Satsang

Eine der wichtigsten spirituellen Praktiken ist der Satsang (wörtlich „Zusammensein mit Wahrheit“; gemeinsame Meditation, Mantrasingen, Vortrag). 1924, als Swami Sivananda nach Rishikesh kam, war er gerade erst Swami geworden. Er war auch noch Bettelmönch und weitgehend unbekannt. Er war fast vierzig und als solcher noch so ziemlich jung im Vergleich zu den anderen großen heiligen Männern im Swarg Ashram. Aber als kühner und praktischer Idealist fand er schon damals heraus, dass Satsang der Weg ist, das Feuer der Gottesliebe im Herzen spiritueller Anwärter am Leben zu erhalten und so arbeitete er daran, all diese heiligen Männer im Satsang zusammen zu führen. Er schlug vor: „Warum geht ihr nicht alle zusammen auf eine Bühne, so dass alle Menschen euch sehen und hören können?“ Er errichtete eine Plattform und breitete Matten und Kissen zum Sitzen für die Meister darauf aus. Er selbst blieb aber im Hintergrund.

Als er in den jetzigen Ashram zog, sorgte er als erstes dafür, dass jeden Abend Satsang im Ashram stattfand - im Sommer, im Winter und während des Monsuns.

Im Winter wurde der Satsang auf dem Hügel durchgeführt, wo es nicht so kalt war, und im Sommer am Ufer des Ganges, wo es etwas kühler war. Swamiji war das „Sat“(Wahrheit) im Satsang oder, anders ausgedrückt, die göttliche Gegenwart, deren Gesellschaft die Teilnehmer suchten. Er war ein heiliger Mann und bedurfte nicht der Gesellschaft anderer. Und doch ging er – sich auf einen langen Stock stützend – jeden Abend zum Satsang. Wenn das körperlich nicht möglich war, stützte er sich auf zwei Leute und ging so zum Satsang. Niemand konnte ihn davon abhalten. Später, als er sich nicht sicher war, ob die Beine seinen Körper überhaupt noch tragen konnten, sagte er: „Oh, die Beine sind ein wenig wackelig. Bringt mir einen Rollstuhl.“

Er, der noch wenige Jahre zuvor bei hervorragender Gesundheit gewesen war, zögerte nicht im geringsten, sich im Rollstuhl zum Satsang fahren zu lassen. Als er nicht mehr auf dem Boden sitzen konnte, setzte er sich in einen Lehnstuhl. Als der Körper krank und schwach war, konnte er auch nicht mehr auf dem Stuhl sitzen; dann legte er sich auf dem Boden hin; aber den Satsang versäumte er nicht.

Einmal fehlte ein Besucher am zweiten oder dritten Tag im Satsang. Swamiji bemerkte das und fragte ihn am nächsten Tag, warum er nicht zum Satsang gekommen sei. Der Besucher erwiderte, dass er sich nicht wohlgefühlt habe. Swamiji sagte: „Das ist gerade der Grund, warum du zum Satsang kommen solltest. Wenn Du Dich nicht wohlfühlst, musst du gerade zum Satsang kommen und du wirst dort wieder gesund.“

Swamijis Satsang war in vielerlei Hinsicht einzigartig. Es war eine wunderbare Kombination aus Singen von Liedern zum Lobe des Herrn, Mantrarezitation, Musik, Studium der Schriften, Vorträgen usw. Am Anfang war er sehr streng und einfach; selbst Zimbeln waren nicht zugelassen. Es gab kein elektrisches Licht und nur wenige andere Lampen. Er wurde im Allgemeinen bei völliger Dunkelheit durchgeführt mit Ausnahme einer kleinen Lampe auf dem Altar und einer Sturmlaterne zu Lesezwecken. Swamiji suchte immer nach ernsthaftem Ausdruck von Liebe und Hingabe. Er unterstützte keine Heuchelei. Er sagte, wenn man Kirtans singt, sollte man dabei mit geschlossen Augen dasitzen und sich bewusst sein, dass man für Gott singt und nicht, um ein Publikum zu unterhalten. Wenn man so singt, macht man sich keine Gedanken um seine Stimme, seine Kehle oder seine Fertigkeiten im Singen, sondern man singt mit Hingabe.

In der ersten Zeit nahmen nur 10 bis 15 Ashrambewohner und etwa 10 Besucher daran teil, die in zwei Reihen saßen. Der Satsang begann mit Anfangsgebeten (die später stark erweitert wurden). Dann wurde die Lampe weitergereicht an den Ersten links von Swamiji, der ein Kapitel aus der Bhagavad Gita las, mit oder ohne Übersetzung. Sobald das Kapitel zu Ende war, leitete derselbe Teilnehmer einen Kirtan an. Dann wurde die Laterne an den Nächsten weitergereicht, der etwas aus einer anderen Schrift las. Diese Person leitete dann über zum nächsten Kirtan und so ging es rund herum.

Jeder musste einen Kirtan anleiten. Es reichte nicht aus, im Chor mitzusingen. Swamiji akzeptierte keine Entschuldigung oder Begründung. Er betonte, dass Schüchternheit ein Hindernis für den spirituellen Fortschritt sei. Eine junge Dame aus Südafrika versuchte, dem Singen aus dem Weg zu gehen, indem sie sagte: „Swamiji, mein Hals ist heute nicht in Ordnung. Ich bin ein wenig heiser.“ Swamiji schickte sofort nach einer bitteren Hustenmedizin. Sie wusste nicht, ob sie diese nehmen sollte oder nicht!

