Unwissenheit ist eine Illusion

  1. Ewige Weisheit, tiefster Frieden und immerwährende Wonne sind bereits in dir angelegt. Sie sind nur durch Unwissenheit verschleiert.
  2. Illusion kommt von Unwissenheit. Aus der Illusion entspringen Trennung, Unterschied, Dualität, Vielgestaltigkeit und Vielfalt. Zerschlage daher die Unwissenheit mit dem Schwert der Erkenntnis des Selbst und werde frei.
  3. Den Körper für die Seele zu halten, ist reine Unwissenheit.
  4. Unwissenheit verändert und begrenzt die einzelne Seele.
  5. Avidya Shakti (die Macht der Unwissenheit) existiert im reinen Atman (dem göttlichen Selbst). Das ist ein Mysterium.
  6. Ajnana, Unwissenheit, ist etwas Undefinierbares, aus dem heraus die geistige und die materielle Welt entstanden sind.
  7. Das eine wird für das andere gehalten. Die Eigenschaften des einen werden für die Eigenschaften des anderen gehalten. Das ist der Kern aller illusorischen Wahrnehmung.
  8. Unwissenheit ist tiefste Finsternis.
  9. Unwissenheit gleicht einem starken Betäubungsmittel.
  10. Die Ur-Unwissenheit entspricht der Ursünde.
  11. Unwissenheit ist das Gegenteil der Erkenntnis des Selbst und des absoluten Bewusstseins.
  12. Unwissenheit ist ein Laster.
  13. Vielfalt ist das Produkt der Unwissenheit, der Täuschung.
  14. „Ich bin der Körper“ – das ist Verhaftung; das ist Unwissenheit.
  15. Den Körper für die Seele oder den Atman zu halten, ist Dehatma-Bhranti (Dehatma = Körper; Bhranti = Täuschung).
  16. Sich mit dem Körper zu identifizieren, ist die größte Sünde.
  17. Unwissenheit ist die einzige wirkliche Geißel der Menschheit.
  18. Unwissenheit führt zu Leidenschaft, Hass und Furcht.
  19. Unwissenheit versperrt dir die klare Sicht, täuscht dich und setzt dich herab. Zerstöre sie.
  20. Das ewige alldurchdringende Brahman (das Allumfassende, Universelle) zeigt sich, wenn das Hindernis der Unwissenheit aus dem Weg geräumt ist.
  21. In dem Augenblick, da die Unwissenheit vertrieben oder die Dualität aufgehoben ist, erfährt man Moksha (Befreiung).
  22. Samanya Agni (Samanya = gleich, nicht-unterschieden, Gemeinsamkeit; Agni = Feuer) ist in Treibstoff und Holz vorhanden. Aber sein Feuer ist nicht zum Kochen zu gebrauchen. Es wird die Finsternis nicht vertreiben. Ebensowenig kann Samanya Jnana (Jnana = Wissen, Weisheit), das durch das Studium der Schriften des Vedanta erworben wird, die Finsternis der Unwissenheit vertreiben. Nur Vishesha Jnana (Vishesha = bestimmt, Unterschied), das man durch intuitive Selbstverwirklichung erwirbt, kann die Finsternis der Unwissenheit auflösen.

Gäste aus Südafrika:

1958 traf eine Gruppe Südafrikaner den Meister. Während sie über die Ableger der Divine Life Society in Südafrika sprachen, erwähnten sie, dass einige europäische Mitglieder großes Interesse an der Entwicklung der Tätigkeiten der Gesellschaft zeigten. Sie sprachen im Besonderen von einem jungen Europäer, der allem entsagt hatte und sich nun ganz für die Gesellschaft einsetzte.
„Er geht barfuß, rasiert sich den Kopf, trägt einfache Kleidung und nimmt sein Sadhana sehr ernst“, erzählten sie dem Meister.
„Warum schreibt er mir nicht?“, fragte der Meister. „Ich habe noch nie von ihm gehört.“
„Swamiji, in Südafrika denken wir, dass Eure Heiligkeit zu hoch ist und dass gewöhnliche Menschen wie wir keine Briefe an Euch schreiben sollten. Daher wagen wir nicht, Eurer Heiligkeit zu schreiben.“
„Ich bin nicht so. Ihr könnt mir getrost schreiben. Ich werde antworten und versuchen, euch zu helfen.“
Der Meister freute sich über die Offenheit der Gäste aus Südafrika und deren Offenheit im Umgang.
Er fragte sie: „Mischen sich die Europäer unter die Farbigen?“
„Kaum.“
„Kommen sie nicht zu euren Festen wie zum Beispiel Hochzeiten?“
„Doch, sie kommen. Einige von ihnen sind sehr gute Menschen.“
„Das Herz ist göttlich. So etwas wie ein europäische Herz oder ein nicht-europäische Herz gibt es nicht. Das Wesen des Menschen ist überall das gleiche.“

