Die Wissenschaft des Pranayama



Vorwort des deutschen Herausgebers

Die Wissenschaft des Pranayama ist ein faszinierendes Thema. Die alten Yogis haben herausgefunden, dass man mittels bestimmter Atemübungen allerlei Krankheiten heilen, Vitalität wiedergewinnen und die Ausstrahlung verbessern kann. Intensiv ausgeführte Übung von Pranayama kann die Konzentrationsfähigkeit des Geistes erhöhen, das subtile Wahrnehmungsvermögen und übernatürliche Kräfte (Siddhis) entwickeln. Die erhabenste Wirkung von Atemübungen ist jedoch die Vorbereitung des Geistes auf die Meditation. Mit Meditation kommt der Suchende zur Selbstverwirklichung, zur vollkommenen Befreiung, Erlösung und Erkenntnis.

So viele Bücher es im Westen über Asanas (Yogastellungen) und Yoga Entspannungstechniken gibt, so wenige Bücher gibt es über Pranayama. Meist wird Hatha Yoga mit Körperstellungen und Entspannungstechniken gleichgesetzt, obgleich Pranayama in allen klassischen indischen Hatha Yoga Texten sehr viel mehr Raum einnimmt. Und wenn in den populären westlichen Hatha Yoga Büchern Pranayama erwähnt wird, werden meist nur einfache entspannende Atemübungen beschrieben.

Swami Sivananda ist besonders dazu berufen, über Pranayama zu schreiben. Swami Sivananda wurde 1887 in einer orthodoxen südindischen Brahmanenfamilie geboren. Er ging auf eine Missionsschule und studierte Medizin. Gleichzeitig beschäftigte er sich mit Yoga und Ayurveda und gab eine Gesundheits-Zeitschrift heraus. Später emigrierte er nach Malaysia und leitete viele Jahre ein Krankenhaus. Im Alter von 36 Jahren kehrte er zurück nach Indien und zog nach Rishikesh in den Himalaya. Dort fand er seinen Meister und praktizierte 12 Jahre lang intensiv Yoga-Übungen, Pranayama, Askese-Übungen und Meditation. Eine kleine medizinische Praxis hielt er auch während dieser Zeit aufrecht, indem er andere Suchende und arme Dorfbewohner aus der Gegend kostenlos behandelte. In dieser Zeit erreichte er Samadhi, das Ziel aller Yoga-Praktiken, die Selbstverwirklichung. Angezogen von seiner starken Ausstrahlung kamen viele Schüler zu ihm. So begann 1936 seine intensive Tätigkeit, um den Menschen mit der Verbreitung des Yoga auf allen Ebenen zu helfen. Er gründete einen Ashram, die Divine Life Society (ein gemeinnütziger Verein mit Zweigstellen auf der ganzen Welt), ein Krankenhaus zur kostenlosen ärztlichen Versorgung, eine Yoga Vedanta Akademy. Swami Sivananda schrieb über 200 Bücher, die von verschiedenen indischen Verlagen sowie der ashrameigenen Druckerpresse herausgegeben wurden. Viele seiner Bücher sind in andere Sprachen übersetzt worden und sind auch heute noch sehr beliebt.

In diesem Buch “Die Wissenschaft des Pranayama” schreibt Swami Sivananda über die verschiedensten Aspekte des Pranayama, vom medizinischen, vom psychologischen, vom philosophischen, vom metaphyschen und sogar vom  esoterisch-mystischen Standpunkt aus. Zum einen beschreibt er die Funktion der Lungen, dann beschriebt er den Aufbau des Astralkörpers mit Prana (Lebensenergie), Kundalini (kosmische Energie im Individuum), den Nadis (Energiekanälen) und den Chakras(Energiezentren). Schließlich beschreibt er das Wesen des Universums, Gott und die Erfahrung der höchsten Wirklichkeit. Teile des Buches könnten einem Anatomiebuch der fünfziger Jahre entnommen sein, während andere Zusammenfassungen jahrhundertealter Schriften sind. Swami Sivananda gibt Übungen für den Anfänger und Fortgeschrittenen, für den “Freizeit-Yogi” wie auch den “Vollzeit-Yogi”. Einfache Atemübungen, Pranayama im Gehen, Sonnengeflechtsaufladung etc. können von jedem mit sehr viel Nutzen ausgeübt werden. Andere Übungen müssen regelmäßig zu einer festen Zeit ausgeführt werden und verlangen vom Übenden schon etwas mehr Engagement. Manche Übungen sind dem sehr Fortgeschrittenen vorbehalten und muten zum Teil schon abenteuerlich bis märchenhaft an (wenn der Schüler zum Beispiel dazu aufgefordert wird, drei Stunden lang die Luft anzuhalten...). Der aufmerksame Schüler, der mit dem von Swami Sivananda immer so sehr betonten gesunden Menschenverstand an die Übungen herangeht, wird sicherlich das für ihn geeignete finden.

Dieses Buch ist nicht systematisch, logisch aufgebaut. Der Leser wird einige Wiederholungen finden und einige Teile, die nur in Indien anwendbar sind. Das Buch ist aber aufgeladen mit der Shakti (Kraft) Swami Sivanandas. Es ist so aufgebaut, daß der Leser inspiriert wird, etwas zu tun und in ihm eine innere Transformation geschieht, die es ihm erlaubt, Zugang zur eigenen Intuition zu bekommen. Dies ist der oft beschriebene Zauber von Swami Sivanandas Büchern: Nahezu jeder, der darin liest, spürt eine tiefe Veränderung in sich und den Wunsch, weiter an sich zu arbeiten, anderen Menschen zu helfen und dem spirituellen Ziel des Lebens näher zu kommen.

Ich wünsche allen Lesern, daß sie Übende werden und allen Übenden, daß sie viel Spaß bei ihrer Praxis haben. Es sollte jedoch bedacht werden, dass bei spezifischen Fragen immer ein kompetenter Yogalehrer gefragt werden sollte. Auch an den deutschen Herausgeber dieses Buches, den Bund der Yoga Vidya Lehrer, können Fragen gerichtet werden.

Sukadev Bretz
Sukadev Volker Bretz,
1. Vorsitzender des Bundes
der Yoga Vidya Lehrer