Niemand wurde freigestellt, weil es nur im Satsang möglich ist, sich im Yoga zu festigen und herauszufinden, wo man noch unbeständig war.

Nachdem alle gesungen hatten, schloss Swami Sivananda mit dem Maha Mrityunjaya Mantra. Der Satsang endete mit dem Arati (Lichtzeremonie) und den nachstehenden Friedensgesängen:

Om sarvesham svasti bhavatu, sarvesham shantir bhavatu,
Sarvesham purnam bhavatu, sarvesham mangalam bhavatu,
Sarve bhavantu sukhinah, sarve santu niramayah,
Sarve bhadrani pashyantu, ma kaschit dukha-bhag-bhavet.
Asato ma sat gamaya, tamaso ma jyotir gamaya,
Mrityor ma amritam gamaya.
Om purnamadah purnamidam purnat purnamudachyate,
Purnasya purnamadaya purnameva vashisyhate,
Om shantih, shantih, shantih.

Deutsche Übersetzung:

Mögen alle gesegnet sein mit Wohlergehen, Erfolg, Frieden und Fülle.
Mögen alle glücklich sein und frei von Krankheit. Mögen alle nur Gutes sehen:
und möge niemand von Übel heimgesucht werden.
Oh Gott, führe mich von der Unwirklichkeit zur Wirklichkeit, von der
Dunkelheit zum Licht und von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit.
Gott ist alles, die Fülle; die Schöpfung ist ebenfalls vollendet.
Diese ist aus Gott entstanden und doch bleibt Gott auf immer das Ganze.
Om Frieden, Frieden, Frieden.

Dann ging Swamiji sehr ruhig davon zu seinem Kutir, so dass die tiefgründigen Gedanken und Ideen der Schriften im Herzen und Gemüt aller Teilnehmer noch nachklingen konnten, bis sie zu Bett gingen.

Das war die Grundstruktur des Satsangs. Swamiji ermutigte die Menschen, Satsang auch zu Hause abzuhalten, zum Beispiel mit Nachbarn und dabei selbst passende Schriften auszuwählen.

Lieder

Swamiji sagte einmal, dass er, als er nach Rishikesh kam, nichts anderes wollte, als unter einem Baum zu sitzen, die Namen Gottes zu singen und Mantras zu wiederholen. Er liebte Kirtans so sehr, dass keine Veranstaltung ohne Kirtan begonnen wurde. Bei jeder Gelegenheit wurden Mantras gesungen, wenn jemand krank war, starb, geboren wurde oder heiratete, bei einer Grundsteinlegung oder beim Abriss eines Gebäudes sang er das Mahamantra:

Hare Rama Hare Rama – Rama Rama Hare Hare,
Hare Krishna Hare Krishna – Krishna Krishna Hare Hare,

welches sein bevorzugtes Mantra war. Er schätzte dieses Mantra so sehr, dass er am 3. Dezember 1943 das ununterbrochene Singen dieses Mantras im Ashram einführte. Seither wird das Mantra im Ashram ständig bei Tag und bei Nacht gesungen und erzeugt so eine machtvolle spirituelle Strömung, die die Aspiranten auf subtile Weise in ihren spirituellen Bemühungen unterstützt.

Swamiji ermutigte alle Organisatoren von Konferenzen oder anderen wichtigen Veranstaltungen und Feiern, während des gesamten Anlasses parallel ein ununterbrochenes Singen dieses Mantras zu organisieren; dies werde zum Erfolg ihres Anliegens beitragen.

Während das Mahamantra mehr oder weniger bei allen Zusammenkünften im Ashram rezitiert wurde, hatte er auch seine eigenen speziellen Gesänge zur Anrufung des jeweiligen Aspekts Gottes für jeden Tag der Woche.

Swamiji schrieb viele inhaltlich inspirierende Lieder (meistenteils auf Sanskrit, teils auf Englisch). Sie enthalten die tiefste Essenz seiner Lehren. Hier eines davon. (der englische Originaltext ist ins Deutsche übersetzt):

Sunaja sunaja sunaja Krishna
Tu-gita-wala jnana sunaja Krishna.
Diene, liebe, gib, reinige dich, meditiere, verwirkliche
sei gut, tue Gutes, sei freundlich, sei mitfühlend.
Frage dich ‘wer bin ich?’, erkenne dein Selbst und sei frei.
Passe dich an, sei flexibel, stell dich auf andere ein.
Ertrage Beleidigungen, ertrage Kränkungen – das ist höchstes Sadhana.
Sei aufrichtig, sei ehrlich, sei wahrhaftig,
Sei geduldig, sei folgsam, sei tolerant.
Sei großmütig, sei demütig, sei edel,
Sei kühn, sei rein, sei weise, sei tugendhaft
Sei still, sei ruhig, erkenne dein Selbst.
Suche, finde, tritt ein und ruhe dich aus.
Frage nach, entdecke und gewinne deine Kräfte zurück.
Das ist der Weg, das ist die Wahrheit, das ist göttliches Leben.

