Anandamayi Ma

Anandamayi Ma

Sri Anandamayi Ma (* 30. April 1896; † 27. August 1982) war eine spirituelle Führerin, Meisterin des Hatha Yoga, Friedensstifterin und Begründerin des kreativen Yogas. Berühmte Bewunderer von ihr waren unter anderem Swami Sivananda und Paramahansa Yogananda. In ihren unzähligen, 50 Jahre lang währenden Reisen durch den indischen Subkontinent, inspirierte sie zahllose Anhänger und gründete rund 28 Ashrams.

Die frühen Jahre

Geburt und Kindheit

Shri Anandamayi Ma wurde am 30. April 1896 in einem kleinen Dorf in Bengalen geboren, dem heutigen Bangla Desh. Dort wuchs sie in einer frommen Brahmanenfamilie auf. Bereits in Ihrer Kindheit und Jugend war Sie ungewöhnlich, besonders auffallend waren Ihre sanfte und beständig fröhliche Natur, ihre unbedingte Folgsamkeit gegenüber Älteren und ihre Selbstlosigkeit und Genügsamkeit, denn Sie äußerte niemals auch nur einen Wunsch für sich selbst. Bereits als kleines Kind versank Sie manchmal in einen entrückten Bewußtseinszustand und blickte mitten im Spiel oder beim Essen plötzlich regungslos wie eine Statue, oder unterhielt sich ganz selbstverständlich mit Bäumen, Tieren und unsichtbaren Wesen. Der indischen Tradition entsprechend wurde Sie im Alter von zwölf Jahren verheiratet. Von Ihrem 18. Lebensjahr an lebte sie mit Ihrem Ehemann zusammen, den sie "Bholanath" oder "Pitaji" (Vater) nannte. Bholanath fand Ma von einer solchen Aura ehrfurchtgebietender Heiligkeit umgeben, dass für ihn eine eheliche Beziehungen von Anfang an völlig ausgeschlossen war. Er wurde 1922 formell Ihr Schüler und blieb ihrtreuer Beschützer, bis er 1938 als Sannyasi starb, nachdem er ein hohes spirituelles Bewusstsein erlangt hatte.

Ausbildung

Als zweite Tochter einer armen, aber sehr religiösen bengalischen Brahmanenfamilie besuchte Sie nur etwa zwei Jahre die Schule, sprach jedoch später mit präzisem Wissen über Gesetzmäßigkeiten des Lebens und der Natur sowie über Inhalte und Einzelheiten zu speziellen Fragen des Yoga-Weges und der Heiligen Schriften (Shastras), ohne sie jemals studiert oder einen spirituellen Lehrer gehabt zu haben.

Spirituelle Praxis

Im Alter von etwa 18-20 Jahren zeigten sich immer intensiver Merkmale der Gottesverwirklichung an Ihr, das Singen religiöser Lieder versetzte Sie in eine Art Trance, die Stunden oder auch Tage andauern konnte. Ganze Nächte lang und später auch am Tag entströmten Mantren und Sanskrithymnen Ihren Lippen, Yogastellungen (Asanas), Mudras (energielenkende Hand- und Körperstellungen) und Pranayama (yogische Atemtechniken) manifestierten sich spontan und mühelos durch Ihren Körper, ohne daß sie vorher erlernt oder beabsichtigt wurden. Sie blieb oft tagelang in Samadhi Bhava (überbewußter Zustand), ohne auf äußere Ansprache oder Bewegung zu reagieren und ohne daß irgendein Puls registriert werden konnte. Sechs Jahre lang manifestierten sich durch Ihren Körper sehr intensiv und dauerhaft die verschiedensten spirituellen Übungen und Zustände (Bhavas). Dies geschah aus sich selbst heraus,  nie war Sie in speziellen Yoga-Praktiken unterrichtet worden. Sie nannte dies Ihr "Sadhana - Lila", ihr "Spiel spiritueller Übungen", da es in Wirklichkeit nichts für Sie gab, was sie hätte erreichen müssen. 

