Yoga als eine universale Wissenschaft

  Kapitel 9:

   Yamas - unser Verhalten gegenüber den Mitmenschen

Yoga ist eine schrittweise Entwicklung der Persönlichkeit, wobei verschiedene Stufen der Selbstintegration, durch Annäherung und Annahme des eigenen Selbst’ bezüglich des Umfeldes in dem er lebt, beschritten werden müssen. Aus Sicht des Yoga-Schülers gibt es nichts Unwichtiges und nichts, was in dieser Welt vermieden werden kann. Alles, was für uns sichtbar ist, womit wir in Verbindung stehen, und alles, was für uns denkbar erscheint, ist irgendwie wichtig für uns. Der Wert der Dinge hängt davon ab, wie wir ihn beurteilen. Es wird uns nichts berühren, was für uns wertlos erscheint. Darum erfordert jede Wahrnehmung oder jede Vorstellung unsere Aufmerksamkeit. Die Objekte präsentieren sich uns, denn sie erwarten unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir einem Objekt nicht genügend Aufmerksamkeit schenken, wird dasselbe Objekt als Gedanke oder Sinneswahrnehmung früher oder später unsere Aufmerksamkeit erzwingen. Wenn wir unsere Augen vor diesen Objekten verschließen, werden sie uns eines Tages etwas zu sagen haben, und wir können ihnen solange nicht entkommen, bis wir sie aus der Welt geschafft haben. Darum führt uns Patanjali sehr sorgfältig stufenweise voran. Und diese Stufen sind, wie bereits erwähnt: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi. Wir mögen viel durch Bücher und Zuhören bei Gelehrten usw. erfahren haben, doch ist es für jeden von uns sehr schwierig, die Bedeutung dieser Dinge vollständig zu erfassen. Denn, obwohl die Sutras oder die Aussagen durch das Lesen klar zu sein scheinen, so ist deren Bedeutung so tiefgreifend und umfassend, daß, je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr müssen wir ihre Relevanz bezüglich unserer eigenen Erfahrungen erkennen, die wir in unserem Leben haben durchmachen müssen.

Yoga ist auf Yama und Niyama begründet. Zusammen bilden sie die ethische Disziplin. Wannimmer wir von ethischer Disziplin hören, denken wir an Kinderkram, worüber wir gut informiert sind. Uns ist klar, was Ethik und Moral bedeuten, und wir glauben, nicht weiter zuhören zu müssen. Doch Yama und Niyama betreffen nicht nur Ethik und Moral. Es sind wissenschaftliche Anforderungen und logische Stufen, die aus unserem Leben nicht wegzudenken sind, und wir können, bloß weil es sich um Ethik und Moral handelt, nicht einfach davor weglaufen. Sie sind notwendig, denn sie sind für die Selbsteinstellung bei Begegnungen von Bedeutung. Jeder sieht eine äußere Welt vor sich und ist zu einer Beziehung zu seiner Umgebung oder Atmosphäre gezwungen, gleichgültig ob es sich um Wahrnehmungen oder Vorstellungen handelt. Unser Verhalten gegenüber Menschen ist das Hauptthema der Yamas.

Ahimsa-satya-asteya-brahmacharya-aparigraha yamah: Diese Sutra, die den Prozeß der Selbstzügelung beschreibt und als Yamas bekannt ist, berührt fünf Begriffe der Selbstkontrolle. In einem Satz gesagt: Yoga bedeutet Selbstkontrolle. Eine der Stufen der Selbstkontrolle oder Yoga ist die Anwendung von Yamas.

Die Liebe-Haß Beziehung

Unser Verhalten gegenüber den Menschen wird von Patanjali in fünf Kategorien unterteilt, und möglicherweise gibt es keine weiteren Ausdrucksformen darüber hinaus. Entweder lieben oder hassen wir; entweder wird jemand ausgenutzt oder wir akzeptieren ihn so wie er ist. Das Grundbedürfnis des Menschen liegt meistens in den Entscheidungsfaktoren für die verschiedenen Verhaltensmuster, die er gegenüber anderen Menschen entwickelt. Niemand entwickelt ein Verhalten, indem er bewußt hunderte Male täglich darüber nachdenkt. Die Verhaltensweisen gegenüber Objekten und Menschen entstehen spontan. Sie sind deshalb spontan, weil die menschlichen Grundbedürfnisse mächtig genug sind, um im täglichen Leben die Oberhand zu behalten. Wir Menschen werden vorn außen gesteuert und sind lediglich Zentren äußeren Drucks. Wir sind Streßzentren. Diese Streßzentren treiben sich selbst an, um äußere Erfahrungen in Raum und Zeit zu machen. Dieser innere Antrieb hin zu den Objekten in Raum und Zeit offenbaren ihre Formen in der Weise, wie Patanjali sie beschrieben hat, und wie sie vorher erwähnt wurden.