Mit deutschen Gästen:

Ebenfalls in den fünfziger Jahren kam eine deutsche Familie, um den Meister zu sehen. Eine Dame fragte ihn, ob auch Europäer im Ashram lebten. Als der Meister bejahte, fragte die Dame interessiert weiter: „Sind Deutsche hier?“
Der Meister durchschaute sofort, worauf sie hinaus wollte und antwortete: „Nein, im Moment nicht. Vor kurzem ist ein deutscher Besucher abgereist. Zwei Schwarze aus den USA sind zur Zeit hier. Haben Sie sie schon gesehen?“
Die Deutschen warfen sich verstohlene Blicke zu!
„Ich habe den Eindruck, dass Leute mit heller Haut keine Schwarzen mögen“, meinte der Meister. „Was aber bedeutet schon die Hautfarbe? Die Haut ist immer die gleiche, lediglich ein bisschen Farbe wurde etwas anders aufgetragen. Bei den Weißen wurde die eine Farbe benutzt und bei den Schwarzen die andere. Aber fließt nicht das gleiche rote Blut durch einen schwarzen Körper? Der gleiche strahlende Atman ruht in den Herzen der Schwarzen. Das ist die Wahrheit, die wir erkennen müssen.“
Nach einer kurzen Pause fuhr der Meister fort: „Äußerliche Unterschiede sind nichts als ein Spiel Mayas (der Illusion, der Täuschung). Sie führen zu Disharmonie, Abneigung und Hass zwischen den Menschen. Erst wenn ihr sie überwindet durch Unterscheidung und Erkennen der Wahrheit, die von Mayas Einfärbungen unberührt ist, könnt ihr wirklichen immerwährenden Frieden, Glück und innere Harmonie genießen.“

Mit einem Kanadier:

Ein kanadischer Aspirant, Joe Gnilka, war ein typisches Beispiel für diese Anschauung. In einem Gespräch mit dem Meister am 12. Dezember 1958 sagte er: „Diese Illusion ist mir immer noch ein Rätsel. Ich kann mich selbst nirgends fühlen. Wenn dies, das und überhaupt alles eine Illusion ist, welche Garantie gibt es dann, dass Brahman selber nicht auch Teil der Illusion ist? Man denkt, dass Brahman existiert, aber es könnte ein Irrtum sein. Es könnte auch nur eine Illusion sein.“
Der Meister wandte sich ihm mit einem Lächeln zu und sagte: „Das heißt aber, es existiert irgendein Wesen, das denkt, dass Brahman eine Illusion ist. Wer ist dieses Wesen? Wer ist dieser Denker, dieser Zweifler? Du musst zugeben, dass dieses Wesen existiert. Wenn du zweifelst, existierst du oder nicht? Du kannst deine eigene Existenz nicht leugnen. Diese Existenz, dieses Bewusstsein ist Sein; dieses Selbst ist die ewige Wirklichkeit, die höchste Wahrheit, die die Upanishaden Atman oder Brahman nennen.“

Gott in allem sehen:

In Gesprächen wandte sich der Meister stets jedem mit Respekt und Höflichkeit zu. Auch wenn er mit einem Kind sprach, rief er es „Aap ayiye“. Während seines Aufenthalts in Malaysia sprach er den tamilischen Lastenträger auf der Kautschukplantage immer mit „neengal“ an und niemals mit „nee“. Die Pronomen für die zweite Person „aap“ in Hindi und „neengal“ in Tamil werden benutzt, wenn man mit einem älteren Menschen oder einem Vorgesetzten spricht oder auch, wenn man Gleichgestellten besonderen Respekt erweisen möchte. Die entsprechenden Pronomen für Gleichgestellte sind „tum“ und „nee“, für Mindergestellte und Untergebene „tu“ und „nee“.
In dieser Hinsicht unterschied der Meister nicht einmal zwischen Mensch und Tier. Eine kranke streunende Hündin hatte einmal im Ashram Junge geworfen und die Hundebabies, alle sehr mager, lagen kreuz und quer auf der Terrasse. Als der Meister vorüber kam und die kleinen Hunde sah, bemerkter er völlig spontan auf Tamil und ohne darüber nachgedacht zu haben: „Ivalukkellam sappadu ille pole irukku – diese Leute haben anscheinend nichts zu essen.“

