Parabeln von Swami Sivananda

  • Teil 1 Philosophie und Lehren
  • 3. Kapitel Die Herrlichkeit des Guru
  • Gleichnis vom Blinden, der die Blinden führt


Fünfzig von Geburt an blinde Männer saßen in einer Unterkunft für Pilger (Dharmashala). Sie wollten zu einem entfernten Pilgerort gehen. Vier weitere blinde Männer kamen vorbei und schlossen sich der Gruppe an, da sie dasselbe Ziel hatten. „Freunde,” sagte der Führer der fünfzig zu den Neuankömmlingen, „wir sind blind und können den Weg zum heiligen Schrein nicht finden. Könnt ihr uns führen? Sehen eure Augen?” „Liebe Freunde,” antworteten die vier, „wir haben eine Menge über die heilige Stadt gehört und wie man sie erreicht. Wir haben ein klares geistiges Bild der Wegstrecke. Obwohl wir sie nicht mit unseren Augen sehen können, sind wir zuversichtlich, unseren Bestimmungsort zu erreichen und euch dorthin führen zu können. Folgt uns.” Mit einem Seil banden sie sich aneinander und der beste unter den Vieren führte die Gruppe an. Er hatte zweifellos eine geistige Vorstellung des Weges, was jedoch keine große Hilfe war. Er verirrte sich und stürzte in eine tiefe Schlucht. Die anderen, die nicht wußten, wohin er sie führte und die an ihm festgebunden waren, fielen nacheinander ebenfalls hinunter und kamen um.

Ähnlich ist es heutzutage mit vielen Menschen. Sie hören vom Land der immerwährenden Wonne, wo Heiligkeit und Göttlichkeit im Überfluß herrschen. Aber sie kennen den Weg nicht und warten darauf, hingeführt zu werden. Einige weitere blinde Menschen stoßen zu ihnen, die eine Menge über das Königreich Gottes gehört haben. Sie wissen vom Verstand her vieles und glauben, den Weg zu kennen. Nicht nur das – sie glauben auch, andere führen zu können. Sie versprechen den Menschen, sie zum Königreich unsterblicher Wonne zu führen. Die leichtgläubige Menge folgt ihnen. Solche Führer haben einen gut ausgebildeten und geschulten Verstand, aber keine Selbstkontrolle und Erfahrung. Sie gehen dorthin, wo ihre Sehnsucht, ihre Neigungen (Vasanas) und Wünsche sie hinlenken. Sie fallen in die Schlucht der Sinnesbefriedigung und des Materialismus und kommen mit all ihren Anhängern um.

Folge nicht den blinden Irregeleiteten. Folge den Heiligen, die das Auge der Intuition haben, und erreiche die Wohnstätte der höchster Wonne.

  • Gleichnis vom listigen Mann und den vier Narren


Ein Mann ging in einen Park. Alle Bänke waren besetzt. Er war müde und wollte sich ausruhen. Keiner von denen, die auf den Bänken saßen, schien die Absicht zu haben, bald aufzustehen. Der Mann ersann einen Plan. Er ging an den Rand des Parks und begann, interessiert nach oben zu schauen. Vier Leute, die in der Nähe auf einer Bank saßen, wurden neugierig und wollten wissen, was es da so Faszinierendes zu sehen gebe. Sie standen auf und kamen auf ihn zu. Sowie sie sich ihm näherten, ging er geradewegs auf die Bank zu und streckte sich bequem darauf aus. Während die vier noch lange darüber diskutierten, was er wohl gesehen haben mochte, schlief er bereits.

So geht es vielen Menschen. Oft kommt ein Studierter oder Politiker, der sich einen Namen machen und ein angenehmes Leben führen möchte, in eine führende Position. Der Politiker ist intelligent und hält „gewöhnliche“ Menschen für Narren, die mühelos getäuscht werden können. Er verkündet, etwas ganz Neues, Aufsehenerregendes entdeckt zu haben. Die Menschen scharen sich um ihn und diskutieren untereinander endlos über seine Ideen. Währenddessen läßt er selbst sich mit einem dicken Bankkonto, Ruhm, allen Bequemlichkeiten und Vorteilen nieder.