Seine Lieder sind im Grunde nicht dualistisch. Sie widerspiegeln seine Gottesverwirklichung und sein tiefes Verständnis, dass Gott von Menschen je nach Temperament und spiritueller Neigung auf unendlich viele verschiedene Weisen vorgestellt und verehrt wird.

Gebet

Eine andere Form des Dienens, welche Swamiji wärmstens empfahl, war das Gebet. Gebet hieß weniger, für sich selbst zu beten (nicht einmal für seine Befreiung), sondern eine Form der Nächstenliebe. So war Beten – nicht nur für den Frieden aller im Allgemeinen, sondern auch ganz im Speziellen – Teil seines Lebens.

Swamiji legte stets großen Wert darauf, dass seine Schüler vollkommen selbstlos für alle beteten. Beim Satsang und zu anderen Gelegenheiten rief er oft alle auf, für jemanden zu beten, der krank war, für den Frieden einer verstorbenen Seele oder für jemanden, der Geburtstag hatte. Anschließend leitete er selbst das gemeinsame Singen der Namen Gottes und schloss mit zwei Minuten stiller Meditation und einem Gebet. Dieses Gebet bewirkte buchstäblich Wunder.

Anfangs wurde noch eine andere Form des Dienens verrichtet. Swamiji hatte großen Glauben in das Maha Mrityunjaya Mantra:

Om tryambakam yajamahe sugandhim pushtivardhanam,
urvarukamiva bandhanam mrityor mukshiya mamritat.

Wir verehren den Gott, der Gesundheit und Stärke verleiht.
Möge er uns vom Tod befreien.

Dieses Mantra gilt als Heilmantra, das alle Arten von Unfällen fernhält, Gesundheit und ein langes Leben und letztlich Unsterblichkeit verleiht. Dieses Gebet beschränkte Swami Sivananda nicht auf menschliche Wesen. Ein verletzter Hund oder Affe bewirkte unweigerlich, dass er das Maha Mrityunjaya Mantra rezitierte. Selbst eine tote Eidechse am Weg empfing dieses Mantra für den Frieden der Seele. Für Swamiji waren alle Wesen gleich und Gebet daher universell anwendbar.

Aspiranten von außerhalb schrieben ihm oft und teilten ihm mit, dass sie oder ein Mitglied ihrer Familie krank seien und baten ihn das Mrityunjayam zu wiederholen. Alle Schüler im Ashram beteiligten sich daran. Es waren damals nur etwa 10 Schüler und jeder wurde eingeteilt, möglichst viele Malas (eine Mala entspricht einer 108maligen Wiederholung des Mantras) pro Tag durchzuführen. Der Sekretär führte Buch darüber, wie oft das Mantra für den betreffenden Menschen wiederholt worden war. Selbst wenn ein Schüler die Person nicht kannte, so hatte er doch den Namen dieses Menschen im Gedächtnis und betete für dessen Wohlergehen, indem er Mrityunjaya Mantra Japa am Ufer des Ganges machte.

Das war eine andere Form des Dienens, die Swami Sivananda unterstützte. Dabei waren alle wesentlichen Elemente spiritueller Praxis direkt enthalten. Etwa eine Stunde am Ganges zu sitzen und Japa durchzuführen, ist Sadhana; zugleich war es Dienst an dem, für den es wiederholt wurde und Dienst an der Menschheit. Der Schüler hatte keine Vorteile davon und lernte so Selbstlosigkeit. Ein selbstloser Dienst, der gleichzeitig das eigene Sadhana umfasst, ist eine wunderbare Mischung.

Das wurde sehr regelmäßig durchgeführt. Wenn die vorgeschriebene Anzahl Mantrawiederholungen erreicht war, wurde ein Havan (Feuerzeremonie) durchgeführt, es wurden arme Menschen gespeist, etc. und das Ritual so abgeschlossen. Inzwischen hatte meist jemand anderes um das Mantra-Japa gebeten und damit wurde es weitergeführt.

Swamiji sagte: „Wenn man für Gesundheit, Glück und Frieden anderer Menschen betet, wird man zum Kanal, durch den die göttliche Gnade fließt. Das Wasser, das sich in einem Teich ansammelt, kann manchmal schmutzig werden, aber das Wasser, das durch eine Rohrleitung fließt, nie, weil es die ganze Zeit ununterbrochen fließt. Wenn man daher immer Kanal für den Fluss göttlicher Gnade ist, ist das Herz rein und erfüllt von göttlicher Gnade.“

Das ist nichts Neues. Menschen beten seit Tausenden von Jahren. Das Geniale liegt in dieser Kombination. Indem er das Gebet, eine Bhakti-Praxis, mit einem gewaltigem Ideal selbstlosen Dienens verband, vollbrachte er Wunder. Japa und Gebete waren lebensnotwendig für ihn – nicht nur für seine persönliche Entwicklung, sondern als eine Handlung des Dienens an der Menschheit.

Obwohl er als natürliche „Frucht“ seiner Bhakti-Yoga-Praktiken die Vision von Göttern und Weisen hatte, obwohl seine Gebete die Kranken heilten, andere von ihren Problemen befreiten und sogar das Schicksal seiner Anhänger wandelten, war das völlige Fehlen jeglicher Spur von Ego der höchste Ausdruck von Bhakti.

