Karma Yoga von Swami Sivananda

 

Kapitel 3: Swadharma

1. Was ist Swadharma ?

Im Deutschen gibt es keinen richtigen Ausdruck für den Sanskrit-Begriff „Dharma“. Im Allgemeinen wird er mit „Pflicht“, „Rechtschaffenheit“ übersetzt. Eine jede Handlung, die geeignet ist, Shreya (Befreiung) und Abhyudaya (Erhebung) hervorzubringen, ist Dharma. Was den Menschen Wohlergehen beschert, bezeichnet man als „Dharma“. Das Wort leitet sich vom Wortstamm „dhri“ ab, was so viel wie „unterstützen“ oder „aufrechterhalten“ bedeutet. Das, was aufrechterhält, ist Dharma. Durch Dharma werden Menschen aufrechterhalten. Da es unterstützt und zusammenhält, wird es Dharma genannt. Das, was die Fortdauer des Seins sichert, ist Dharma. „Swadharma“ meint die eigene Pflicht in Übereinstimmung mit dem Varnashrama  bzw. mit Kaste und Lebensstadium, welches auf den Gunas, den natürlichen Eigenschaften des Menschen, gründet.

Gott, Religion und Dharma sind untrennbar. Der Mensch entwickelt sich durch die Praxis von Dharma seiner Kaste und seinem Lebensstadium gemäß und erreicht schließlich Selbstverwirklichung, das Endziel des Lebens, welches unendliche Wonne, höchsten Frieden, ungetrübte Freude, höchstes Wissen, ewige Zufriedenheit und Unsterblichkeit mit sich bringt.

Das Merkmal des Dharma ist Achara (gutes Verhalten). Achara ist das Merkmal des Guten. Über aller Lehre steht Achara. Aus Achara wird Dharma geboren und Dharma bereichert das Leben. Durch Achara erlangt der Mensch Ruhm, Macht und Stärke jetzt und immer. Achara ist der höchste Dharma und die Wurzel allen Tapas.

Dharma kommt an erster Stelle der vier Purusharthas : Dharma, Artha , Kama  und Moksha. Dharma verleiht Wohlstand, Befriedigung der Wünsche und schließlich Befreiung.

„Der Brahmana (Brahmane) war Brahmas  Mund; der Rajanya  bildete seine beiden Arme; seine beiden Schenkel der Vaishya ; der Shudra  wurde aus seinen beiden Füßen geboren“. Die vier Kasten sind die Brahmana, Kshatriya , Vaishya und Shudra. Die Pflichten eines Brahmanen sind seiner Natur nach Selbstdisziplin, Gelassenheit, Geduld, Entsagung, Reinheit, Gottesglauben, Vergebung, Selbstaufopferung, Rechtschaffenheit, Wahrheitsliebe, Weisheit, das Lehren und das Studium der Veden, die Opfergabe, aber auch das Führen anderer, indem er Opfer und Geschenke darbringt und Geschenke erhält.

Mut, Großzügigkeit, Kraft, Können, Pracht, Bestimmtheit, Geschick, sich dem Kampf nicht zu entziehen, die Natur eines Regenten, Schutz von Menschen, Geschenke, Opfergabe und Studium der Veden sind die natürlichen Pflichten eines Kshatriya.

Pflügen, Schutz des Viehs, Handel, Wohltätigkeit, Opfergabe und Studium der Veden, Tätigkeit in Gewerbe, Finanzwesen und Landwirtschaft sind die natürlichen Pflichten eines Vaishya.

All diesen Kasten ohne Murren zu dienen, ist naturgemäß die Pflicht eines Shudra.

Viel Unheil ist dadurch entstanden, dass Menschen einer Kaste nach den Aufgaben der anderen Kasten greifen und dadurch, dass sie mehr über die Rechte als die Pflichten ihrer eigenen Kaste nachsinnen.

Die Brahmanen und Kshatriyas haben ihre Privilegien energisch in Anspruch genommen, sich vor der schweren Verantwortung ihrer Kasten jedoch gedrückt. Natürlich hat ihr Verhalten Widerstand hervorgerufen und Feindseligkeit ist an die Stelle von gegenseitigem Wohlwollen und Hilfsbereitschaft getreten. So ist aus dem Kastenwesen statt eines Rahmens, der allen eine glückliche Ordnung bietet, soziale Bitterkeit geworden. Wenn Angehörige der verschiedenen Kasten ihre Dharmas erfüllen, wird die Verwirrung der Kasten verschwinden und Frieden und Freude werden im Überfluss vorherrschen.

Es gibt vier Ashramas (Lebensstadien), nämlich Brahmacharya, die Lehrzeit (Schülertum), Garhasthya, die Zeit des Familienlebens, Vanaprastha, die Zeit des Waldbewohnens oder der Abgeschiedenheit und Sannyasa, der Zustand des totalen Verzichts. Jeder Lebensabschnitt hat seine eigenen Pflichten. Der Mensch darf sich in keinem dieser Stadien die besonderen Aufgaben der anderen drei anmaßen. Zurzeit ist es schwierig, detailgetreu die alten Regeln beizubehalten und zu befolgen, da die Umstände sich sehr geändert haben. Doch wenn es uns gelingt, eine klare Vorstellung der grundlegenden Pflichten eines jeden Ashramas zu haben, so werden wir dennoch in der Lage sein, das Leben auf einen geregelten Verlauf von Entwicklung und stetem Wachstum auszurichten.

Das Leben eines Schülers beginnt mit der Upanayana -Zeremonie, seiner zweiten Geburt. Man liest in der Manusmriti : „Lasse den Schüler sich immer mit dem Studium der Veden und dem Dienst an seinem Lehrer befassen. Lasse den Schüler auf Wein, Fleisch, Parfüm, herzhafte Gerichte, Schmuck, die Gesellschaft von Frauen, Verletzen von empfindlichen Geschöpfen verzichten. Lasse ihn Lust, Ärger, Gier, Tanz, Gesang und das Spielen von Musikinstrumenten, Würfelspiel, Tratsch, üble Nachrede und Unwahrheit aufgeben.“ „Lasse den Schüler immer alleine schlafen und lasse ihn nicht seinen Samen verschwenden; wer aus Lust seinen Samen vernichtet, der vernichtet sein Gelübde. Er soll den Geist des Dienens, der Bescheidenheit und des Gehorsams entwickeln. Er soll seinen Charakter auf die rechte Weise formen. Er soll in Gedanken, Worten und Taten keusch sein.“

Dann folgt die Zeit des Familienlebens. Der Schüler tritt nach Beendigung seiner Pflichten in das Lebensstadium des Garhasthya über, wenn er für die Aufgaben und Verantwortungen eines Familienvorstands bereit ist. Unter allen Ashramas hat der Familienvorstand die höchste Position, da er die anderen drei direkt unterstützt. So wie alle Bäche und Flüsse zum Ozean fließen, um dort zu ruhen, so kommen alle Ashramas im Familienvorstand zusammen. Dieses ist das Feld, auf dem verschiedene Tugenden wie Barmherzigkeit, Liebe, Großzügigkeit, Geduld, Toleranz, Reinheit, Vorsicht und rechtes Urteilen entwickelt werden können. Es ist ein Jammer festzustellen, dass die Großartigkeit, Feierlichkeit und Würde dieses Lebensalters heute verloren geht, weil durch das moderne Übel der Kinderehe seine Pflichten mit denen eines Schülers verquickt werden. Im Leben des Familienvorstands ist kein Ideal zu finden. Deshalb nimmt die Zahl der Sannyasins jetzt zu. Die zentrale Lehre der Gita und des Yoga Vasishtha  besagt, dass Selbstverwirklichung in und durch die Welt erlangt werden soll.

Erinnern wir uns an eine wichtige Lehre aus der Gita, die uns Seelenfrieden und Wonne beschert: „Es ist besser, seine Pflicht zu erfüllen, auch wenn man keinen Lohn dafür erhält, als die Pflicht eines anderen gut zu erfüllen. Tod durch Erfüllung der eigenen Pflicht ist besser, denn die Pflicht eines anderen steckt voller Gefahr.“

Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt. Du verstehst sicherlich, dass die richtige Ausübung der Verpflichtungen eines jeden Lebensstadiums ohne Verhaftung Selbstverwirklichung und Befreiung erbringt. Vernimm nun mit großer Aufmerksamkeit die folgende Anekdote von einer frommen Frau und einem Metzger:

Ein Sannyasin zog sich zur Yoga-Praxis in einen Wald zurück. Er verweilte zwölf Jahre in einer Höhle. Er übte Pranayama, Khecari Mudra und verschiedene yogische Kriyas (Reinigungsübungen). Er entwickelte einige Kräfte durch diese Übungen. Eines Tages saß er im Schatten eines Baumes. Ein Kranich setzte sich auf einem Ast des Baumes nieder. Er ließ Exkremente auf den Kopf des Sannyasins fallen. Der Sannyasin erzürnte. Er starrte den Kranich an. Sofort entströmte yogisches Feuer vom Scheitelpunkt seines Kopfes und verbrannte den Kranich zu Asche. Der Sannyasin erfreute sich an den wunderbaren Kräften, die er besaß.

Nun zog er in die Stadt, um seine üblichen Almosen einzusammeln. Vor der Tür eines Familienvorstandes rief er „Narayana Hari“  aus. Die Dame des Hauses war gerade dabei, ihren kranken Ehemann zu pflegen. Sie war eine sehr züchtige Frau, die ihrem Mann sehr ergeben war. Sie hielt Pativrata Dharma . Sie antwortete aus dem Zimmer: „O Bhikshu , bitte warte ein wenig.“ Der Sannyasin war recht verärgert. Er dachte sich: ‚Schau dir die arrogante Natur dieser Frau an. Sie bat mich zu warten. Sie ist sich meiner yogischen Kräfte nicht bewusst.‘ Während er dies dachte, sagte die Frau: „O Bhikshu! Hier gibt es keinen Kranich. Überschätze dich nicht. Blase dich nicht mit deinen Siddhis auf." Der Sannyasin verharrte in tiefer Verwunderung. Er musste still warten. Schließlich kam die Frau mit Almosen für den Sannyasin heraus. Er warf sich zu ihren Füßen nieder und fragte: „O Devi , wie konntest du meine Gedanken lesen?“ Die Frau antwortete: „O Swami ! Ich weiß nichts über Pranayama oder irgendeine yogische Kriya. Ich ließ dich warten, weil ich mich gerade um meinen kranken Ehemann kümmerte. Ich bin eine unwissende Frau. Ich bin meinem Ehemann treu ergeben. Ich betrachte ihn als meinen Guru und Gott. Ich verehre ihn. Ich besuche keine Tempel. Ich sage keine Mantras  auf. Ich diene meinem Mann Tag und Nacht. Ich gehorche stillschweigend seinem Wort. Ich wasche seine Füße. Ich gehe in den Fußstapfen von Savitri , Nalayani  und Anasuya . Ich schlafe erst, wenn er schläft. Ich stehe morgens vor ihm auf. Er ist mein Ein und Alles. Durch solchen Dienst, durch solche Verehrung und Pflichterfüllung an meinem Ehemann habe ich Erleuchtung erfahren. Ich habe ein reines Herz. Ich konnte deine Gedanken lesen. Dies ist das Geheimnis meines Abhyasa . Wenn du mehr wissen möchtest, dann gehe zu einem Metzger, der auf dem großen Markt Fleisch verkauft. Er wird dich etwas höchst Interessantes und Wichtiges lehren. Tatsächlich wirst du hocherfreut sein. Du wirst immens davon profitieren.“

Der Sannyasin ging geradewegs in die Stadt, in der der Metzger lebte. Er kam unmittelbar zu dem Markt und traf dort auf den Metzger, der eben Fleisch hackte. Der Sannyasin dachte bei sich: ‚O mein Gott! Soll dies der Mann sein, von dem ich etwas Interessantes und Nützliches erfahren soll? Er ist der Teufel in Person. Er ist ein Rohling.‘ Der Metzger las die Gedanken des Sannyasin und sagte: „O Swami! Schickte dich jene Frau? Nimm bitte Platz hier. Ich bin gleich für dich da.“ Der Metzger erledigte die Geschäfte mit seinen Kunden und bat den Sannyasin dann, ihm zu seinem Haus zu folgen. Er bat den Swami, draußen zu warten und ging hinein. Er versorgte seine alten Eltern, badete sie und trank ihr Charanamrita . Er speiste sie wohl und brachte sie zu Bett. Dann kam er zum Sannyasin und sagte: „O Swami, nun bin ich dir zu Füßen. Du kannst über mich verfügen.“ Der Sannyasin stellte ihm einige Fragen über den Vedanta. Der Metzger gab ihm wundervolle, die Seele berührende Antworten, die den Atman betrafen, die Natur der Freiheit, Sadhana, den Zustand eines Jivanmukta usw. Der Sannyasin war erstaunt. Viele seiner Zweifel wurden beseitigt. Er war sehr erfreut über den Metzger. Er fragte ihn: „Wie kommt es, dass du diese schmutzige Arbeit verrichtest? Wie hast du ein solch erhabenes Wissen erlangen können?“ Der Metzger antworte: „Swami, du irrst dich. Keine Pflicht oder Arbeit ist unrein oder entwürdigend. Mit jeder Arbeit betet man Gott an. Ich erfülle meine Pflicht wohl ohne Verhaftung oder Motiv. Ich diene meinen Eltern tagein, tagaus. Sie sind mein Gott auf Erden. Ich verehre sie täglich. Ich kenne keine yogische Praxis. Ich bin kein gebildeter Mensch. Ich erfülle meine Pflichten zufriedenstellend. Dies ist meine Religion. Dies ist mein Yoga. Ich erlangte Erleuchtung, Perfektion, Reinheit und Freiheit durch die Erfüllung meiner Pflichten als Haushaltsvorstand und den Dienst an meinen Eltern. Darin liegt das Geheimnis meines Yoga und meiner Selbstverwirklichung.”