Lasse dich von solchen Pseudoführern nicht täuschen. Halte dich an den Weisen mit echtem Wissen. Er wird dich erleuchten und dich zum Ziel ewiger Wonne und immerwährenden Friedens führen.

  • Gleichnis vom Boten des Millionärs


Ein Millionär wollte an einen anderen reichen Mann in der Nachbarstadt eine dringende Nachricht senden. Er rief seinen besten Sekretär und übergab ihm die Nachricht mit den Worten: „Bringe dies schnellstmöglich zu meinem Freund.” Der Bote überbrachte die Nachricht, wie ihm aufgetragen worden war. Der stolze reiche Mann nahm die Botschaft hochmütig entgegen und sagte herablassend: „Ich hoffe, du hast bereits gegessen. Wenn nicht, nimm diese Frucht und geh.” Der Bote war zutiefst verletzt. Auf dem Rückweg begegnete er einem armen Mann, der ihm mit großer Liebe und Beflissenheit ein Glas kühles Wasser anbot. Der Bote freute sich sehr und genoß die Erfrischung. Zu Hause erzählte er alles seinem Herrn. Dieser erkannte, daß die Beleidigung gegenüber seinem Sekretär im Grunde eine Beleidigung ihm selbst gegenüber war. Von nun an pflegte er keinen Kontakt mehr mit dem reichen Mann. Den Armen hingegen belohnte er reichlich.

Gott sendet der Menschheit seine Boten in Form von Heiligen und Weisen. Sie kommen auf die Erde mit der Botschaft der Hoffnung, Freude und Unsterblichkeit. Der hochmütige Mensch voller Stolz auf seinen Wohlstand, seine Position und Macht, baut dem Heiligen einen Ashram und spendet Geld für dessen Projekte - aber mit einer Einstellung von Arroganz, Selbstüberschätzung und Überheblichkeit. Ein armer Mann hingegen bietet dem Heiligen eine Blume, eine Frucht oder auch nur Wasser an; und mit dieser Gabe bringt er sein ganzes Herz dar. Der Heilige freut sich sehr darüber. So sieht Gott die verhältnismäßigen Verdienste des Reichen wie auch des Armen. Entscheidend ist Bhava, die innere Einstellung der Liebe und Hingabe, das Gefühl; Qualität, nicht Quantität.

  • Gleichnis vom Pseudo-Verehrer


Ein Feigling wollte sich vor den Augen der Öffentlichkeit als großer Anhänger von Narasimha (mythologische Gestalt; halb Mensch, halb Löwe) darstellen. Er hatte weder Mut noch Weisheit, weder Hingabe noch Aufrichtigkeit. Er ging zu einem Tätowierer, um sich die Gestalt Narasimhas auf den Rücken tätowieren zu lassen. Er glaubte, daß ihn die Leute dann für einen treuen Verehrer Narasimhas halten würden.

Der Tätowierer begann ruhig mit seiner Arbeit. Nach einigen Minuten konnte der Feigling die Nadelstiche nicht mehr ertragen. Außerdem quälte ihn die Vorstellung, ein lebendiger Mensch-Löwe sei dabei, auf seinem Rücken Platz zu nehmen. Er fragte: „Welchen Teil Narasimhas tätowierst du gerade?” Der Tätowierer antwortete: „Ich beginne gerade mit den Beinen.“ Der Feigling sagte: „Die Beine Narasimhas bereiten mir sehr viel Schmerzen. Ich möchte seine Beine nicht. Bitte tätowiere einen anderen Teil.” Nun begann der Tätowierer mit den Händen, und der Feigling fragte wieder auf die gleiche Weise. Daraufhin wollte der Tätowierer mit dem Kopf beginnen und sowie er dies ankündigte, brachte der bloße Gedanke an Lord Narasimhas Kopf den Feigling heftig zum Zittern. Er sprang auf, lief davon und rief dabei laut: „Lord Narasimha hat an mir Gefallen gefunden. Er hat auf meinem Rücken Platz genommen. Schaut ihr Menschen. Seht, was für ein großer Anhänger ich bin.” Die Menschen sahen auf seinem Rücken einige ungeschickte Schrammen der Tätowierungsansätze. Sie spotteten über den Feigling und bemitleideten ihn ob seiner Torheit und Unwissenheit.