Swamiji rief uns auf, unser ganzes Leben zu einem einzigen langen Gebet zu machen, indem wir für die Gottesverwirklichung und den Dienst an der Menschheit leben. Bis Gebet zur Gewohnheit wurde, ermahnte er uns, jede verfügbare Stütze zu Hilfe zu nehmen. Tempel, Bildnisse, Statuen, Heilige, spirituelle Bücher usw. sollten alle genutzt werden, um einen ständigen Gebetsfluss aufrecht zu erhalten. In Büro und in der Meditationshalle hingen Bilder von Göttern und Göttinnen. Er hängte nicht ein Bild mit besten Absichten auf und vergaß es dann ganz, wie es den meisten von uns geht, sondern flocht ihre Existenz in sein tägliches Leben ein. Wenn er das Büro betrat, schaute er sie einen Augenblick an. Dann widmete er ihnen einen Moment stillen Gebetes, bevor er mit seiner Arbeit begann. Wenn eine Aufgabe erledigt war und die nächste begann oder wenn ein Besucher hinausging und der nächste eintraf, lehnte er sich in seinen Stuhl zurück, schloss ein Auge und warf mit dem anderen einen Blick auf eines der Bilder. So wurde der Kontakt mit dem Absoluten ständig aufrecht erhalten.

Er war so ernsthaft in dieser Praxis, dass es ihm sofort auffiel, wenn ein Bild beschädigt oder abgenommen worden war. Er ließ es sofort wieder aufhängen. Welche Notwendigkeit bestand für ihn, der doch auf immer im Bewusstsein des Absoluten verwurzelt war, auf solche Hilfsmittel der Verehrung zurück zu greifen? Damit wollte er anderen nur ein Beispiel setzen, ihm zu folgen.

Das folgende wunderschöne und seelenerhebende Universelle Gebet hat er geschrieben:

Oh anbetungswürdiger Gott voll Barmherzigkeit und Liebe,
Gruß Dir, in Demut gebeugt.
Sein ist Dein Wesen, Wissen und Seligkeit.
Allgegenwärtig bist Du, allmächtig, allwissend.
Im Inneren aller Wesen wohnst Du .
Gib uns ein verstehendes Herz, die rechte Einsicht, ausgeglichenes Gemüt,
Vertrauen, Hingebung und Weisheit.
Lege in uns geistige Kraft, Versuchungen zu widerstehen,
und Denken und Wollen zu beherrschen.
Befreie uns von Selbstsucht, Gier, Zorn und Hass.
Erfülle unser Herz mit göttlichen Tugenden.
Lass uns Dich erschauen in all den Namen und Gestalten.
Lass uns Dir dienen in all den Namen und Gestalten.
Lass uns allezeit Deiner gedenken.
Lass uns stets Deine Herrlichkeit singen.
Lass Deinen Namen stets auf unseren Lippen sein.
Lass uns in Dir bleiben alle Zeit.

Anbetung

Von der Zeit im Swarg Ashram an, als er noch ein Bettelmönch war, bis zum letzten Augenblick seiner physischen Existenz hielt Swami Sivananda nicht nur viel von Verehrungsritualen, sondern praktizierte sie auch intensiv. Manchmal benutzte er dazu ein Bild von Shiva, meist aber ein Bild von Krishna mit der Flöte in der Hand.

Einmal sagte er über dieses Bild: „Der Künstler, der es gemalt hat, muss eine Vision von Krishna gehabt haben. Es ist höchst inspirierend.“ Dieses Bild befand sich in seinem separaten Puja-Raum (Raum für Verehrungen) und es gab nicht einen einzigen Tag, an dem sein Körper sich aus dem Bett bewegen konnte, an dem er die rituelle Verehrung dieses Bildnisses vernachlässigt hätte. Wenn er sich nicht bücken oder auf den Boden setzen konnte, wurde der Altar etwas erhöht. Jeden Tag, gleich nachdem er sein Bad genommen hatte, brachte er eine Blume zu Füßen Krishnas dar und führte das Arati mit einer Lampe aus. Er sagte einmal, er kenne nicht sehr viele Mantras, aber die, die er kenne, rezitiere er bei der Puja (Verehrungsritual).

SivanandaSwami Sivanandas Leben war eine Verkörperung der Lehren der Bhagavad Gita. Ein Vers hat folgende Bedeutung: „Was immer ein Verehrer mir mit Liebe opfert, selbst wenn es nur ein Blatt (patram) ist, eine Blume (pushpam) oder ein wenig Wasser, ich nehme alles mit großer Freude an.“ Wenn Swamiji etwas verschenkte, Früchte, Geld oder Kleidungsstücke an seine Schüler verteilte, wiederholte er die ersten zwei Worte dieses Verses (patram, pushpam), damit andeutend: „Ich bin der Verehrer, du bist mein Gott und ich bringe dir dies als patram pushpam (Blatt oder Blume) dar. Bitte nimm es an.“

Solche Verehrungszeremonien kann man mit einer Statue ausführen (murthipuja), geistig für Gott, der im Herzen wohnt (manasicpuja) oder innerlich dem Allgegenwärtigen, welches in allen Wesen wohnt (parapuja). Swamiji ließ keines davon aus. Die ganze Welt war für ihn eine Manifestation Gottes und er lebte jeden Moment seines Lebens in diesem Bewusstsein. Wenn er morgens die Sonne begrüßte, brachte er seine geistige Verehrung dar, indem er Om suryaya namah (das Mantra zur Verehrung des Sonnengottes) wiederholte und geistig Räucherstäbchen, Licht, Nahrung und Blumen opferte. Wenn er am Ufer des Ganges saß, betrachtete er das glitzernde Wasser und opferte dem Fluss in geistiger Verehrung Milch und Blumen.

