Kurze Darstellung der Ausgangssituation

Die philosophische Position des Materialismus betrachtet alle Phänomene und
Prozesse der Welt als Erscheinungsformen der einen, realen Materie. Auch der Mensch wird als Teil der von mechanischen Gesetzen beherrschten Natur
aufgefaßt. Es gehört mittlerweise zum Alltagswissen, besonders in unserer
durch die modernen Naturwissenschaften geprägten Zeit, dass das Leben
insgesamt dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen ist. Es wird
gelehrt, dass die fundamentale Verschiedenartigkeit zwischen den Bereichen
des Seins, d.h. zwischen unbelebter Materie, lebendem und geistigem Sein, nur an der Oberfläche besteht, dass sie auf jeweils verschiedene Grade der Feinheit der individuellen Manifestation bzw. auf die jeweils unterschiedlich dichte Verteilung der Materiepartikel zurückzuführen ist.

Auch der menschliche Organismus, der sich offensichtlich den Gesetzmäßigkeiten der universellen Maschine, wie sie die moderne Naturwissenschaft im Blick hat, entzieht, wird erklärt als nur eine unter zahllosen Formen der Wirkung, in der sich die ungeistige Kraft der Materie, des ureigentlichen Stoffes, aus dem alles besteht, manifestiert. Aus dieser Weltanschauung ergibt sich die logische Schlussfolgerung, dass das menschliche Leben insgesamt, ebenso wie jede andere materielle Substanz auf der Welt, von blind sich vollziehenden Kausalgesetzen dominiert wird, und dass selbst der freie Wille und andere mentale Fähigkeiten des Menschen diesen Gesetzen unterworfen sind.

Wenn wir nun einwenden, dass der Mensch nicht nur reine Materie, sondern
auch Seele und Geist ist, lautet die Antwort, dass diese nichts anderes seien als besonders subtile Produkte der Materie. Der Mensch ist somit reduziert auf ein unbedeutendes Teil der gigantischen kosmischen Maschinerie, die ohne Rücksicht auf Wohl und Wehe nach ihren eigenen Gesetzen funktioniert. Diese rein naturalistische Weltanschauung, die in unserem wissenschaftlich geprägten Zeitalter immer weiter um sich greift, scheint zur eigentlichen Philosophie des gemeinen, meist leichtgläubigen Menschen, ja selbst der gebildeten Schichten zu werden, die weder über den Willen, noch die Zeit oder die Mittel für ein tieferes Verständnis verfügen, um die wirklichen Tiefen der menschlichen Existenz ergründen zu können. Hand in Hand mit dieser grob materialistischen Weltanschauung zeigt sich eine wahre Gier nach immer größeren Vergnügungen und mehr Bequemlichkeit, die durch immer weniger Anstrengung zu erlangen sind, sowie die absurde Neigung, die ein Höchstmaß an materiellem Besitz für den eigentlichen Sinn und Zweck der menschlichen Existenz hält. Wegen seines irrationalen Glaubens an die Effizienz und Richtigkeit dieser Lehre verdrängt der weltliche Mensch offenbar den aktuellen Verfall moralischer Werte, den Niedergang des spirituellen Lebens und das sinkende Niveau der Bildung, sowie auch die eigene tiefe Empfindung von Monotonie und Ruhelosigkeit des Geistes, die diese Einstellung trotz aller Bequemlichkeiten und materieller Vorteile mit sich bringt. Dennoch, die Tatsache, dass der Mensch nicht nur ein kleines Zahnrad im rastlosen Weltgetriebe sein kann, dass seine Seele allumfassend und ewig ist wie der universale Geist, erfassten viele Menschen intuitiv.

Der Materialismus, demzufolge der Mensch lediglich Teil des Mechanismus der ungeistigenMaterie ist, stieß auf die Kritik einer anderen extremen Position, den Idealismus, der die Meinung vertrat, dass der Mensch von den Kräften einer kosmischen spirituellen Entität getrieben wird. Der Unterschied zwischen materialistischer und idealistischer Doktrin scheint letztlich nur die Vorstellung über die Beschaffenheit des postulierten Grundprinzips und den Aufbau des Universums zu betreffen: für die einen bestand sie aus Masse, Bewegung und Kraft, die anderen behaupteten, dass sie reiner Geist oder reines Bewusstsein sei. Beide teilten die Meinung, dass der Mensch keine Willensfreiheit besitze, dass er unentrinnbar verwickelt sei in der höchsten Wirklichkeit des Universums, ob sie nun geistiger oder ungeistiger Natur ist. Die Menschen, von diesen Einflüssen frustriert und verblendet, zweifelten daran, dass es überhaupt möglich sei, ein Leben nach ästhetischen, religiösen und moralischen Vorstellungen zu führen, während die furchteinflößende Wirklichkeit von Leid und Vergänglichkeit auf sie einströmte,
denn die fundamentalen Fragen des Lebens blieben unbeantwortet. Sie brauchten eine mitfühlende, rationale und befriedigende Lehre, die sie in die Lage versetzte, ihre Verpflichtungen in der Welt kraftvoll zu erfüllen und gleichzeitig nach der verheißungsvollen Region des Übersinnlichen zu streben, das gelegentlich hinter den verhüllenden Schleiern in ihrem Inneren aufleuchtet.

Seit der Verbreitung westlicher Erziehung akzeptierten die Menschen die Denkstrukturen des Rationalismus und der wissenschaftlichen Herangehensweise, während die Erhabenheit und Weisheit der Lebensweise traditioneller Lehrer in Vergessenheit gerieten. Die Mehrheit der Menschen begann, am Sinn der spirituellen Lebensregeln zu zweifeln und lehnte das Übersinnliche, ja sogar die Existenz Gottes und der Seele ab. Viele unterlagen dem Zauber der angewandten Wissenschaft und den Einflüssen der industriellen Revolution. Diese Situation rief nach einer Neubewertung der traditionellen Werte, damit das Innenleben auf einer soliden Grundlage wieder aufgerichtet werden konnte. Viele glaubwürdige Stimmen erhoben sich machtvoll, um die Irrwege in den verschiedenen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens, in Politik, Gesellschaft, Religion, Yoga und Spirtualität aufzudecken und die Prinzipien von Wahrheit, Recht und Moral zu artikulieren. Swami Sivananda spielte eine herausragende Rolle unter den führenden Persönlichkeiten, die die innere Transformation des Modernen
Indien einleiteten und den spirituellen Werten erneut Geltung verschafften.