Den Hauptantrieb bilden Liebe und Haß. Alles andere folgt konsequenter Weise später. Weder hassen noch lieben wir grundsätzlich. Während dies eine grobe Unterteilung unserer Verhaltensweise gegenüber Dingen ist, gibt es feinere Unterteilungen dieses Antriebs; es gibt verschiedene Aufteilungen von Liebe und Haß. Darüber hinaus ist nichts in uns, und nichts sticht besonders hervor. Wir kennen unterschiedliche Formen der Liebe und des Hasses. Sie sind alle in der o.a. Sutra zusammengefaßt. Der Wunsch auszubeuten, ist ein natürlicher Instinkt eines jeden Menschen. Wir wollen irgendwie die ganze Welt ausbeuten. Ausbeuten heißt, Nutzung zu unserem eigenen Vorteil. Dies geschieht jeden Tag, und wir können dies nicht unterbinden, - zum einen, aufgrund unserer eigenen Gefühle, zum anderen, weil wir die Natur der Dinge nicht verstehen. Dieses Mögen und Nichtmögen zeigt unmißverständlich, wer wir sind: Wir sind Bündel von Mögen und Nichtmögen, die zusammenstoßen und bei jedem einzelnen Spannungen verursachen.

Anders ausgedrückt, kann man sagen, daß wir Zentren von Spannungen sind, genauso wie wir, wie bereits erwähnt, Zentren von Streß und Druck sind. Wir stehen immer irgendwie unter Spannung. Wir sind nicht frei von diesem nach außen gerichteten Impuls. Dieser nach außen gerichtete Impuls muß kontrolliert werden. Dies ist das Hauptanliegen von Yamas. Wenn man diesen Impuls nicht kontrolliert, wird man zum Hampelmann, und die Purusha der Samkhya (Absolutes Bewußtsein) aus dem Zentrum der Selbstverwirklichung oder Befreiung des Geistes herausgezogen. Die Bindung deutet die Bewegung der Purusha hin zur Prakriti (vergängliche Natur) an, und Kaivalya, Befreiung oder Moksha deutet das Zentrieren der Purusha in seinem eigenen Selbst an. Dies ist das Wesen von Samkhya, und das Wesen von Yoga. Bei jeder Wahrnehmung oder Erkenntnis, allen Prozessen von Liebe und Haß, bewegt sich die Purusha zur Prakriti hin und geht blindlings eine Bindung ein. Darum ist es klar, daß alle Liebe und aller Haß eine Gegenbewegung zu den Bedürfnissen der Spiritualität und der seelischen Befreiung darstellen. Jeder gefühlsbetonte Mensch weiß, wie Liebe und Haß dem Wohlbefinden entgegenwirken, was auch Grundlage dieser großen philosophischen Analyse ist, die von Samkhya und Yoga gemacht wurde. Die Purusha muß in ihrem eigenen Selbst zur Ruhe kommen. Darin liegt der Sinn der ganzen Yogapraxis. Und Samsara, die sogenannte Bindung, ist das gegensätzliche Umfeld der Purusha, wo die Purusha die Kontrolle über sich selbst verliert, seine ursprüngliche Substanz auflöst und sich selbst in Raum und Zeit ausbreitet.

Die tiefere philosophische Bedeutung von Ahimsa

Im Allgemeinen wird das Wort Ahimsa als Nicht-verletzen übersetzt. Dieses ist die Bedeutung aus dem Wörterbuch, und wir sind alle mit dieser wortwörtlichen Bedeutung vertraut. Doch hat es eine tiefere philosophische Bedeutung, auf die wir uns bei unserem ernsthaften Studium des Yoga konzentrieren müssen. Die Bedeutung aus dem Wörterbuch ist nicht so wichtig und zeigt auch nur die äußere Schale der wahren Bedeutung auf. Ahimsa ist ein Sanskrit-Wort, das eine negative Definition einer Situation anbietet. Das Gegenteil von Himsa ist Ahimsa. Darum beschreibt Ahimsa nicht etwas Positives, sondern etwas Negatives. Es sagt uns, was wir nicht tun sollen, und nicht, was wir tun sollen; vielleicht wissen wir damit, was wir tun sollen, wenn uns gesagt wird, was zu unterlassen ist.