Ein unwissender weltlich gesinnter Mann sagt: „Ich muss meine Pflichten erfüllen. Ich muss meine vier Söhne und drei Töchter erziehen. Ich muss meinen Arbeitgeber zufriedenstellen. Ich habe schwerwiegende Pflichten im Büro. Ich muss meiner verwitweten Schwester Geld senden. Ich habe eine große Familie. Ich habe sechs Brüder und fünf Schwestern. Wann soll ich Sandhya  und Japa erledigen und religiöse Bücher lesen? Ich habe nicht einmal Zeit zu atmen. Ich habe keine Freizeit. Selbst an Feiertagen muss ich arbeiten. Ich nehme Unterlagen aus dem Büro mit nach Hause und arbeite bis elf Uhr abends. Ich möchte kein Sannyasa oder Yoga. Die Büroarbeit und die Versorgung meiner Familie sind bereits Yoga.“

Nennst du das Pflicht? Es ist schiere Sklaverei. Es ist Leibeigenschaft. Der Mensch lebt in ständiger Angst vor seinem Vorgesetzen. Sogar in seinen Träumen trifft er auf seine Bürokollegen und den Arbeitgeber und verbucht Zahlen. Das bedeutet Pflichtbewusstsein aber nicht. Dieser Mensch kann nicht einmal eine Sekunde lang beten. Er hat keine Zeit, auch nur einen einzigen Shloka  der Gita zu lesen. Er denkt nicht ein Mal im Monat an Gott. Er nimmt Tee und Nahrung zu sich, sitzt zum Schreiben an einem Tisch, schläft und pflanzt sich fort. Das ganze Leben vergeht auf diese Weise. Dies ist selbstsüchtige Arbeit. Dies ist keine Pflicht. Dies ist Arbeit um des Gewinns und der Befriedigung niederer Triebe Willen. Alles, was unter Zwang und Erwartung geschieht, ist keine Pflicht. Du darfst Sklaverei nicht als Pflicht interpretieren. Du darfst selbstsüchtige Arbeiten, die mit Verhaftung, Gier und Leidenschaft ausgeführt werden, nicht als Pflicht verstehen. Du begehst großes Unrecht. Dies ist selbst auferlegte Fron.

Ein Büroangestellter oder Beamter bereichert sich an Bestechungsgeldern und wenn ihn sein Gewissen zwickt, speist er einige Brahmanen und sagt: „Ich habe fünfzehn Brahmanen mit Dakshina  für jeweils vier Annas gespeist.“ So ist ein Verständnis von Pflicht. Er fügt noch hinzu: „Weshalb sollte ich Sannyasa aufnehmen und Yoga üben? Ich werde viel Geld verdienen und wohltätig sein. Dies ist die beste Lebensart.“ Arme getäuschte Seele! Möge Gott ihm Verständnis verleihen.

Ahimsa paramo dharmah   kann von Familienmenschen nicht streng praktiziert werden. Es kann von Sannyasins ausgeführt werden, die den Weg des Nivritti Marga  gehen. Sie werden ihn praktizieren müssen. Wenn ein Landstreicher in ein Haus eindringt und eine Frau zu belästigen versucht, dann kann ein Familienmensch nicht untätig bleiben. Er wird nicht sagen: „Ich widersetze mich dem Bösen jetzt nicht.“ Er wird sofort zum Knüppel greifen und den dann verprügeln. Stelle dir vor, eine Frau ist in Gefahr. Jemand möchte sie ermorden, um ihre Juwelen zu entwenden. Sie sucht Zuflucht bei einem jungen, starken Mann. Es ist die Pflicht dieses jungen Mannes, dem Bösen Einhalt zu gebieten und sie zu verteidigen, indem er den brutalen Menschen angreift. Er kann jetzt nicht sagen: „Nichtverletzen ist die höchste Tugend.“ Es ist seine Pflicht, das Leben der Frau zu retten, indem er das Böse abwehrt. Andernfalls erfüllt er seine Pflicht nicht.

Moral und Pflicht hängen von den Umständen ab. Dem Bösen die Stirn zu bieten wird unter bestimmten Umständen zur Pflicht eines Menschen. Der König soll immer sein Zepter erheben, um Frieden und Ordnung in seinem Land aufrechtzuerhalten. Er kann nicht sagen: „Ich setze dem Bösen nichts entgegen. Ahimsa paramo dharmah.“ Er wird in der Ausübung seiner Pflichten versagen, wenn er die Kriminellen nicht bestraft und sein Land wird in heilloses Chaos verfallen. Einen Mörder oder einen Räuber zu hängen, bedeutet für einen König Ahimsa. Himsa  und Ahimsa sind relative Begriffe. Einen Menschen zu töten, der vielen das Leben nimmt, ist Ahimsa. Hast du das Geheimnis von Ahimsa nun verstanden? Ein wahrer Sannyasin soll sich auch dann nicht verteidigen, wenn sein Leben in Gefahr ist. Ein Sannyasin ist jemand, der keinen Körper hat und der sich mit dem Atman identifiziert. Einem Hund oder einem Pferd den Gnadenschuss zu versetzen, bedeutet für einen Europäer Ahimsa. Er möchte den Hund von seiner Qual erlösen. Dies ist ein gutes Motiv. Shri Krishna sagt in der Gita:

„Besser ist die eigene Pflicht, (sogar) ohne Verdienst, als die richtig erfüllte Pflicht eines anderen. Wer die Pflicht erfüllt, die die Natur ihm auferlegt hat, sündigt nicht. Die Pflicht, zu der man geboren wurde, darf nicht aufgegeben werden, o Arjuna, auch wenn sie fehlerhaft ist; denn alles, was man tut, ist in Übel gehüllt, so wie Feuer in Rauch.“
[BhG 18.47-48]

Dann sagt Shri Krishna wieder:

sarvadharman parityajya mamekam saranam vraja
aham tva sarvapapebhyo mokshayishyami ma suchaha

„Gib alle Pflichten auf und suche Zuflucht nur bei Mir alleine: Ich werde dich von allen Sünden befreien; sorge dich nicht.“
[BhG 18.66]

In den vorhergehenden zwei Shlokas verlangt Er von Arjuna, all seine Pflichten aufzugeben. Ist dies ein Widerspruch? Ist Gott wankelmütig? Nein. Dies ist kein Widerspruch. Arjuna sagt zu Gott:

„Mein Herz ist vom Makel des Mitleids überwältigt; mein Geist verwirrt hinsichtlich meiner Pflicht. Ich bitte Dich, sage Du mir klar, was für mich richtig ist. Ich bin Dein Schüler. Lehre mich, da ich bei Dir Zuflucht gesucht habe.“
[BhG 2.7]

Shri Krishna erteilt die Antwort im Shloka 66 im achtzehnten Kapitel. Was bedeuten die Worte „sarva dharman“ – „alle Pflichten“ wirklich? Manche meinen „Gib die Dharmas der Indriyas auf“. Wie könnte das sein? Sogar ein Jivanmukta sieht, isst, geht, verrichtet seine Notdurft. Nach Shri Shankara bedeutet es „sowohl redliche als auch unredliche Handlungen, Aufgeben aller Taten“. Laut Ramanuja  bedeutet es „Begierde nach Früchten des Handelns und Verhaftung daran sowie die Geisteshaltung, im Handeln selbst der Handelnde zu sein. Handlungen sollten ohne Verhaftung an Handlung oder ihre Früchte ausgeführt werden. Sie sollten dem Höchsten geweiht sein, indem die Vorstellung eigener Handlungsmacht aufgegeben wird“. Für Madhva  bedeutet es „die Früchte der Handlung – Verzicht auf die Früchte der Handlung“.

Tilak versteht darunter: „verschiedene Pflichten, wie die der Gewaltlosigkeit, Wahrheit, des Dienstes an den Eltern und Lehrern, Opfer, Wohltätigkeit, Verzicht usw.“ Der Abschnitt besagt, dass Arjuna die Wirren dieser Pflichten vermeiden soll und im Höchsten Zuflucht suchen soll. Mit anderen Worten: Welche Handlungen auch immer jemand ausführen muss, entsprechend seiner Disposition und inneren Natur, er soll sie ausführen und dabei im Höchsten Zuflucht suchen. Shri Krishna gibt Arjuna einen Befehl, ein Versprechen und einen Trost.

Shloka 66 ist der wichtigste Vers in der Gita. Kann man allein im Geiste dieses Shlokas leben, dann kann man Shreya bzw. höchste Glückseligkeit erreichen. Vedantins erklären diesen Shloka wie folgt: „Gib Jiva Bhavana  auf und beginne mit Brahma Bhavana mittels Meditation über Aham Brahmasmi  Mahavakya . Du wirst Befreiung bzw. Mukti erlangen. Alle Sünden werden getilgt werden.“

Ich möchte unterstreichen, dass Moral und Pflicht relative Begriffe sind. Sie sind abhängig von Lebensaufgabe, Grad der geistigen Reife und Entwicklung des Einzelnen, von Zeit und Begleitumständen und dem Land, in dem man lebt. Für einen bengalischen Brahmanen in Kaschmir ist es durchaus moralisch, Fleisch zu essen. In den Augen eines Brahmanen aus Madras ist dies höchst unmoralisch. Für einen Muslim oder Chinesen ist es durchaus moralisch, vier Ehefrauen (Polygamie) zu haben, für einen Hindu jedoch ist dies höchst unmoralisch. Ein Mann oder eine Frau können sich im Westen sehr einfach von seiner Ehefrau oder ihrem Ehemann scheiden lassen. Im Westen handelt es sich bei der Ehe um einen Vertrag, wohingegen es in Indien ein Sakrament oder eine heilige Handlung ist, die vor dem heiligen Feuer begangen wird. Scheidung ist im Westen recht moralisch, während sie im Osten höchst unmoralisch ist. Für ein Mitglied des Arya Samaj  stellt die Witwenehe etwas recht Moralisches dar, für einen Sanatanaisten  ist sie dagegen höchst unmoralisch. Polyandrie (eine Frau heiratet mehrere Männer, das Gegenteil von Polygamie) ist ganz moralisch in Tibet, aber höchst unmoralisch in den Augen der Menschen anderer Länder. Für einen Sikh ist es völlig moralisch zu trinken, aber es ist unmoralisch für ihn zu rauchen. Die Menschen in kalten Ländern benötigen Fleisch und ein wenig Alkohol, um sich warm zu halten und die Verdauung anzuregen. Ein Soldat braucht Fleisch, um seine Stärke und seinen Kampfgeist aufrechtzuerhalten. Ein Brahmane oder ein Sannyasin möchte Gemüse, Milch und Früchte, die ihn bei seiner Meditation unterstützen und seine geistige Verfassung sattwig halten. Rishi Vishwamitra  musste verbotenes Fleisch essen, als sein Leben in Gefahr war. Die Moral ändert sich, wenn das Leben auf dem Spiel steht (Apat-Dharma) . Unwissende Menschen hassen andere, wenn sie bemerken, dass jene etwas tun, was sie selbst nicht tun. Ein sich vegetarisch ernährender Madrasi  Brahmane hasst einen Fisch essenden bengalischen Brahmanen. Dies ist ein trauriger Irrtum. Dies hemmt den spirituellen Fortschritt. Ein Madrasi ist entsetzt, wenn er einen Hindustani sieht, der mit seinen Händen vom selben Teller isst wie seine Kinder.

