Das Geheimnis der Katha Upanishad

 

Vortrag 7

Das Problem der Katha Upanishad gehört genauso zu den Rätseln, wie das Rätsel um Leben und Tod. Die große Frage des Lebens ist auch die Frage des Todes. Das Leben ist ein großes und der Tod ist ein noch größeres Mysterium. Diese beiden Seiten derselben Medaille der Erfahrungen liegen vor uns wie eine ewige Frage, der sich Heilige seit undenklichen Zeiten immer wieder von ihren Schülern gegenüber gestellt sahen.

Die Katha Upanishad wurde uns von dem Herrn des Todes in Verbindung mit der Strebsamkeit Nachiketas, der auf der Suche nach dem ewigen Leben war, übermittelt. Es ist der Tod, der zum Leben führt, wie es ist. ‚Stirb, um zu leben,‘ ist der Inhalt eines der Lieder von Sri Swami Sivanandaji Maharaj. Wenn man nicht in das Selbst aufgeht (stirbt), dann kann man kein ewiges Leben führen. Wenn man nicht wieder geboren wird und wie ein Kind ist, dann kann man nicht in den Himmel eintreten, sagt Jesus Christus. Alle großen Seher denken ähnlich. Die Upanishad, die von Yama, dem Herrn des Todes, übermittelt wurde, ist ein Lösungsversuch eines zentralen Mysteriums, das sich vor uns auf der einen Seite als ‚Leben‘ und auf der anderen Seite als ‚Leben danach‘ auftut. Wir machen einen Unterschied zwischen dem Hier und dem Danach. Wir sind es gewohnt, zwischen Leben und Tod zu differenzieren. Für uns sind es zwei völlig verschiedene Dinge, ohne jede Ähnlichkeit. Darum lieben wir das Leben und fürchten den Tod. Das Schlimmste, was einem Menschen zustoßen kann, ist, dass er gehängt, hingerichtet oder getötet wird. Nichts kann schlimmer sein, als den bevorstehenden Tod vor Augen zu haben. Ein Horrorerlebnis ist wie der Tod selbst, während das Leben nach unserer Ansicht eine honigsüße Erfahrung ist. Warum fürchten wir den Tod und lieben das Leben? Weil wir weder das Leben noch den Tod kennen. Für die Zuneigung der Kinder für Spielzeuge gibt es keine rationalen, sondern psychologische Gründe. Liebe und Hass sind kindische Reaktionen auf den unmittelbaren Anreiz von außen. Man darf auch nicht zu ernst nehmen, was der ungebildete Geist in der Sprache seiner eigenen armseligen Erfahrungen von sich gibt. Die Upanishad ist nicht dazu da, um dem Drang der Sinneswahrnehmungen genüge zu tun. Die Upanishad schildert das Geheimnis des Lebens. ‚Upanishad‘ bedeutet Geheimlehre der wesentlichen inneren Existenz. Wir hören, dass die Upanishad eine Quintessenz der Veden ist. Während die Veden das Wissen beschreiben, bildet die Upanishad die Essenz des Wissens. So wie Wissen zu einem Objekt gehört, so gehört die Weisheit der Upanishad zum ewigen Subjekt, der absoluten Wirklichkeit hinter allen Dingen. Auf diese Weise ist es der Inhalt der Upanishad im Allgemeinen und insbesondere der Katha Upanishad. Es wäre gut, über einen bestimmten Zeitraum deren Bedeutung zu studieren, die offensichtlich in der Frage Nachiketas und in der Antwort des Herrn des Todes, Yama, versteckt ist. Wonach hat Nachiketas gefragt und was wollte er, und womit hat Yama ihm seine Gnade erwiesen? Was war die Frage und wie lautete die Antwort? Die Fragen betrafen offensichtlich die menschlichen Erfahrungen. Sie bezogen sich auf alle Ebenen des menschlichen Wissens, - den Sinneswahrnehmungen, im psychologischen und spirituellen Sinne. Das dreifache Fasten, die drei Fragen, die dreifach erwiesene Gnade kann für die drei Ebenen der Erfahrung von Bedeutung sein, die unsere Seelen durchlaufen müssen. Verstand, Vernunft und Intuition; Geist und Spirit sind die fundamentalen Stufen der Erfahrung. Die Fragen Nachiketas beziehen sich auf diese Ebenen der Suche der menschlichen Seele. Die Antworten von Yama, die Gnaden, die Nachiketas gewährt werden, bilden das genaue Pendant zu diesen Fragen, d.h., die universalen Antworten, so als würde Gott zu den Menschen sprechen, als würde das Absolute in das Relative eintreten, um die Probleme und die Fragestellungen bezüglich Leben und Tod zu befriedigen.