Wir sollen nicht verletzen. Dieses ist die Lehre, die wir oberflächlich aus der Bedeutung des Wortes Ahimsa ziehen. Doch, warum sollen wir nicht verletzen? Man kann sich die Frage selbst stellen: "Was geschieht mir, wenn ich jemanden verletze? Sollte ich der Anweisung nur folgen, weil sie im Buche steht?" Yoga ist eine Wissenschaft und nicht bloß eine ethische Lehre. Wenn einem gesagt wird: "Verletze nicht!" ist dies eine ethische Anweisung. Doch, wenn man den Hintergrund verstehen will, dann muß man seine philosophische, metaphysische und spirituelle Bedeutung verstehen. Wenn man die Philosophie der Samkhya, die Vedanta oder selbst die Grundlagen des Patanjali-Yoga kennt, kann man sich die Frage selbst beantworten, warum man niemanden verletzen sollte. Häufig sind wir jedoch nicht in der Lage, uns die Frage selbst zu beantworten, denn wir sind verwirrt. Wir halten uns an die Schriften, wie die Gita, Patanjali oder sonst irgend etwas. Doch, welche Meinung haben wir selbst? Das ist für uns schwierig zu beantworten, weil wir uns häufig genug, durch unsere eigenen Interessen, in einer Zwickmühle sehen. Dort, wo unsere eigenen Interessen berührt sind, kommen wir zu keinem klaren Urteil. Und warum sollte sich eine derartige Frage ergeben, wenn unsere Interessen nicht berührt sind. Es ist eine persönliche Sache, und darum ist es schwer zu verstehen.

Niemand schadet oder verletzt jemanden ohne persönlichem Grund. Das Verletzen entsteht aus einem persönlichen Verhalten heraus. Dabei kann es manchmal sehr wohl berechtigt sein oder richtigem Verhalten entsprechen. Auch der Teufel kann eine Schrift zitieren, auch wenn dies zum Wohle eines Menschen erscheint, so steht es doch im völligen Gegensatz dazu. Das Verletzen als solches wird im Yoga verdammt, und nicht nur dessen äußere Hülle. Ahimsa oder Nicht-verletzen ist keine körperliche Handlung, sondern ein Verhalten des Geistes. Die Absicht hinter der eigentlichen Handlung ist der entscheidende Faktor, der verurteilt werden muß. Dabei ist es gleichgültig, ob eine bestimmte Handlung die Grundregel von Ahimsa bricht oder nicht. An diesen wichtigen Punkt müssen wir uns erinnern. Welche Absicht liegt in der Handlung eines Menschen? Darauf müssen wir achten. Worin unterscheiden sich ein Chirurg und ein Mörder? Der Unterschied liegt einzig in der Absicht und nicht in der äußeren Handlung. Die äußeren Handlungen sind gleich und können nicht unterschieden werden. Beide, Chirurg und Mörder machen dasselbe, doch ihre Absichten, Motive und Ziele unterscheiden sich und dienen verschiedenen Zielen. Darum muß Ahimsa in einem weiteren Kontext von der kosmischen Beziehung der Dinge betrachtet werden, und darf nicht nur in einem gesellschaftlichen, politischen oder gar persönlichen Sinne gesehen werden.

Wenn eine Person jemanden ausbeuten möchte, will sie niemanden dabei verletzen. Doch der Wunsch auszubeuten, ist mit dem Wunsch zu verletzen, unmittelbar verbunden. Die Ausbeutung an sich stellt ein ‘Verletzen’ dar. Es ist möglicherweise die größte Verletzung, die man jemandem antun kann, denn sie ist letztendlich ein philosophisches Verhalten. Der Wunsch, jemanden zum eigenen Vorteil auszunutzen, ist die Wurzel weiteren Übels in Form weiterer Verletzungen, seien sie verbal, psychologisch oder körperlich. Doch dürfen wir dann irgend etwas in dieser Welt ausbeuten? Sind wir dazu überhaupt berechtigt?