Ähnlich variieren auch die Vorstellungen von Pflicht bei den Menschen unterschiedlicher Länder. Ein afrikanischer Schwarzer kann im Sommer in seinem heißen Land kein Agnihotra (Feuerritual) betreiben. Ein Pandit aus Kaschmir kann bei sich im Winter kein Morgenbad nehmen. Die Pflicht einer Menschenklasse kann nicht die Pflicht einer anderen Menschenklasse sein. Die Pflicht eines Menschen während eines bestimmten Lebensabschnitts ist nicht die Pflicht eines Menschen während eines anderen Abschnittes. Die Pflichten der Brahmanen, Vaishya, Kshatriya und Shudra, die Pflichten eines Brahmachari , eines Familienmenschen, eines Waldeinsiedlers und eines Sannyasin sind ziemlich unterschiedlich. Ein Brahmane kann nicht die Aufgabe eines Soldaten erfüllen. Einen Feind auf dem Schlachtfeld zu töten, ist die Pflicht eines Kshatriya. Ahimsa in Gedanken, Worten und Werken zu praktizieren, ist die Pflicht eines Sannyasin und eines Brahmanen. Der Mensch entwickelt sich schnell, indem er die seinem Lebensstadium gemäßen Pflichten zielstrebig verfolgt.

Söhne des Nektars! Kinder der Unsterblichkeit! Schüttelt alle Schwäche ab! Erhebt euch und gürtet eure Lenden. Erfüllt euer Swadharma zufriedenstellend gemäß eurer Kaste oder eurem Lebensstadium. Entwickelt euch rasch auf spirituellem Gebiet. Ewige Wonne, höchster Frieden, unendliches Wissen und Zufriedenheit kann es nur im Atman geben. Das Üben von Swadharma führt sicher zum Erlangen von Gottesbewusstsein. In endlichen Dingen liegt kein Glück. Nur das Unendliche ist Wonne. Begreife die Wahrheit durch die Praxis deines Swadharmas. Diese Welt ist unwirklich. Sie ist wie ein Trugbild. Die Sinne und der Verstand täuschen dich ständig. Wache auf! Öffne deine Augen und lerne zu unterscheiden. Traue deinen Indriyas nicht. Sie sind deine Feinde. Es ist sehr schwierig, als Mensch geboren zu werden. Das Leben ist kurz, die Zeit ist flüchtig. Wer in dieser Welt an Vergänglichem haftet, begeht fürwahr Selbstmord. Bemühe dich nach Kräften, dein Swadharma auszuüben. Halte dir immer das Ideal vor Augen. Stelle dir ein Lebensprogramm auf. Bemühe dich, das Ideal zu verwirklichen. Halte mit der Zähigkeit eines Blutegels an Swadharma fest und gelange zum Erfolg. Übe es aus und verwirkliche den Zustand von Satchidananda gerade jetzt in dieser Sekunde. Möge der Segen Gottes auf euch allen liegen! Mögen Freude, Wonne, Unsterblichkeit, Frieden und Gelassenheit für immer mit euch sein!

2. Die Pflichten des Menschen

Der Mensch hat in seinem Leben bestimmten wichtigen Pflichten und Verantwortungen Genüge zu tun. Er muss sich sowohl moralisch als auch spirituell entwickeln, indem er diese Pflichten auf die rechte Art erfüllt. Er muss gemäß dem Gesetz Gottes handeln und leben. Er muss die Verhaltensregeln und das Maß seiner Verantwortungen ausfindig machen. Er muss eine solide Kenntnis der Moralkodizes des Manu oder des Yajnavalkya vorweisen und entsprechend der Regeln handeln, die darin dargelegt sind. Erst dann hat er das Recht, ein Mensch genannt zu werden.

Der Mensch hat Pflichten gegenüber Eltern, Kindern und anderen Familienmitgliedern. Er hat Pflichten gegenüber der Gesellschaft und dem Land. Er hat Pflichten des Varnashrama. Er hat Pflichten sich selbst gegenüber und nicht zuletzt hat er bedeutende Pflichten Gott gegenüber. Er muss alle Pflichten des Lebens erfüllen. Erst dann wird er Fortschritt in seinem Leben vorfinden. Erst dann wird er wahren Seelenfrieden genießen.

Er muss mit großer Shraddha und Bhava seinen Eltern dienen, die ihm den physischen Körper gegeben haben. In der Taittiriya Upanishad findest du: Matrudevo bhava, pitrudevo bhava . Die Eltern sollten als sichtbare Vertreter Gottes auf Erden verehrt werden. Shri Ashutosh Mukerji aus Kalkutta der inzwischen verstorbene Vizekanzler der Universität von Kalkutta, verehrte seine Mutter und trank täglich ihr Charanamrita, bevor er in sein Büro ging. Moderne gebildete Menschen zollen ihren Eltern keine richtige Hochachtung. Wenn der Vater ungebildet ist und der Sohn in England seine Ausbildung bekam, wird er sagen, dass sein Vater ein Diener des Hauses ist, wenn jemand fragt: „Wer ist dieser alte Mann?“

Der Mensch muss seine Kinder richtig erziehen. Er muss sie gut in Sanskrit, Englisch und technischen Fächern unterweisen. Von klein auf muss er sie mit dem spirituellen Weg vertraut machen. Er muss seiner Ehefrau ergeben sein, die seine Gefährtin im Leben ist und die linke Hälfte seines Körpers ausmacht (Ardhangini) . Kein religiöser Ritus ist wirksam ohne ihre Gegenwart. Er muss sie als einen wirklichen Helfer auf dem Weg der Spiritualität betrachten. Sobald ein Sohn geboren wird, wird sie seine Mutter. Die Shrutis  erklären: atma vai jaayate putrah – „Die Seele wird als Sohn geboren.“ Er muss alle Vorstellungen einer Beziehung zu seiner Ehefrau aufgeben, sobald ein Sohn geboren ist. Er darf keinen Geschlechtsverkehr mehr haben. Beide sollten ein spirituelles Leben führen. Der Ehemann sollte in seiner Frau nicht nur eine Fortpflanzungsmaschine sehen. Es gibt einen höheren spirituellen Zweck. Sie muss ihrem Ehemann in seiner spirituellen Entwicklung helfen. Sie muss seinen Wünschen nachkommen. Sie muss ihm in jeder Hinsicht dienen.

Der Mensch muss seinem Temperament, seinen Vorlieben und Fähigkeiten entsprechend der Gesellschaft dienen. Dies wird die Reinigung des Geistes unterstützen. Er muss ehrenamtlich mit Nishkamya Bhava  dienen. Er soll keinerlei Entlohnung bekommen. Er muss den Geist des Patriotismus entwickeln. Er muss dem Land dienen. Dienst am Land ist Dienst an Mutter Kali . Es handelt sich dabei um reine Mutterverehrung.

Er muss die Pflichten seines Varnashrama ausüben. Ein Brahmane sollte über Gelassenheit, Selbstbeherrschung, Entsagung, Reinheit, Vergebung, Aufrichtigkeit, Weisheit, Wissen und Glauben an Gott verfügen. Ein Kshatriya sollte Tapferkeit, Herrlichkeit, Bestimmtheit, Geschick, Mut, Großzügigkeit und eine Führernatur vorweisen. Der Vaishya sollte Landwirtschaft, Handel und Viehzucht betreiben. Shudras sollten den anderen drei Kasten dienen. Ein Brahmachari sollte bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr religiöse Bücher studieren. Wenn er lebenslanges Zölibat gelobt hat, wenn er ein Naishthika Brahmachari  werden will, muss er nicht in das Stadium des Familienmenschen eintreten. Er sollte wahre, dauerhafte Leidenschaftslosigkeit und Unterscheidungsfähigkeit besitzen. Nur dann wird er wirklich einen Nutzen erzielen. Er kann sein ganzes Leben dem spirituellen Streben widmen.

Wenn ein Brahmachari nicht den Weg eines lebenslangen Zölibates gehen möchte, kann er ein Familienmensch werden. Er kann nach Beendigung seiner Ausbildung heiraten. Er kann seine Ehefrau gelegentlich aufsuchen, um Nachkommenschaft zu gewährleisten, aber nicht um sinnlicher Befriedigung willen. Er wird als Brahmachari bezeichnet werden, wenn er sich streng an die obige Regel hält. Nachdem er das Stadium des Familienmenschen abgeschlossen und seinem Sohn eine ordentliche Stellung verschafft hat, kann er alleine oder mit seiner Frau ein Vanaprastha  werden. Er sollte nicht bis zum Lebensende im Hause bleiben. Er wird unterschiedliche Ängste und Moha um die Kinder haben, wenn er im Haus bleibt. Sollte er es schwierig finden zu gehen, so kann er außerhalb des Hauses in einer Hütte bleiben. Wenn ihm auch dies Schwierigkeiten bereitet, so kann er im oberen Geschoss bleiben oder in einem abgelegenen Zimmer und kann nachmittags zwischen vier und fünf Besucher und Hausbewohner empfangen. Wenn ein Vanaprastha Sannyasa aufnehmen will, so ist dies recht. Vanaprastha ist nur ein vorbereitender Schritt zum Sannyasa. Der Glanz und die Freiheit eines Sannyasins sind kaum zu beschreiben. Nur ein Sannyasin kann sich von allen Verhaftungen trennen. Bei jedem anderen bleibt immer eine Art subtiler Verbindung bestehen. Hat er einmal Sannyasa aufgenommen, ist er für die Familie ein toter Mann. Ansonsten werden sie stets daran denken, noch etwas von ihm zu bekommen. Die subtile Verhaftung im Geist bleibt auf beiden Seiten bestehen. Das genügt schon, jemanden zurück in das Rad von Geburt und Tod zu werfen. Gerade die orange Farbe des Gewands verleiht Stärke und Reinheit. Ich glaube den Leuten nicht, die sagen: „Wir haben unseren Herzen Farbe gegeben.“ Dies ist Furchtsamkeit und Scheinheiligkeit. In ihnen lauern noch immer Moha, Raga und Vasanas . Wenn es innere Veränderungen gibt, so lassen die äußeren nicht auf sich warten.

Ich gebe zu, dass die Ausmerzung von Egoismus, Sankalpas (Wünsche, Gedanken) und Ashrama-Bheda (die Trennung der Lebensstadien) absolut unverzichtbar ist. Warum sonst nahmen Shri Shankara und Shri Ramakrishna  Sannyasa auf? Worin besteht überhaupt die Notwendigkeit dieser Art der Lebensführung? Sannyasa hat seine eigenen Vorteile. Shri Krishna sagt:

„Die vier Kasten wurden von Mir gemäß der Unterschiedlichkeit von Guna und Karma geschaffen; obwohl Ich ihr Urheber bin, wisse, dass Ich nicht handle und unwandelbar bin.“
[BhG 4.13]

Überall auf der Welt gibt es diese Einteilung in Kasten. Die katholischen Priester und die ehrwürdigen Kirchenmänner repräsentieren die Brahmanen. Sie meditieren und predigen. Die westlichen Soldaten sind die Kshatriyas aus Rajputana. Die Geschäftsleute im Westen sind die Vaishyas. Jene, die niedere Dienste verrichten, sind die Shudras. Diese Unterteilung beruht auf den Fähigkeiten der Menschen. Die, die sattwig sind, sind Brahmanen; die, die rajasig sind, sind Kshatriyas; die, die tamasig sind, sind Shudras. Diese Unterteilung beruht auf den Gunas und dem Karma.

Ich werde jetzt etwas über das Bewusstsein sagen. Manche Menschen sagen: „Wir können zwischen Gut und Böse, Richtig oder Falsch entscheiden, indem wir allein unser Gewissen befragen.“ Niemand wird dazu in der Lage sein, indem er lediglich sein Gewissen befragt. Sicher mag es einen Hinweis und eine Hilfestellung bieten. Das Gewissen ist kein unfehlbarer Führer. Das Gewissen des Menschen ändert sich mit seinen Erfahrungen und seiner Ausbildung. Das Gewissen ist jedermanns eigene intellektuelle Überzeugung. Das Gewissen eines Menschen äußert sich gemäß seinen Neigungen, Gepflogenheiten, Leidenschaften, Vorlieben, Fähigkeiten und seiner Ausbildung. Das Gewissen eines Wilden spricht eine völlig andere Sprache als das eines zivilisierten Europäers. Das Gewissen eines  afrikanischen Schwarzen unterscheidet sich gänzlich von dem eines ethisch entwickelten indischen Yogis. Frage einen regionalen Verwaltungsangestellten: „Worin liegen Ihre Pflichten?“; er wird antworten: „Ich muss Geld verdienen, um meine Familie und meine Eltern zu versorgen. Ich darf andere nicht verletzen. Ich muss das Ramayana  lesen.“ Er kennt die Naturgesetze überhaupt nicht. Er wird sich blind allen Gesetzen unterwerfen, welcher Art sie auch sind. Wenn du ihn fragst: „Welche Pflichten hast du dem Land und der Menschheit gegenüber? Was ist richtig und falsch? Was ist gut und böse?“, dann wird er nur blinzeln. Frage einen Chauffeur: „Was ist deine Pflicht?“ Er wird antworten: „Jedenfalls muss ich zwanzig Rupien am Tag verdienen. Ich muss zehn Gallonen Benzin, Reifen, Schläuche und Motoröl kaufen. Die Reifen sind sehr teuer. Ich habe sechs Töchter und fünf Söhne. Ich muss sie beschützen.“ Fragst du ihn irgendetwas über Gott, über Tugenden, Moksha, Sklaverei und Freiheit, Recht und Unrecht, verwirrst du ihn. Warum gibt es einen so großen Unterschied zwischen der Stimme des Gewissens zweier Menschen der gleichen Kaste, der gleichen Religion oder des gleichen Glaubens? Warum finden wir zehn verschiedene Überzeugungen bei zehn Personen aus dem gleichen Bezirk und der gleichen Bevölkerungsgruppe vor? Die Stimme des Gewissens allein reicht nicht aus, einen Menschen dazu anzuleiten, die Gesetze Gottes, Recht und Unrecht, Gut und Böse und andere Pflichten des Lebens zu begreifen. Nur die Shastras und verwirklichte Personen (Apta Vakyam) können einen Menschen bei der Erfüllung seiner Pflichten wirksam leiten. Shri Krishna erklärt nachdrücklich:

„Wer die Gebote der Schriften missachtet und unter dem Eindruck von Wünschen handelt, erreicht weder Vollkommenheit, noch Glück, noch das höchste Ziel. Daher müssen die Schriften maßgeblich sein, wenn es zu bestimmen gilt, was zu tun und was zu unterlassen ist. Nachdem du verstanden hast, was in den Geboten der Schriften festgehalten ist, musst du in dieser Welt handeln.“
[BhG 15.23-24]

3. Die drei Gunas

Ein klares Verständnis der drei Gunas und ihrer Wirkweise ist für einen Karma Yogi äußerst wichtig. Wer über die drei Gunas Bescheid weiß, kann seine Arbeit besser und effizienter erledigen.