Die Welt ist voll von Pseudo-Jnanins (Weisen), Pseudo-Vedantins (Philosophen), Pseudo-Yogins (Yogatreibenden). Sie sind im Grunde genommen Feiglinge, wollen sich jedoch als große Yogins und Bhaktas (Gottesverehrer) ausgeben. Sie besitzen nicht die Willenskraft und Ausdauer, sich einem Guru zu unterstellen und geduldig das zu lernen, was er sie lehrt. Sie können sich nicht den Hindernissen auf dem spirituellen Weg stellen. Sie greifen ein paar Worte des Lehrers auf und spielen sich dann in der Öffentlichkeit als Prediger und Selbstverwirklichte auf.

Gib dich mit ganzem Herzen einem Guru hin. Er wird deinem Geist ein vollständiges Bild Gottes einprägen. Auch ohne daß du es zur Schau stellst, wird die Öffentlichkeit um den Wert des Bildes wissen. Sei dir darüber im klaren, daß du dich Hindernissen stellen und sie überwinden mußt.

Sei kühn. Sei mutig. Sei geduldig. Sei ernsthaft.

  • Gleichnis vom Brahmanishtha und seinem Schüler


Vor einiger Zeit lebte ein Brahmanishtha Guru (ein im Wissen um Brahman, das Absolute, fest verankerter Weisheitslehrer). Er ging völlig darin auf, sein intuitives Wissen und seine Erfahrungen mit allen erdenklichen Mitteln weiterzugeben, indem er z.B. Reden hielt, Bücher schrieb, Menschen persönlich beriet usw. Einen seiner Schüler hatte er angewiesen, Notizen seiner Reden und Gespräche zu machen und daraus Bücher zusammenzustellen. Im Laufe der Zeit wurde der Schüler zu einer sich ständig wiederholenden Langspielplatte des Lehrers, da er immer wieder die gleichen Worte und Aussagen des Guru niederschrieb. Dabei wurde er allmählich eitel und stolz. Das ging schließlich so weit, daß er sagte: „Was weiß der Guru mehr? Ich erinnere mich an alles. Ich kann alle Schriften zitieren. Ich bin ein voll entwickelter Jnani (Weiser).”

Nun verlor ein anderer Schüler ein Familienmitglied durch Tod. Der Guru wählte den anmaßenden Schüler aus, der Familie das Beileid auszusprechen. Der Schüler ging gehorsam zu der Familie und hielt mit aufrichtigem Ernst eine vedantische Ansprache. Trotzdem schien diese gute Absicht das Gegenteil zu bewirken. Die Anwesenden zeigten weiterhin traurige Gesichter. Zur Überraschung aller erschien plötzlich der Guru persönlich. Seine bloße Gegenwart machte alle heiter und glücklich und ließ sie den Verlust des Familienmitglieds vergessen. Der Guru sprach nur ein paar Worte und schon fühlten sich alle erhoben und wie verwandelt.

In der Kenopanishad (eine der Upanishaden) heißt es: „Der Kenner des Geistes denkt nicht mit dem Geist[04]” .

Rein intellektuell und theoretisch orientierte Philosophen nutzen der Menschheit nicht wirklich. Ihre Worte werden gehört, finden jedoch kein Echo bei den Zuhörern.