Überwindung des Wunsches auszubeuten

Zwei weitere Grundregeln, nämlich Asteya und Aparigraha, sind von diesem Problem der Ausbeutung berührt. Niemand darf sich irgend etwas aneignen, was nicht wirklich zu ihm gehört, Asteya bedeutet Nicht-stehlen. All diese Definition sind negativ besetzt, und wir müssen darum, das zwischen den Zeilen versteckte positive Verhalten suchen. Nicht-stehlen hört sich an wie: "Du sollst nicht einbrechen oder nicht stehlen." Die Menschen sind nicht immer Einbrecher, und doch sind sie Diebe. Um ein Dieb zu sein, ist es nicht immer notwendig, in ein Haus einzubrechen und irgendwelche Wertsachen zu stehlen. Innerlich kann jemand in einem völlig anderen Sinne ein Dieb sein. Ein Dieb ist jemand, der die Absicht hat, jemand anders zu seinem persönlichen Vorteil auszunutzen. Das muß man sich vor Augen führen. Es ist derjenige bereits ein Dieb, der die Absicht hegt, - dabei sind weder Einbruch noch das Betreten eines fremden Hauses im Spiel. Ausbeuten bedeutet weiterhin, der Wunsch mehr besitzen zu wollen als unter den gegebenen Umständen erforderlich ist. Wenn jemand mehr besitzt als von ihm, unter seinen persönlichen Umständen, im Augenblick erwartet wird, wird er zum Dieb. Darum ist Diebstahl so schwierig zu verstehen, wenn man sich nicht über diese tiefere Bedeutung im klaren ist. Die meisten Menschen in dieser Welt sind im weitesten Sinne Diebe, denn der Wunsch nach Ausbeutung ist bei den meisten Menschen ein natürlicher Ausdruck ihres Instinktes. Es ist im Allgemeinen eine weitverbreitete Schwäche der Menschheit. Da jeder selbstsüchtig ist, hat er auch den Wunsch auszubeuten. Dieses Verhalten der Ausbeutung ist nichts weiter als der Ausdruck dieser inneren Selbstsucht im Menschen. Im Yogasystem, - dessen Ziel die Gottverwirklichung (Purusha) ist, die in ihrer Natur unendlich ist, dessen Absicht es darum ist, im Unendlichen Seiner Existenz zu ruhen, - erscheinen diese subtilen Bewegungen des Geistes in Form der Ausbeutung, mit der Auswirkung andere zu verletzen, völlig abwegig, absurd und überhaupt bedeutungslos. Und man braucht uns nicht erst zu sagen, daß diese Absicht unerwünscht ist, genausowenig, wie man uns sagen muß, wenn es Tag ist, das es nicht Nacht ist, denn dies ist eindeutig.

Das Gleichgewicht zwischen äußerem Verhalten und innerer Absicht

Die Yamas von Patanjali sind keine moralischen Anweisungen. Sie sind nicht einmal ethische Disziplinen im allgemeinen sozialen oder politischem Sinne, sondern sie sind wissenschaftlich, logisch und philosophisch. Die Natur der Purusha erlaubt weder ein ausbeuterisches Verhalten noch ein Verhalten der Liebe und des Hasses (Zu- und Abneigung), denn dies sind die nach außen gerichteten Offenbarungen des Bewußtseins, die zur Selbstbindung führen. Dies ist der Grund, warum Patanjali die Yamas als einen wesentlichen Schritt in der Yogapraxis ansieht. Obwohl die Vollkommenheit in Yamas nur in der letztendlichen Vereinigung mit der Purusha erreicht werden kann, muß ein ernsthafter Anfang, von jeder suchenden Seele in der bewußten Praxis der Yamas, gemacht werden. Die philosophische Anforderung, die hinter der Yamaspraxis steht, kann erst am Ende wirklich erreicht werden. In vorhergehenden Stufen ist dies nicht möglich. Doch eine Anstrengung ist auch in vorherigen Stufen erforderlich, um das eigene Verhalten den Gegebenheiten des täglichen Lebens und in der Gesellschaft den Grundregeln von Yamas von Patanjali anzupassen.

Wir können eine Uhr anhalten, indem wir seine Zeiger oder die Zahnräder festhalten. Die Yamas-Praxis wird in den fortgeschrittenen Stufen der Praxis, zur Kontrolle der inneren Mechanismen. Doch in den Eingangsstufen ist die Praxis mit dem Anhalten der Uhr über die Zeiger, was auch die Zahnräder anhalten läßt, vergleichbar. Bei diesem Anhalten der Uhr handelt es sich nur um ein vorübergehendes Stoppen, und nicht um das endgültige Aus, denn wenn man die Zeiger wieder losläßt, bewegen sich die Zahnräder wieder. Doch, wenn die Zahnräder der Uhr zum Stillstand gebracht wurden, dann sind alle beweglichen Teile automatisch blockiert. Genauso verhält es sich mit der Yamas-Praxis, denn wir müssen einerseits ein äußeres Verhalten und gleichzeitig ein inneres Verstehen entwickeln. Unser Verhalten sollte nicht nur einer Seite gelten. Wir sollten uns einerseits innerlich, psychologisch oder philosophisch disziplinieren und uns gleichermaßen einer äußeren Selbstkontrolle annehmen, indem wir uns in solch ein soziales Umfeld begeben, wo wir nicht gezwungen sind, die erforderlichen Grundregeln zu brechen. Dies ist normalerweise der Grund, warum Yogaschüler Orte aufsuchen, wo sie nicht so ohne weiteres gezwungen sind, diese Disziplinen zu brechen. Die Zuflucht zu heiligen Plätzen, Klöstern, Tempeln, Berggipfeln und Wäldern geschieht nur aus diesem Grunde.