Die Mission des Philosophen und Heiligen

Mit visionärem Verstand klagte Swami Sivananda den prekären Mangel an, der bereits zu seiner Zeit in allen Strukturen des Lebens herrschte. Er machte es zu seiner Mission, der Menschheit eine allumfassende Philosophie zu schenken, wobei er die Argumente des eigenwilligen Empirismus und des erhabenen Idealismus, wonach der unvergängliche Geist die einzige Realität sei, gegeneinander abwog, und ein in sich geschlossenes System von Techniken zur inneren und äußeren Disziplin entwickelte, um den Menschen zur Vervollkommnung zu führen. Swami Sivananda, der von der Gültigkeit der Lehre des Non-Dualismus zutiefst überzeugt war - der höchste Wert ist Gott allein - und der selbst in die über wältigende Wirklichkeit der Gotteserfahrung vorgedrungen war, spürte die dringende Notwendigkeit, sich der Probleme, die den menschlichen Geist bewegen, anzunehmen.

Dass nur die sinnlich erfahrbare Welt und mit ihr der physische Körper real sein, kann nicht Gegenstand unserer Lehre sein, denn jeder vernunftbegabte Mensch widerspricht vehement, wenn die Seele mit der ungeistigen Materie gleichgesetzt wird, wenn unsere Emotionen zu bloßen molekularen Schwingungen reduziert werden, und wenn der nicht enden wollende Ruf der Mystiker, die sich seit uranfänglicher Zeit zu einem heiligen Wissen und zur Wahrheit der Unsterblichkeit der Seele bekannten, abgetan werden als Stimmen kranker Gemüter und abnormer Naturen. Es ist auch nicht ignorant, wenn man die Auffassung, dass die Welt als solche nicht existiert, dass alle Phänomene und Vorgänge in ihr lediglich als momentane Vorstellungen im Bewusstsein existieren und dass die Werte, die zu bewahren man sich bemüht, nichts anderes sind als wirre Geistesaktivitäten, nicht teilen kann. Denn es sind unsere Sinnesorgane und unser Verstand, die die Welt als gegenständlich und real begreifen, und es ist unser Körper, der Leiden und Genüsse empfindet, so dass das objektive Vorhandensein unserer Außen- und Innenwelt nicht mit noch so komplexen Argumentationsreihen wegdiskutiert werden kann.

Wir wollen nicht behaupten, dass Gott die Welt erschaffen habe, denn der Absolute hat keine Wünsche, die ihn veranlassen würden, tätig zu werden. Auch dass Gott die Welt zu seinem Zeitvertreib erschaffen habe, können wir nicht behaupten, denn eine vollkommene Entität braucht keinen Zeitvertreib. Dass aber die Schöpfung nicht auf den Absoluten zurückzuführen sei, können wir auch nicht vertreten, denn der Mensch weiß intuitiv, dass Gott existiert.

 

Das Leben - Ein Sadhana

Swami Sivananda nahm die schwierige Herausforderung an, den Menschen so zu betrachten, wie er ist - ein ständigen Veränderungen unterworfenes psychophysisches Wesen, das weder ganz durch die Einwirkung der materiellen Sphäre dominiert ist, noch ununterbrochen absorbiert ist in das überweltliche Ziel göttlicher Existenz. Der Mensch ist nicht entweder nur physische, nur psychische oder nur geistige Substanz, sondern er ist eine unauflösbare Verbindung daraus, deren Wesenskern unserem Verstand nicht zugänglich ist. Die Katha Upanishad lehrt, dass das eigentliche Subjekt der Erfahrung, d.h. das Subjekt der Erkenntnis und der Handlungen, eine Verbindung aus Atman, Geist und den Sinnen ist. Der Mensch ist physische, psychische und geistige Entität zugleich. Er muss nicht nur den Hunger seines Körpers und den Durst seiner Lebenskräfte stillen, sondern auch, vielleicht sogar in höherem Maße, den Forderungen seiner seelischen Natur, seinen Moralvorstellungen und spirituellen Zielen Beachtung schenken.

Leben ist eine Synthese der Energien, die sich in den verschiedenen Ordnungen und auf den Stufen der Entwicklungsgeschichte der Natur manifestiert haben. In diesem Sinne ist unser ganzes Leben ein Sadhana - ein integrales Streben nach Vollkommenheit des Menschen, dessen Beschaffenheit von der niedrigsten Stufe der ungeistigen Materie bis hin zum höchsten Bewusstsein reicht: Sein Körper ist Geschöpf der Kräfte der Natur, ist, wie alle aus Teilen zusammengesetzten Objekte der physischen Welt, Leid und Vergänglichkeit unterworfen. Als solches ist er eins mit der Materie. Doch dies ist nur ein Aspekt. Zwar wächst er, ebenso wie Pflanzen wachsen und gedeihen, er fühlt und reagiert auf die gleiche Weise wie ein Tier und was sein Bedürfnis nach Schlaf, Nahrung und Reproduktion anbelangt, ist er von jenen Wesen, die keine Sprache haben, nicht verschieden. Doch der Mensch reicht darüber hinaus. Er verfügt über ein moralisches Bewusstsein, das wir aus dem Tier- und Pflanzenreich nicht kennen und über die mentalen Fähigkeiten des Verstandes und des Urteilsvermögens, um zwischen richtig und falsch, Wahrheit und Unwahrheit, zwischen gut und schlecht, schön
und hässlich zu unterscheiden. Es ist evident, dass der Mensch, obwohl er teilhat an der Materie, am belebten und am rein geistigen Sein, die sich ebenfalls in der unbelebten Welt, im Tier- und Pflanzenreich sowie in der Welt der Götter finden, doch mehr ist als dies. Und obwohl sich all dies in seinem Wesen vereinigt, transzendiert er es doch auch in erstaunlichem Maße. Das zeigt uns, wie hoch komplex das Wesen des Menschen ist, das Merkmale der verschiedenen Formen des Lebens auf sich vereinigt und unterschiedliche Abstufungen der Wirklichkeit manifestiert. Wenn das Leben ein Sadhana ist, eine beständige Reise und ein andauernder Prozess des sich Einrichtens und Anpassens im unermesslichen Universum - dann ist es nicht genug, dass wir nur eine einzige Seite betrachten. Wir müssen jeden einzelnen Aspekt der Offenbarung der Wahrheit, die sich im menschlichen Sein manifestiert, untersuchen. Und genau das ist die Mission Swami Sivanandas, für den das ganze Leben Yoga ist, und dessen Werk eine allumfassende Abhandlung über das integrale Leben ist.