Die Einfachheit des Meisters:

Im Jahre 1938 las N. P. Kaliandasani, ein Hypnosearzt aus Kalyan, einen Artikel, in dem der Meister erwähnte, dass es sich nur um einen Trick handelte, wenn man Roti auf heißen Kohlen auf der Handfläche bäckt. Mit dem Wunsch, diesen Trick vom Meister zu lernen, machte sich Kaliandasani im August 1939 auf den Weg nach Rishikesh.
Der Hypnosearzt berichtete später: „Swamiji kannte mich nicht. Als ich bei ihm eintrat und mich vor ihm verneigte, legte er seine Hand auf meinen Fuß. Ich war so überrascht davon, wie dieser große Heilige unsere Begrüßung erwiderte, dass ich die eigentliche Motivation meines Besuchs vollständig vergaß. Sein Blick zwang mich, an die höheren Dinge im Leben zu denken. Meine Zunge sagte ihm schließlich, dass ich gekommen sei, um das Guru Mantra von ihm zu erhalten.“

Göttliche Sichtweise:

Im Verlauf eines zwanglosen Gesprächs mit einem seiner vertrautesten Schüler erklärte der Meister, warum er morgens so viel Zeit im Bad zubrachte.
„Zuerst verneige ich mich durch das Fenster vor dem Ganges, dann grüße ich den Himalaya. Ich grüße die Tür, das Fenster und die Kommode“, erzählte er dem verblüfften Swami Krishnananda, dem damaligen Leiter des Ashrams.
Der Meister fuhr fort, Strophe für Strophe aus Sanskrit-Versen zu rezitieren und zur Lobpreisung verschiedener von orthodoxen Hindus verehrten Gottheiten. All diese Hymnen, so sagte er, rezitiere er im Bad.
Unmittelbarer Ausdruck dieser Angewohnheit des Meisters, Gott in allem zu sehen, war die Tatsache, dass er es nicht ertrug, auch nur ein verletztes Insekt zu sehen. Wenn er im Ganges badete und ein Insekt im Wasser an ihm vorüber trieb, um sein Leben kämpfend, nahm er es sofort auf seine Handfläche und brachte es ans Ufer. Er teilte seinen Schülern ohne die leiseste Spur von Abscheu im Gesicht mit: „Selbst wenn ein Wurm oder ein Insekt in Exkrementen um sein Leben kämpft, würde ich es daraus befreien.“

Achtung vor dem Leben:

Als der Meister eines Tages von seinem Büro in sein Zimmer zurückkam, sah er eine Menge großer schwarzer Ameisen über den Weg krabbeln. Er versuchte, weiterzugehen, ohne sie zu verletzen. Es war unmöglich. Also kehrte er um und machte einen Umweg, um zu seinem Zimmer zu gelangen.

Samskaras auflösen:

Während des abendlichen Kirtan Singens sah der Meister einen Teilnehmer, der mit dem unteren Ende seiner Taschenlampe plötzlich einen Skorpion zerquetschte. Nach dem Kirtan fragte er den Besucher, warum er das Tier getötet hätte.
„Es sticht Menschen“, antwortete der Besucher.
Der Meister erwiderte: „Kannst du, indem du einen Skorpion tötest, die Menschen vor ihren Stichen retten, wo es doch Millionen von Skorpionen in diesem Land gibt? Es hat wahrscheinlich nur einige Sekunden gedauert, das Tier zu töten. Aber kannst du ihm sein Leben zurückgeben? Wenn du nicht die Macht hast, den Toten das Leben zurückzugeben, wie kannst du dann den Lebenden das Leben nehmen? Du bist der schlimmste Skorpion. Der Skorpion hat nur in seinem Schwanz Gift, du aber hast Gift in deinem ganzen Körper. Du bist erfüllt von Hass und anderem Übel. Du solltest in diesem Moment zerquetscht werden.“
Der Besucher war bestürzt und versprach dem Meister, nie wieder ein Tier zu töten.