Kann der Mond behaupten, er leuchte kraft seines eigenen Lichtes, er helfe dir mit seinem eigenen Licht, sein Licht sei stärker als das der Sonne? Sowie die Sonne aufgeht, offenbart sich die Wahrheit über das Licht des Mondes.

So ist es auch, wenn Wissen und Verständnis in einem offenen Herzen aufkeimen dank der Gegenwart eines Menschen mit intuitiver Erfahrung und direktem Wissen. Welchen Nutzen hätte da noch das rationale Wissen des Gehirns?

Weise, Heilige und Selbstverwirklichte leben, um die ganze Menschheit zu erleuchten. Selbst wenn sie sich ruhig verhalten, transformieren sie durch ihre bloße Gegenwart die Menschheit. Der trockene Intellekt hingegen vermag nicht einmal einen einzelnen zu erleuchten.

[04 Info Geist]
D.h., der Beobachter des Geistes. Das wahre Ich, das sich weder mit dem Körper noch mit dem Geist identifiziert, bezieht sein Wissen nicht aus Schriften, sondern aus höherer Intution.

  • Gleichnis vom wohlgefälligen Jüngling und dem schönen Mädchen


Einst lebte ein schöner Jüngling, der sprichwörtlich zu allen gut war. Er tat niemals etwas, was dem Wohl der Menschheit und dem Guten abträglich gewesen wäre. Eines Tages unternahm er eine Reise. Unterwegs traf er ein wunderschönes Mädchen, in das er sich sofort verliebte. Das Mädchen schien nichts dagegen zu haben. Ohne weiter zu überlegen, kehrte der junge Mann mit dem Mädchen nach Hause zurück und die Hochzeitsvorbereitungen begannen. Kurz vor dem Hochzeitstag erriet der junge Mann aus dem Verhalten des Mädchens, daß es eigentlich einen anderen liebte. Ohne zu zögern sorgte er dafür, daß die beiden heirateten. Ein Jahr verging. Das Mädchen fing an, die Güte des Jünglings zu vergessen. Da ließ er ihr mit Hilfe eines Magiers eine Droge in Form einer Süßigkeit geben, welche bewirkte, daß sie Abneigung gegenüber ihrem Mann entwickelte. Schließlich verließ sie ihn und kehrte zu dem Jüngling zurück. Von da an lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende.

Gott und Guru sind dasselbe. Sie sind vergleichbar mit dem wohlgefälligen Jüngling. All ihre Taten dienen immer dem Wohl des einzelnen und des Universums. Der Jüngling entspricht in der Geschichte Gott oder dem Lehrer, der den Schüler in der Welt auswählt. Die Liebe des Mädchens zu einem anderen Mann ist wie die anfängliche Liebe des Schülers zu weltlichen Dingen. Gott und der Guru lassen sie bis zu einem bestimmten Grad zu. Beginnt der Schüler jedoch, Gott oder den Lehrer zu vergessen, wenden sie mittels ihrer geheimnisvollen spirituellen Kraft (vergleichbar mit der Droge des Magiers) den Geist des einzelnen von den weltlichen Objekten ab und ziehen ihn wieder zu sich hin, zum Wohl des Menschen.

  • Gleichnis vom köstlichen Festmahl


Ein selbstverwirklichter Meister lebte mit einem engen Schüler zusammen.. Der Schüler studierte und verstand die Schriften in der richtigen Art und Weise und diente seinem Lehrer unermüdlich.

Seine Nähe zum Guru ließ in dem Schüler den Gedanken aufkommen, er sei der einzige geliebte Schüler des Gurus. Ferner glaubte er, die anderen Schüler, die den Meister nur  gelegentlich besuchten, seien ihm nicht wirklich treu ergeben. All das stärkte sein Ego erheblich.

