81. Eine einfache aber kraftvolle spirituelle Übung

Im normalen Denken wird auf der ganzen Welt zwischen dem spirituellen und dem weltlichen Leben unterschieden. Aber wenn alles Eins ist, wenn es nur Gott gibt, dann ist vielleicht der Zweck des spirituellen Lebens, zu erkennen, dass es so etwas wie ein weltliches Leben gar nicht gibt, dass alles Leben spirituell ist. Es ist die Frage, wo unser Bewusstsein ist. Der Zweck unserer spirituellen Praxis ist, unser Bewusstsein zu dem Punkt zu erheben, an dem wir erkennen, dass alles Leben göttlich ist.

Die meiste Zeit scheint unser Bewusstsein in dem zu sein, was wir die weltliche Ebene nennen. Gibt es eine einfache Übung, die wir während des Alltags machen können, welche uns helfen würde, unser Bewusstsein stetig und dauerhaft zu erheben? Es mag uns nicht möglich sein, tagsüber längere Zeiten für die spirituelle Praxis zu finden. Aber normalerweise gibt es Zeiten, wo wir einfach ein paar Augenblicke dasitzen können - in der Küche, im Büro, egal wo - und unsere Augen schließen und entspannen können. Diese Praxis allein wird uns helfen, unser Bewusstsein zu festigen.

Wenn wir das noch mit der Wiederholung von Gottes Namen verbinden, wird unser Geist fokussiert, unser Bewusstsein erhoben. Wenn wir den Namen Gottes wiederholen, können wir erkennen, dass sich etwas in uns dieser Wiederholung bewusst ist. Wir erschaffen nicht einen Zeugen, denn das wäre nur ein weiterer Gedanke, sondern, egal was in unserem Geist ist, wir bemerken, dass Etwas es wahrnimmt. Dieses Etwas können wir nicht wirklich greifen, aber es ist niemals abwesend, ob wir still sitzen, aktiv sind, träumen oder tief schlafen.

Die Erinnerung an diesen ungreibaren Zeugen erhebt unser Bewusstsein und bringt uns in eine andere Dimension. Und all das kann in ein paar Momenten geschehen. Das spirituelle Leben ist in seinem Kern nichts Dramatisches. Abgesehen von sehr seltenen Umständen ist es eine „Schritt-für-Schritt- Reise“, die viele Jahre dauert. Vor einiger Zeit ist eine ältere Schülerin von uns gegangen. Sie war Hausfrau, die Jahr für Jahr regelmäßiger spiritueller Praxis nachgegangen war. Sie schien wirklich nichts Besonderes zu sein, aber als sie eine gesundheitliche Krise hatte – obwohl sie noch eine lange Lebenserwartung hätte haben können – war sie völlig gleichmütig, ob sie leben würde oder nicht.

Swamiji bewunderte das. Er sagte, es sei ein Ergebnis ihrer langjährigen stetigen spirituellen Praxis. Wir sollten also die innere spirituelle Kraft von etwas so Einfachem, wie einige Momente innehalten und den Namen Gottes zu wiederholen, nicht unterschätzen und uns immer des unbekannten Zeugen bewusst sein, der still alles wahrnimmt.

82. Überzeugt sein

Nicht selten, wenn Swamiji morgens hier zu uns spricht, drängt er uns, eine bestimmte Handlungsweise zu verfolgen. Und dann schließt er seine Rede mit: „Und ich versichere euch, ich verspreche euch, wenn ihr das tut, gibt es keine Kraft im Universum, die euren Erfolg verhindern kann.“ Wir wissen alle, dass Erleuchtung nicht etwas ist, was man von außen erhalten kann. Es ist unser Geburtsrecht. „Du bist Es jetzt“, erklären die Schriften. „Du verwirklichst es nicht wegen deiner Wünsche. Gib deine Wünsche auf und es wird da sein.