Im Alter von 26 Jahren begann Sie ein dreijähriges Schweigen, welches auch Gebärden einschloss und nur dadurch unterbrochen wurde, daß Sie von Zeit zu Zeit mit einem Finger einen imaginären Kreis um sich zog, einige Mantren sprach und dann wieder verstummte. Viele Monate lang nahm Sie täglich nur eine Fingerspitze Essen zu sich. Ende 1924 hörte Sie ganz auf, sich selbst etwas zu essen zu geben, ihre Hand versagte Ihr diesen Dienst, die Nahrung glitt Ihr einfach durch die Finger. Um zu verhindern, daß Sie Ihren Körper verließ, gab man Ihr seitdem die Nahrung, wenn es auch für sie selbst keinen Unterschied zu machen schien, ob Sie einige Wochen lang nur drei Reiskörner täglich oder normale Mahlzeiten zu sich nahm. Sie hätte nie selbst etwas genommen oder jemanden darum gebeten und sagte: "Ich sehe alle Hände als meine eigenen an. In Wirklichkeit esse ich immer mit meiner eigenen Hand." Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Menschen auf das grenzenlose Bewußtsein Ihrer Wesenheit aufmerksam geworden, kamen regelmäßig zu Ihr oder lebten in Ihrer Nähe. Außergewöhnliche, "übernatürliche" Begebenheiten mit Anandamayi Ma fanden in einer Atmosphäre von völliger Normalität statt. Ungeachtet der Veränderungen, die der Betrachter von außen wahrnahm, existierte in Ma's ununterbrochenem Seinszustand keinerlei Bewegung oder Phase, die durch eine 'höhere' oder 'tiefere' abgelöst wurde.

Ideen und Lehre

Leben nach dem Kheyal

Ma bezeichnete sich selbst nie als Guru, organisierte keine Vorträge oder Reisen, sondern handelte und antwortete auf Fragen stets nur aus Ihrem „Kheyal" heraus. Kheyal ist ein spontaner Impuls aus einer Art überbewußten Intuition, der in keinster Weise einem eigenen Willen oder Wunsch entspringt, sondern mit unfehlbarer Sicherheit auf die bewußten oder unbewußten Bedürfnisse der Menschen in der Umgebung reagiert. Dies ist, ähnlich wie bei einigen anderen Meistern wie Ramakrishna oder Haidakhan Babaji, oft nicht mit dem oberflächlich urteilenden Verstand zu begreifen und verlangt große Wachheit, Entschlossenheit und Flexibilität von den Aspiranten, die sich ernsthaft dem wahren Selbst nähern wollen.

Selbstverwirklichung als höchste Berufung

Anandamayi Ma's Ratschläge waren meist individuell an den jeweiligen Bewußtseinszustand des Fragestellenden gerichtet. Sie empfahl nicht jedem, dem Leben in der Welt zu entsagen, sondern gab auch konkrete Anweisungen, wie man ein spirituelles Leben in Familie und alltäglicher Arbeit führen kann und sich auf dem jeweiligen individuellen Weg Gott und damit dem eigenen, wahren Selbst nähern kann. Jeder Mensch solle jedoch seinem einmal gewählten spirituellen Weg aufrichtig folgen und wahrhaft lebendige spirituelle Erfahrung anstreben. Sie empfahl auch jedem ohne Ausnahme, eine bestimmte Zeit täglich zu meditieren, selbst wenn man viel zu tun habe. Der Kern Ihrer Lehre lautete in endlosen Variationen: „Die höchste Berufung eines Menschen besteht darin, nach Selbstverwirklichung zu streben. Alle anderen Verpflichtungen sind zweitrangig."