Eines Abends im Winter kehrte der Schüler spät zur Kutir (Haus, Hütte) zurück, nachdem er einige Arbeiten außerhalb erledigt hatte. Drinnen hörte er die Stimme eines anderen Schülers, eines gelegentlichen Besuchers. Er klopfte. Der Guru fragte: „Wer ist da?“ Der Schüler antwortete wie gewöhnlich: „Ich bin es, bitte öffne die Tür.“

Der Guru antwortete: „Ich genieße gerade ein köstliches Festmahl. Bei diesem Fest gibt es keinen Platz für eine weitere Person.“

Der Schüler mißverstand den Guru. Er fühlte sich vor einem Mitschüler herabgesetzt und beleidigt, der nur gelegentlich vorbeikam und sich nicht um praktische Arbeiten kümmerte. Verärgert und beleidigt ging er weg und wanderte ziellos umher.

Wie die Tage so vergingen, wurden sein Herz, Verstand und Ego vollständig verbrannt im Feuer des Trennungsschmerzes von seinem Guru. Sein ganzes Wesen wurde gekocht über dem Feuer des Gefühls der Verlassenheit und des Getrenntseins. Er wurde fast verrückt vor lauter Liebe und Hingabe zu seinem Lehrer (Guru Bhakti). Eines Tages eilte er zur Kutir (Haus) des Lehrers zurück, klopfte laut an die Tür und rief mit einer Stimme voller Liebe: „Gurudev, Gurudev“. Der Klang seiner Stimme übertönte die übliche förmliche Frage des Guru: „Wer ist da?“ In seinen Gedanken war nur noch Platz für den Guru. Er war blind und taub für alles außer dem Guru - weder er selbst noch das Universum existierten für ihn.

Der Guru kannte die Stimme seines Schülers gut. Er konnte nicht länger warten, eilte hinaus, umarmte den Schüler liebevoll und sagte: „Ich genieße gerade ein wohlschmeckendes Festmahl. Es gibt keinen Platz für einen Zweiten bei meinem Fest.“

Gott ist allgegenwärtig und nicht dualistisch. Es gibt keinen Raum neben Ihm, wo ein Zweiter getrennt von ihm existieren könnte. Es gibt keinen Platz für das kleine Selbst des Menschen in diesem riesigen Universum. Solange das kleine Ego sich aufplustert, wirst du in Dunkelheit wandern und all diese Leiden erfahren, wie der stolze Schüler. In diesem Zustand können weder Frömmigkeit noch Besuche von Tempeln und Pilgerorten noch Askesepraktiken dich zum Geliebten Gottes machen.

Du brauchst Liebe zu Gott allein um seinetwillen, ohne irgendwelche anderen Gedanken oder Gefühle (Ananya Bhakti). Dienst an Gott mit dem Gedanken: „Ich diene Gott“ ist nicht diese vorbehaltlose Liebe.

Erst wenn dein Ego verzehrt ist vom Feuer des Gefühls der Trennung (Viraha), wenn dein Herz und Geist in diesem Feuer gar gekocht worden sind, wenn deine Liebe zu Gott über dem Feuer der Trennung köstlich und schmackhaft für Ihn geworden ist, wenn in diesem Stadium weder du noch dieses Universum für dich existieren, sondern nur Er allein dein Herz und deinen Geist erfüllt, dann, und nur dann, wirst du zum Geliebten Gottes. Dann wird Er dir entgegeneilen und dich umarmen. Dann werdet ihr gemeinsam ein wohlschmeckendes Festmahl genießen, bei dem kein Platz für etwas Zweites, etwas Getrenntes, ist.

Töte das kleine Selbst und sage: „Oh Gott! All dies bist nur Du allein.“

  • Gleichnis vom argwöhnischen Mann, der ertrank


Zwei Männer standen auf einem Felsen im Ozean, weit draußen vor der Küste. Es wurde dunkel. Wolken zogen sich am Himmel zusammen. Man konnte die Küste kaum noch sehen. Wellen peitschten gegen den Felsen. Das Meer wurde stürmisch.