Warum ist es denn so, dass, obwohl es uns gesagt wird und wir wissen, dass es wahr ist, wir nicht tun, was notwendig ist, um es jetzt zu verwirklichen? Eine Analogie wäre, zu fragen, warum jemand, der weiß, dass Rauchen seiner Gesundheit schadet, es nicht aufgibt. Oder wenn jemand übergewichtig ist und weiß, dass es ein Risiko für Herzkrankheiten, Krebs und zahlreiche andere Krankheiten ist, warum er sein Gewicht nicht auf ein normales Maß reduziert? Es scheint zu viel für ihn/sie zu sein. Und doch, vielleicht entdeckst du nach einer Weile, dass der Mensch mit der Gewohnheit zu rauchen doch aufgehört hat und die Person mit dem Übergewicht schlanker geworden ist. Was hat die Veränderung hervorgerufen?

Vielleicht waren sie schließlich von der Wahrheit, die sie schon kannten, überzeugt und haben danach gehandelt. Ähnlich ist es in unserem spirituellen Leben. Auch wenn wir die Wahrheit kennen, sind wir vielleicht faktisch nicht wirklich überzeugt davon oder wir sind im Innersten nicht genug überzeugt, um die notwendigen Handlungen folgen zu lassen. Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir müssen den Glauben aufgeben, dass wir durch äußere Dinge Zufriedenheit erreichen können. Wir müssen uns auf Gott verlassen, für Gott leben. Aber sind wir wirklich überzeugt, dass es das ist, worin unser Glück liegt? Wenn es also eine Frage des Überzeugtseins ist, dann ist das eine gute Nachricht und erklärt Swamijis grundlegenden Optimismus und seine fortwährenden Versicherungen an uns.

Mit anderen Worten, die Blockierung liegt in einem Mangel an Überzeugung. Deshalb lasst uns unser Sadhana mit Begeisterung und Interesse fortsetzen, bis unsere Überzeugung fest und sicher wird und wir danach handeln. Wenn wir so in Samsara verloren sind, fragen wir uns, wie Gurudev und Swamiji soviel Hoffnung für uns aufrecht erhalten können. Aber wenn es daran liegt, dass wir von der Wahrheit absolut überzeugt sein müssen, dann erklärt das vielleicht, warum sie sich unermüdlich darum bemühen, uns zu überzeugen. Wirklich, das sind gute Nachrichten. Der Rest liegt an uns.

83. Die Wahrheit glauben

Es gibt ein Sprichwort: „Wahrheit ist seltsamer als Dichtung.“ Und trifft nirgends mehr zu als im spirituellen Leben. Was wir entdecken können – und was geschehen kann – kann seltsamer sein als Dichtung. Es gab einmal eine Frau, die, wenn sie meditierte, eine Stimme in sich hörte, welche ihr Dinge diktieren wollte, die sie aufschreiben sollte. Sie begann zu schreiben und heraus kam, was man eine Synthese aller Lehren der großen Religionen nennen könnte. Es wurde ein großer Band, der weltweit vertrieben und studiert wurde. Aber eines Tages sagte einer ihrer Freunde zu ihr: „Du hast ein Buch geschrieben, das gleichwertig ist zu den Schriften, aber ich kann nicht sehen, dass Du auch nach diesen Lehren handelst.“ Die Frau antwortete: „Ich weiß, was im Buch steht, ist wahr, aber ich glaube nicht wirklich daran.“

Ist das unser Problem? Wir wissen, was die Schriften sagen, ist wahr, aber glauben wir es tief im Herzen? Die Schriften verkünden, dass Gott alleine ist und dass wir Das sind. Aber ist es das, was wir im Alltag glauben? Können wir die Überzeugung erschüttern, dass wir ein getrenntes Individuum sind, dass wir hier sind und die Welt dort und Gott sonst wo? Wenn wir erkennen, dass es eine Kluft zwischen dem gibt, was wir verbal als wahr bekräftigen und dem, was wir eigentlich im Alltag glauben, dann haben wir eine Wahl. Wir können diese Tatsache erkennen, aber ignorieren – dann besteht die Gefahr der Heuchelei.

Denn wir behaupten, dass etwas wahr ist, an das wir nicht wirklich glauben. Oder wenn wir erkennen, dass diese Kluft ein unvermeidbarer Teil unserer Entwicklung ist, dann können wir dieses Wissen positiv für unser weiteres Sadhana einsetzen. Wir können erkennen, dass Gott uns häufig Wahrheiten gibt, die unserem wahren Verständnis weit voraus sind. Er führt uns sozusagen oft mittels unseres Intellekts. Wir selbst und unser Herz werden vielleicht sogar sagen, dass unser Blut und unsere Innereien erst später kommen.  Wenn wir diese Tatsache erkennen, werden wir nicht so entmutigt.