Prakriti setzt sich aus den drei Gunas bzw. Kräften zusammen, nämlich Sattva, Rajas und Tamas. Sattva bedeutet Harmonie, Licht, Weisheit, Gleichgewicht oder Güte. Rajas meint Leidenschaft, Bewegung oder Aktivität. Tamas ist Trägheit, Tatenlosigkeit oder Dunkelheit. Während des kosmischen Pralaya  liegen diese drei Gunas in einem Zustand des Gleichgewichts vor. Während der Srishti  oder Projektion entsteht eine Schwingung und die drei Eigenschaften manifestieren sich im physischen Universum. Die drei Eigenschaften schaffen Gefangenschaft in Jiva, der individuellen Seele. Obwohl Sattva eine erstrebenswerte Eigenschaft ist, bindet auch sie den Menschen. Es ist eine goldene Fessel. Rajas ist die Ursache von Verhaftung und Lebensdurst. Es bewirkt Verhaftung an Handlungen. Tamas bindet den Menschen an Achtlosigkeit (Pramada), Faulheit (Alasya) und Schlaf (Nidra).

Diese drei Eigenschaften sind untrennbar. Niemand ist ausschließlich rajasig oder sattwig oder tamasig. Manchmal herrscht im Menschen Sattva vor. Er ist dann ruhig und gelassen. Er sitzt still und unterhält noble, die Seele erhebende Gedanken. Er studiert religiöse Schriften. Er spricht über göttliche Themen. Wenn Sattva vorherrscht, sind die beiden anderen Eigenschaften vorübergehend überwältigt. Zu anderen Zeiten herrscht Rajas vor. Der Mensch handelt. Er bewegt sich. Er plant, arrangiert und spekuliert. Er lechzt nach Macht, Reichtum und Aktion. Wenn Rajas vorherrscht, sind Sattva und Tamas vorübergehend überwältigt. Manchmal herrscht Tamas vor und der Mensch wird träge. Er fühlt sich faul, träge und lethargisch. Er ist stumpf und schläfrig. Wenn Tamas vorherrscht, sind Sattva und Rajas vorübergehend überwältigt.

In manchen Menschen dominiert Sattva, in anderen Rajas und in wieder anderen Tamas. Wenn das Licht der Weisheit aus allen Toren des Körpers strömt, dann ist ersichtlich, dass Sattva zunimmt. Habsucht, nach außen drängende Energie, Handlungsdrang, Ruhelosigkeit und Verlangen entstehen durch eine Zunahme an Rajas. Dunkelheit, Täuschung, Stagnation, Achtlosigkeit entstehen aus einem Zuwachs an Trägheit. Wenn zum Zeitpunkt jemandes Todes Sattva vorherrscht, dann geht er in die unbefleckte Welt der Weisen ein. Dominiert Rajas zum Todeszeitpunkt, dann wird er zweifellos unter jenen geboren werden, die der Handlung verhaftet sind. Stirbt jemand, wenn Tamas vorherrscht, so wird er in den Schoß der Unwissenden (Tierreich) wiedergeboren.

Die Frucht einer sattwigen Handlung ist harmonisch und rein; die Frucht einer rajasigen Handlung ist Schmerz und die einer tamasigen ist Unwissenheit. Wer in Sattva gefestigt ist, entwickelt sich aufwärts. Rajasigen Menschen gebührt der mittlere Platz und tamasige Menschen entwickeln sich abwärts und sind von den abscheulichsten Eigenschaften umnebelt.

Intensives Rajas wendet sich zu Sattva. Ein Mensch, der sich tief im Rajas befindet, begibt sich auf Nivritti Marga. Er wird, so wie es das Gesetz sagt, die Handlungen leid sein. In der Bhagavad Gita steht:

arurukshormuneryogam karma karanam uchyate
yogarudhasya tasyaiva shamah karanamuchyate

„Für den Weisen, der Yoga zu erreichen wünscht, gilt Handeln als der Weg, für denselben Weisen, der Yoga erreicht hat, gilt Nichthandeln (Untätigkeit) als der Weg.“
[BhG 6.3]

Es ist unmöglich, sich von Tamas aus mit einem Satz zu Sattva emporzuschwingen. Zunächst muss man Tamas in volles Rajas umwandeln. Dann kann man Sattva erreichen. Ebenso wie das Rad einer Maschine bewegungslos scheint, wenn es sich sehr schnell dreht, so erscheint auch ein sattwiger Mensch aufgrund seiner Selbstbeherrschung oder Kontrolle still. Ein sattwiger Mensch ist höchst aktiv. Er kann in kürzester Zeit ungeheure Arbeitsleistung vollbringen. Er verfügt über volle Konzentration.

Prakriti vollführt alle Handlung. Es sind die Gunas, die handeln. Aufgrund von Unwissenheit wird der Körper für das Selbst gehalten. Der Egoismus des Menschen behauptet sich mit jedem Schritt, nein, zu jeder Sekunde. So wie man das Ziehen der Wolken fälschlicherweise der Sonne zuschreibt, so schreibt man die Körperbewegungen und die Indriyas fälschlich dem Selbst zu. Das Selbst ist immer still und es ist der Zeuge aller Handlungen. Es ist Nishkriya oder Akarta. In der Gita steht:

„Alle Handlungen sind in allen Fällen nur aus den Eigenschaften der Natur geschmiedet. Der Mensch, dessen Geist von Ichbewusstsein getrübt ist, denkt: ‚Ich bin der Handelnde.‘ Wer jedoch die Wahrheit über die Bereiche der Eigenschaften und (ihre) Funktionen kennt, o mächtig Bewaffneter (Arjuna), und weiß, dass sich die Gunas als Sinne zwischen den Gunas als Sinnesobjekten bewegen, ist nicht verhaftet.“
[BhG 3.27-28]

„‘Ich tue gar nicht’ - So denkt ein Mensch, der in Harmonie ist und die Wahrheit kennt. Wenn er sieht, hört, fühlt, riecht, isst, geht, schläft, atmet, spricht, geschehen lässt, seufzt, die Augen öffnet und schließt, ist er davon überzeugt, dass sich die Sinne zwischen den Sinnesobjekten bewegen.“
[BhG 5.8-9]

„Gott lässt weder Urheberschaft noch Handlungen für die Welt entstehen und auch nicht die Verbindung mit den Früchten der Handlungen. Vielmehr ist es die Natur, die handelt.“
[BhG 5.14]

„Derjenige sieht, der sieht, dass alle Handlungen allein von der Natur ausgeführt werden und dass das Selbst handlungslos ist.“
[BhG 13.29]

„Wenn der Sehende keinen anderen Handelnden sieht als die Gunas und Das erkennt, was höher ist als sie, kommt er zu Meinem Wesen.“
[ BhG 14.19]

Der Geist und die fünf Organe des Wissens, nämlich Ohr, Haut, Auge, Zunge und Nase werden aus dem sattwigen Anteil der Tanmatras bzw. der Materierudimente gebildet. Die Pranas und die fünf Handlungsorgane, nämlich Zunge, Hände, Füße, Genitalien und Anus werden aus dem rajasigen Anteil der Tanmatras gebildet. Der physische Körper wird aus dem tamasigen Element der Tanmatras gebildet.

Man kann die drei Gunas überwinden, indem man über die Bedeutung der oben zitierten Shlokas der Gita meditiert. Der Atman oder Brahman ist jenseits der drei Gunas (Trigunatita). Man sollte sein Sattva Guna stärken, indem man tugendhafte Eigenschaften stärkt, sattwige Nahrung zu sich nimmt, wohltätig ist, Askese übt, Japa und Meditation betreibt, die Indriyas kontrolliert und religiöse Bücher studiert. Dann sollte man auch über Sattva Guna hinauswachsen, indem man sich mit dem Atman oder Sakshi identifiziert und Brahmabhyasa  oder Atma Chintana (Denken an das Selbst) oder Nididhyasana (tiefe Meditiation) praktiziert.

Wenn der Bewohner des Körpers diese drei Eigenschaften durchlaufen hat, aus denen alle Körper geschaffen sind, er frei von Geburt, Tod, Alter, Krankheit und Sorge ist, dann trinkt er den Nektar der Unsterblichkeit. Wer die drei Eigenschaften überwunden hat, verfügt über folgende Merkmale, die in der Bhagavad Gita beschrieben stehen:

„Wenn Licht, Aktivität oder Täuschung vorliegen, hasst er sie nicht und er sehnt sich nicht danach, wenn sie nicht vorhanden sind. Wer wie unbeteiligt sitzt und von den Eigenschaften nicht bewegt wird, wer in sich selbst gesammelt ist und sich nicht bewegt, weil er weiß, dass die Eigenschaften aktiv sind, wer derselbe bleibt in Freude und Schmerz, wer im Selbst ruht, für wen ein Klumpen Erde und ein Stück Gold dasselbe bedeuten, wer sich den Freundlichen und den Unfreundlichen gegenüber gleich verhält, wer fest ist und für wen Tadel und Lob gleichbedeutend sind, wer unberührt ist von Ehre und Schmach, sich gleich verhält gegenüber Freund und Feind und alle Vorhaben aufgibt – von ihm heißt es, er habe die Eigenschaften transzendiert. Und wer Mir mit unerschütterlicher Hingabe dient, geht über die Eigenschaften hinaus und ist geeignet, Brahman zu werden.“
[BhG 14.22-26]

4. Karma Indriyas

Eine Beschreibung dieser Organe ist hier nicht fehl am Platz. Ein Karma Yogi sollte genau über die Natur und die Funktion dieser Indriyas Bescheid wissen. Vak (Sprachorgan), Pani (Hände), Pada (Füße), Upastham (Fortpflanzungsorgan) und Payu oder Guda (Ausscheidungsorgan) sind die fünf Handlungsorgane. Die wirklichen Indriyas befinden sich im Astralkörper (Linga Sharira). Sie sind sehr feinstofflich (Sukshma); sie haben als Entsprechungen bzw. Gegenstücke Zentren im Gehirn. Was man außen sieht – Mund, Hände, Füße, Geschlechtsteile und Anus sind bloße Bahya-Karanas (äußere Werkzeuge). Die Karma Indriyas befinden sich im Pranamaya Kosha bzw. in der Vitalhülle des Astralkörpers. Die Karma Indriyas sind die fünf Soldaten. Der Oberbefehlshaber ist der Verstand. Der Verstand delegiert Arbeit an diese Soldaten, wenn er zu seiner Befriedigung sinnliche Objekte verlangt. Der Verstand arbeitet im Einklang mit diesen fünf Organen. Der Verstand ist der Führer oder der große Bandit. Diese fünf Organe sind seine Assistenten. Diese Karma Indriyas führen die Befehle ihres Chefs (des Verstandes) umgehend aus. Die Karma Indriyas können nicht unabhängig, ohne die gesunde und bereitwillige Kooperation des Verstandes handeln. In Wahrheit wirkt der Verstand durch diese Organe. Es ist der Verstand, der im Kern aller Handlungen wirklich plant, arrangiert und anregt. Während man schläft, erfahren diese Indriyas zeitweise Laya  (Involution) im Verstand. In Samadhi, dem überbewussten Zustand, werden sie vom Verstand absorbiert.