Ein Mann tauchte in der Dunkelheit auf. „Kommt mit mir, ich werde euch zur Küste bringen“, sagte er. Der eine, weise Mann folgte ihm bereitwillig. Der andere fragte: „Wie willst du uns über das Wasser bringen?“ „Ich habe ein Boot“, sagte der Mann. „Ich komme mit dir“, sagte der erste. „Ich nicht“, sagte der andere. „Angenommen, das Boot ist leck oder der Mann ist ein Bandit?“

Der weise Mann steigt in das Boot und erreicht unter der Führung des Bootsmanns sicher die Küste. Der Törichte wird bald von den steigenden Wellen des Ozeans verschlungen.

Das Einzelwesen, die individuelle Seele (Jiva) treibt lange im Ozean des Samsara (Kreislauf von Geburt und Tod). Nach anstrengendem Ringen erhält das Individuum den Segen der menschlichen Geburt. Das andere Ufer der Sicherheit ist aber noch nicht erreicht. Die Zeit verfliegt. Der Lebensabend bricht an. Das Augenlicht geht verloren. Das Auge der Weisheit ist geblendet von den geballten Wolken des Materialismus und der Disharmonie. Verwirrt, mit einem Gebet auf den Lippen, steht der Mensch auf dem Felsen seines individuellen Lebens.

Der Guru (Lehrer) kommt zu ihm mit dem Boot des Namens Gottes und des Bhakti (Gottesverehrung). Er fordert den Menschen auf, ihm zu folgen, in das Boot zu steigen und so sicher das Festland zu erreichen. Der Weise folgt bereitwillig. Der Törichte jedoch hat tausend Zweifel und eine Million Befürchtungen. Er stellt die Vertrauenswürdigkeit und Motivation des Guru sowie den Wert der Hingabe an Gott in Frage. Sehr bald wird er einmal mehr vom riesigen Ozean der Wiedergeburten verschlungen und versinkt darin. Er hat die großartigste Gelegenheit vertan, sich zu retten, die Gott ihm geschenkt hat.

  • Gleichnis von dem Mann, der im Luxus lebte


Er war sehr reich und führte ein ausgesprochen luxuriöses Leben. Er aß köstliche Gerichte und warf alles weg, was nicht seinem verfeinerten Geschmack entsprach. Das trug ihm schließlich eine heftige Ruhr ein. Der Arzt verschrieb ihm eine sehr bittere Medizin. „Wenn du das nicht einnimmst, wirst du sterben“, sagte er. Ohne Widerrede schluckte der Mann die Tabletten und wurde wieder gesund. Ein für allemal gab er das luxuriöse Leben auf und wurde nie mehr krank.

In der Blüte der Jugend hat der Mensch einen Energieüberschuß und führt ein sinnliches Leben. Er ist nur an das Beste gewöhnt und spottet über Dinge wie Entsagung, Selbstaufopferung, Selbstverleugnung etc. Er ist an nichts interessiert, was ihm nicht ein Maximum an sinnlichem Vergnügen bringt.

Im Laufe der Zeit erschöpft sich seine physische Energie. Der Guru kommt zu ihm und macht ihm klar, daß er an der tödlichsten aller Krankheiten, der Krankheit von Geburt und Tod, leidet. Er verordnet ihm die bitteren Pillen der Entsagung, der Zurückhaltung und Selbstbeschränkung. Da dies der einzige Weg ist, der Krankheit von Geburt und Tod zu entgehen, nimmt der Mann die Medizin und beschließt, niemals mehr zu seiner alten Lebensweise in Überfluß, Gottlosigkeit und Achtlosigkeit zurückzukehren.

