anders erfahren wird, ist die physische Zeit, die während des Aufenthalts auf der Astralebene abläuft, letztlich unerheblich. Die Reinkarnation erfolgt, wenn die Seele dafür reif ist und ein passender Körper gefunden wird, der die richtigen karmischen Lektionen ermöglicht.
Jenseits der drei Körper, fünf Hüllen und sechs Schöpfungsebenen befindet sich das eigentliche „Ich“, das Selbst, das Bewusstsein, genannt Atman, Brahman, Shiva oder Purusha. Die Verwirklichung dieses Selbst ist das Ziel aller Leben. Dorthin will uns Shakti, Kundalini, bringen.
Einwände gegen die Theorie von Astralkörper und Kausalkörper kommen oft aus der Physik und aus der Hirnphysiologie. Da heißt es, dass menschliches Denken und Fühlen, letztlich jede bewusste und unbewusste Erfahrung des Menschen eine Manifestation des Gehirns sei.
Es gibt jedoch einige Indizien, die nahe legen, dass es Bewusstsein jenseits des Gehirns und Wahrnehmung jenseits der physischen Sinne gibt: In der Nahtoderfahrung ist der Mensch klinisch tot, es herrscht also Herzstillstand, und auch im Gehirn zeigt sich wenig Aktivität. Dennoch berichten Patienten nachher über lebhafte Erfahrungen, die nicht alle als nachträgliche Halluzinationen des Gehirns gedeutet werden können:
Es gibt inzwischen umfangreiche parapsychologische Forschungen auf diversen Gebieten, die Phänomene untersuchen, welche durch die bisherige Naturwissenschaft nicht erklärt werden können.
Noch eine kleine Anmerkung: Um Kundalini-Yoga gewinnbringend zu praktizieren, ist es nicht notwendig, an Astralkörper, Reinkarnation und so fort zu glauben. Meine Darlegungen können auch historisch-ideengeschichtlich verstanden werden. In zahlreichen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass sich durch die Praxis von Yoga Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit verbessern lassen und dass die Yoga-Übenden das Gefühl haben, mehr zu sich selbst zu kommen. Wer weiß, vielleicht findet die Hirnphysiologie sogar noch biologische Erklärungen für Kundalini-Erweckungsphänome, für Erfahrungen der Bewusstseinserweiterung, für außersinnliche Wahrnehmung, heilerische Fähigkeiten und die grenzenlose Liebesfähigkeit des Erleuchteten. Bis dahin allerdings halte ich die Erklärungsmodelle der Tantra-Philosophie für schlüssiger und zudem meinen eigenen Erfahrungen entsprechend.