Gott in einem Stier:

Es war der 4. Oktober 1948. „Was für ein schönes Häuschen! Dient es zu Meditationszwecken, Swamiji?“, fragte ein Besucher, als er in Richtung der Wohnräume des Meisters blickte, hinter denen am Flussufer eine kleine Hütte stand.
„Nein. Es ist kein Häuschen, wie du dir das vorstellst“, antwortete der Meister und führte den Besucher dorthin. Was aber entdeckte dieser im Innern der Hütte? Einen alten, ausgemergelten Stier, der im Sterben lag.
„Mein Gott!“, rief der Besucher aus.
„Du sagst es“, erwiderte der Meister. „Es ist dein Gott. Kannst du Gott in diesem Stier erkennen?“
Zwei Mitarbeiter des Ashrams kümmerten sich um den Stier. Am selben Abend noch starb das Tier trotz aller Pflege und wurde auf Anordnung des Meisters der Mutter Ganges übergeben, wobei das Maha Mantra gesungen wurde.

Mitleid mit Rattenbabys:

Im Jahre 1949 fand der Ashrambewohner, der sich um den Meister kümmerte, in einer Kommode ein von Ratten zernagtes Betttuch und darin vier neugeborene Rattenbabys. Sie hatten die Augen gerade erst ein wenig geöffnet. Er brachte sie zum Meister. Als dieser die Rattenbabys sah, wurde sein Herz von Mitleid ergriffen und es tat ihm sehr leid, dass sie gestört worden waren. Er bat den Bediensteten, sie sofort genau so wie er sie vorgefunden hatte, zurückzulegen, damit die Mutter sie nicht suchen müsse, wenn sie zurückkäme. Und so geschah es.
Nach ein oder zwei Tagen jedoch wurde die Mutter von einer Katze getötet. Bald darauf starben die Jungen ebenfalls. Als der Meister die toten Ratten sah, wurde er traurig und sang eine ganze Weile das Maha Mantra für den Frieden der entschwundenen Seelen, zusammen mit seinem Gehilfen.

Wahre Gottesverehrung:

Am Abend des 25. November 1949 bereitete R. Anantakrishna Sastri, ein bekannter Gelehrter, an der Ufertreppe des Ashram eine Zeremonie zur Verehrung des Ganges vor. Die Ufertreppe wurde ausgiebig geputzt und die Ashrambewohner und Besucher setzten sich bequem auf die sauberen Stufen. Auch der Meister war dabei. Sastriji und seine Frau begannen mit dem Ritual.
Der Meister schaute aufmerksam zu und sagte dann: „Ein Jahr lang täglich den Ganges so zu verehren wie jetzt hat die gleiche Wirkung wie eine Woche von ganzem Herzen einen Typhuspatienten zu pflegen – seine Wäsche zu waschen und seinen Nachttopf zu putzen. Solcher Dienst reinigt das Herz auf der Stelle und führt zu innerer Erleuchtung.“
Nach einem Moment des Nachdenkens fügte er hinzu: „Auch Krankenschwestern pflegen im Krankenhaus ihre Patienten, aber sie gelangen nicht zu innerer Reinigung, weil sie dabei nicht die richtige Einstellung haben.“
Da bemerkte der Meister, dass einige der Ashrambewohner sich an der Zeremonie beteiligten und dem heiligen Fluss Bael Blätter (Blätter der Aegle marmelos Pflanze, die in der traditionellen indischen Medizin wie auch in religiösen Ritualen eine wichtige Rolle spielen) darbrachten.
„Jeder einzelne von euch bringt dem Ganges lediglich seine eigenen Bael Blätter als Opfer dar. Wie großartig wäre es, wenn man fühlen würde, dass man die ganze Verehrung durch alle Hände darbringt! Wie viel wirkungsvoller wäre diese Verehrung dann!“, bemerkter er.