  • Gleichnis vom Tuberkulosekranken


Ein Mann litt an Tuberkulose. Der Arzt war der Meinung, daß die Krankheit lebenslang nicht geheilt werden könne. Das wollte er dem Patienten aber so nicht sagen. Statt dessen sagte er ermutigend: „Bruder, du kannst vollständig gesund werden. Jedoch mußt du dir bewußt sein, daß diese Krankheit sehr ernst ist. Sie kann nicht allein mit Medizin geheilt werden, sondern du mußt auch strikte Ernährungseinschränkungen einhalten. Dann kannst du ganz leicht von der Krankheit befreit werden“. Der Patient versicherte dem Arzt, daß er sich genau an die Diät halten werde. Der Arzt verabreichte ihm daraufhin die Medizin, die jedoch nur als Vorwand diente, um dem Patienten die gesunden Ernährungsregeln nahezubringen. Der Patient nahm die Medizin ein und beachtete eine ganze Weile lang die Ernährungsregeln. Die Krankheit verschlimmerte sich nicht. Erfreut und motiviert setzte er die Behandlung fort. Die Krankheit verschwand nicht gänzlich, aber sie verursachte auch keine weiteren Probleme. Die Krankheit war latent vorhanden, ohne auszubrechen. Sie starb mit dem natürlichen Tod des Mannes.

Ähnlich ist es, wenn ein Suchender sich einem spirituellen Lehrer nähert. Er erzählt ihm seine Geschichte, die schlechten Taten, die negativen Samskaras (Eindrücke im Geist), die er mit sich herumträgt. Der Lehrer weiß, all dies kommt von der schlimmsten aller Krankheiten, der Ignoranz (Mula-Ajnana, das grundlegende Nichtwissen). Sie kann nur geheilt werden, wenn die Identifikation mit der Körperlichkeit verschwindet. Dennoch weiht der Guru den Aspiranten in ein Mantra ein, und sagt: „Das ist eine sehr gute Medizin. Sie kann jedoch nur dann wirklich etwas nützen, wenn du dich gleichzeitig an Ahimsa (Nichtverletzen), Satya (Wahrhaftigkeit) und Brahmacharya (Enthaltsamkeit, Selbstdisziplin) hältst, wenn du morgens früh aufstehst und meditierst und wenn du regelmäßig in deiner spirituellen Praxis bist. Du mußt selbstlos dienen, hingegeben sein an Gott und meditieren. Dann wirst du von dieser inneren Krankheit geheilt.“ Der Aspirant nimmt das Mantra an und praktiziert Sadhana (spirituelle Übung). Bald stellt er fest, daß er leichten Herzens ist, einen klaren Verstand und feinsinnigen Intellekt bekommt. Sein Gewissen ist rein. Ermutigt von diesen ersten heilsamen Zeichen, fährt er mit beidem fort, mit der Mantra-Wiederholung (Japa) und der spirituellen Übung. Die schlechten Gedanken sterben von selbst ab, da sie keine Möglichkeiten haben, sich zu manifestieren. Wenn er durch Gottes Gnade spirituelle Erleuchtung erlangt, stirbt mit dem Körper auch seine Unwissenheit und er wird geheilt von der Krankheit von Geburt und Tod.

  • Gleichnis vom getäuschten Pilger


Tausende von Menschen kamen in Rishikesh an und wollten ein Bad im heiligen Fluß Ganges nehmen. Ein Mann aber kaufte am Bahnhof einen Fahrschein nach Madras. Erstaunt darüber, daß er Rishikesh an einem so besonderen Tag verlassen wollte, ohne die Gelegenheit für ein Bad im Ganges zu nutzen, fragte ein Pilger ihn: „Bruder, du bist an solch einem heiligen Tag in Rishikesh und nimmst kein Bad im Ganges? Kannst du deinen Besuch im Süden nicht verschieben?“ Der Mann antwortete: „Mein Freund, was soll da Besonderes im Ganges sein? Ich habe jahrelang jeden Tag ein Bad im Ganges genommen. Ich habe gehört, daß man großen Verdienst erwirbt, wenn man im Tamraparni Fluß im Süden des Landes badet. Deshalb gehe ich dorthin.“ Die Leute lachten über diese Torheit.