Durch ihr Dasein und ihre Worte richtete Sie die Aufmerksamkeit der Suchenden stets auf das, was allein ist: „Der Mensch webt wie die Spinne Netz um Netz und tut sein Bestes, um darin verstrickt zu bleiben, durch alle Ewigkeit hindurch. Verfangen in den Anziehungen der Sinne und in Täuschung hält er nicht einmal inne, um zu reflektieren, wie quälend doch die immer wiederkehrende Aktion und Reaktion von Geburt und Tod ist. Entscheide endgültig und ein für alle mal, daß die Fessel des Karma mit dem jetzigen Leben enden muß, und sammle wie ein Kriegsherr alle deine Kräfte in der verzweifelten Anstrengung, den Schleier der Maya zu zerreißen; oder anders, verneige dich wie eine bedrängte Garnison vor dem Allmächtigen, und übergib dich selbst bedingungslos in Seine Gnade - und Er Selbst wird sich um alles kümmern."

Anandamayi Ma bereiste über 50 Jahre lang den indischen Subkontinent. Sie behauptete nie von sich, ein Guru zu sein, denn dies hätte eine Zweiheit bedeutet (Guru/Schüler), die in Ihrem Bewußtseinszustand nicht existierte. Von sich selbst sprach Ma oft als von "diesem Körper" oder "diesem kleinen Mädchen". Sie inspirierte Millionen Menschen unterschiedlichster Kultur und Herkunft durch Ihre bloße Gegenwart, ihre allumfassende Liebe und Weisheit zur Suche nach der Höchsten Wirklichkeit. Ihre Bewunderer errichteten über 28 Ashrams in Indien sowie weitere in Europa und den U.S.A. (Hawaii). Die "Shree Shree Anandamayee Sangha" wurde von Ihren Anhängern gegründet (Varanasi). Dort wird u.a. die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift "Amrit Varta" (in Bengali, Hindi und Englisch) sowie Bücher über sie herausgegeben.

Einfluss und Lebenswerk

Mahasamadhi und Tod

Im August 1982 verließ Anandamayi Ma im Ashram im Kishenpur-Ashram, in Nord-Indien (Dehradun) ihren Körper und ging in Mahasamadhi. Ihr Körper wird seitdem in der heiligen Pilgerstätte des Mahasamadhi Tempel in Khankal aufbewahrt. Anandamayi Ma hat Ihr "Lila", ihr "göttliches Spiel" auf der Erde beendet. Ihr Sein und ihre Worte jedoch sind zeitlos gültig und immer wieder neu inspirierend, uns bewusst und kompromisslos für die wahre Freiheit zu entscheiden und die ewige Wahrheit in uns selbst zu finden und zu verwirklichen: "Nehmt an, einige Leute gehen im Meer baden und beschließen, allen anderen voraus zu schwimmen - daraus folgt, dass sie zurückschauen müssen. Aber für den, dessen einziges Ziel der Ozean selbst ist, gibt es niemanden, um dessentwillen er zurückschaut oder besorgt ist, und dann geschieht, was geschehen soll. Gib dich der Welle hin, und du wirst von der Strömung aufgenommen werden. Der Ewige Selbst ist die Welle, die den Strand überflutet, um dich fortzutragen. Wer sich selbst für dieses Ziel aufgeben kann, wird von Ihm angenommen. Aber wenn deine Aufmerksamkeit auf den Strand gerichtet bleibt, kannst du nicht weit kommen und wirst nach dem Baden zurückkehren. Wenn dein Ziel das Höchste, das Endgültige ist, wirst du vom Strom deiner wahren Natur geführt werden. Es gibt Wellen, die hinwegtragen und Wellen, die zurückziehen. Diejenigen, die sich hingeben können, wird Er zu sich nehmen. In Form der Welle streckt Er Seine Hand aus und ruft euch: kommt, kommt, kommt! "

Gedenken

Nach indischer Zeitrechnung jährte sich der Erscheinungstag der Glückseligen Mutter Shri Anandamayi Ma am 6. Mai 1996 zum 100. Mal. Zu diesem Anlass fand in Ihren Ashrams und in den Herzen vieler spiritueller Sucher auf der ganzen Welt ein Fest der Freude und der inneren Verbundenheit statt. Shri Anandamayi Ma’s Anwesenheit und liebevoll führende Gegenwart ist für jeden ernsthaften Sucher erfahrbar und wird auch weiterhin in den Herzen all derer gespürt, die aufrichtig dem Pfad zur Gottesverwirklichung folgen.