Die Erziehung des Menschen

Das Wesen des Menschen ist Bewusstsein, das nicht einfach nur in sich ruht,
sondern sich gleichsam in einem dynamischen, wechselseitigen Prozess befindet mit den Umständen, in denen sich der Mensch in der Welt wiederfindet: mit der ganzen Fülle sozialer, politischer und moralischer Zwänge, physischer und geistiger Bedürfnisse etc. Mit anderen Worten, bei allen Entscheidungen und Handlungen, denen der Mensch sich Tag für Tag stellt, erfährt er, dass sein Leben mit dem Leben anderer verbunden ist und sich in dem Maße verändert, wie sich seine Umgebung zu verändern scheint. Erinnern wir uns, dass unser Dasein den Gesetzen von Raum und Zeit unterliegt. Unser Selbst ist in der Welt, obwohl es nicht von dieser Welt ist. Somit ist eine Studie über den Menschen nichts anderes als eine Reflektion der Gesamtheit aller Gegenstände, die im Bereich des menschlichen Wissens liegen - ob sie nun direkt wahrnehmbar sind durch unsere Alltagserfahrung oder die Wissenschaften oder erschließbar durch die Logik oder ob es Gegenstände des Glaubens sind, die die Religionen offenbaren. Des Weiteren sollte eine Studie vom Menschen auch die Gesamtheit der Probleme des Lebens einschließen, insofern diese das nach Vollkommenheit strebende Individuum beeinflussen.

Der Mensch existiert nicht bloß, er hat Gedanken, Gefühle und Wünsche. Daher stammt sein Streben nach dem religiösen Wert Gottes, dem ethischen Wert der Pflicht und dem moralischen Wert der Wahrheit aus seiner eigenen Wirklichkeit - soweit er sie in seinem täglichen Leben erfährt. Das menschliche Leben, wie Swami Sivananda es begriff, ist wie eine Schule, in der der Jiva, die in einem Netz aus Unwissenheit, Leidenschaft und Handeln verfangene Individualseele, herangebildet wird. Die Ausbildung muss auf allen Ebenen - auf der physischen, intellektuellen, emotionalen, moralischen, auf der aktiven und der spirituelle Ebene - gleichermaßen stattfinden, und zwar in einer Weise, die sich ganz nach den Lebensumständen richtet, in denen sich das Individuum befindet. Die praktische Umsetzung der Ausbildung passt sich dem Einzelnen an, seinem Alter, Gesundheitszustand, Beruf, Entwicklungsstand, den sozialen Beziehungen, etc., die alle zusammen seine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Im wesentlichen sollte sich jede Art von Erziehung auf Methoden stützen, die

  1. die Persönlichkeit entwickeln
  2. ein tieferes Wissen über die Welt vermitteln
  3. die Beziehung des Einzelnen in der Gesellschaft festigen 
  4. ewig gültige Werte vermitteln

Entwicklung der Persönlichkeit bedeutet hier die vollständige Aufrichtung des
Individuums, nicht nur im Hinblick auf die innere Verfassung von Körper, Geist
und Bewusstsein, sondern auch in Bezug auf äußeren Gegebenheiten, die  das Individuum beeinflussen durch ihre verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhänge. In diesem Sinne bedeutet wahre Bildung sowohl ein Schauen nach innen als auch eine Öffnung nach außen. Tieferes Wissen über die Welt ist nicht nur bloßes Ansammeln von Faktenwissen über die Welt als solche, sondern bildet auch eine subtile Einsicht heran in die in ihr wirkenden größeren Zusammenhänge, da unser inneres Erleben und unser weltliches Leben unauflösbar mit ihnen verbunden sind. Wenn dieses Wissen über unsere eigene Individualität, über unsere Verwicklung in einer Welt voller Phänomene und variierender Tiefen durch intensives Studium, Reflektion und den Dienst am Lehrer erlangt ist, fällt es dem Einzelnen leichter, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Das Ziel des Einzelnen und der Gesellschaft ist die Verwirklichung von Werten
- eigene, gesellschaftliche, politische und sogar universale - die alle in Beziehung zueinander stehen und definiert sind durch ein gemeinsames Ziel, auf das sie, bewusst oder unbewusst, gerichtet sind. Der Unwissende mag sich nicht im klaren darüber sein, dass sich die ewig gültigen Werte des Lebens in den universellen Begriffen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zusammenfassen lassen, und dass seine täglichen Bemühungen nichts anderes sind als ein blindes Umhertasten in der Finsternis der Unwissenheit auf der Suche nach einem Weg, wie er ihrer mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln teilhaftig werden kann. Den menschlichen Geist für diese Tatsache empfänglich zu machen, ist die wichtigste Mission Swami Sivanandas und sein voluminöses Werk stillt auf vielerlei Weise den Hunger der Seelen, die auf der Suche nach Wahrheit sind, sie aber wegen ihrer Unwissenheit nicht finden können.