Unter keinen Umständen begann er zu essen, ohne vorher das Göttliche in einer formellen Zeremonie an seinem Altar zu verehren. Das war der einzige Punkt in seinem Tagesablauf, bei dem er Wert auf Privatleben legte – vielleicht nur, um seine eigene Grundlehre zu illustrieren, dass man im Stillen beten soll, um Gottes Gnade zu erlangen und nicht Glocken zu läuten und den Gong schlagen soll, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Anerkennung für seine „wunderbare Hingabe“ zu ernten. Jedweder Zurschaustellung maß er keinerlei Wert bei. Nur einmal wurde einer seiner persönlichen Assistenten durch Zufall Zeuge des bewegenden Schauspiels, wie Swamiji in tiefer Verbeugung vor dem Altar auf dem Boden lag. Es lag nichts Mechanisches in dieser Verehrung und Verbeugung. Sie war ein Zeichen vollkommener Selbsthingabe und in seinem Fall war die Symbolik echt und rückhaltlos.

Für ihn war die Gottheit, die er geistig oder körperlich verehrte, realer als die Dinge, die für uns feste Bestandteile der Realität sind. Oft nahm er im Vishwanath-Tempel des Ashrams an der Puja teil. Wenn er dabei Bael-Blätter opferte und den kleinen Stier (das mythologische Tier Shivas) oder den Shiva-Lingam anschaute, wurde deutlich, dass er sie in keinster Weise als Statuen ansah. Wenn er die wunderschöne Krishna-Statue anschaute, war sein Gesichtsausdruck derselbe wie unserer, wenn wir einen lieben alten Freund treffen und begrüßen. Man konnte es in seinen Augen sehen. Es war wunderbar, das zu beobachten, und es war unbeschreiblich. Er pflegte zu sagen: „Wenn man ein Idol, ein Bildnis oder eine Statue verehrt, bleibt es ein Idol, aber die Hingabe geht zu Gott.“ Für ihn waren die Idole im Tempel nicht einfach nur Statuen, sondern die lebende Verkörperung Gottes.

Swami Sivananda ließ nicht zu, dass sich unsere spirituelle Praxis auf den Tempel beschränkt. Gebet und Verehrungszeremonien im Tempel sind am Anfang ohne Zweifel das notwendige Schulungsfeld, aber das Ziel ist es, das ganze Universum als Sitz Gottes zu betrachten und jedes Lebewesen darin als Gott selbst.

Auf Swamijis Initiative wurden im Ashram besondere Verehrungsrituale eingeführt, wie z B. die Verehrung von jungen Mädchen an Navaratri (9-tägiges Fest der göttlichen Mutter), Verehrung der Straßenkehrer an Gandhis Geburtstag, der heilige Guru Purnima-Tag mit Verehrung von Sri Vyasa, der an diesem Tag die Brahma Sutras zu schreiben begonnen hatte.

Wenn ein besonders inniger Schüler Swami Sivanandas Füße mit einem Ritual verehrte, ging er anschließend selbst zu allen hin und verehrte mit Blumen jeden der Einzelnen, die ihn vorher verehrt hatten. Wer ihn genau beobachtete, die Stimmung, die sich auf dem Gesicht widerspiegelte und den Ausdruck der Hingabe in seinen Augen, erkannte, dass jeder Anhänger für ihn tatsächlich eine Manifestation Gottes war.

An Shivaratri (heiliger Tag Shivas) fastete er den ganzen Tag und blieb die ganze Nacht hindurch wach, während verschiedene Verehrungsrituale im Tempel stattfanden. Er saß neben der Säule links vom Tempel und während die anderen laut schrien, sang er mit geschlossenen Augen und tiefer Stimme ganz ruhig und leise: „Om Namah Shivaya“. (Nur er konnte das, andere wären dabei eingeschlafen.) Er war der einzige, der es schaffte, die ganze Nacht von 9 Uhr abends bis 3 Uhr nachts dort zu sitzen und kaum einmal aufzustehen. Die ganze Nacht hindurch wurde Shiva verehrt, mit vier Pujas, die alle drei Stunden zelebriert wurde. Auf der Veranda des Tempels wurde ununterbrochen das heilige fünfsilbige Shiva-Mantra Om Namah Shivaya gesungen. Nach Abschluss der letzten Zeremonie wurden Blumen dargebracht und die Verehrer gingen in das innere Heiligtum des Tempels, wo sie andächtig Bael-Blätter auf den Shiva-Lingam, das Symbol für Shiva, legten.