Die Karma Indriyas entstammen dem rajasigen Element der Tanmatras. Sie werden vom Prana bewegt. Ohne den Prana können sie sich keinen Millimeter bewegen. Der Jivatma, die individuelle Seele, ein Abbild von Chaitanya  im Spiegel des Verstandes, ist ein ständiger Begleiter des Verstandes. Er ist es, der die Früchte der Handlungen erntet, Freude oder Schmerz. In der Bhagavad Gita steht:

„Erfahre von Mir, o mächtig bewaffneter Arjuna, diese fünf Ursachen für das Ausführen von Handlungen, wie sie im System der Sankhyas dargestellt werden. Der Sitz (der Körper), der Handelnde, die einzelnen Sinne, die verschiedenen Funktionen und auch die herrschende Gottheit, als fünfte. Jede Handlung, die ein Mensch mit seinem Körper, seiner Sprache oder seinem Geist ausführt – sei sie recht oder das Gegenteil – diese fünf sind die Ursachen dafür.“
[BhG 18.13-15]

„Da dies nun so ist, sieht wahrlich der Mensch nicht, der – weil sein Verstehen nicht ausgebildet ist – das isolierte Selbst als Handelnden sieht und sein Verstand ist irregeführt.“
[BhG 18.16]

„Wer von Ich-Gedanken frei ist und wessen Verstehen nicht [von Gut oder Böse] gefärbt ist, tötet nicht und ist auch nicht [durch Handlung] gebunden, auch nicht wenn er diese Menschen tötet.“ sagt Gott.

Shri Krishna ist als Nitya Brahmachari (ewig Enthaltsamer) bekannt, obwohl Er mit Radha, Rukmini , Satyabhama  usw. lebte und Kinder hatte. Er ging völlig in Seinem eigenen Swarupa auf – im Nirguna Brahman . Shri Krishna trennte sich von Körper, Geist und Indriyas und identifizierte sich mit Satchidananda Swarupa. So wurde Er ein Nitya Brahmachari genannt.

Durvasa  aß bei einem Fest eine große Menge Speisen und verkündete seinen Schülern: „Ich habe nichts gegessen. Ich bin Nitya Upavasi (ewig Fastender). Teilt dies dem Fluss Yamuna mit und er wird euch alle durchlassen. Ihr könnt den Fluss ohne Boot überqueren.“

Tiruvalluvar , ein Weiser aus Südindien, gab seiner Frau die gleichen Anweisungen zur Flussüberquerung, wie Durvasa es tat. Sie war recht überrascht, als sie sah, dass der Fluss sich teilte, als sie die Worte ihres Ehemanns sprach. Der Zustand von Jnanis ist unbeschreiblich und unbegreiflich.

Die dem Vak Indriya vorstehende Gottheit ist Agni ; die der Hand ist Indra ; die der Füße ist Upendra  bzw. Vishnu; die des Upastham ist Prajapati  und die von Payu oder Anus ist Mrityu . In der Bhagavad Gita steht:

„Erkenntnis, das zu Erkennende und Erkennender sind der dreifache Handlungsimpuls; Organ, Handlung und Handelnder sind die dreifache Handlungsgrundlage.“
[BhG 18.18]

In der Nyaya-Philosophie  findet man die Begriffe Jnana, Iccha  und Prayatna . Jnana meint das Wissen um die Objekte. Iccha bedeutet Wunsch. Unter Prayatna versteht man das Bemühen, die ersehnten Objekte zu bekommen. Zunächst hat der Jiva, die Individualseele, Kenntnis von den Objekten. Anschließend entsteht im Geist der Wunsch, zu Genusszwecken von den Objekten Besitz zu ergreifen. Dann setzt er alles daran, die Objekte zu erlangen. Verlangen ist die treibende Kraft, die den Geist zur Handlung drängt. Der Mensch sinniert oder denkt über die Objekte nach, die ihm die Sinne übermitteln. Dann entwickelt er Verhaftung an diese. Aus der Verhaftung erwächst der Wunsch. Der Gedanke ist der Brennstoff. Das Verlangen ist das Feuer. Wenn du den Sankalpas Einhalt gebieten kannst, wird das Feuer des Verlangens von selbst erlöschen, ebenso wie eine Lampe erlischt, wenn ihr der Nachschub an Ghee oder Öl entzogen wird.

Zuerst ziehen einen die Gegenstände an. Dann kommt die Bindung. Selbst wenn die Anziehung erlischt, bleibt das Verlangen (Kamana oder Spriha) oder die Sehnsucht weiterhin bestehen. Dies ist Trishna Tantu, die Gefahr des Verlangens. Dann gibt es noch die Vorliebe für Objekte. Diese auszulöschen, ist sogar noch schwerer. Lösche zuerst die Verhaftung aus. Dann werden das Verlangen und die Vorliebe langsam erlöschen.

Es gibt drei Impulsarten, nämlich den Impuls des Denkens, den der Rede und den der Handlung. Ein Karma Yogi sollte nicht impulsiv sein. Er darf sich nicht von Emotionen überwältigen lassen. Er muss die auftauchenden, brodelnden Emotionen und Impulse beruhigen. Er muss die Gefühle reinigen. Dann kann er wirklich solide Arbeit hervorbringen. Er muss alle unnötigen, wertlosen oder überflüssigen Gedanken tilgen. Das lädt seine Energiereserve auf. Dies bewahrt seine Energie. Die Energie wird durch nutzloses Denken verschwendet.

Auch leeres Geschwätz und weltliches Getratsche verschwenden Energie. Ein Karma Yogi sollte an den Wochentagen zwei Stunden und sonn- und feiertags sechs Stunden lang Mauna  einhalten. Mauna löst den Sprechimpuls auf. Wer Mauna einhält, kann gemessene Worte verwenden, wenn er spricht. Er kann Ärger und Falschheit kontrollieren. Er wird friedlich sein. Er wird einen starken Willen haben. Manche Menschen sprechen wie Maschinen mit einer gewaltigen Geschwindigkeit, ohne Punkt und Komma. Die größte Strafe für solche Menschen ist es, sie drei Tage lang Schweigen einhalten zu lassen. Dies stürzt sie in große Not. Wer viel spricht, der denkt wenig und tut wenig. Er ist ein sehr ruheloser Mensch. Das Sprachorgan lenkt den Geist beträchtlich ab.

Die Sprache zu kontrollieren, bedeutet in Wirklichkeit, den Geist zu kontrollieren. Ein scharfes Schwert ist in der Zunge. Ein strenges Wort oder ein sanfter Tadel zerbrechen eine langjährige Freundschaft und enden in Kampf und echtem Blutvergießen. Die Ruhelosigkeit der Welt beruht auf zu viel Gespräch, Getratsche, Lästern und Sensationslust. Die Damen sind redseliger. Sie stören die friedliche Atmosphäre in ihrem Heim. Wenn alle Menschen auf der Welt täglich zwei Stunden Mauna praktizieren, wird das beträchtlich zum Weltfrieden beitragen.

5. Der Pseudo-Karma-Yogi

Ein Mensch zieht Khaddar-Kleidung über und setzt eine Khaddar-Mütze auf. Damit erreicht er noch keinerlei Eigenschaften jenes Menschen, der Khaddar einführte. Er hält noch nicht einmal seine Vorschriften ein. Er mag noch nicht einmal über einen Hauch von Selbstaufopferung verfügen. Er hat möglicherweise einen großen Almirah (indischer Schrank) voller fabrikgefertigter Kleidungsstücke. Vielleicht ist er ein wenig wohltätig und speist ein paar Arme, nur um seinem Namen Ansehen zu verschaffen. Er wird unter dem Namen eines Korrespondenten selbst den Zeitungen schreiben und über seine wohltätige Veranstaltung Bericht erstatten. Er mag eine kleine Summe für einen gemeinnützigen Zweck spenden. Er wird möglicherweise begierig verfolgten, ob sein Name in der Zeitung veröffentlicht wird oder nicht. Er wird so lange ruhelos sein, bis er seinen Namen in den Zeitungen findet. So einen Mensch nennt man einen Pseudo-Karma Yogi. In der Welt wimmelt es heute von dieser Art Karma Yogis.

Ein Grundbesitzer oder Geldverleiher saugt das Blut der armen Bauern aus und baut sich damit einen Palast. Er spendet mehrere tausend Pfund für eine Hindu-Universität aus einem Rücklagenfonds von Hunderttausend. Für einige Tausende errichtet er einen Tempel und lässt seinen Namen in Großbuchstaben auf eine Marmorplatte vor dem Tempel setzen. Das ist kein Karma Yoga. Dies ist pompöse Werbung, die dazu dient, zu Namen und Ruhm zu gelangen. Andererseits mag ein gewöhnlicher Arbeiter, der im Schweiße seines Angesichts einige Schillinge verdient, sein Geld wohltätig verschenken, indem er ein paar hungernde oder kranke Menschen speist und an diesem Tag vielleicht selbst nichts zu essen hat. Dies ist wahre Selbstaufopferung. Dies ist wirkliches Karma Yoga.

In alten Zeiten wurde Madura in Südindien von Königen der Pandya regiert. Einer dieser Könige gab in einem bestimmten Jahr zweihunderttausend Rupien für ein Utsava (Fest) für den Gott Soma Sundareshwar  aus. Er hatte ein großes Ego bzw. eine Menge Abhimana (Stolz, Überheblichkeit). Er dachte bei sich: „Ich bin ein großer Anhänger Shivas. Ich habe eine große Geldsumme in Verehrung Gottes gespendet. Tausende von Brahmanen, Sadhus und Armen sind gespeist worden. Ich habe wertvolle Geschenke an die brahmanischen Gelehrten ausgeteilt. Es gibt keinen anderen König, der so fromm ist wie ich.“ In dieser Nacht erschien ihm Shiva im Traum und sagte: „O König! Sei nicht stolz auf deine Frömmigkeit, Ergebenheit und Wohltätigkeit. Ich finde keinerlei Gefallen an dir. Wo Stolz ist, da kann es keine wahre Ergebenheit und Heiligkeit geben. Geh nur und schaue dir Meinen demütigen Verehrer an, den Holzfäller, welcher in einer kleinen Hütte an den Ufern des Vaighai lebt und Mir montags ein wenig Kheer aus Bruchreis und ein bisschen schwarzem Zucker opfert. Lerne von ihm, was wahrhaftige Hingabe bedeutet.“ Der König war sehr verdrossen. Am nächsten Morgen ging er den Holzfäller in seiner Hütte besuchen. Er fragte den Holzfäller: „Wie verehrst du Shiva?“ Mit dünner Stimme antwortete der Mann: „O König! Ich verdiene zwei Annas am Tag. Einen gebe ich für Essen aus, verteile neun Pies  an Almosen und spare täglich drei. Jeden Montag bereite ich etwas Kheer aus Bruchreis und schwarzem Zucker zu und opfere es Shiva. Immer wenn ich Holz fälle, wiederhole ich: „Shiva, Shiva, Shiva.“ Ich denke stets an Ihn. Darin besteht meine Hingabe an Gott. Mehr weiß ich nicht.“

Der König war sehr erfreut ob der Bescheidenheit, Einfachheit, liebenswerten Natur, Hingabe und Reinheit des Holzfällers. Er errichtete ein kleines Haus für ihn und sorgte dafür, dass er bis an sein Lebensende Essen erhielt. Er lernte viele praktische Lektionen von dessen Leben und wurde seinerseits ein wahrer, bescheidener Anhänger Shivas. Er tilgte seinen Stolz, seine Eitelkeit und seinen Egoismus.

Jesus sagt: „Lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Sei bescheiden, wenn du dienst. Stirb unbekannt. Lass niemanden deinen Namen wissen. Aber arbeite und diene anderen. Erwarte keine Bestätigung und keinen Beifall. Erst dann kommt der wahre Duft deiner Seele zutage.“

Liebe Freunde, die ihr den Pfad des Karma Yoga beschreitet! Seid ehrlich im Herzen. Jagt nicht den Schattenfiguren Ruf und Ruhm nach. Ruf und Ruhm sind trügerisch. Sie sind bloße Schwingungen in der Luft. Niemand kann sich einen unvergänglichen Namen auf dieser Ebene der Maya verdienen. Erinnert sich heute noch jemand an Shri Vyasa, Vasishtha , Vikramaditya , Yajnavalkya, Vamadeva  und Jadabharata? Viele große Seelen sind gekommen und gegangen. Zurzeit erinnert man sich an die Namen von einem oder zwei politischen Führern. In einigen Jahren werden auch ihre Namen verschwinden. Behandle Ruf und Ruhm wie Abfall, Gift oder Erbrochenes. Diese Welt ist unwirklich. Kümmere dich nicht um die kleinen vergänglichen Dinge. Kümmere dich nur um die immerwährende Wirklichkeit. Leiste im Stillen beständigen selbstlosen Dienst, im Gedenken an Gott und mit Bhava im Inneren und sei dir der innewohnenden Präsenz gewahr. Werde ein wahrer Karma Yogi.