Der Charakter seiner Werke

In seinen Werken thematisiert Swami Sivananda viele, sehr unterschiedliche
Wissensgebiete, um sein Vorhaben, sich dem Menschen von allen Seiten aus zu nähern, zu verwirklichen. Sie behandeln im einzelnen so unterschiedliche Themen wie Physiologie, Gesundheit, Hygiene und Gesundheitspflege, Körperertüchtigung, Erste Hilfe und die Behandlung von Krankheiten, die Disziplinie rung des Körpers durch Hatha-Yoga (Asanas, Pranayamas, Bandhas, Mudras, Kriyas, d.h. die Gesamtheit der hoch komplexen Methoden zur Perfekti o nie rung des Körpers, die ihn widerstandsfähig machen gegen die Einwirkungen von Hitze und Kälte, Hunger und Durst), des Weiteren eine erschöpfende Analyse des Wesens und der Funktionen des Seelenlebens (d.h. die mentalen Fähigkeiten des Menschen, seine Willenskraft, Emotionen und Verstand, die alle die Wertvorstellungen des Einzelnen in hohem Maße beeinflussen), sowie die menschlichen Pflichten und das Leben in Familie, Gemeinschaft und im Staat, die Stellung des Menschen im Leben und im Kosmos, nationale und internationale Beziehungen, gesellschaftliche, ethischeund politische Strukturen, die Bewertung religiöser und spiritueller Werte und eine umfassende Abhandlung des höchsten Ziels des menschlichen Lebens in Verbindung mit einer Beschreibung der Mittel, die zu diesem Ziel führen.

Bei der Ausführung dieser Thematiken richtet sich Swami Sivananda nicht nur an den rationalen, intellektuellen Leser, sondern auch an den demütigen, gläubigen Menschen, an die große Masse ohne akademische Bildung ebenso wie an spirituell Suchende, Asketen, Sannyasins oder an Geschäftsleute, Familienväter, Frauen und Kinder. Bei der Lektüre wird man feststellen, dass seine Schriften eher das Herz ansprechen, und dass seine Instruktionen meist sehr praktischer Natur sind, so dass sie sich direkt im Leben eines jeden umsetzen lassen. Seine Werke sind streng genommen Verkündigungen der verschiedenen Traditionen des Yoga.

  1. 1. Jnana Yoga oder die philosophische Richtung, durch die der rationale, analytisch Denkende die Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln lernt und ein Leben in Weisheit, Wahrheit und Gerechtigkeit nach dem Gesetz des Absoluten führt.
  2. Raja Yoga oder die Methode zur Erkenntnis des Wesens und Wirkens der latenten, ungeistigen Urmaterie und die Techniken zur Hemmung der geistigen Regungen. Im Moment absoluter geistiger Ruhe erlangt der Aspirant seine wahre Natur, die Identität mit dem Purusha.
  3. Bhakti Yoga oder der Yoga spiritueller Liebe und Hingabe an den Herrscher des Universums, den mitfühlenden Schöpfergott. Durch die Fokussierung auf die allumfassende, liebende Natur Gottes werden die Emotionen sublimiert und Gott erlöst den Menschen im Moment völliger Hingabe.
  4. Karma Yoga oder der Weg spiritueller Aktivität. Die hervorragende Methode, durch die jede Art des Handelns und der Pflicht in Yoga verwandelt wird, dadurch dass der Aspirant sich die Allgegenwart des Absoluten bewusst macht, sich ihm völlig hingibt und alle internen und externen Vorgänge ohne Anhaftung, wie ein davon unberührter Zeuge betrachtet.
  5. Hatha Yoga oder die Methode der Disziplinierung des Körpers, des Nervensystems und der Lebensenergien mit dem Ziel, das Individuum für die Ausübung des höheren Yoga der inneren Disziplin und Meditation vorzubereiten.
  6. Kundalini Yoga oder die Aktivierung der latenten Energie. Ist sie erweckt - durch intensives Trainieren von Prana und Geist - stehen dem Aspiranten spontan die unerschöpflichen Ressourcen der Natur zur Verfügung und er wird überwältigt von dem Gefühl des Einsseins mit dem Universum.
  7. Mantra, Yantra und Tantra Yoga, verschiedene, ausschließlich mystische
    Methoden zur Generierung spiritueller Kräfte und Schwingungen durch die Symbolkraft besonderer Klänge, Formeln, Diagramme und Rituale, mit dem Ziel, den Aspiranten über die Grenzen seiner niederen Natur hinaus auf die höhere Ebene seines wahren Wesens zu erheben.
  8. Japa Yoga oder die meditative Rezitation der Namen Gottes oder gewisser Bedeutung tragender Silben, Worte oder Zitate brahmanischer Werke, um Harmonie und Erleuchtung zu erzeugen.
  9. Laya Yoga oder die Methode zur Auflösung der individuellen in der Allseele durch die Auflösung der Wirkungen in ihren Ursachen, des Grobstofflichen im Feinstofflichen und durch das Erheben des Bewusstseins und der Kräfte von der niederen auf die höhere Ebene.

Swami Sivananda hatte die besondere Fähigkeit, diese grundverschiedenen
Traditionen des Yoga miteinander zu verbinden und versichert den nach Vollkommenheit Strebenden, dass ihre Bemühung erfolgreich sein wird, wenn
sie aufrichtig, mit Ausdauer und Geduld praktizieren.

Die besondere Didaktik Swami Sivanandas

Man sagt, dass der vollendete Weise mit einem makellosen, transparenten
Kristall verglichen werden kann; er hat zwar selbst keine Farbe, nimmt aber
scheinbar die Farbe des Objektes, das unmittelbar neben ihm liegt, an. Ein
Weiser, der die Erleuchtung erlangt hat, redet und handelt wie ein Kind, wenn er sich an Kinder wendet und wie ein Erwachsener, wenn er sich an Erwachsene wendet. Er spricht wie ein Unwissender zu den Unwissenden und wie ein Gelehrter zu den Gelehrten. Dieses eigentümliche Verhalten, sich ebenso wie sein jeweiliges Gegenüber auszudrücken, geschieht spontan, mühelos und ohne eine bestimmte Absicht. Es ist dadurch verursacht, dass seine eigene wahre Natur in dauerndem Einklang mit dem göttlichen Willen steht, der in allen Wesen immanent und wirksam ist und weder Zuneigung noch Ablehnung empfindet. In seinen Schriften und Reden ebenso wie im persönlichen Umgang hat Swami Sivananda immer spontan die Besonderheit seiner jeweiligen Umgebung reflektiert. Sein Werk stellt daher weniger eine ausdifferenzierte Methodik der Disziplinierung des Intellekts dar, als eine praktische Anleitung für den spirituellen Lebensweges, die direkt das Herz des Suchenden anspricht, wobei es unerheblich ist, ob dieser sich der inneren Voraussetzungen, die ihn zur Entscheidung für ein spirituelles Leben veranlassten, bewusst ist oder nicht.