Wir begreifen, dass die spirituelle Reise ein langer, tiefer Prozess ist, der Schritt für Schritt erfolgen muss. Außerdem müssen wir erkennen, dass wir uns nicht auf unsere Gefühle verlassen dürfen. Wenn wir in einer spirituellen Stimmung sind, haben wir überhaupt kein Problem, den Lehrern und den Schriften zu glauben: „Ja tatsächlich, alles ist Eins. Gott allein ist und ich bin Das.“ Aber wenn wir nicht in einer spirituellen Stimmung sind, können wir uns nicht einmal erinnern, was wir gesehen haben, als wir darin waren und die Wahrheiten der Schriften sind ein totes Thema für uns.

Aber wenn Gott allein ist und wir Das sind, dann muss dies eine Tatsache sein, unabhängig davon wie wir uns fühlen. Die Prüfung eines Sadhaka (spirituellen Aspiranten) ist, ob er oder sie die Wahrheit glaubt und bekräftigt, unabhängig davon wie er/sie sich fühlt. Und das ist jeden Tag die Herausforderung für uns. Wir kennen die Wahrheit. Die Herausforderung ist, von ihr überzeugt zu sein, unabhängig davon wie wir uns fühlen. Swamiji sagt, wenn wir es hundert Mal vergessen, dann sollen wir es hundert und ein Mal bejahen.

Wenn wir also entdecken, dass wir wissen, dass das, was die Schriften sagen, wahr ist, aber dass wir es nicht wirklich glauben, dann können wir erkennen, dass wir nicht anders sind als die meisten anderen. Aber das ist keine Ausrede, um aufzugeben. Wir sind dazu bestimmt, die Wahrheit, die wir kennen, zu bejahen, unabhängig davon wie wir uns fühlen – bis es mehr und mehr zu unserem täglichen Glauben und unserer täglichen Erfahrung wird.

84. Unser spirituelles Leben voranschreiten lassen

Vor ein paar Jahren als Swamiji dem Enkel eines unserer respektiertesten Ashrambewohner zu seinem College-Abschluss beglückwünschte, rief er ihn dazu auf, noch größere Anstrengungen für sein Studium zu machen. Swamiji sagte: „Stehe morgens um 5 Uhr auf.“ Seine Mutter antwortete: „Er steht ja schon um 5 Uhr morgens auf.“ Swamijis sofortige Antwort war: „Dann sollte er um 4.30 Uhr aufstehen!“ Dies spiegelt Swamijis Haltung zum Leben wider, speziell zum spirituellen Leben. Häufig scheinen große Heilige wie Gurudev und Swamiji so mild und sanft, dass wir ihre andere Seite, welche uns konstant zu größerer Anstrengung drängt, verpassen können.

In der Tat geht das manchmal so weit, dass sie sogar etwas unvernünftig zu sein scheinen. Vernünftig zu sein ist sehr wichtig, sowohl in unserem täglichen Leben als auch im spirituellen Leben. Wir müssen vernünftig sein. Aber wenn wir zu vernünftig sind, kann es sein, dass wir zu Tamas tendieren. Es muss etwas in uns geben, welches sich weigert, still zu stehen, welches immer die Antennen aufrichtet, um zu sehen, was als Nächstes kommt, was neu ist – auf welche Art muss ich mich verbessern? Wenn wir das nicht tun, gehen wir in die andere Richtung, denn nichts in dieser Welt steht still. Die Welt verändert sich dauernd und wenn wir uns nicht ständig nach oben bewegen, dann rutschen wir naturgemäß nach hinten.

Wir lesen über Gurudev, dass er stundenlang im eiskalten Ganges stand und Japa machte. Jahre später erlaubte er seinen Schülern nicht, dasselbe zu tun. Es gibt also eine Form von Extremität, welche weder Gurudev, noch Swamiji, noch andere große Heilige empfehlen. Aber unabhängig davon wie ernsthaft wir sind, wie ehrenhaft unsere spirituellen Übungen im Moment sind, sie würden immer von uns erwarten, dass wir uns prüfen, um zu sehen, auf welche Art wir uns verbessern könnten. Letztlich geht es im spirituellen Leben nicht so sehr um spirituelle Übungen sondern viel mehr um eine Umwandlung unseres grundlegenden Wesens.