Manche warfen die Blätter auf den Lingam, anderen entglitten die Blätter im Halbschlaf. Zuletzt kam Swamiji mit Bael-Blättern in den Händen; ein strahlendes Licht erhellte sein Gesicht. Er ließ ganz sanft ein paar Bael-Blätter zu Füßen des heiligen Stiers Nandi fallen und erbat mit dieser Geste dessen Genehmigung, Shiva zu verehren. Dann, wenn er sich dem Lingam zuwandte, betete er nicht, rezitierte weder Hymnen noch wiederholte er den Namen Gottes laut, aber seine Augen sprachen zu dem Lingam. Für ihn war er lebendige Gegenwart; solch eine Zartheit und Sanftheit kennzeichnete jede seiner Bewegungen. Dann, ohne dass dies von jemandem bemerkt worden war, drehte er sich nach einem kurzen Moment um und verehrte die Verehrer mit Blumen, wie um zu sagen: „Gott ist nicht nur da. Er ist überall.“

Swamiji war das größte und vielleicht auch das einzige Beispiel in neuerer Zeit des Vibhuti Yoga (Yoga der göttlichen Herrlichkeit und der Manifestation Gottes), wie er im 10. Kapitel der Bhagavad Gita beschrieben wird. Wer seine inspirierenden Vorträge zu diesem Thema gehört hat, sei es während seiner Indientour oder bei wichtigen Anlässen im Ashram selbst, konnte nicht umhin, festzustellen, welch großen Wert er auf diese Praxis legte. Er lobte sie in höchsten Tönen und stellte sie auf eine Stufe mit Raja-, Bhakti-, Karma- und Jnana-Yoga. Es ist dynamisches Jnana-Bhakti-Yoga. Zur Aufzählung der Vibhutis (Herrlichkeiten oder Erscheinungsformen Gottes), die Krishna in der Gita gibt, fügte Swamiji noch eine ganze Reihe eigener hinzu. Er sang das Lied des Vibhuti-Yoga:

Soham, Soham, Soham
Om Om Om Om Om Om Om Om Om Om
Ich bin weder Körper noch Geist, unsterbliches Selbst bin ich.
Ich bin der Zeuge der drei Bewusstseinszustände, ich bin absolutes Wissen.
Ich bin der Duft im Jasmin, die Schönheit in den Blumen.
Ich bin die Kühle im Eis, das Aroma im Kaffee.
Ich bin das Grün der Blätter, die Farbe des Regenbogens.
Ich bin der Geschmack auf der Zunge, die Essenz der Orange.
Ich bin der Geist hinter dem Geist, das Prana aller Pranas.
Ich bin die Seele aller Seelen, das Selbst allen Selbsts
Ich bin Atman in allen Geschöpfen, Augapfel aller Augen
Ich bin die Sonne aller Sonnen, das Licht allen Lichts und noch viel mehr
Ich bin, der ich bin. Ich bin, der ich bin.
Ich bin, der ich bin. Ich bin, der ich bin.

Wie praktizierte Swamiji Vibhuti-Yoga? Alles erinnerte ihn an die Manifestation Gottes. Wenn er aus seinem Zimmer kam und den Ganges sah, dachte er an Krishna, der gesagt hatte: „Ich bin der Ganges unter den Flüssen“ und wenn er den Himalaya betrachtete: „Unter den Bergen bin ich der Himalaya.“ Die Sonne, der Mond, die Sterne, der Vogelbeerbaum, intelligente Menschen und auch starke Ringer, Boxer und Turner sind eine Manifestation Gottes. Wenn man ihre Stärke nur betrachtet, erkennt man, dass es etwas Göttliches ist. Oft sah es so aus, als bevorzuge Swamiji hervorragende, gut situierte Menschen, aber für ihn war eines Menschen Reichtum nur eine andere Eigenschaft Gottes, jener Wohlstand oder brillante Intellekt ist göttlich. Krishna sagte: „Ich bin der Glanz im Strahlenden.“ Swami
Sivananda sah die Manifestation des Göttlichen in allem.

Manchmal schälte Swamiji eine Orange und warf sie für die Fische in den Ganges. Wenn ein Affe dasaß, erhielt er auch seinen Anteil. In jenen Tagen waren Früchte selten, aber er meinte, wenn er eine hatte, sollte auch der Affe etwas davon abbekommen.

Sogar in seinem Brillenetui, in Schuhen oder anderen Gebrauchsgegenständen sah er die göttliche Gegenwart. Er schloss das Brillenetui immer sehr sanft und Füllfederhalter und Gläser benutzte er so achtsam und feinfühlig wie neugeborene Babies. Er zerbrach in seinem ganzen Leben nicht das Geringste. Selbst wenn er seinen Schal nahm und um den Hals legte, geschah das auf so anmutige, feine und künstlerische Weise, als würde er sonst den Gott in diesem Schal verletzen. Und wenn er in den Tempel kam und Bael-Blätter am Shiva-lingam darbrachte, legte er sie sanft und demütig zu Füßen des Lingam nieder.

Sogar Dinge, die normalerweise „die Sinne anregen“, erschienen ihm in einem anderen Licht. Köstliche Nahrung regte nicht nur den Geschmack an, sondern erinnerte ihn an Gott, der das Köstlichste in allen Gerichten ist. Musik zog sein Bewusstsein nicht nach außen und wühlte seinen Geist nicht auf, sondern half ihm, seinen natürlichen steten überbewussten Zustand beizubehalten. Die Stille des Waldes schreckte ihn nicht. Er sah darin nur die Kraft Gottes.