Es gibt in Swami Sivanandas Werk kein schwer verständliches oder gar zweideutiges Argumentieren. Der Leser findet darin eine klare, geradlinige Anleitung, die auf jede Art von Mystifizierung verzichtet und die nicht nur instruieren, sondern den Suchenden erleuchten und jeden seiner Schritte auf dem Weg bis ans Ziel führen möchte. Stil und Ausdruck sind bemerkenswert prägnant und kommen direkt aus der Seele eines Menschen, der die Schau der Vollkommenheit und die Wonne in Gott erfahren hat und darüber hinaus tiefe Einsicht in das Leid und die Unwissenheit des Menschen besitzt. Die in seinem gesamten Werk mitklingende Botschaft ist die, dass es neben der sinnlich wahrnehmbarenWelt eine absolute Existenz gibt, aus der jede Lebensweise, ob in Gemeinschaft oder von der Welt zurückgezogen, ihre Inspiration und ihren Sinn erlangen sollte.

Swami Sivananda setzte seine ganze Energie für das hohe Ziel ein, die Menschheit von Leid und Unwissenheit zu befreien. Sein Werk ist beispielhaft für seine mitfühlende Haltung, den Menschen durch alle Gattungen der Literatur erreichen zu wollen: Neben theoretischen Texten aus den Gebieten der Ethik, Religion, Mystik, Psychologie, Metaphysik etc. finden sich Gleichnisse, Fabeln, Gebete, Ritualtexte und vieles mehr.

Seine Literatur richtet sich an Leser, denen spirituelle Vorstellungen nicht gänzlich unbekannt sind, die aber andererseits auch die Höhen des spirituellen Lebens noch nicht erlangt haben. Jeder Suchende, der die ethisch-moralischen Qualitäten von Yama und Niyama, die vier Arten des spirituellen Strebens - Kultivierung von Unterscheidungskraft und Entleidenschaftlichung, die sechs Grundtugenden und der Wunsch nach Erlösung - verfolgt und der durch seine geistige Reinheit des höheren Seins innegeworden ist, der angetrieben ist von der Sehnsucht, es in diesem Leben zu verwirklichen, aber gleichzeitig von Zweifel geplagt wird und die rechte Lebensweise aus Unwissenheit nicht zu erkennen vermag, sollte sich dem Werk Swami Sivanandas zuwenden.

Die meisten seiner Schriften beginnen mit der klar verständlichen Darstellung
des Leids in der Welt, da die Einsicht in das Wesen des Leids die Grundvoraussetzung für die Erkenntnis der Notwendigkeit des spirituellen Lebenswegs ist. In der Nachfolge Shankaras, des Advaitin, lehrt Swami Sivananda die Existenz des Absoluten, neben dem es kein Zweites gibt. In der Nachfolge Buddhas definiert er das Wesen und die Ursache des Leids. Er gibt eine eingehende Analyse der Seele und beschreibt den rechten Weg zur Vollkommenheit und zu innerem Frieden.

 

Das philosophische Leben

Swami Sivananda betonte, dass das persönliche Leben ein philosophischer Entwurf sei und dass er unter Philosophie die Suche nach Antworten auf die fundamentalen Fragen des Lebens verstehe, eine allumfassende Betrachtung der tieferen Bedeutung des Daseins. Demzufolge ist Philosophie eher eine bewusste Konfrontation mit den Abgründen des Lebens als haltloses Schwärmen in abstrakten Spekulationen. Swami Sivananda erkannte, dass jede Philosophie, die sich der konkreten menschlichen Sorgen und Nöte entzieht, zum Scheitern verurteilt ist, weil sie niemals den ruhelosen, wissbegierigen Geist des Menschen zufriedenstellen kann. Für ihn hatten Philosophie, Religion und Leben die gleiche Bedeutung: Sie waren nicht außer- oder überweltliche Konzeptionen sondern sie waren untrennbar verwoben mit den menschlichen Grundbe dürfnissen nach Nahrung, Liebe, Ehre, Nächstenliebe, Selbstachtung und dem Suchen nach der Erkenntnis von Brahman und Unsterblichkeit.

In Swami Sivanandas Leben und Werk vernimmt man die Melodie einer göttlichen Liebe, die in tiefem Verständnis begründet ist; durch sie fallen die Schranken, die zwischen den Menschen stehen, und der Weg zur mitfühlenden Teilnahme am Leben der Anderen in der Gemeinschaft wird frei. Grenzenlose Hoffnung, die scheinbar einzige Grundlage menschlichen Strebens, kündet von der Möglichkeit, wenn nicht gar von der Tatsache, dass persönlicher Wille und göttliches Universalgesetz eine Einheit sind. Diese Art der Liebe und Hoffnung ist es, die eine weltumspannende Brüderlichkeit, eine übernationale Organisation auf dem Fundament des Mitgefühls und des Altruismus überhaupt erst denkbar macht. Diese tiefe Humanität und die Überzeugung, die Menschheit zur Erkenntnis des Allmächtigen führen zu müssen, charakterisieren Leben und Werk Swami Sivanandas.

Die Veden lehren, dass Gottes Herrlichkeit grenzenlos ist und dass die Bemühungen des Menschen um Gotteserkenntnis niemals aufhören werden. Swami Sivananda hatte die Bedeutung dieser fundamentalen Wahrheit erkannt und wusste, dass spirituelles Lehren niemals aufhört, dass die Menschen niemals müde werden, den spirituellen Lebensweg zu lehren oder anzunehmen, dass die Hingabe, mit welcher die Lehrer nach dem seelischen Wohlergehen und dem spirituellen Fortschritt seiner Schüler sehen, unerschöpflich ist. Jeder Augenblick war für ihn eine Gelegenheit zu Sadhana, d.h. eine Gelegenheit, die eigene spirituelle Praxis mit größter Achtsamkeit auszuüben und sich die Vielzahl der Versuchungen und Hindernisse auf dem Weg zur Vollkommenheit von Geist und Seele bewusst zu machen. Philosophisches Leben ist nichts Merkwürdiges - es ist ein Dasein in wohlerwogener, durch tiefe Einsicht in die Wahrheit gereifter Aktivität.