Was bedeutet Tod? Für uns sterbliche Menschen, die an die körperlichen und sinnlichen Erfahrungen gebunden sind, bedeutet Tod die Zerstörung aller Werte. Darum fürchten wir den Tod. Es ist eine Ablösung von allem, was uns lieb und teuer ist. Wir sind von all unseren Vergnügen abgeschnitten. Unsere Existenz scheint bestritten. Es scheint so, als ob wir aufhörten, noch irgendetwas zu erkennen. Alles ist vorbei. Alles ist am Ende. Das bedeutet für uns Tod. Doch der Tod wird hier zum Lehrer. Wenn Tod eine Auflösung aller Dinge wäre, dann könnte man nichts mehr von ihm lernen. Der größte Lehrer des Lebens ist der Tod. Das Leben ist der Schüler, der Tod der Tutor. Es gibt ein wundervolles Beispiel, die von Kalidasa in der Raghuvamsa erzählt wird. Dort wird von einem König namens Aja, dem Vater von Dasaratha, erzählt. Er hatte eine wundervolle Gemahlin, Indumati. Sie starb bei einem Unfall, was für Aja ein tiefer Schock war. Er schrie und schlug sich vor die Brust, weinte vor seinem Guru Vasishtha. „Oh Heiliger! Welch ein Unglück ist über mich gekommen!“ Vasishtha gab ihm mit wenigen Worten Folgendes zu verstehen: „Was bedeutet der natürliche Tod; das Leben selbst ist unnatürlich.“ Unsere Lebendigkeit ist das Mysterium. Der Tod ist kein Wunder. Allein dass wir in der Lage sind zu atmen, ist ein Wunder. Dass wir ein Subjekt des Todes sind, liegt in der Natur unserer Persönlichkeit. Das ganze Universum ist eine Offenbarung des Todes, sagt Buddha, der große Seher. Das Universum ist der Tod, wie es ist, denn es ist ein Vorüberziehen von Vergänglichkeiten, eine Bewegung, eine ewige Verwandlung von Formen. Kann man das Leben nennen?

Der Tod wird zum Lehrer, wenn uns die Tatsache des Vorüberziehens der Vergänglichkeit aller Dinge klar wird. Die Frage Nachiketas bezog sich nicht auf die Persönlichkeit des menschlichen Seins. Er stellte nicht einfach die Frage: was geschieht mit der individuellen Seele, wenn sie ihren physischen Körper verlässt. Wir sind bereits auf die Tatsache eingegangen, dass der Tod, auf den sich Nachiketas in seiner Frage bezog, vollkommen anders zu betrachten ist. Genau genommen, unterscheiden sich Leben und Tod nicht voneinander. Es gibt eine Fortsetzung zwischen Leben und Tod und zwischen Tod und Leben. Während Erfahrungen in die unterschiedlichen Strukturen ihrer eigenen Konstitution münden, verursacht der strukturelle Unterschied zwischen der vergangenen und der nachfolgenden Erfahrung ein Vergessen im Bewusstsein des empirisch begründeten Egos in Bezug auf die vergangene Erfahrung, und die Verbindung des selben Bewusstseins mit der vergangenen Erfahrung vermittelt das Gefühl, dass es in eine Welt und damit in eine neue Lebensform geboren worden wäre, obwohl mit ihm keine wesentliche Veränderung vonstatten ging. Es hat seine Vergangenheit vergessen und ist nur für eine neue Art der Erfahrung erwacht. Der Tod ist ein Vergessen, welches das Individuum unter den gegebenen Umständen überlagert, wobei diese beiden Umstände, wie bereits betont, den strukturellen Unterschied zwischen der einen Erfahrung und der unmittelbar nachfolgenden Erfahrung ausmachen. Darum können wir uns der vergangenen Leben nicht erinnern. Wir sind in völliger Unkenntnis darüber, wer wir in unserer vorigen Geburt waren. Dieses Vergessen geschieht auf Grund der Tatsache, dass das Bewusstsein in einem hohen Maß an die gegenwärtige individuelle Körperstruktur gebunden ist, und dass es durch die früheren körperlichen Erfahrungen bedient wurde, wobei dasselbe immer wieder geschieht. Diese Erfahrungen wiederholen sich, wenn dieser Körper abgestreift wird. Die Loslösung von dem Körper ist für das individuelle Bewusstsein ein Verleugnen des eigenen Selbst, so wie es ist. Das Bewusstsein unseres Körpers ist unser Bewusstsein, so weit wie es unsere Erfahrungen betrifft, und wenn wir uns des Körpers entledigen, erfahren unsere Nerven einen Schock. Der Körper, die Nerven und der Geist sind miteinander verbunden. Der Tod wird auf Grund der unerwarteten Erfahrung und, weil wir nicht darauf vorbereitet sind, zu einem Schock. Alles Unerwartete kommt für uns überraschend. Alles, was wir erwarten, ist nicht so schmerzhaft. Wenn wir jetzt erfahren würden, dass in den nächsten fünf Minuten ein Erdbeben stattfände, und dass wir jetzt gleich sterben müssten, wären wir über diese Tatsache nicht so unglücklich, wie bei demselben Ereignis, das urplötzlich und unerwartet über uns hereinbricht. Der Tod wird niemals erwartet. Es ist uns bekannt, dass er uns jederzeit heimsuchen kann; und doch ist unser Bewusstsein diesbezüglich vernebelt. Auf Grund dieser Illusion hält das Bewusstsein am Körper fest, richtet sich allein nach den körperlichen Erfahrungen, vergisst das Vergangene und reagiert gleichgültig auf die Zukunft. Uns kümmert nicht das Leben nach dem Tod. Uns ist nicht bewusst, was mit uns in der Vergangenheit geschah. Wir befassen uns nur mit diesem Körper der Gegenwart, mit den Beziehungen jetzt in diesem Leben mit diesem Körper einhergehen. Dieses ist die schlimmste Form der Unwissenheit, in die man eingehüllt sein kann.