Rat für einen jungen Aspiranten:

Während der Indien-Tour des Meisters im Jahr 1950 kam ein junger frommer Mann aus Bihar in Sinhajis Haus mit dem Meister zusammen. Er hatte ein spezielles Problem. Der Meister gab ihm eine noch paradoxere Antwort darauf.
„Swamiji, ich bekomme keine Unterstützung für mein Sadhana von den Leuten bei mir zu Hause. Sie stellen mir immer Hindernisse in den Weg. Was soll ich tun?“, klagte der Aspirant.
Der Meister riet: „Verhalte dich wie der weltlichste Mensch. Zeige niemandem deine Frömmigkeit, deine spirituelle Geisteshaltung und deine Hingabe an Gott. Tu so, als seist du durch und durch weltlich gesinnt. Sie sollten nichts von deinen spirituellen Neigungen wissen. Dann wirst du keinerlei Widerstand von deinen Eltern erfahren. Aber innerlich musst du dich nach Gott sehnen. Du musst in deinem Sadhana konsequent sein. Du musst in aller Einsamkeit und Stille über deine Trennung von Gott weinen. Dann werden alle Schwierigkeiten rasch verschwinden.“

Ehrerbietung für Gandhiji:

Ein anderes Mal während seiner Indien-Tour war der Meister am Hinduistischen Theologischen Institut in Madras, wo er zu den Theologiestudenten sprechen sollte. Er bemerkte ein Portrait von Gandhi vor der Estrade. Es war reich geschmückt, denn es war Gandhis Geburtstag. In das Bild versunken, sagte der Meister: „Bapuji lächelt. Er sieht uns alle an und segnet uns. Auch er ist heute sehr glücklich.“
Nach dem Maha Mantra Kirtan begann er mit seinem Vortrag.

Hommage an Gandhi:

Am selben Tag sprach der Meister vor einer großen Menge in der Gokhale Halle und würdigte Gandhi mit folgenden Worten:
„Der 2. Oktober ist ein großer Tag in der indischen Geschichte. An diesem Tag feiern Menschen in ganz Indien und auch in anderen Ländern den Geburtstag einer großen Seele, eines Mahatma, eines Maharishi (großer Weiser) – Gandhis.
Die Feiern zu Ehren seines Geburtstags sollten sich nicht darauf beschränken, öffentliche Zusammenkünfte zu veranstalten und Vorträge über sein Leben zu hören. Die Feierlichkeiten bieten eine hervorragende Gelegenheit, sich sein beispielhaftes Leben ins Gedächtnis zu rufen und seine Lehren und Ideale anzunehmen. An diesem Tag solltet ihr euch an den großartigen Weg erinnern, den er ging, damit ihr auch das Ziel erreicht, das er erreicht hat. Was einer vollbringt, kann jeder vollbringen. Was Gandhi erreicht hat, könnt ihr alle erreichen. Ihr müsst dazu den Pfad des göttlichen Lebens gehen, den er gegangen ist. Einen Khaddar (Gewand aus grobem Baumwolltuch) zu tragen und „Mahatma Ghandi Ki Jai“ zu rufen, macht noch keine wahren Patrioten und Nachfolger Gandhis aus euch. Ihr müsst Wahrhaftigkeit und Ahimsa (Gewaltlosigkeit) leben, so wie er es getan hat. Ihr müsst jeden Tag in euch gehen und prüfen, wie weit es euch gelungen ist, Gandhis Lebensweise nachzuahmen. Macht ihr das?
Gandhi war nicht nur ein Patriot, sondern auch ein Heiliger. Sein politisches Engagement, sein Patriotismus und sein Einsatz für die Freiheit Indiens waren Teil seines Sadhana für die Selbstverwirklichung. Er war ein Maharishi. Er zeigte uns, wie man Freiheit und Vollkommenheit erlangen kann. Ziviler Ungehorsam war eine mächtige Waffe in seiner Hand, mit der er Indien zur politischen Freiheit führte. Ziviler Ungehorsam oder Verweigerung ist die älteste spirituelle Waffe, die die Weisen in Indien den Menschen beibrachten, um spirituelle Freiheit zu erlangen.
Kennt ihr diese Technik der Verweigerung? Es ist die Verweigerung gegenüber unserem Geist, dem niederen, unreinen Geist, der euch dazu bringt, alle möglichen schlechten Dinge zu tun. Wenn ihr die Herrschaft über euch selbst erlangen möchtet, dann verweigert euch diesem lasterhaften Geist. Wenn er euch sagt, „Geh ins Kino“, hört nicht auf ihn und geht stattdessen zum Tempel. Wenn er sagt, „Lies einen Roman“, dann nehmt die Gita und studiert sie.
Parallel zu seiner Verweigerung auf politischer Ebene praktizierte Gandhi konsequent diese spirituelle Verweigerung. Daher wurde er ein Maharishi. Praktiziert ihr diese spirituelle Verweigerung? Beginnt noch heute, in diesem Augenblick damit und genießt die Macht, den Frieden und das Glück, die daraus entspringen. Ihr werdet sehr bald frei sein von jeglichem Übel. Ihr werdet schnell spirituell wachsen. Ihr werdet Frieden, Vollkommenheit und ewige Freiheit erlangen. Ihr werdet euch selbst beherrschen können und zu einem furchtlosen spirituellen Helden werden.
Neben Buddha und Jesus war Gandhi ein weiterer großer Heiliger, der uns den Weg zu Gewaltlosigkeit und Frieden zeigte. Er zeigte uns, wie man Ahimsa (Gewaltlosigkeit), Satyam (Wahrheit, Aufrichtigkeit) und Brahmacharya (wörtl: Der Wandel in Brahman; Schülerschaft als Lebensstufe, beinhaltet Ehelosigkeit, Keuschheit und Enthaltsamkeit von allen Sinnenfreuden) lebt. Diese drei Ideale bilden die eigentliche Grundlage von Yoga und Vedanta. Gandhis Leben baute auf der soliden Basis dieser fundamentalen Tugenden auf. Von Kindheit an hatte Gandhi einen natürlichen Hang zur Ehrlichkeit. Es war ein ihm angeborener Wesenszug. Später erlegte er sich das Gelübde des lebenslangen Brahmacharya auf. Durch verschiedene wirkungsvolle Techniken brachte er alle seine Sinne unter vollständige Kontrolle. Ahimsa prägte sein tägliches Leben. Durch die Macht, die er dadurch gewann, war er fähig, all die Gewalt zu ertragen, die seine Gegner ihm antaten. Er hatte keine Verhaftungen an den Körper, der den wertvollsten Besitz für jeden Menschen darstellt. Oft setzte er sein Leben aufs Spiel. Er war ein großer spiritueller Held.
Gandhi ertrug geduldig alle mögliche Mühsal. Übt ihr euch genauso in Geduld? Geduld ist eine weitere grundlegende Tugend und eine Voraussetzung für spirituellen und auch materiellen Erfolg im Leben. Allein die Fähigkeit zur Verzeihung und zur Geduld wird augenblicklich einen Heiligen aus euch machen. Gandhi hegte nicht den leisesten Groll gegen diejenigen, die ihm großes Leid zugefügt hatten. Seine Vergebung glich tatsächlich jener, die Christus übte. Seine Vergebung glich der Vishnus.