 

Das Geheimnis des Weltfriedens

Die inspirierende Lehre Swami Sivanandas ist eine Hymne an die Befreiung: die Befreiung des Einzelnen, der Gesellschaft, der Nation und der Welt - physisch, intellektuell, moralisch und spirituell. Der wesentliche Kern dieses Lobgesangs der universellen Freiheit ist der Friede - aller und überall - durch die Verinnerlichung der Überzeugung, dass das Leben Eins ist. Jeder Atemzug, jede Geste, jede Veränderung im Verhalten des Menschen ist direkte oder indirekte Anstrengung um Vervollkommnung seiner Persönlichkeit, um der höheren Bestimmung zu dienen, um für alle Wesen glücklichere Lebensbedingungen zu schaffen, deren Sinnbild Freiheit und Friede sind. Der Mensch repräsentiert im Kleinen das, was in gigantischen Ausmaßen im Kosmos vor sich geht: das energische Bemühen, Einheit, Frieden und Glückseligkeit zu erreichen, zeigt sich auch in der Erfüllung der Bestimmung des Kosmos. Im persönlichen Leben ebenso wie in der Gemeinschaft und im Staat strebt der Mensch unermüdlich danach, Chaos und Konfusion zu überwinden und einen Zustand der Ordnung herzustellen. Die tiefe Liebe zu Ordnung und Organisation scheint eine Größe zu sein, die schon in der Grundstruktur aller Lebewesen angelegt ist, in höherem
Maße aber findet sie sich in dem seiner selbst bewussten Wesen, in dem die
Entwicklung der Intelligenz die Qualität der Unterscheidung zwischen wahr und falsch, gut und böse erreicht hat. Doch während der Mensch den Ordnungszustand mit unzulänglichem Wissen nur anstrebt, sind die Vorgänge im Universum vollkommener Ausdruck der Verwirklichung der höchsten Wahrheit, Güte und Freiheit.

Jede Veränderung, die sich an den Teilen vollzieht, manifestiert sich auf spezifische Art in der Verfassung des Ganzen. Ebenso wie sich jede einzelne Körperzelle so organisiert, dass sie in Einklang mit den Gesetzen, die den gesamten Organismus regeln, steht, und ebenso wie jede Fehlentwicklung auf Seiten der Zelle eine Reaktion des gesamten Körpers nach sich zieht, um die Störung, die sie ausgelöst hat, zu korrigieren, so gleicht auch das kosmische Gesetz die Fehlentwicklungen aus, die sich an den einzelnen Objekten und Phänomenen, die den Kosmos bilden, zeigen. Kleine Fehler rufen kleine Reaktionen hervor, und große Fehlentwicklungen führen zu schrecklichen Umbrüchen. Des Weiteren verursachen die vermeintlich
nicht wahrnehmbaren Prozesse der grobstofflichen Welt heftige Erschütterungen in den feinstofflichen Regionen.

Mittelpunkt der gesamten Lehre und Aktivität Swami Sivanandas ist der unerschütterliche Glaube, den individuellen und globalen Frieden auf Basis des Wissens und der Umsetzung dieser Einheitslehre verwirklichen zu können, auf allen Ebenen der Existenz, in jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind. Er warnte die Menschheit unermüdlich davor, den Frieden durch kriegerische Auseinandersetzungen, Ausbeutung, Vorherrschaft und Wettbewerb zu gefährden, denn diese Mittel sind die gröbsten Ausprägungen der ungezügelten Leidenschaft und Gier und bevor diese nicht durch Verständnis und Harmonie eliminiert sind, kann es Frieden und Sicherheit für die Menschheit nicht geben. Der menschliche Begriff von Freude ist nichts anderes als das Resultat seines Fehlurteils über etwas Gegenwärtiges, das er für angenehm hält; seine Sehnsucht ist das Resultat
seiner falschen Einschätzung von etwas Zukünftigem, das er für angenehm hält; sein Leid ist Folge seines falschen Begriffs über etwas Gegenwärtiges, das er als unangenehm bewertet, und seine Furcht ist Resultat seines Fehlurteils über etwas Zukünftiges, das er als unangenehm bewertet. Die Leidenschaft und ihre spezifischen Ausprägungen sind veritable Krankheiten, die durch Irrtum entstehen. Sie müssen ausgelöscht werden, da sie irrational sind und auf Nichtwissen basieren. Die Menschheit bedarf einer regelrechten Erziehung ihrer Urteilsfähigkeit im Hinblick auf das Wahre und Gute im höchsten Sinn. Swami Sivananda lehrt, dass jede Handlung im Leben in einen Yoga des Göttlichen verwandelt werden kann, vorausgesetzt, dass der Handelnde das dafür erforderliche Wissen durch Studium, Kontemplation und Dienst erworben hat.

Der Erhabene Mahatma Gandhi leistete beispielhafte Dienste in der Weltgeschichte und auf den Gebieten von Religion, Philosophie und Ethik mit der Aussage: Wahrheit ist Gott. Bei der umgekehrten Aussage, „Gott ist Wahrheit“, kann das Urteil bezweifelt werden, denn das Prädikat „Wahrheit“ bezieht sich auf Gott, dessen Existenz hierbei vorausgesetzt wird. Für den Mensch, für den die Existenz Gottes nicht unumstößlicher Glaubensgrundsatz ist, wird die Aussage „Gott ist Wahrheit“ lediglich eine Behauptung sein. Hingegen ist das Subjekt der Aussage „Wahrheit ist Gott“ nicht zweifelhaft, denn niemand würde behaupten, dass es Wahrheit nicht gibt. Und diese Wahrheit ist gleichbedeutend mit dem, was wir unter Gott zu verstehen haben. Wahrheit ist das Gesetz des Universums. Dieses Gesetz ist nicht blind, sondern reine Intelligenz, die in allem wirksam ist. Gesetz und Gesetzesgeber sind in diesem Fall eins. In diesem Sinne bedeutet Wahrheit für Swami Sivananda nicht lediglich Wahrhaftigkeit, sondern „das, was ist“. Sie ist das unveränderliche, unbegrenzte und ewige Sein, das zugleich Gesetz und Liebe ist und die Menschheit lenkt und leitet.