Leben und Tod sind nicht fundamental isolierte Erfahrungen. Im Schlafzustand dauert das Erinnerungsvermögen an. Wenn das Erinnerungsvermögen aufhört, wird dies als Tod bezeichnet; oder anders betrachtet, der Tod ist eine Erfahrung einer anderen neuen körperlichen individuellen Form, die durch den individuellen Wunsch hervorgebracht wurde, und diese Wünsche sind endlos. Auf Grund von Wünschen sterben wir, und wir werden auf Grund von Wünschen wieder geboren. Wünsche sind der Antrieb für die individuelle Natur hin zu bestimmten Erfahrungen. Dieser Antrieb in Form der Wünsche brauchen den Kontakt zu bestimmten Gruppen körperlicher Objekte. All dieses dramatische Bemühen auf Seiten des Geistes, um mit bestimmten körperlichen Objekten in Berührung zu kommen, wird als das Leben bezeichnet; und die Art des physischen Körpers, in den man hineingeboren wurde, und die Art der gesellschaftlichen Beziehungen, mit denen man im Leben verbunden ist, werden alle durch die Gruppe von Wünschen, mit denen man geboren wurde, bestimmt, was man als Prarabdha-Karma bezeichnet. Prarabdha ist nichts weiter als die Kraft der Wünsche, die noch nicht in unserem früheren Leben erfüllt wurden, aber in dem gegenwärtigen Leben erfüllt werden müssen. Wenn diese Wünsche durch Erfahrungen in diesem Leben erschöpft sind, ist die Zeit gekommen, um sich des Körpers zu entledigen.