Wenn der innere Geist nicht mitspielt, wird die äußere Praxis nicht von Erfolg gekrönt sein. Darum ist die philosophische Disziplinierung des Geistes von großer Bedeutung, was durch die Isolation an einem geographisch angenehmen Platz, zusammen mit der äußeren Praxis der Selbstkontrolle, einhergehen muß. Man kann nur schwer sagen, ob die äußere Kontrolle, oder ob das innere Verstehen zuerst kommt. Vielleicht kommt beides gleichzeitig. Die äußere und die innere Disziplin sollten miteinander praktiziert werden. Darum muß man immer wachsam sein. Wachsamkeit ist Yoga. Es muß ein Gleichgewicht zwischen unserem äußeren Verhalten und unserer inneren Absicht hergestellt werden. Aus diesem Grunde muß man permanent wachsam sein, damit Verhalten und Absicht nicht auseinanderdriften und keinen Widerspruch bilden, denn wir offenbaren uns durch unser inneres Verhalten und durch unsere äußere Lebensführung gegenüber der Gesellschaft. Wir sollten nicht das eine denken und etwas völlig anderes, nach außen hin tun. Die äußere Handlungsweise sollte mit der inneren Absicht im Einklang sein. Darum ist es für den Anfänger schwierig zu verstehen, wie man in dieser Welt überhaupt leben kann.

Anweisungen alleine sind für Anfänger unzureichend, denn niemand ist darauf vorbereitet, Anweisungen von irgend jemanden entgegenzunehmen. Jeder sträubt sich innerlich dagegen, persönliche, soziale oder gar philosophische Ratschläge anzunehmen. Jeder hat ein Selbstwertgefühl und ist darum wenig geneigt, Ratschläge von anderen zu beherzigen. Doch gibt es Unterschiede bei Menschen, die für sich die Notwendigkeit erkannt haben, auf Ratschläge höhergestellter Persönlichkeiten, wie einen Meister oder einen Guru, zu hören, da diese Anweisungen aus höheren Sphären mit größere Reichweite kommen und nicht als Anweisungen von außen betrachtet werden dürfen, denn der Guru ist kein Außenstehender. Der Guru ist ein Teil des Bewußtseins, ein transzendenter Zustand, der sich über dem Schüler und nicht außerhalb von ihm befindet. Und darum sollte der Schüler nicht glauben, daß der Rat des Gurus von außen kommt. Doch auch dies ist wiederum schwer zu verstehen, denn wir haben nicht gelernt, in diesen feineren Strukturen zu denken. Wir haben eine sehr grobe Denkweise, die nur für unseren normalen Instinkt der Selbstsucht ausreichend ist.

Beachte die Naturgesetze

Jeder Mensch in der Welt ist so wertvoll wie jedes andere Geschöpf. Dies muß zuallererst akzeptiert werden. Wir dürfen nicht einfach annehmen, daß jemand weniger wertvoll sei und deshalb nur zur Nahrung unserer Instinkte dient. Kein Mensch ist des anderen Futter. Dies ist die grundlegende Yogaanweisung, was auch mit dem Prinzip von Ahimsa übereinstimmt. Niemand ist des anderen Diener. Dies gilt es nicht zu vergessen. Darum sollte niemand nach einem Diener schreien. Diese Befehlsform ist bedeutungslos. Es scheint, als ob man unter den gegebenen Umständen dem Diktat anderer Menschen gehorchen würde, doch dieser Gehorsam kommt nicht von Herzen. Jeder liebt sich selbst, und niemand ist darauf vorbereitet, den Befehlen anderer zu gehorchen, - es sei denn, diese entstammen einer höheren Quelle. Insoweit, wie es etwas Heiliges in einem Menschen gibt, führt er ein heiliges Leben. "Du kannst nicht töten", lautet die Lehre der großen religiösen Meister und spirituellen Propheten, "Du sollst nicht töten." Dies ist die Grundlage aller Religionen, denn niemand möchte getötet werden. Ist das nicht so? Genauso, wie man selbst nicht getötet werden möchte, möchte dies auch niemand anders. Sollten wir diese Psychologie nicht bis hierher verstehen? Wie kann man sich vorstellen, daß jemand anders getötet werden kann und wir selbst davonkommen? Diese ungerechtfertigte Selbstbehauptung wird von den Gesetzen der Natur nicht geduldet. Die Natur reagiert auf jede Einmischung mit seinen ausgleichenden Gesetzen. Und die Ausbeutung jedes Einzelnen, mit welcher fühlbaren Verletzung auch immer, wird eine Reaktion mit möglicherweise einer weitaus größeren Intensität von der Natur hervorrufen, und die Verletzungen werden mit gleicher Münze heimgezahlt. Der Ausbeuter wird wiedergeboren, um seine Quälereien wiederum selbst zu erleiden. Wenn seine Handlungen sehr sträflich waren, muß er vielleicht bereits in dieser Geburt dafür leiden. Wenn die Absichten des Yogaschülers ehrenwert, feinfühlig und edel sind, sollte er auf die Naturgesetze achten, was der Yogaverwirklichung entspricht. "Füge niemandem ein Leid zu," ist eine andere Ausdrucksweise, oder "Breche nicht die Naturgesetze."