Vielleicht kennt ihr die Geschichte von Bhrigu und Vishnu. Der Weise Bhrigu wollte herausfinden, wer in dem göttlichen Dreigespann von Vishnu, Shiva und Brahma die größte Geduld hatte. Er ging zu Brahma und beschimpfte ihn. Brahma geriet sofort in Zorn. Darauf ging der Weise Bhrigu zu Shiva und beleidigte ihn. Shiva zückte seinen Dreispitz, um den Weisen zu töten. Darauf ging er zu Vishnu, der an eine große Schlange gelehnt saß. Er misshandelte Vishnu und trat ihm gegen die Brust.
Vishnu stand sofort auf und begann, die Füße des Weisen zu waschen, indem er sagte: ‚O Maharishi! Habe ich deinen heiligen Füßen weh getan?’
Seid ihr fähig, die Füße desjenigen zu waschen, der euch eben getreten hat und zu fragen: ‚Habe ich dir weh getan?’
Gandhi konnte dies. Und deshalb wurde er einer der größten Heiligen auf der Erde. Er war streng und unnachgiebig gegen sich selbst, aber seine Nachsicht für die Fehler und Schwächen seiner Mitmenschen hatte keine Grenzen. Wie viele unter euch besitzen diese mächtige Tugend? Jeder unter euch würde sich nur zu gern seine eigenen Fehler vergeben, mehr noch, ihr gesteht eure eigenen Fehler noch nicht einmal ein. Und wenn euch jemand anderes darauf aufmerksam macht, seid ihr böse, anstatt ihm zu danken. Ihr seid allzeit bereit, anderen alle möglichen schlechten Eigenschaften zu unterstellen. Selbst an Heiligen und an Gott findet ihr noch Fehler. Gandhi war genau das Gegenteil. Darum wird er heute verehrt.
Gandhi war ein großer Anhänger des Fastens. Das Wort „Fasten“ erschreckt euch. Ihr könnt nicht einmal einen Tag im Monat ohne Essen sein. Ihr könnt nicht auf eure Naschereien verzichten. Ihr esst am Tag sechsmal und wenn ihr vorm Zubettgehen nicht euren Kaffee bekommt, leidet ihr sehr darunter.
Gandhi reinigte seinen Körper und Geist, indem er fastete. Fasten hilft euch, vollständige Kontrolle über eure Sinne zu erlangen. Wenn ihr an einem heiligen Tag fastet, kommt die richtige Stimmung für innere Einkehr und Gebet ganz von allein. An Ekadasi (elfter Tag nach Neumond oder Vollmond) solltet ihr streng fasten. Jetzt klingt dies für euch wie ein Verbot. Aber wenn ihr einmal die Wonne des inneren Friedens genossen habt, die Glückseligkeit im Gebet, dann werdet ihr euch auf Ekadasi freuen. Dann werdet ihr einmal pro Woche fasten wollen.
Sonntags solltet ihr salzlos essen. Dies wird euer Sehvermögen verbessern. Noch im hohen Alter werdet ihr gut sehen können.
Gandhi war auch ein großer Anhänger anderer Bußübungen. Durch Selbstkontrolle, Gebet und Meditation stärkte er seine Willenskraft in sehr hohem Maße. Diese Willenskraft befähigte ihn, eisern an dem festzuhalten, was er sich vorgenommen hatte. Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Es ist auch das Geheimnis der Gottverwirklichung. Wenn ihr euch einmal dazu entschlossen habt, ein göttliches Leben zu führen und zu Gott zu gelangen, darf eure Wachsamkeit nicht nachlassen und ihr dürft nicht zulassen, dass Zaghaftigkeit und Trägheit die Oberhand gewinnen. Seid beharrlich in eurem Sadhana. Dann werden eure Anstrengungen bald von Erfolg gekrönt werden.
Praktiziert regelmäßig Kirtan, Meditation und Japa. Betet täglich zu Gott. Gandhis Vertrauen in den Namen Gottes war grenzenlos. Ram-Nam (der Name Rama) war gleichsam sein Lebensatem. Deshalb starb er mit Ram-Nam auf den Lippen. Euren letzten Atemzug werdet ihr mit demselben Gedanken tun, der jetzt schon fest in eurem Geist verwurzelt ist. Wenn euch laddu (indisches Konfekt aus Kichererbsenmehl) viel bedeutet, wenn ihr oft an laddu denkt, werdet ihr „hey laddu“ auch im Augenblick eures Todes wiederholen. Wenn ihr die Gewohnheit habt, Tabak zu schnupfen, werdet ihr im letzten Augenblick dieses irdischen Daseins die Vision von Schnupftabak haben und imaginären Schnupftabak in eurer Hand halten. Wenn euer Geist aber mit Ram-Nam verbunden ist, wenn ihr euch bemüht, ihn zu wiederholen, wenn euch Japa zur Gewohnheit wird, wird euer Lebensatem euren Körper mit Ram-Nam verlassen und ihr werdet schließlich Befreiung erlangen. Singt daher täglich Kirtan. Verschwendet keine einzige Sekunde. Praktiziert ohne Unterlass Japa mit dem Namen Gottes.
Wenn ihr den Lehren Mahatma Gandhis folgt, wenn ihr ein Leben nach seinem Vorbild führt, werdet ihr ebenso strahlen wie er. Gandhi lebt heute in unseren Herzen weiter, weil er so ein beispielhaftes Leben führte. Erkennt das Erhabene in Gandhis Leben und tretet in seine Fußstapfen. Derjenige, der Gandhi kennt, wird schließlich so werden wie Gandhi.“
Captain G. Srinivasamurti dankte dem Meister für seine inspirierende Ansprache.