Der Tod tritt auf Grund der Erfüllung eines Bündels von Wünschen ein, was man ursächlich als Prarabdha bezeichnet, da sie nicht mehr länger in der Funktion dieses besonderen Körpers ausgefüllt werden können. Wenn eine bestimmte Rolle von einem Menschen gespielt wurde, wenn also das Spiel vorbei ist, gibt es für diesen Menschen einen Ausgang, denn seine Funktion wurde erfüllt, man ist nicht mehr länger an diese Persönlichkeitsstruktur gebunden, und der Vorhang fällt. Der Körper wurde unserer gegenwärtigen Individualität als ein Vehikel gegeben, um mit dem Geist unter empirischen Körperbedingungen die Wünsche zu erfahren, die in der Vergangenheit noch nicht erfüllt wurden. Wenn alle Erfahrungen vorüber sind, wenn dieses Bündel an Wünschen durch die Erfahrungen erschöpft ist, wird der Körper aufgegeben. Darum ist der Tod eine natürliche Folge von Ereignissen im Evolutionsprozess. Leben und Tod sind tatsächlich ein und dasselbe. Die Frage Nachiketas und entsprechende Antwort Yamas sind nicht voneinander trennbar, sondern sie bilden die Ober- und Unterseite derselben Münze. Wie lautete die Antwort Yamas auf die Frage von Nachiketa? Erstens sollte Nachiketas in die sterbliche Welt zurückkehren, erkannt und von den Menschen der Welt nach seiner Rückkehr gut behandelt werden, was so viel heißt: es gibt ein Leben nach dem Tod. Ansonsten kann es keine Rückkehr in diese Welt geben. Zweitens: eine Wiedergeburt muss nicht unbedingt in dieser Welt stattfinden. Das ist die Antwort bzgl. Vaishvanara-Agni-Vidya, die Erfahrung von Hiranyagarbha, eine Erfahrung einer höheren Welt, eine Wiedergeburt in ein Reich, das nicht unbedingt von dieser Welt ist. Während die erste Gnade, die eine Möglichkeit der Rückkehr in dieselbe Welt bedeutet, bezieht sich die zweite Gnade auf eine Wiedergeburt in eine höhere Welt. Die Wiedergeburt ist unvermeidlich, doch dieses bedeutet nicht, dass man unbedingt auf einen Planeten wieder geboren wird. Es gibt unendlich viele Erfahrungen. Das Universum ist durch die irdischen Erfahrungen nicht allein erschöpft. Es wird davon berichtet, dass es so genannte Lokas gibt, bei denen es sich um die unterschiedlichsten Erfahrungsebenen, Bedingungen, Kombinationen des Raumzeitalters handelt. Gut für uns, dass all dies durch die moderne Physik, Relativitätstheorie, Mathematik usw. bestätigt wird und sich mit der Philosophie der Upanishads deckt. Ist das nicht wundervoll? Wir erreichen die Spitze des Wissens, wir kommen zu dem selben Punkt. Die Abhängigkeit der Erfahrungen ist eine Erklärung für die innere Verbindung von Leben und Tod, doch die letztendliche Bedeutung für das Leben wie auch für den Tod, und das gilt für den gesamten Evolutionsprozess, ist die Selbstverwirklichung des Kosmos. Wir leben und sterben nicht, weil wir es so wollen. Dieses ist nicht der wahre Zweck von Leben und Tod. Es ist eine Möglichkeit vom Ende. Die letztendlich Bestimmung des Prozesses vom Leben wie auch vom Tod ist die Selbsterkenntnis aller Dinge. Derzeit findet eine Selbstentfremdung kosmischer Erfahrungen statt. Das Selbst wurde zu etwas Anderem. Dieses nennt man Schöpfung. Diese Schöpfung des Universums ist nichts weiter als eine scheinbare Entfremdung vom Selbstbewusstsein hin zu den Objekten. Es ist, als würde Gott zum Objekt seines eigenen Selbst. ER sieht sich Selbst in einem Spiegel. ER erkennt sich Selbst als etwas Anderes. Das Subjekt wird zum Objekt. Das Bewusstsein wird zu Materie, als würde das Absolute in die Raumzeit-Ursachen-Beziehung eintreten. Die Rückkehr der Folge in die Ursache, oder die Verwirklichung von Gott als Gott, die Rückkehr des Bewusstseins zu seinem eigenen Selbst, der letztendlichen Natur der Dinge, ist der Zweck des Universums. Wenn die Bäume wachsen, die Flüsse fließen und die Sonne scheint; wenn wir atmen, die Ameise kriecht und Schmetterlinge fliegen; wenn alles das ist, was es ist, dann geschieht dieses auf Grund eines inneren Dranges, und jeder muss sich zu einer universalen Selbsterkenntnis hinbewegen.

Auf diese Weise sind Leben und Tod ein fortdauernder Prozess. Sie sind in sich nicht endlich. Die drei Fragen Nachiketas und ebenso die drei gnadenvollen Antworten Yamas beziehen sich auf den Evolutionsprozess des Kosmos, von den Sinnen zum Geist (Verstand), vom Geist zum Spirit; von den Objekten zu den inneren Bedingungen der Wahrnehmung, und letztendlich zum Absoluten. Sinne, Geist (Verstand) und Spirit sind die Stufen, die in der Katha Upanishad erläutert werden. Darum haben wir hier eine Erklärung über die Erfahrungswelt durch die Sinne ebenso wie eine Welt der reinen Gedanken, die in den Ausführungen über die Natur des Spirit endet. Und der Spirit bedeutet den Tod aller Dinge; - Mrityur yasyopasechanam. Die Nasadiya Sukta der Veden sagt, dass beide, der Tod und die Unsterblichkeit, Schatten der Ewigkeit sind. Selbst die Unsterblichkeit ist nur eine Reflexion der Ewigkeit. Leben und Tod sind relative Gegenstücke zueinander, und sie werden zum Mysterium, zu einem Rätsel für uns, wenn wir versuchen, sie mit unserem Intellekt zu verstehen, der unter den Bedingungen der sinnlichen Wahrnehmungen funktioniert. Der Spirit ist der Sauger (Absorbierer) aller Dinge. Er ist die Erklärung für alles. In der Chhandogya Upanishad gibt es ein Vidya, Samvarga-Vidya genannt, was so viel wie das Wissen vom Aufsaugen aller Dinge‘ bedeutet. Die Objekte werden in den All-Geist aufgesogen, der wiederum in den absoluten Spirit absorbiert wird. Dieses ist das philosophische und spirituelle Geheimnis hinter dem feinen Wissen, das uns die Katha Upanishad vermittelt.