 

Die eigentliche Bedeutung dieses Begriffs von Wahrheit und Liebe ist in vollem Umfang nur im Leben des Übermenschen verwirklicht, der gleichzeitig Herrscher über die Welt und das Selbst ist. Nicht der Übermensch im Sinne Nietzsches ist gemeint, d.h. der Mensch von überragendem Potential, der seine eigenen, im Diesseits wurzelnden Werte schafft und sich zur Herrschaft erhebt, sondern der Weise, der sein wahres Selbst erkannt hat, der eine Verkörperung des Göttlichen, aber gleichzeitig auch in der Welt ist. Wahres Wissen ist richtiges Erkennen der Dinge entsprechend ihrem Sein und ihrem Verhältnis zum Universum und zur Wahrheit. Diese Wahrheit, dieses Gesetz schützt und erhält jedermann, wenn es geschützt und aufrechterhalten wird (dharmo rakshati rakshitah). Nur wenn wir erkennen, dass wahre Freude in der Erfüllung dieses Gesetzes Gottes besteht, werden wir wirklich frei von allen Fesseln.

 

Der Dharma ist das innerste Wesen und die Wahrheit der Menschheit und des Kosmos, denn er ist die Verkörperung des göttlichen Willens. Er ist die eigentliche Pflicht und darin liegt das Geheimnis des Weltfriedens. Swami Sivananda lebte und lehrte diese unsterbliche Wahrheit, dieses kosmische Gesetz, damit die gesamte Menschheit es anstrebt und verwirklicht. Seine göttliche Mission wird erst erfüllt sein, wenn wenigstens ein kleiner Teil dieses Wissens die dunklen Winkel der menschlichen Natur erhellt haben wird.

Einheit, Ort des Friedens

Hierin liegt das Wesentliche des Gesetzes und der Liebe, die die ganze Welt
vereinen. Dies ist das Grundprinzip aller Evangelien des Weltfriedens und aller Lehren über universale Liebe und Brüderlichkeit. Durch die Verbreitung der altindischen Weisheit, eines Wissens, das die eigentliche Beziehung des
Menschen zur Welt entdeckt hatte, fordert Swami Sivananda die Menschheit
unaufhörlich dazu auf, alle Kräfte für die Schaffung wirklichen Friedens in der
Welt einzusetzen. Das Hauptanliegen seiner Lehre ist die Verwirklichung der
Einheit des Individuums und des absoluten Bewusstseins durch die Integration der Individualität in das absolute Bewusstsein. Das Ziel des Lebens ist die tatsächliche Verwirklichung des spirituellen Wesens, das sich im Menschen in begrenzter, verhüllter Form findet.

Jedes Individuum strebt danach, über sich selbst hinauszureichen, ein Faktum, das seine Wünsche und Hoffungen belegen. Wunsch und Streben an sich offenbaren das Gefühl, dass am gegenwärtigen Zustand etwas unzureichend ist, dass etwas fehlt. Der Mensch kann alles besitzen - und ist doch unzufrieden. Warum? Weil es dieses gewisse Etwas gibt, jenseits der objektiven Welt, das nicht zu den irdischen Besitztümern gehört. Gib dem Menschen die ganze Himmelswelt - er wird doch unzufrieden bleiben, weil es immer noch ein ungestilltes Bedürfnis gibt. Dieses schmerzliche Gefühl der Unzulänglichkeit ist direkte Folge seiner Unwissenheit darüber, dass er und die Schöpfung eine Einheit sind.

„Für die großen Seelen ist die ganze Welt eine Familie“, lehrt die Schrift.
Es kann keinen Frieden für den Menschen geben, bevor er nicht in allen Wesen sein Selbst erkennt und ihnen dient, bevor er sich nicht darum bemüht, seine Lebensweise diesem Ideal zumindest anzunähern. Friede existiert nur in Gott, und der Friede, den wir hoffen, in dieser Welt genießen zu dürfen, hängt davon ab, wie weit es uns gelingt, die Unermesslichkeit des Geistes in unseren sozialen, nationalen und internationalen Beziehungen zu erkennen und zu manifestieren. Dass dies gelingt, ist nicht nur eine Folge des Wissens und der Erfahrung der Wahrheit, sondern auch Grundbedingung für den Erfolg unserer Suche nach Vollendung. Dies ist die Religion, Philosophie und Botschaft der Lehre Swami Sivanandas, die sich an jeden Mann und jede Frau in jeder Lebenssituation richtet. Es ist die Hoffnung der Menschheit.

Wie Gott in mein Leben kam

(Swami Sivananda)


Es wäre einfach, diese Frage etwa so abzutun: „Ja, nach langen, intensiven
Askese- und Meditationsübungen im Swarg Ashram und nach dem Darshan
(Sicht) und dem Segen mehrerer Maharishis (große Weise) erschien mir Gott
in Gestalt von Sri Krishna.“

Aber das wäre weder die volle Wahrheit noch eine ausreichende Antwort auf
eine Gott betreffende Angelegenheit; Er ist unendlich, unbegrenzt und jenseits der Reichweite von Sprache und Geist. Kosmisches Bewußtsein ist kein Zufall oder Glücksache. Es ist der über einen dornigen Pfad mit Stufen – schlüpfrigen Stufen –, erreichbare Gipfel. Ich erklomm den beschwerlichen Weg Schritt für Schritt; aber auf jeder Teilstrecke erlebte ich, wie Gott in mein Leben kam und mich leicht zur nächsten Stufe emporhob.

Mein Vater liebte Verehrungsrituale, die er sehr regelmäßig ausführte. Für meinen kindlichen Geist war das Bild, das er dabei verehrte, Gott. Ich half meinem Vater gern bei diesen Zeremonien und brachte ihm Blumen und andere Opfergaben.