6. Mithyachara (falsches Verhalten)

Bloße physische Kontrolle der Handlungsorgane (der Karma Indriyas wie Sprache, Hände, Füße, Genitalien und Anus) reicht nicht aus. Du darfst nicht einmal an die Sinnesobjekte denken. Wenn du an Ekadashi  das Fasten einhältst und dabei ständig an die unterschiedlichsten Köstlichkeiten denkst, wird dir das Fasten keinen Nutzen bringen. Du wirst als ein sich selbst betrügender Mensch oder als ein Heuchler (Mithyachara ) angesehen werden. Deshalb sagt Shri Krishna:

karmendriyani samyamya ya aste manasa smaran
indriyarthan vimudhatma mithyacharah sa uchyate

„Wer die Handlungsorgane beherrscht und im Geist an die Sinnesobjekte denkt, während er (zur Meditation oder Mantra-Wiederholung) sitzt und dessen Verstehen getrübt ist, wird ein Heuchler genannt.“
[BhG 3.6]

Die Handlungen des Geistes sind die wirklichen Handlungen. Der Gedanke ist die wahre Handlung. Du musst die Energie, die durch die Kontrolle der Organe frei wird, für höhere Zwecke vor dem Altar Gottes nutzen. Dies ist Yoga. Jener leidenschaftliche Mensch, der seine Ehefrau häufig aufsucht, ist unmoralischer als derjenige, der gelegentlich in gewisse berüchtigte Häuser geht. Jemand, der ständig sexuellen Gedanken nachhängt, ist höchst unmoralisch, auch wenn er durch Kontrolle über den Körper physisches Brahmacharya einhält. Es ist der Gedanke, der den Körper beherrscht. Shri Krishna sagt zu Arjuna:

„Wer aber die Sinne durch den Geist beherrscht, o Arjuna, und mit den Handlungsorganen, ohne Verhaftung, Karma Yoga übt, ist vortrefflich.“
[BhG 3.7]

Danach lobt Shri Krishna die Handlung und fügt hinzu, dass man noch nicht einmal seine Gesundheit erhalten kann, wenn man tatenlos bleibt. So sagt Er:

„Tue (deine) Pflicht und Schuldigkeit, denn Handeln ist dem Nichthandeln überlegen und in Untätigkeit wäre es dir nicht einmal möglich, deinen Körper zu erhalten.“
[BhG 3.8]

Es ist falsch zu glauben, dass Handlungen zu Bindung führen und dass sie aus diesem Grunde nicht ausgeführt werden sollten. Karma Yoga ist das Ausüben von Handlungen im Sinne von Sankhya, d. h. mit einem Gleichmut, der durch Gewinn oder Verlust, Erfolg oder Misserfolg nicht beeinflusst wird. Shri Krishna gibt Arjuna einen wertvollen Hinweis zur Ausführung von Handlungen:

„Die Welt wird durch Handlungen gebunden, die nicht als Opfer getan werden; daher handle du, o Sohn Kuntis (Arjuna), einzig aus diesem Beweggrund (allein als Opfer), frei von Verhaftung.“
[BhG 3.9]

Dies ist das Geheimnis des Karma Yoga.

7. Anweisungen für Aspiranten

Stolz, Selbstbezogenheit, Arroganz, Reizbarkeit, eine von sich eingenommene rajasige Natur, Neugierde, was die Angelegenheiten anderer Menschen anbelangt und Scheinheiligkeit sind alles Hindernisse für die Meditationspraxis. Subtile Formen dieser Vrittis (Aktion, Bewegung) lauern im Geist. Sie wirken wie ozeanische Unterströmungen. Unter dem Druck von Yoga und Meditation kommen verschiedene Arten der Unreinheit im Geist zutage, so wie der Schmutz eines Zimmers, das sechs Monate lang verschlossen war, zum Vorschein kommt, wenn man es sorgfältig kehrt. Aspiranten sollten Innenschau üben und ihren Geist beobachten. Sie sollten ihre Schwächen eine nach der anderen entfernen, indem sie geeignete und wirksame Methoden anwenden. Stolz ist tief verwurzelt. Er verzweigt sich in alle Richtungen in den Gefilden des rajasigen Geistes. Immer wieder manifestiert er sich, obwohl die Wellen zeitweilig abflauen. Sobald sich Gelegenheiten bieten, behauptet er sich.

Wenn der Aspirant durch Kleinigkeiten leicht zu beleidigen ist, kann er keinen Fortschritt bei der Meditation machen. Er sollte eine liebenswerte und liebende Natur sowie Anpassungsfähigkeit kultivieren. Dann wird diese negative Eigenschaft verschwinden. Einige Aspiranten fühlen sich schnell beleidigt, wenn ihre negativen Eigenschaften und Fehler aufgezeigt werden. Sie entrüsten sich und fangen an mit dem Menschen zu streiten, der sie bloßstellte. Sie glauben, dass dieser Mensch aus Eifersucht und Hass etwas gegen sie ausheckt. Das ist falsch. Ein Mensch, der nicht in sich blickt, der einen Geist von nach außen drängender Tendenz (Bahirmukha Vritti) hat, kann seine eigenen Fehler nicht herausfinden. Der Selbstbetrug wirkt wie ein Schleier und verwischt die geistige Sicht. Wenn ein Aspirant wachsen möchte, muss er seine Fehler zugeben, wenn sie ihm von anderen aufgezeigt werden. Er muss alles in seinen Kräften stehende tun, um sie auszulöschen und demjenigen danken, der ihn auf sie hinweist. Nur dann kann er in seiner Spiritualität und Meditation wachsen.

Es ist eine schwierige Aufgabe, die Überheblichkeit auszulöschen. Jeder Mensch hat seit Anadi Kala (anfangslose Zeit) seine Persönlichkeit aufgebaut. Auch hält er seinen rajasigen Geist an der langen Leine und hat ihm Gelegenheit gegeben, sich durchzusetzen. Diese Persönlichkeit ist sehr stark geworden. Es wird schwierig, diese Persönlichkeit zu biegen und sie formbar und dehnbar zu machen. Der von sich selbst eingenommene Mensch möchte andere dominieren. Er möchte die Meinungen und Argumente anderer nicht hören, auch wenn diese logisch und begründet sind. Er hat einen voreingenommenen Blick mit Timira (Dunkelheit). Er wird sagen: „Was immer ich auch sage, es stimmt. Was immer ich auch tue, es ist richtig. Die Handlungen und Ansichten anderer sind falsch. Ich bin unfehlbar.“ Nie wird er seine Fehler zugeben. Er tut alles, um seine launenhaften Ansichten durch krumme Argumente und Gedankengänge zu rechtfertigen. Scheitern seine Argumente, greift er auf Verunglimpfungen und Handgreiflichkeiten zurück. Zeigen ihm die Menschen keinen Respekt und erweisen ihm keine Ehre, gerät er in Raserei. Es gefällt ihm ungemein, wenn ihm jemand schmeichelt. Ihm ist jede Lüge recht, um sich zu rechtfertigen. Selbstrechtfertigung geht mit Überheblichkeit Hand in Hand. Dies ist eine sehr gefährliche Angewohnheit. Er kann nie spirituell und meditativ reifen, solange er diese selbstbezogene Art und die Rechtfertigungen beibehält. Der von sich eingenommene Mensch sollte seine geistige Einstellung ändern. Er muss die Gewohnheit entwickeln, die Dinge aus dem Blickwinkel anderer zu sehen. Er muss eine neue Haltung der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit entwickeln. Ein Aspirant sollte Respekt und Ehre wie Abfall und Gift ansehen, Kritik und Beleidigungen dagegen als Zierde und als Nektar. Der Mensch findet es schwierig, sich den Eigenarten und Gepflogenheiten anderer anzupassen. Sein Geist ist in Bezug auf die Gesellschaftsschicht, den Glauben und die Hautfarbe anderer voller Vorurteile. Er ist recht intolerant. Er denkt, dass seine Meinungen und sein Lebensstil richtig und die Ansichten anderer falsch sind. Die überkritische Natur ist tief in ihm verwurzelt. Er stürzt sich auf die Fehler anderer. Er hat trübe Augen. Er kann das Gute in anderen nicht sehen. Er weiß die verdienstvollen Taten anderer nicht zu schätzen. Er spricht von seinen eigenen Fähigkeiten und Handlungen. Deshalb streitet er mit allen Menschen in seinem Umfeld und kann Freundschaften nicht über längere Zeit aufrechterhalten. Aspiranten machen keinen Fortschritt auf dem Weg, weil auch sie in hohem Maße mit diesen Fehlern behaftet sind. Sie sollten sie auslöschen, indem sie Toleranz, reine Liebe und andere sattwige Eigenschaften entwickeln.

Prüfe dich selbst. Schau nach innen. Versuche, all deine Fehler zu beseitigen. Dies ist wahres Sadhana. Dies ist das schwierigste Sadhana. Du musst es um jeden Preis tun. Rein intellektuelle Entwicklung bedeutet nichts. Sie ist einfach. Setze dich sechs Jahre mit einem Lexikon in die Zentralbücherei von Baroda oder Kalkutta und du kannst deinen Intellekt entwickeln. Aber Arbeit an sich selbst bedarf über viele Jahre hinweg großer Anstrengungen. Viele alte üble Gewohnheiten müssen in Stücke gerissen werden. Es gibt viele berühmte gelehrte Sannyasins und Pandits, die über einen Shloka der Gita und der Upanishaden eine Woche lang Vorträge halten können. Sie erwarten Respekt und dennoch sind sie unbeliebt, weil sie immer noch große Fehler haben. Sie haben kein intensives Sadhana unternommen, um ihre Fehler zu beseitigen. Sie haben lediglich ihren Intellekt weiterentwickelt. Wie schade!

Die alten Samskaras der Eitelkeit, List, Unaufrichtigkeit, Arroganz und Kleingeistigkeit, der kämpferischen Natur, des Stolzes, der Selbstüberschätzung, des übermäßigen Denkens an sich selbst, der üblen Nachrede, des Herabsetzens anderer mögen immer noch in deinem Geist lauern. Du kannst erst strahlen, wenn du diese gründlich entfernt hast. Erfolg in der Meditation ist erst durch das Auslöschen dieser unerwünschten negativen Eigenschaften der niederen Natur möglich.

Wer sich häufig an heißen Debatten, überflüssigen Diskussionen, Zank, verbalen Gefechten und intellektuellen Verrenkungen beteiligt, beschädigt seinen Astralkörper erheblich. Viel Energie wird verschwendet. Feindseligkeit ist das Ergebnis. Zeit wird verschwendet. Der Astralkörper entzündet sich durch erhitzte Debatten. Eine Wunde bildet sich im Astralkörper. Das Blut wird heiß und wirft gleichsam Blasen wie Milch über dem Feuer. Unwissende Menschen haben keine Ahnung von der zerstörerischen Wirkung hitziger Diskussionen und überflüssiger Argumentation. Menschen, die die Gewohnheit haben, unnötig zu debattieren und sich in überflüssige Gespräche verwickeln, können nicht erwarten, auch nur den kleinsten Fortschritt auf dem spirituellen Weg zu machen. Sie müssen sich Streitgespräche und Diskussionen völlig abgewöhnen. Sie sollten den Impuls zum Argumentieren durch sorgfältige Innenschau auflösen.

Du hast verschiedene geschliffene Vorträge von studierten Sannyasins gehört. Du hast Kathas (Erzählungen), Abhandlungen und Darstellungen aus der Gita, dem Ramayana und den Upanishaden gehört. Du hast wertvolle ethische und spirituelle Anweisungen gehört. Aber du hast dich nicht bemüht, irgendetwas davon in ernsthafte Praxis umzusetzen und ausdauerndes anhaltendes Sadhana zu üben. Es wird nicht reichen, religiösen Ideen lediglich rein intellektuell zuzustimmen, die Augen am Morgen und am Abend ein bisschen zu schließen, um dich selbst zu betrügen, dich ein wenig anzustrengen, die tägliche spirituelle Routine einzuhalten und halbherzig und achtlos ein paar Tugenden zu entwickeln und dich schließlich schwach zu bemühen, die Anweisungen deines spirituellen Lehrers auszuführen. Diese Art von Einstellung sollte völlig aufgegeben werden. Ein Aspirant sollte den Anweisungen seines Gurus sowie den Lehren der Schriften bis ins Detail folgen. Dem Geist sollte nicht nachgegeben werden. Auf dem spirituellen Weg kann es keine halben Sachen geben. Du kannst nicht sagen: „Ich kümmere mich später darum. Ich kann mehr Zeit opfern, wenn ich im Ruhestand bin. Ich folge den Anweisungen so weit wie möglich bzw. mehr oder weniger.“ Dieses „mehr oder weniger“ und „so weit wie möglich“ ist für einen Aspiranten verheerend. Es gibt weder eine Ausnahme von der Regel noch einen Spielraum oder irgendeinen Nachlass bei der Ausführung der spirituellen Anweisungen. Genaues und vorbehaltloses Befolgen der Anweisungen wird von dir erwartet.

