Goraksha Shataka - Version 2

 

Vers 55: Definition von Mitahara

 

Schön milde (ölige), süße Nahrung, zur Freude der Götter [oder: die wohlschmeckend ist, mit Befriedigung] gegessen, wobei ein Viertel (des Magens) leer bleibt, das wird als maßvolle Ernährung bezeichnet.


    सुस्निग्धं मधुराहारं चतुर्थांशविवर्जितम् |
    भुज्यते सुरसम्प्रीत्यै मिताहारः स उच्यते || ५५ ||


    su-snigdhaṃ madhurāhāraṃ caturthāṃśa-vivarjitam |
    bhujyate sura-samprītyai mitāhāraḥ sa ucyate || 55 ||

    su-snigdham madhuraharam chaturthamsha-vivarjitam |
    bhujyate sura-samprityai mitaharah sa uchyate || 55 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    su-snigdham : schön milde, weiche, feuchte (Susnigdha, im Ayurveda bedeutet Snigdha ölig, fetthaltig)
    madhurāhāram : süße (Madhura) Nahrung (Ahara)
    caturthāṃśa-vivarjitam : (in der Weise, dass) der vierte (Chaturtha) Teil (Amsha des Magens) frei, leer (bleibt, Vivarjita)
    bhujyate : die gegessen wird (bhuj)
    sura-samprītyai : zur Freude (von), für die Befriedigung (von), aus Liebe (zu, Sampriti) den Göttern (Sura)
    mitāhāraḥ : maßvolle Ernährung ("Nahrung", Mitahara)
    saḥ : das, dies (Tad)
    ucyate : wird genannt (vac)

Anmerkungen: Dieser Vers definiert, was "maßvolle Nahrung" (Mitahara) ist. Er wird mit einigen kleineren Lesarten in der Yogachudamani Upanishad (Vers 43) sowie in der Hatha Yoga Pradipika (1.60) überliefert, welche die grammatisch korrektere Version bietet: Die Verbform bhujyate "wird gegessen" erfordert eine passive Konstruktion, in der das logische Objekt (d.h. °āhāraḥ, die Nahrung) im Nominativ steht: su-snigdha-madhurāhāraś caturthāṁśa-vivarjitaḥ | bhujyate .... In der vorliegenden Version des Goraksha Shataka steht das logische Objekt im Akkusativ (madhurāhāram, °āhāraḥ ist Nom. Sg. Maskulinum), was ein Verb in aktiver Konstruktion verlangt. Dieses aktive Verb (bhuñjate "isst") findet sich in der Version der Yogachudamani Upanishad, es bezieht sich dort allerdings auf das logische Subjekt mitāhārī (vgl. den vorangehenden Vers 54).

Im dritten Pada liest die HYP śiva-samprītyai "zur Freude Shivas" (gefolgt von YCU śiva-samprītyā) statt sura-samprītyai "zur Freude (Sampriti) der Götter (Sura)". Letztere Variante ließe durch eine andere Worttrennung eine weitere, durchaus in den Kontext passende Lesung zu, nämlich surasaṃ prītyai "wohlschmeckende (Nahrung, Surasa) zur (eigenen) Befriedigung (Priti)". Möglicherweise war dies die ursprünglichere Lesart (vgl. Briggs' Übersetzung, p. 295), die in den späteren Versionen der HYP und YCU durch das Ersetzen von surasam mit śiva-sam° in das im yogischen Kontext scheinbar passendere śiva-samprītyai umgewandelt wurde.

Brahmananda, der Kommentator der HYP, zitiert in diesem Zusammenhang den folgenden Vers:

    dvau bhāgau pūrayed annais toyenaikaṃ prapūrayet |
    vāyoḥ sañcaraṇārthāya caturtham avaśeṣayet ||

"Zwei Teile (des Magens, Bhaga) fülle man mit (fester) Nahrung (Anna), einen (Teil) fülle man mit Wasser (Toya), und den vierten (Teil) lasse man für die Bewegungen (Sancharana) des Windes (Vayu) übrig."