Wir sollen uns von Tamas zu Rajas zu Sattva bewegen und schließlich zur Göttlichkeit. Das bedeutet ständige Veränderung. Swamiji sagt: „Du musst äußerst interessiert sein. Du musst aufmerksam sein.“ Er drängt uns immer, jede Gelegenheit für eine außer - gewöhnliche Anstrengung zu nutzen. Wenn er physisch nicht anwesend ist, dann müssen wir dieses Drängen selbst für uns tun. Es liegt an jedem Einzelnen von uns. Letztlich kann und wird es niemand sonst für uns tun. Die größte Gefahr liegt darin, dass wir abgleiten, dass wir uns nicht vorwärts bewegen. Und leider macht es uns die Welt leicht, abzugleiten. Wenn unser spirituelles Leben fortschreiten und fruchtbar sein soll, müssen wir irgendwie in uns die Mittel und Wege finden, es so zu machen.

85. Sieg ist alles

Die Briten haben viele noble Konzepte entwickelt. Eines davon ist das eines guten Verlierers. Ich glaube, es kam aus den britischen Privatschulen, an welchen gelehrt wurde, dass man, wenn man schon verliert, wenigstens wie ein Gentleman verlieren soll. Diese Lehre hat sicherlich ihre Vorzüge, aber es gab einen Sporttrainer in den USA, der nichts davon wissen wollte, ein guter Verlierer zu sein. Er prägte den Satz: „Gewinnen über alles.“ Auch in der Bhagavad Gita oder den Puranas (klassische indische Götterepen) steht nicht viel darüber, wie man ein guter Verlierer ist.

Das Ziel ist der Sieg. Das ist ein wichtiger Punkt, welchen wir im spirituellen Leben bedenken sollten. Denn das spirituelle Leben wird oft mit einer Schlacht verglichen, in der wir so oft besiegt scheinen. Und es ist nur die Entschlossenheit, siegreich zu sein, die uns weitermachen lässt. Eine der schlimmsten Versuchungen im spirituellen Leben ist es, ein guter Verlierer zu sein. Auch wenn Swamiji sagt, dass, selbst wenn du das letzte Ziel nicht in diesem Leben erreichst, du trotzdem erfolgreich bist, wenn du dich weiterhin bemühst, so ist der Zweck dieses Satzes, dass wir uns weiterhin bemühen. Wir sollen uns nicht mit weniger zufrieden geben als dem letzten Sieg. Wieso ist der letzte Sieg so wichtig? Weil nichts außer dem totalen Sieg uns die Antworten im Leben gibt.

Wenn wir hart an unserem spirituellen Leben arbeiten, wenn wir Fortschritte machen, dann können wir allmählich Tamas eliminieren und Rajas in Sattva um wandeln. Wir können zweifellos bessere Menschen werden. Aber so lange das Ego da ist, sehen wir das Leben auf verzerrte Weise und auf die eine oder andere Weise werden wir schließlich verlieren. Das Leben mag uns ganz gut behandeln, weil wir das Leben gut behandeln, aber letztlich fehlt etwas. Und was ist der totale Sieg?

Der totale Sieg ist das feste Wissen, dass wir alleine sind, Gott alleine ist. Es gibt keinen Zweiten. So lange wir glauben, dass es einen Zweiten gibt, können wir nichts anderes sein als ein guter Verlierer. Wir haben den Sieg nicht errungen und wir werden die Schmerzen der Niederlage erleiden. Es gibt keine andere Antwort im Leben als den totalen Sieg. Gewinnen ist alles. Nur das löst unsere Probleme. Gott kann Seine Natur nicht ändern. Er alleine ist. Wenn wir versuchen, mit dieser Wahrheit einen Kompromiss zu machen, dann werden wir den Preis dieses Kompromisses bezahlen. Deshalb sollte das Einzige in unserem Geiste der Sieg sein. Gewinnen ist alles. Totaler Sieg ist das Einzige, das uns schließlich befriedigen wird.