Mache keine gedankenlosen Bemerkungen. Sprich kein einziges überflüssiges Wort. Gib leeres, ausschweifendes, großspuriges und ordinäres Gerede auf. Werde schweigsam. Bestehe nicht auf Rechten dieser körperlichen, illusorischen Ebene. Kämpfe nicht für Rechte. Denke mehr über deine Pflichten und weniger über deine Rechte nach. Auf seinen Rechten zu bestehen, rührt von rajasigem Egoismus her. Diese Rechte sind wertlos. Es ist Zeit- und Energieverschwendung. Bestehe auf deinem Geburtsrecht des Gottesbewusstseins. „Du bist Brahman“ – bestehe auf diesem wirklichen Geburtsrecht. Dann bist du ein weiser Mensch.

Besitzt du einen guten Charakter, Mitgefühl, Brahmacharya, Wahrhaftigkeit, reine Liebe, Toleranz und Gelassenheit, so wiegen diese Qualitäten viele negative Eigenschaften, die du vielleicht hast, mehr als auf. Mit der Zeit verschwinden auch die negativen Eigenschaften, wenn du sorgfältig bist und dein Augenmerk darauf lenkst.

Bleibst du in Gesellschaft eines fortgeschrittenen Heiligen, ziehst du ungeheuren Nutzen aus seiner magnetischen Aura und seiner spirituellen Ausstrahlung. Seine Gegenwart wird dir ein Schutzwall sein. Schlechte Einflüsse können dir nichts anhaben. Es gibt keine Angst vor einem Absturz. Du kannst spirituellen Fortschritt schnell erzielen. Die Gegenwart eines Heiligen beschleunigt das Wachstum sattwiger Tugenden eines Aspiranten merklich und verleiht ihm die Stärke, schlafende Fähigkeiten zu wecken und unerwünschte negative Eigenschaften und Fehler auszulöschen. Junge Aspiranten sollten in der Gesellschaft ihrer Gurus oder Heiligen bleiben, bis sie auf dem spirituellen Weg und in tiefer Meditation gefestigt und tief verankert sind. Heutzutage wandern viele junge Aspiranten ziellos von Ort zu Ort und wollen die Anweisungen ihrer Lehrer oder erfahrener Heiliger nicht hören. Deshalb machen sie keinen spirituellen Fortschritt. Sie bleiben eine Bürde der Gesellschaft. Sie haben sich nicht erhoben. Sie sind auch für andere nicht von Nutzen. Sie machen, was sie wollen.

Ein Sinn für Humor ist ein seltenes Geschenk der Natur. Er hilft den Aspiranten bei ihrem Voranschreiten auf dem spirituellen Weg. Er verscheucht Depression. Er hält fröhlich. Er bringt auch anderen Frohsinn und Heiterkeit. Doch du darfst keine Scherze machen, die die Gefühle anderer verletzen. Humorvolle Bemerkungen müssen andere erziehen und korrigieren. Sie sollten dem Zweck spiritueller Lehre dienen. Man sollte auf leichte und sanfte Weise lachen. Albernes Kichern, schallendes oder wildes unanständiges und unkultiviertes Gelächter derber Art sollte man völlig vermeiden. Es verhindert den spirituellen Fortschritt des Aspiranten und zerstört die Gelassenheit und eine ernsthaft großmütige Haltung. Der Weise lächelt mit den Augen. Dies ist großartig und ergreifend. Nur intelligente Aspiranten können dies verstehen. Sei nicht kindisch und töricht.

Selbst leichter Ärger und Reizbarkeit beeinträchtigen den Geist und den Astralkörper. Aspiranten sollten diesen negativen Vrittis (Gedankenwellen) nicht erlauben, sich im See des Geistes zu manifestieren. Sie könnten jederzeit als große Welle aus Ärger überschwappen, wenn du unachtsam und schwach bist. Sie sollten durch die Praxis von Vergebung, Liebe und Mitgefühl für andere im Keim erstickt werden. Im See des Geistes sollte nicht die geringste Regung herrschen. Er sollte still und völlig ruhig sein. Nur dann wird Meditation möglich sein.

So wie ein temperamentvolles Pferd den Reiter mit sich davonträgt, so reißt der Ärger auch jenen kleinen Jiva mit sich, der keine Selbstkontrolle hat. Er wird ein hilfloses Opfer der Gefühle. So wie ein guter Reiter die Pferde kontrolliert und sicher ans Ziel kommt, so kontrolliert auch ein selbstbeherrschter Mensch das Gefühl des Ärgers, genießt Frieden und gelangt ans Ziel des Lebens.

Ein fürchterlicher Wutanfall zerrüttet das Nervensystem im physischen Körper und hinterlässt einen tiefen dauerhaften Eindruck auf den inneren Astralkörper. Dunkle Pfeile schießen vom Astralkörper los. Die Keime, die eine Grippe-Epidemie verursachen, mögen absterben, aber die Grippewelle setzt sich über eine lange Zeit an verschiedenen Orten fort. Ebenso bleibt, obwohl die Wirkung eines Wutanfalls im Geist nach kurzer Zeit wieder abflaut, seine Schwingung oder Welle noch Tage und Wochen lang im Linga Sharira, dem Astralkörper, bestehen. Ein leicht unangenehmes Gefühl, das im Geist fünf Minuten anhält, kann zwei bis drei Tage lang Schwingungen im Astralkörper verursachen. Ein schrecklicher Zornausbruch verursacht eine schwere Entzündung im Astralkörper. Es bedarf mehrerer Monate, das Geschwür wieder zu heilen. Hast du nun die vernichtenden Auswirkungen des Ärgers verstanden? Werde kein Opfer dieser schrecklichen Krankheit. Beherrsche sie durch Barmherzigkeit, Liebe, Mitgefühl, Vichara (Unterscheidung) und Toleranz.

Sorge, Depression, unheilige Gedanken, Ärger und Hass erzeugen eine Art Kruste oder dunkle Schicht auf der Oberfläche des Geistes bzw. des Astralkörpers. Diese Kruste bzw. Rost oder Schmutz hindern die positiven Einflüsse am Eindringen und ermöglichen den niederen Kräften das Wirken. Sorge schadet dem Astralkörper und dem Geist erheblich. Durch die Gewohnheit der Sorge wird Energie verschwendet. Nichts wird durch Sorge gewonnen. Sie bewirkt Entzündungen des Astralkörpers und lässt die Lebenskraft des Menschen versickern. Sorge sollte durch aufmerksame Innenschau und ständige Beschäftigung des Geistes ausgelöscht werden.

Lass in deinen Bemühungen nicht nach. Halte die göttliche Flamme ständig am Brennen. Du näherst dich dem Ziel. Dein Licht ist nun erschienen. In deinem Gesicht liegt eine brahmanische Aura. Dank deines unermüdlichen und geduldigen Sadhanas hast du viele Gipfel und unüberwindbare Höhen auf dem spirituellen Weg überwunden. Es ist dir hoch anzurechnen. Du hast tatsächlich bemerkenswerten Fortschritt gemacht! Ich bin sehr zufrieden mit dir, o Swarupananda!  Noch musst du einen weiteren Gipfel erklimmen und durch einen engen Pass schreiten. Dies verlangt noch mehr geduldige Anstrengung und Stärke. Du musst auch den sattwigen Egoismus einschmelzen. Du musst auch den wonnevollen Zustand von Savikalpa Samadhi  transzendieren. Du schaffst es. Ich bin ganz zuversichtlich.

Beweise feste Entschlossenheit und einen starken Willen. Denke nicht daran, nach Hause zurückzukehren, nachdem du Nivritti Marga (Weg des Sichabwendens) begonnen hast. Entscheide dich, bevor du den Schritt gehst. Habe Mut, Festigkeit im Geist und ein eindeutiges Lebensziel. Schwanke nicht. Bist du bereit, alle Besitztümer aufzugeben, einschließlich deines Körpers und deines Lebens? Erst dann komm zu mir. Erst dann nimm Nivritti Marga auf und ergreife Sannyasa. Überlege gut, bevor du zu einem endgültigen Entschluss kommst. Dies ist kein so rosiger Pfad, wie du vielleicht meinen magst. Er ist voller Dornen. Er ist von zahllosen Prüfungen und Schwierigkeiten heimgesucht. Sei bescheiden, geduldig und ausdauernd. Kümmere dich nicht um Siddhis oder um das rasche Erwachen der Kundalini. Ich werde dir dienen. Sei nicht besorgt. Sei nicht ängstlich. Ich bin immer dein Diener. Sei edelmütig. Reine Gefühlsüberschwänglichkeiten helfen dir nicht weiter. Einige junge Männer sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Es gibt viele Schwierigkeiten auf diesem Weg. Nur ein Mensch mit Geduld, Ausdauer und eisernem Willen kann diesen Weg gehen. Dieser Weg kann dich zum König aller Könige machen. Er ist leicht für einen Menschen von Entschlossenheit, Geduld, Ausdauer, Selbstaufopferung, Leidenschaftslosigkeit, Unterscheidungsfähigkeit und starkem Willen.

Jene, die die Abgeschiedenheit und Nivritti Marga suchen, sollten Mauna üben, Nichtvermischen und Disziplin der Indriyas, des Geistes und des Körpers, während sie in dieser Welt leben. Sie sollten sich zu einem harten, arbeitsamen Leben erziehen, zu einfachen Speisen, Schlafen auf dem Boden oder auf einer harten Matratze ohne Kissen, zum Barfußgehen und dazu, keinen Sonnenschirm zu benutzen. Dann können sie die rigorosen Härten des Asketentums ertragen. Sie sollten sich nicht zieren, Almosen anzunehmen. Wer ein unabhängiges Leben haben möchte, sollte einige Tausend Rupien mitbringen. Dies wirft monatlich einige Rupien Zinsen ab (sodass man ohne Betteln leben kann). Die Zeiten haben sich gewandelt. Es ist schwierig, Bhiksha  zu erhalten. Viele Menschen sind auf Arbeitsuche. Sannyasins sollten heutzutage für die Aufrechterhaltung von Sannyasa etwas eigenes Geld haben. Sie müssen wirtschaftlich unabhängig sein. Nur dann können sie reibungslos mit ihrem spirituellen Sadhana fortfahren.

Durch Mäßigung, Hingabe an den Guru und stetige Praxis stellt sich der Erfolg des Yoga nach langer Zeit ein. Der Aspirant sollte bei seinen Bemühungen immer geduldig sein.

Aspiranten, die den Nivritti Marga gehen, werden im Allgemeinen nach einiger Zeit faul, weil sie nicht wissen, wie sie ihre geistige Energie nutzen können, weil sie ihre tägliche Routine nicht einhalten und den Anweisungen der Lehrer nicht Folge leisten. Sie erlangen Vairagya, aber sie machen keine wirkliche Erfahrung im spirituellen Bereich. Sie machen am Ende keinen Fortschritt. Intensive und regelmäßige Meditation ist notwendig, um in Samadhi einzutreten.

Wenn der Yogaschüler, der meditiert, trübsinnig, niedergeschlagen und schwach ist, dann ist sicherlich in seiner Meditation etwas falsch. Meditation macht einen stark, fröhlich und gesund. Wenn Aspiranten selbst trübsinnig und mürrisch sind, wie können sie dann anderen Freude, Frieden und Stärke vermitteln!

Meistere jeden Schritt des Yoga. Erklimme mutig und fröhlich allmählich die aufeinander folgenden Stufen. Betritt nicht die höhere Stufe, bevor du die niedrigere vollkommen beherrschst. Dies ist der Königsweg zu vollkommener Meditation und Samadhi.

Der Schüler und der Lehrer sollten in größter Aufrichtigkeit und Hingabe zusammen leben wie Vater und ergebener Sohn oder wie Mann und Frau. Aspiranten müssen eine begierig aufnahmebereite Einstellung haben, um die Lehren des Meisters aufzunehmen. Nur dann tragen sie spirituell Nutzen davon, anderenfalls besteht für den Aspiranten nicht die geringste Hoffnung auf spirituelles Leben und spirituellen Fortschritt sowie vollständige Umwandlung seines alten asurischen  Lebens.

Es ist sehr schade, dass das gegenwärtige Schulsystem in Indien dem spirituellen Wachstum eines Sadhaka nicht zuträglich ist. Der Geist der Schüler wird mit materialistischem Gift getränkt. Heutige Aspiranten haben keine Vorstellung von der wirklichen Beziehung eines Schülers zum Guru. Sie ist nicht wie die Beziehung eines Schülers zum Lehrer oder Professor in Schulen und Universitäten. Die spirituelle Beziehung ist völlig anders. Sie umfasst völlige Hingabe. Sie ist sehr heilig. Sie ist rein göttlich. Blättere in den Upanishaden. In alten Zeiten pflegten Brahmacharis sich ihren Lehrern in tiefer Demut, Ernsthaftigkeit und Bhava, mit heiligen Stäben (Samidh ) in der Hand zu nähern.