Aus der tiefen inneren Befriedigung bei diesen Ritualen wuchs in mir die starke Überzeugung, daß Gott in diesen Bildern war, die von seinen Verehrern so hingebungsvoll angebetet wurden. Auf diese Weise trat Gott in mein Leben und stellte meinen Fuß auf die unterste Sprosse der spirituellen Leiter.

Als Erwachsener liebte ich Gymnastik und Sport. Bei einem Lehrer, der einer
niederen Kaste angehörte, lernte ich Fechten. Er war ein Harijan (Kastenloser). Als ich einige Tage zu ihm gegangen war, wurde ich darüber aufgeklärt, daß es sich für einen Brahmanen nicht zieme, Schüler eines Unberührbaren zu spielen. Ich dachte gründlich darüber nach. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, der Gott, den wir in dem Bildnis im Gebetsraum meines Vaters verehrten, wohne im Herzen dieses Unberührbaren. Er war mein Guru. Ich ging sofort mit Blumen, Süßigkeiten und Kleidern zu ihm, bekränzte ihn, legte ihm die Blumen zu Füßen und warf mich vor ihm nieder. So kam Gott in mein Leben, um den Schleier der Kastenunterschiede zu lüften.

Wie äußerst wertvoll dieser Schritt war, konnte ich wenig später feststellen,
denn ich war dabei, den medizinischen Beruf zu ergreifen und allen zu dienen; Kastenunterschiede hätten diesen Dienst zur Farce gemacht. Nachdem sich dieser Nebel durch das Licht Gottes geklärt hatte, war es leicht und natürlich für mich, allen zu dienen. Jede Art von Dienen zur Heilung und Linderung menschlichen Leids machte mir große Freude. Wenn es ein gutes Rezept gegen Malaria gab, hatte ich das Gefühl, die ganze Welt müsse es sofort erfahren. Ich wollte alles über Krankheitsvorbeugung, Gesundheitsförderung und Heilung von Krankheiten lernen und alle an diesem Wissen teilhaben lassen.

Später in Malaysia kam Gott in Form der Kranken zu mir. Es ist jetzt schwierig
für mich, ein besonderes Beispiel herauszugreifen; wahrscheinlich ist es auch
unnötig. Zeit und Raum sind Vorstellungen des Geistes; sie haben keine Bedeutung vor Gott. Ich kann jetzt auf meine Zeit in Malaysia als einem einzigen Ereignis zurückblicken, in dem Gott in Gestalt der Kranken und Leidenden zu mir kam. Die Menschen sind krank an Körper und Geist. Für manche ist das Leben ein schleichender Tod; anderen ist er willkommener als das Leben; manche laden den Tod ein und begehen Selbstmord, unfähig, sich dem Leben zu stellen.

Wenn Gott diese Welt nicht nur als Hölle erschaffen hatte, in die schlechte
Menschen geworfen wurden, um zu leiden und wenn es etwas über dieses Elend und diese hilflose Existenz hinaus gab – und ich fühlte intuitiv, daß es so sein müsse – dann sollte man dieses andere kennenlernen und erfahren. Danach strebte ich immer mehr.

An diesem entscheidenden Punkt in meinem Leben kam Gott in Gestalt eines Wandermönchs zu mir, der mir die erste Unterweisung im Vedanta (Philosophie des Absoluten) erteilte. Die positiven Seiten des Lebens auf der Erde und der wirkliche Zweck und das Ziel des menschlichen Lebens wurden klar. Das zog mich von Malaya zum Himalaya. Nun kam Gott zu mir in Form einer allumfassenden Sehnsucht, Ihn als das Selbst aller Wesen zu erkennen.

Meditation und Dienst machten gute Fortschritte; dann kamen verschiedene spirituelle Erfahrungen. Körper, Gemüt und Intellekt als begrenzende Umstände schwanden und das ganze Weltall erstrahlte als Sein Licht. Gott kam in Form dieses Lichts, in dem alles göttliche Gestalt annahm. Die Not und das Leiden, die alle zu plagen scheinen, stellten sich als Fata Morgana heraus, als die aus Unwissenheit geschaffene Illusion aufgrund niedriger sinnlicher Wünsche.

Ein weiterer Meilenstein mußte erreicht werden, um wirklich zu wissen: „Alles ist Brahman“. Anfang des Jahres 1950, am 8. Januar, kam Gott in Gestalt eines halb wahnsinnigen Angreifers zu mir, der den Abend-Satsang („Zusammensein mit der Weisheit“; gemeinsame Meditation und Vorträge in spiritueller Gemeinschaft) im Ashram störte. Sein Attentat mißlang. Ich verbeugte mich vor ihm, verehrte ihn und schickte ihn nach Hause. Das Böse ist da, um das Gute zu verherrlichen. Das Böse ist nur äußerer Schein. Unter seinem Schleier leuchtet das Selbst in allem.

Hier muß ich eine bemerkenswerte Tatsache erwähnen. Nichts von dem bereits Erreichten verlor im Laufe dieser Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt an Wert. Man wuchs in die nächste Phase hinein; das Ergebnis war der Yoga der Synthese. Verehrung eines Götterbildes, Dienst an Kranken, Meditation, Pflege allumfassender Liebe, die die Grenzen von Kaste, Glaubensbekenntnis und Religion überwand, folgten aufeinander, um schließlich in den Zustand kosmischen Bewußtseins zu münden. Dieses Wissen mußte ich auf allen Stufen unmittelbar erwerben und all das mußte
zuerst zu einem Bestandteil meines Wesens werden.

Die Mission hatte an Kraft und Reichweite zugenommen. 1951 unternahm ich meine Reise durch ganz Indien. Dabei kam Gott zu mir als Virat-Swarupa (Gott in seiner Manifestation als ganze Welt), als zahlreiche Anhänger, die die Grundsätze eines Lebens in Spiritualität erfahren wollten. An jeder Station fühlte ich, daß Gott durch mich sprach, Sich Selbst in Seiner kosmischen Gestalt vor mir ausbreitete als die Menge und mir zuhörte. Er sang mit mir, Er betete mit mir; Er sprach und Er hörte auch zu. „Sarvam Khalvidam Brahma – alles ist wahrlich Brahman“.