Die Natur ist nichts weiter als eine kosmopolitische Gesellschaft, die Vereinigung einer Vielzahl von Werten und die Gesamtheit des Lebens, wobei es keine Beziehung untereinander gibt. Niemand besitzt irgend etwas. Es existiert eine universale Demokratie, die unsere Vorstellungen von Demokratie weit übersteigt. Es ist ein System, wo alles von irgend etwas abhängig ist und es nichts Unabhängiges gibt. Dort, wo die Natur ein solches Ausmaß an Integration und Vollkommenheit gegenseitiger Abhängigkeiten hat, gibt es weder Meister noch Diener. Zwangsläufig gibt es weder Liebe noch Haß, denn niemand besitzt etwas, noch kann irgend jemand verdrängt werden. Dieses sind die tieferen Wahrheiten, auf die wir beim Studium der philosophischen Bedeutungen dieser Anweisungen von Patanjali über Ahimsa, Satya und der anderen Yamas stoßen. Während die sprachlichen Bedeutungen und sozialen Verhaltensweisen dieser Lehren wohl bekannt sind, so sind die tieferen Aspekte dieser Anweisungen weder sichtbar noch für den normalen Verstand einleuchtend.

Worin liegt die tiefere Wahrheit von Ahimsa? Man muß der Freund aller sein. Dies ist allem Anschein nach die tiefere Bedeutung von Ahimsa - Sarva bhuta hite ratah, in der Sprache der Bhagavad Gita. Ein Freund aller, kann niemanden verletzen, wenn seine Absicht im Wohlergehen aller liegt. Da wir möchten, daß alle unsere Freunde sind, erwarten die anderen ebenfalls, daß wir deren Freunde sind. An dieser Stelle ist eine sehr interessante Bedeutung in Ahimsa versteckt, was überall als das einfache Nicht-verletzen übersetzt wird. In Wahrheit ist es sehr leicht zu verstehen, denn Unwahrheit ist nichts weiter als Ausbeutung. Letztendlich hängt alles an dem zentralen Verhalten der Ausbeutung Einzelner durch Einzelne. Niemand würde lügen, wenn er nicht ausbeuten wollte. Darum ist es klar, warum niemand lügen sollte. Wenn man jemanden belügt, so kann dieser Jemand wiederum den vorhergehenden belügen. Warum nicht? Jeder ist in derselben Lage, beide haben versucht sich, aufgrund ihres unaufrichtigen Verhaltens, gegenseitig zu belügen.

Das Zügeln der Neigung zu verlangen

Die beiden ergänzenden Aspekte dieser Anweisungen Patanjali’s sind Asteya und Aparigraha, nämlich, das Nicht-stehlen und Nicht-verlangen von Besitztümern, die im weitesten Sinne nicht für die eigene Existenz erforderlich sind. Obwohl wir in dieser Welt leben dürfen, obwohl wir die Erlaubnis haben, aufgrund der Natur, in dieser Welt zu existieren, so haben wir aber keine Erlaubnis, Besitztümer, die wir nicht für unsere eigene sensible Existenz in dieser Welt benötigen, anzuhäufen. Wenn wir Besitztümer über unsere Bedürfnisse hinaus anhäufen, nehmen wir anderen ihre Lebensnotwendigkeiten und werden zu Dieben. Wir dürfen andere nicht ausbeuten. Dies ist völlig klar. Und wir dürfen auch die Welt nicht ausbeuten. Wir sollten letztendlich selbst Gott nicht ausbeuten. Häufig haben unsere Gebete zu Gott nur das Ziel, nach etwas zu verlangen. Wir sollten von niemandem etwas verlangen und von der Welt nicht mehr erwarten, als das, was wir der Welt als Dienst erwiesen haben. Die Welt ist ein System gegenseitiger Zusammenarbeit. Wenn der eine dem anderen nichts gibt, so kann der erstere von dem anderen auch nichts erwarten. Dies ist der tiefere Sinn. Wenn wir nicht mit der Welt kooperieren, können wir umgekehrt auch keine Kooperationsbereitschaft erwarten. Wir können nichts von der Welt erwarten, wenn wir ihr nicht irgendwie etwas auf dem Wege der Kooperation gegeben haben. Man muß lernen, auf jeder Ebene mit der Welt zusammenzuarbeiten - gesellschaftlich, physisch, psychologisch, in der Vernunft, politisch und spirituell - denn Yoga bedeutet mit allem vollkommen EINS zu sein.