Bist du mit eisernem Willen sicher entschlossen, um jeden Preis an diesem Weg festzuhalten? Bist du bereit, diesen Körper und dieses Leben um der Wahrheit willen zu opfern? Hast du die Herrlichkeit und die Wichtigkeit des Sannyasa und der Abgeschiedenheit verstanden? Wenn deine Tochter, dein Bruder oder deine Mutter herkommt und weint, hast du die Willensstärke, Moha zu widerstehen? Ich werde dich eine Zeit lang in Gerua -Stoff hüllen und mit dem heiligen Faden und dem Haarbüschel versehen. Dies dient der Vorbereitung für Sannyasa. Wenn ich dann deine Vritti (Gedanken) und deinen geistigen Zustand geprüft habe, werde ich dich mit den rechten vedischen Riten, Viraja Homa  usw. in Sannyasa einweihen.

Kannst du nach deiner Ankunft hier deine Familienbande lösen? Kannst du jeden Kontakt mit deinen Freunden abbrechen? Verberge nichts. Sei ganz offen und ehrlich wie ein Kind. Sprich jetzt die Wahrheit. Öffne dein Herz.

Aspiranten haben keinen unerschütterlichen Glauben an den Guru oder an die Shrutis (offenbarte Wahrheiten). Sie glauben nur zur Hälfte oder schwanken in ihrem Glauben. Deshalb haben sie keinen Erfolg im Yoga oder Jnana (Erkenntnis).

Shri Vasishtha sagt zu Rama: „Auch wenn man bei einem Guru Zuflucht finden mag, so kann man nur durch eigenes Bemühen und eigenen Willen alle Leiden überwinden, die aus der Verbindung mit Objekten und Beziehungen entstehen.“ (Geschichte des Bali – Yoga Vasishtha).

Viele glauben törichterweise, dass ein Wassertropfen aus dem Kamandalu (Gefäß) eines Sannyasins oder Yogis oder eine kleine Wunderpille sie von einer Sekunde zur anderen in Gottheiten verwandeln, die Kundalini erwecken lässt und sie in Samadhi versetzen wird. Sie möchten selbst keinerlei Sadhana ausführen. Sie erwarten, dass der Guru alles für sie tut. Sie möchten die „Berührung des Meisters“ oder seinen „Einfluss“. In der Tat merkwürdige Menschen mit komischen absurden Vorstellungen!

Du kannst den unerkennbaren Brahman durch Reinheit im Geist, durch Dienst am Guru, der ein Brahma Nishtha (verwurzelt in Brahman) ist, erkennen, indem du Unterricht bei ihm bekommst und durch beständige Meditation. Wenn der Geist einpünktig ist, dann entsteht in ihm durch die Gegenwart des Gurus eine andere Art von Wissen. Auch wenn die Einführung durch einen Acharya (Meister) es noch niemandem ermöglicht, Jnana zu erlangen, so wird Jnana doch nur mit seiner Hilfe entwickelt.

Unermüdliche Wachsamkeit ist nötig, wenn du schnellen spirituellen Fortschritt erreichen willst. Gib dich auf deinem Weg nicht mit einem kleinen Erfolg zufrieden, einer kleinen geistigen Gelassenheit, ein wenig Einpünktigkeit, Engelsvisionen, Siddhis, mit der Fähigkeit, Gedanken zu lesen usw. Es gilt, immer noch höhere Gipfel zu erklimmen, in höhere Regionen vorzudringen. Sei ständig dienstbereit. Diene mit reiner Liebe, Freundlichkeit und Höflichkeit. Murre dabei nie. Verziehe nie dein Gesicht dabei. Der Mensch, dem du dienst, wird sich weigern, solchen Dienst anzunehmen. Du hast eine Chance vertan. Schaue dich nach Gelegenheiten zum Dienen um. Verpasse keine einzige Chance. Schaffe Möglichkeiten. Schaffe Wege für guten Dienst. Schaffe Arbeit.

Lebe dein Leben in ausgesprochener Hingabe an das Dienen. Erfülle dein Herz mit Leidenschaft und Enthusiasmus für den Dienst. Lebe nur, um ein Segen für andere zu sein. Wenn du dies erreichen möchtest, musst du deinen Geist verfeinern. Du musst deinen Charakter polieren. Du musst deinen Charakter modellieren und formen. Du sollst Mitgefühl, Liebe, Güte, Toleranz und Bescheidenheit entwickeln. Kämpfe nicht darum, Recht zu behalten. Es gibt viele Arten des Geistes. Es gibt viele Denkarten. Es gibt unterschiedliche Meinungen. Jede ist aus ihrem Blickwinkel heraus richtig. Passe dich daran an. Höre sie mit Liebe, Mitgefühl, Aufmerksamkeit an und weise ihnen einen Platz zu. Komm aus deinem kleinen egoistischen Umfeld heraus und entwickle mehr Weitblick. Habe liberale Ansichten. Gib den Ansichten aller einen Platz. Erst dann wirst du ein volles Leben und ein großes Herz haben. Sprich sanft, leise und höflich und möglichst wenig. Lösche unerwünschte Gedanken und Gefühle.

Es darf nicht die geringste Spur von Stolz und Reizbarkeit vorhanden sein. Du musst dich selbst völlig vergessen. Du darfst kein persönliches Element oder Gefühl zurückbehalten. Vollständige Hingabe an das Dienen ist vonnöten. Bist du mit den oben genannten Eigenschaften ausgerüstet, bist du ein Leuchtfeuer und ein seltener Segen für die ganze Welt. Du bist in der Tat eine seltene süße Blume, deren köstliches Aroma das Land durchdringen und überziehen wird. Du hast den erhabenen Status der Buddhaschaft (Erleuchtung) erlangt.

Sei höflich, zuvorkommend, freundlich, verbindlich und hilfsbereit, nicht hin und wieder, nicht impulsiv, sondern immer während deines Werdegangs im Leben. Sprich nie ein verletzendes Wort zu anderen. Denke, bevor du sprichst und sei bedacht darauf, dass das, was du sagst, niemandes Gefühle verletzt, dass es vorsichtig, mild, wahrhaftig und sanft ist. Erwäge zuerst sorgfältig die Konsequenzen deiner Gedanken, deiner Rede und deiner Handlungen. Zunächst wirst du mehrere Male darin scheitern, aber am Ende wirst du durch ständige Übung zwangsläufig Erfolg haben.

Du darfst keine Arbeit flüchtig, nachlässig, halbherzig und gelangweilt ausführen. Du kannst dich nicht entwickeln, wenn du diese Geisteshaltung einnimmst. Dein ganzes Herz, dein Geist, dein Intellekt und deine Seele müssen beschäftigt sein. Erst dann kannst du es Yoga oder Ishwararpana nennen. Manche Menschen sind mit den Händen bei der Arbeit, im Geist auf dem Markt, mit dem Intellekt im Büro und mit der Seele bei Frau oder Sohn. Dies ist schlecht. Führe jede Arbeit effizient und vollkommen aus. Das Motto sollte sein: „Eines nach dem anderen und das gut erledigen“. Wenn dein Guru oder Freund dich bittet, ein Handtuch zu waschen, nimm auch seine Kleider mit zur Wäsche, ohne dass er darum weiß. Wenn dein Lehrer sagt: „Amritam, bringe mir etwas Muskatöl!“, so lasse das Öl im Nu heraus und bringe es deinem Guru in einer Tasse. Laufe zu ihm mit der Tasse in deiner Hand, außer Atem, deinen Körper schweißgebadet und sage: „O ehrwürdiger Meister, Vernichter meines Unwissens! Hier ist das Öl für dich.“ Wenn ein Passant um Wasser bittet, sage ihm höflich mit süßen Worten: „Bruder, nimm Platz. Hier ist Wasser. Hier ist eine Tasse Milch für dich. Ruhe dich aus. Ich wasche deine Füße und fächle dir zu. Du bist müde.“ Dies ist wirklicher Dienst. Dies ist wirklicher Yoga. Dienst du mit dieser geistigen Einstellung ein oder zwei Jahre lang, wirst du ein völlig anderer Mensch, ein wahrhaftiger Mann Gottes auf dieser Erde.

Erledige nichts mit Hast und Eile. Erfülle jede Arbeit mit einem kühlen, unerschütterlichen Geist. Sei ganz genau in jeder Arbeit. Viele verderben ihre Arbeit durch Eile, fehlende Überlegung und Besonnenheit. Später bereuen sie es. Dies ist schlecht. Nimm dir Zeit, es macht nichts aus. Aber tue es richtig mit wissenschaftlicher mathematischer Genauigkeit, geschickt und gekonnt.

Sei auf der Hut, wenn du in der Gesellschaft dienst. Selbstloser Dienst jeglicher Art, Podiumsvorträge oder irgendeine öffentliche Tätigkeit bringen sicher Namen und Ruhm. Dies aber wird dir zum Verhängnis wie Fäulnis in einer Blüte oder jungen Pflanze. Lehne Namen und Ruhm ab. Werde sehr bescheiden. Lass diese Tugend in deinem Herzen, in jeder Zelle, in jedem Nerv, in jeder Faser deines Seins verwurzelt sein. Viele haben Rückschläge erlebt, weil sie Opfer dieser mächtigen Rauschmittel – Name und Ruhm – wurden. Ihr Fortschritt wurde gestoppt. Daher warne ich dich ernsthaft davor.

Du musst höchste Unterscheidungsfähigkeit, Gespür, Eilfertigkeit, Wachsamkeit, Daksha (Fachkompetenz) entwickeln, was dir hilft, die Handlung richtig durchzuführen, wenn du im Dilemma bist. Erst dann bist du in der Lage herauszufinden, was genau in einem kritischen Moment oder zu einer bestimmten Zeit und nicht Stunden später verlangt ist. Du wirst hinterher nichts bereuen.

Es ist äußerst schwierig, einen ruhigen reinen Geist zu haben. Aber du musst solch einen Geist haben, wenn du in der Meditation fortschreiten willst, wenn du Nishkamya Yoga wünschst. Erst dann wirst du ein perfektes Instrument besitzen, einen gut kontrollierten Geist zur Verfügung haben. Dies ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Aspiranten. Darum musst du lange geduldig, ausdauernd und hart kämpfen. Für einen Sadhaka, der einen eisernen Willen und große Bestimmtheit besitzt, ist nichts unmöglich.

Wiederholtes Scheitern darf dich nicht entmutigen. Sei dir der Gründe deines Scheiterns bewusst und achte sorgsam darauf, sie in Zukunft zu vermeiden. Du musst dich selbst festigen. In der Schwäche liegt das Geheimnis deiner Stärke. Halte trotz wiederholter Fehlschläge beharrlich an deinen Idealen, Überzeugungen und am Sadhana fest und ziehe mutig deines Weges. Sage: „Komme, was mag, am Ende gehe ich als Sieger aus dem spirituellen Kampf hervor. Ich werde das Selbst in diesem Leben verwirklichen, nein, sogar in dieser Sekunde. Scheitern oder Ausrutscher können mich in keiner Weise beeinträchtigen.“

Ich bin immer bereit, dir zu helfen. Mein Mitgefühl gilt dir immer. Ich werde dir Freude, Frieden und Gedanken der Liebe senden. Ich werde dich inspirieren. Aber ich kann die Arbeit nicht für dich erledigen. Du selbst musst sie erledigen. Der Kampf und die Anstrengung müssen von deiner Seite kommen. Ein hungriger Mensch muss selbst essen. Ein Dürstender muss selbst trinken. Du musst jeden Schritt auf der spirituellen Leiter selbst erklimmen. Denke immer an diesen Punkt.

O Saumya (Schöner)! Liebe unsterbliche Seele! Sei tapfer. Sei fröhlich, auch wenn du arbeitslos bist, auch wenn du nichts zu essen hast, auch wenn du in Lumpen gehüllt bist. Deine wesentliche Natur ist Satchidananda. Der äußere Überzug, diese sterbliche körperliche Hülle ist ein eingebildetes Produkt von Maya. Lächle, lache, pfeife und tanze vor Freude und Ekstase. Singe:

„Om, Om, Om“ – „Ram, Ram, Ram“ – „Shyam, Shyam, Shyam“ ,
„Shivoham, Shivoham, Shivoham“  – „Soham, Soham, Soham“ .

Komm aus diesem Käfig des Fleisches heraus. Du bist der geschlechtslose Atman. Du bist der Sohn des Königs aller Könige, der Kaiser aller Kaiser – das Brahman der Upanishaden, der Atman, der in der Kammer deines Herzens (Hridaya Guha) weilt. Handle als solcher, fühle als solcher und fordere dein Geburtsrecht ein, nicht morgen oder übermorgen, sondern von jetzt an, in dieser Sekunde.

Tat Twam Asi  – Du bist Das.