Menschen, die lange bei einem großen Heiligen leben, lassen oft ihre Hingabe schwinden. Während Millionen Menschen aus aller Welt zu dem Weisen kommen, um ihn zu sehen (Darshan), meinen die Schüler, die ihm nahe sind, eine Pilgerreise oder eine bestimmte spirituelle Übung, die es mit sich bringt, daß sie den Meister verlassen müssen, würde sie der Befreiung näherbringen. Das ist sehr schade. Es ist besser, sich einem Heiligen nicht zu vertraut zu fühlen und dafür die Flamme der Hingabe im eigenen Inneren lebendig zu halten.

  • Gleichnis von den Schafen und dem Wolf


Ein Mann hütete eine große Schafherde. Er setzte sich auf einen kleinen Erdhügel und vertrieb alle Wölfe, die versuchten, sich der Herde zu nähern. Der Abend brach an. Der Mann dachte bei sich: „Während des Tages kam ich sehr gut mit den Wölfen zurecht. Nicht einer konnte sich der Herde nähern. So wird auch in der Nacht nichts geschehen. Die Wölfe werden vielleicht gar nicht kommen.“ Es wurde Nacht. Wann immer Wölfe in der Nähe der Herde heulten, schrie der Mann laut und glaubte, die Wölfe ließen sich dadurch fernhalten. Statt dessen rissen sie aber die ganze Nacht Schafe. Als die Sonne wieder aufging, entdeckte der Mann, daß mehr als die Hälfte der Schafe den Wölfen zum Opfer gefallen war. Er lernte daraus. Tagsüber sammelte er nun ausreichend Brennmaterial. Als es Nacht wurde, entzündete er eine große Fackel, die den Horizont erhellte. Im lodernden Licht der Fackel sah er, was um ihn herum vor sich ging und konnte so die Wölfe fernhalten.

So ist es auch bei einem spirituellen Schüler (Sadhaka). Solange er sich in der lebendigen Gegenwart der Sonne seines spirituellen Lehrers befindet, ist er fähig, die Schafe seiner spirituellen Neigungen zu hüten und sie vor dem Verschlingen durch die Wölfe schlechter Gewohnheiten zu bewahren. Der Schüler meint, nun auch in der Nacht – ohne die Sonne des Guru - gegen Rückfälle und Sünde gewappnet zu sein. Er meint, schlechte Gewohnheiten kämen nicht einmal mehr in seine Nähe! Er wagt sich hinaus. Er verläßt seinen Lehrer und hält sich für einen Jivanmukta (lebendig Befreiter). Er hält mitreißende Vorträge über Sünden, lasterhaftes Leben und Maya (Täuschung). Aber in der Dunkelheit der Unwissenheit, welche in Abwesenheit des Guru zum Vorschein kommt, verliert der Schüler die meisten seiner Tugenden. Still und heimlich nähern sich ihm die Wölfe alter negativer Gewohnheiten, gegen die er selbst die ganze Zeit predigt. Sie rauben ihm einen großen Teil seiner positiven Eigenschaften. Wenn er durch die Gnade Gottes nicht selbst von den Wölfen verschlungen wird, kehrt er schließlich zu seinem Guru zurück und muß entdecken, daß er in seiner Abwesenheit vom Guru das meiste seines spirituellen Wohlstandes verloren hat. Nun wird er weiser und sammelt den Brennstoff von Chatushtaya (vier Eigenschaften, die nötig sind für einen Schüler auf dem spirituellen Weg: Leidenschaftslosigkeit, Unterscheidungskraft, sechsfache Tugenden, Verlangen nach Befreiung), Yama (ethisch-moralische Regeln), Niyama (Regeln für den Umgang mit sich selbst, Selbstdisziplin) etc. Er entzündet die Fackel der Unterscheidungskraft. Nun können ihm die Dunkelheit und die Wölfe des Lasters nichts mehr anhaben. Er ist wirklich ein Yogi (jemand, der Yoga praktiziert) und Jivanmukta. Das Licht des Guru scheint für immer in ihm und durch ihn.