Wir müssen mit allen Ebenen der Natur in Einklang sein, was die Yogapraxis nicht gerade erleichtert. Die Yogadisziplin ist eine schwierige Angelegenheit, denn sie erfordert eine präzise und vollkommene Anpassung, so wie es bei der Herstellung von Computersystemen oder Robotern erforderlich ist. Dies erfordert eine außerordentliche Konzentration. Wenn dies so einfach wäre, könnte jeder ein Yogi sein. Dieser all-round Aspekt dieser Anpassung, das Verstehen dieses Yogaverhaltens, macht es für einen Laien zu einer schwierigen Aufgabe, überhaupt an Yoga zu denken, obwohl er sich vielleicht durch äußerliche Zeremonien und Disziplinen bemühen mag.

Es ist richtig, das Yoga eine schwierige Angelegenheit ist, wenn der Geist in dieser Wissenschaft nicht richtig ausgebildet ist. Selbstkontrolle ist, wie bereits erwähnt, Yoga. Und einige seiner Merkmale wurden in den Grundlagen von Yamas beschrieben. Der Yogapraktiker befindet sich immer in einer Zwangslage, wenn er versucht, irgendwelche Grundlagen zu praktizieren. Sie sind nicht so einfach. Der Yogaschüler mag glauben, alles verstanden zu haben, doch kann er sie aus irgendwelchen Gründen nicht in die Praxis umsetzen, - Gründe, die er selbst herausfinden muß. Es scheint beinahe unmöglich, Ahimsa, Satya, Asteya oder Aparigraha unter normalen Umständen zu praktizieren, wenn man sich nicht, besonders am Anfang der Yogapraxis, durch sein Bemühen überbelasten will.

Yoga bedeutet nicht Entsagung

Häufig wird Yoga mit Entsagung/Verzicht verwechselt. Es wird behauptet, daß man beim Yoga Mönch oder Nonne werden muß; oder man glaubt, daß man in ein Kloster eintreten oder einer Kirche beitreten muß. Yoga wird als etwas völlig Gegensätzliches zum normalen Leben angesehen. So wird Yoga von normalen Menschen heutzutage verstanden. Doch auch hier ist höchste Vorsicht geboten. Jede Übertreibung bzw. Überschätzung ist bei der Yogapraxis fehl am Platze. Yoga bedeutet allmählicher Aufstieg und ist kein plötzlicher Vorwärtssprung. Natur entwickelt sich langsam und ist nicht irgendeine plötzliche Revolution. In der Natur finden keine Revolutionen statt. Darum kann der Yogaschüler mit sich selbst keine Revolution in Gang setzen und über Nacht ein Yogi werden. Yoga bedeutet schrittweises Wachsen, Reifen und eine systematische Anpassung in jeder Entwicklungsstufe der eigenen Persönlichkeit. Und darum sind Worte wie Entsagung, Verzicht und Mönchstum letztendlich bedeutungslose Begriffe, die niemandem helfen. Man muß hier sehr sachlich und realistisch bleiben, und darf nicht zu einem dummen Idealisten in einer ätherischen Welt werden. Die Welt läßt niemanden so einfach los. Sie hat uns bereits alle umarmt, und dies ist wie die Umklammerung eines Bären. Wir sind von der Welt umklammert, und um uns aus dieser Umklammerung zu befreien, bedarf es einer intelligenten Praxis. Dies ist die Yogapraxis.

Yoga bedeutet nicht Entsagung im eigentlichen Sinne. Es ist auch keine Aufforderung, in ein Kloster einzutreten, wenn dies mit der Aufgabe weltlicher Pflichten und dem normalen Leben verbunden ist. Die Religionen zerbröckeln langsam an ihrer Basis, und jeder kennt auch deren Schicksal. Und wenn sich jemand mit der Geschichte der Religionen beschäftigt, - angefangen von der frühen Steinzeit, - wird er feststellen, daß es immer wieder schwierige Zeiten gegeben hat und nicht alles von Erfolg gekrönt war, wie man auch am Beispiel der christlichen Kirche sehen kann. Die große Zeit des Christentums war, als der Papst der König der ganzen Christenheit und jeder König in Europa ein Sklave des Papstes war. Die Anweisungen des Papstes entsprachen Gottesanweisungen. Die Kirche war der König, und von den weltlichen Regenten wurde erwartet, daß die Verfügungen des Klerus von Rom befolgt wurden. Dies funktionierte für eine gewisse Zeit, denn das Rad der Geschichte dreht sich immer weiter, und manchmal zeigen bestimmte Speichen des Rades nach oben und manchmal wieder nach unten.