Um Aspiranten in der Gewohnheit, Gott in allem zu sehen, zu schulen, lehrte er: „Sieh zuerst Gott in allen besonderen Erscheinungsformen des Göttlichen. Schaue nach oben. Schaue den blauen unendlichen Himmel an. Denkst du dabei nicht an Gott? Schaue die strahlende Sonne an und meditiere über das aus sich selbst leuchtende höchste Selbst. Schaue die heiligen Wasser des Ganges an und sieh Gott darin. Verneige dich im Geist vor diesen Manifestationen. Allmählich wird deine Sicht sich ausweiten und du wirst Gott sogar in Maultieren und Eseln sehen. Verbanne die Vorstellung von „böse“ aus deinem Gemüt. Wenn du jemanden siehst, den dein Geist für schlecht hält, wiederhole gedanklich: ‚Gott ist das Spiel im Betrüger’. Sieh Gott in ihm und alle Verachtung wird sich sofort in nichts auflösen. Du wirst einen Banditen weder fürchten noch hassen, denn Gott ist der Anführer der Schurken.“

Japa: Mantra-Wiederholungen

Swami Sivananda schätzte Menschen sehr, die ein Mantra wiederholten. Jeden Tag kamen junge und alte Menschen in den Ashram in Rishikesh und stellten eine einfache Frage: ‚Ich möchte Yoga praktizieren und ein spirituelles Leben führen. Was muß ich als erstes tun?’ Anstatt mit wundervollen Theorien über Gott, das Selbst und das Nicht-Selbst wie die Katze um den heißen Brei herumzugehen, pflegte Swamiji zu antworten: „Wiederhole Ram nam. Wiederhole den Namen Gottes.“ Die Menschen, die zu ihm kamen, um seine Schüler zu werden, hatten unterschiedliche Temperamente und gehörten verschiedenen Religionen an, aber er gab ihnen immer dieselbe Antwort: „Ich gebe dir ein Mantra. Wiederhole es Tag und Nacht. Wenn du es regelmäßig wiederholst, wird es automatisch dein Hauptgedanke im Hintergrund werden.“ Auf diese Antwort folgte bald: „Möchtest du Tee oder Kaffee“. Er ermutigte nicht zu weiteren Fragen wie: „Wer ist Gott? Was ist dein Konzept von Gott?“

Swamiji ging allen spekulativen Fragen aus dem Wege. Einmal im Jahre 1947 kam ein gebildeter Mann morgens um 8 Uhr ins Büro und bat ihn, ihm den Unterschied zwischen Savikalpa Samadhi und Nirvikalpa Samadhi zu erklären. Die Schüler, die gerade im Büro arbeiteten, horchten auf in Erwartung der Antwort auf diese Frage, die sie nie zu stellen gewagt hätten.

Swamiji, der gerade am Arbeiten war, legte seinen Stift aus der Hand und schaute den Besucher an. Ein paar Minuten lang herrschte tiefes Schweigen, dann fragte er: „Oh, was möchtest Du lieber – Milch, Tee oder Kaffee?“ Wenn Swamiji eine Frage stellte, musste man eine Antwort geben und so erwiderte der Professor: „Ich denke Kaffee, Swamiji.“ „Und ein paar Früchte und Idlis?“ (Idli ist eine südindische Frühstückspeise) „Ja, Swamiji“, erwiderte der Mann. Swamiji bat einen Schüler, das alles zu besorgen. Dann sagte er zu einem anderen Mitarbeiter: „Bringe mir ein paar Bücher für den Doktor.“ So vergingen etwa zehn Minuten. Der Kaffee und das Frühstück kamen. Swamiji gab dem Schüler weitere Anweisungen, wie er den Professor bedienen solle.

In der Zwischenzeit hatte die Frau des Professors ihn gesucht. Sie kam jetzt herein, warf ihm einen strengen Blick zu und sagte: „Wie lange möchtest du hier noch bleiben? Steh auf und lass uns gehen.“ Folgsam erhob sich der Professor und sie gingen.

Nachdem er gegangen war brach Swamiji in Lachen aus. Er lachte und lachte, sein ganzer Bauch zitterte, er wischte sich die Lachtränen aus den Augen und sagte: „Er will den Unterschied zwischen Nirvikalpa und Savikalpa Samadhi wissen; und seine Frau braucht ihn nur anzusehen und zu sagen: ‘Steh´ auf, komm!’ Und schon steht er auf und geht kleinlaut hinterher.“

Swamiji hatte keine Geduld für nutzlose Diskussionen. Seine Botschaft war: „Wiederhole Ram nam, wiederhole Gottes Namen, übe Japa. Du wirst die Antwort auf all diese Fragen in dir selbst finden.“

Ein anderer Vorfall war ebenfalls bezeichnend. Ein bekannter Politiker kam in den Ashram und schilderte Swamiji die Situation Indiens im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Weltlage aus seiner Sicht. Er wünschte sich nur Swami Sivananda als Zuhörer. Man musste Swamijis Geduld bewundern. Er hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, sah den Besucher aufmerksam an und hörte zu. Er sagte kein Wort. Der Politiker gab eine wunderbare, klare Übersicht über die Weltlage. Als er fertig war, sah er Swamiji an, als wolle er fragen: „Nun was ist dein Rat? Was ist deine Lösung für all das?“ Nun war Swamiji an der Reihe. Armut, Hunger, Überbevölkerung, Unterdrückung, Wirtschaftskrise, die ganze Palette – was ist die Lösung? Seine Antwort war wunderbar. „Allein Gottes Name ist das Heilmittel. Wiederhole Gottes Namen.“ Der arme Politiker hatte das Gefühl, der Boden werde unter seinen Füßen weggezogen. Er hatte erwartet, dass Swamiji sagen würde: „Du musst Premierminister werden oder eine neue Partei gründen, um die Dinge neu zu ordnen und Veränderungen zu bewirken, etc.“

Swamiji war sich so sicher, dass der Gedankenhintergrund in seinen psychologischen und spirituellen Auswirkungen so wichtig ist, dass er ihn für die Lösung aller Probleme im Leben empfahl. Wenn er sagte: „Wiederhole das Mantra Tag und Nacht“, meinte er damit, dass das Mantra gleichzeitig mit allen anderen Aktivitäten wiederholt werden sollte. Er demonstrierte das sehr schön. In Indien werden Chapatis (flache, runde, ungesäuerte Fladen) mit klatschenden Handbe we gungen hergestellt. Er pflegte zu sagen: „Während du das machst, singe Sri Ram jaya Ram, jaya jaya Ram. Beide Tätigkeiten werden gleichzeitig erledigt.“

Wenn Swami Sivananda einem Schüler ein Mantra und eine Mala (Rosenkranz) gab und der Schüler sagte: „Ich werde morgens, mittags und abends drei Stunden Japa praktizieren, ohne irgendetwas anderes zu tun“, dann sagte Swamiji: „Wirf deine Mala weg und arbeite. Jemand, der endlos die Perlen bewegt und sich nicht einmal darum kümmert, einem Durstigen auch nur ein Glas Wasser zu geben, ist ein Heuchler und Pseudo-Gottsucher. Du musst nicht dasitzen und auf deine Nase schauen, um das Mantra zu wiederholen. Das Mantra kann nebenbei Tag und Nacht im Hintergrund wiederholt werden.“

Manche seiner Schüler glaubten, durch besonders viel Arbeit würden sie dem Meister mehr gefallen. Eines Tages im Jahre 1946 brach er wie ein Gewitter auf einen Swami herab: „Wieviel hast du heute meditiert? Wieviel Japa hast du gemacht? Wirf deine Schreibmaschine in den Ganges und alles andere auch. Geh und übe Japa und Meditation. Nur Arbeit und keine spirituelle Praxis − das ist nicht richtig. Arbeit ist Gebet, ist in der Tat das Motto, aber in der Praxis heißt das Arbeit und Gebet!“ Er arbeitete ein ausgewogenes Programm aus, in dem nichts vernachlässigt wurde.

Swamiji nannte den Gedankenhintergrund „das Schlachtfeld pratyahara“, wie man willentlich Geist und Sinne zurückzieht und nach innen richtet (pratyahara=Zurückziehen der Sinne, 3. der 8 Stufen der Meditation im Raja-Yoga). Er sagte: „Wenn es eine Ablenkung gibt, eine Gefahr, etwas Ärgerliches oder Reizbarkeit, wenn jemand mit dir diskutiert und du merkst, dass du im nächsten Augenblick explodierst, kann die Wiederholung des Mantras die Situation entschärfen.“ Er war ein Genie darin. Wenn zwei Ashrambewohner sich in seinem Beisein stritten, schien er einen Augenblick lang zuzuhören und sagte dann „Om namah Shivaya“ und die ganze Angelegenheit war vergessen. Es spielte keine Rolle, wer Recht hatte, wie weit der Streit ging oder wer Gewinner oder Verlierer war. Er machte dem Ganzen ein Ende, egal an welchem Punkt, selbst wenn jemand mit ihm argumentierte. „Om namah Shivaya“ an dieser Stelle bedeutete: „Es reicht jetzt.“

Swamiji war nicht der Ansicht, dass Meditation nur möglich ist, wenn wir nichts anderes tun. Er sagte: „Du musst in der Lage sein zu meditieren, selbst während du kämpfst. Aber zuerst lerne zu meditieren, während du etwas tust wie Kirtansingen oder das Mantra zu wiederholen, statt dabei das Gefühl zu haben, dass sei eine Ablenkung oder ein Widerspruch. Was immer der Körper auch tun mag, man kann dabei eine meditative Grundhaltung aufrecht erhalten. Wenn Du erst einmal beim Japa und beim Singen eine meditative Haltung beibehalten kannst, kannst du sie auf irgendeine Weise bei allem, was du tust, aufrecht erhalten.“

Für Swamiji war Japa selbst Meditation, deshalb beschrieb er die Meditation nicht extra. Er sagte, wenn man versucht zu meditieren, lädt man Ablenkungen ein. Man wird nicht meditieren, man wird es nur versuchen. Aber wenn man mit dem Japa (der Mantrawiederholung) weitermacht, gleitet man mühelos in die Meditation hinein.