Yoga ist keine Religion

Es gab Zeiten, da beeinflußten die Religionen alles, doch währte dies nicht lang. Denn, sehr häufig steuern die Religionen bei der Befreiung der Seele einen sehr extremen Kurs hin zu einer anderen Welt der Werte, was Religionen häufig entsprechend ihrer spirituellen Ziele in eine andere Welt führt, und damit die Ursache für Kummer und Leid bei der allgemeinen Bevölkerung ist. Diese Arten von Religionen sind keine Freunde der Welt, sondern ihre Gegner. Sie hassen und verdammen die Welt wie einen Teufel, vor dem man so schnell wie möglich davon laufen muß, denn das individuelle Wohlergehen liegt in einer anderen Welt und nicht in dieser. Obwohl es weder die Absicht dieser Religionen war, noch ist, Doktrin dieser Art zu verkünden, stolpern sie aus irgendeinem Grunde in dieses Verhalten, was wir in der Psychologie religiöser Praxis untersuchen müssen. Doch Yoga ist keine Religion. Es ist mit keiner Religion in dieser Welt vergleichbar. Es ist weder Hinduismus, noch Buddhismus oder Christentum, sondern eine philosophische Disziplin. Und Philosophie ist weder Christentum noch Hinduismus oder sonst irgendeine Religion. Eine philosophische Disziplin ist eine wissenschaftliche Anforderung des Einzelnen in Verbindung mit seiner Position bezüglich des ganzen Universums. Darum sollte nicht der Fehler gemacht werden, Yoga mit Religionen in Verbindung zu bringen. Derjenige, der dies macht, wird vielleicht Priester einer Kirche, aber kein Yogi. Vielleicht endet er auch als Papst einer riesigen Kathedrale, aber er muß deshalb kein Yogi sein.

Wir sollten uns zunächst von den in unserer Kindheit anerzogenen Lehren und Doktrin befreien, die uns als Vorbereitung auf die Gesellschaft beigebracht wurden. Es tut uns nicht weh, etwas Zeit darauf zu verwenden, und Yoga zu verstehen, denn es liegt eine größere Gefahr darin, Yoga nicht zu verstehen und unter dem Eindruck darauf loszurennen, es scheinbar begriffen zu haben. Yoga hat nichts mit Entsagung zu tun, sondern es ist im positiven Sinne die eigene Anpassung an die Wirklichkeit der Dinge, und diese Anpassung beinhaltet einen feinen Aspekt, der der Loslösung von bestimmten Dingen ähnelt und oberflächlich betrachtet, eine Entsagung von Dingen in sich birgt. Dies ist wiederum schwierig zu verstehen. Obwohl Yoga nichts mit einer Loslösung, sondern nur mit einer Vereinigung mit Dingen zu tun hat, ruft es nach einer Art von Entsagung, was hinsichtlich dieses Aspektes den Geist häufig in Aufruhr bringt. Der Yogaschüler weiß nicht, wo er steht, ob er diesen oder jenen Weg einschlagen sollte. An dieser Stelle muß man etwas Vorsichtig sein. Die Yamas sind der Fels, auf dem sich die Yogapraxis gründet. An diesem Fundament wird gerüttelt, und damit wird an der gesamten Praxisstruktur gerüttelt. Aus diesem Grund muß man vorsichtig sein.

Die Grundlagen der Yamas beinhalten eine andere tiefgehende Anweisung, die erwähnt werden muß, nämlich die Enthaltsamkeit. Es handelt sich um Brahmacharya, ein Begriff, der vielen Menschen angst macht und, allein wenn sie daran denken, in den Wahnsinn treiben kann, solange dessen Bedeutung, wie für Yoga erforderlich, nicht richtig verstanden wird, und auch nicht für Väter, Mütter oder die allgemeine Gesellschaft erforderlich ist. Yoga hat nichts mit gesellschaftlicher Praxis zu tun. Wir wollen die Menschen nicht durch unser Yoga erfreuen, sondern es ist eine innere Disziplin, die unter der Natur als Ganzes gefordert wird, und wir gehorchen einem Gesetz, das überall vorherrscht, und bei dem es sich nicht um ein Hindu-Gesetz, einem Brahmin-Gesetz oder einem Christen-Gesetz handelt. Nichts dergleichen! Enthaltsamkeit bedarf hinsichtlich Yoga für den Einzelnen einer vorsichtigen Behandlung, worüber wir noch zu sprechen haben.