Der Lohn der Beleidigung

Eines Tages tanzte Dayasindhu entlang der Strassen von Puri. Er war sehr hungrig, denn er trank nur ein Glas Milch am Tag. Er war er immer in die Liebe zu Jaganatha (Beschützer des Universums, ein Name für Vishnu bzw. Krishna) vertieft, immerzu sang er seinen Namen und verkündete seinen Ruhm, tanzte und ließ andere in Freude und Verzückung tanzen, außer wenn er um seine Milch betteln musste. An diesem Tag scheuerte eine junge Frau die Veranda eines Hauses in der Nähe und Dayasindhu ging dorthin. „Mutter, bitte gib mir ein Glas Milch denn ich habe Hunger.“ Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Frühmorgens war sie aufgewacht, hatte ihre Hausarbeit gemacht, die Kühe versorgt, ein halbes Dutzend Kinder gewaschen und angezogen und ihrem Mann Frühstück bereitet. Jetzt, während sie gerade den Boden scheuerte, zog ein Kind sie an den Haaren und wollte Süßigkeiten, während ein anderes an ihrer Brust trank. Von allen Seiten wurde sie geplagt, gepiesackt und bedrängt. Nun war es endgültig genug, sie explodierte.

Und Dayasindhu wurde ihre Zielscheibe. „Du elender Bettler! Mach dich fort! Seit frühem Morgen schufte ich hier für meinen Mann und meine Kinder. Du Faulpelz musst mich jetzt auch noch belästigen. Hier nimm das!“ sagte sie. Gleichzeitig flog der schmutzige, übelriechende Lumpen, mit dem sie den Boden scheuerte in Richtung Dayasindhus Gesicht. Zwar hatte sie nach seinem Gesicht gezielt; der Lumpen traf jeodoch die Brust. Dayasindhu war außer sich vor Freude. „Mein Herr! Welch wunderbare Sache hast du mir heute Morgen gegeben. Ehre sei Dir, Ehre sei Dir!“ Er vergaß seine Suche nach Milch völlig. Er tanzte und sang den ganzen Weg zum Meer. Er wusch den Lumpen gründlich, trocknete ihn und machte daraus einen schönen Docht. Er besorgte sich noch etwas Ghee (geklärte Butter), den er um den Docht schmierte. An dem Abend fand Arati (Anbetung Gottes mit einer Kampferflamme) im Tempel des Jaganatha statt. Dayasindhu gesellte sich zu der großen Menge der Gläubigen.

Dieses mal hatte auch er eine Opfergabe mitgebracht, er entzündete den Docht mit dem Ghee und schwenkte ihn vor dem Altar. Die Menschen wussten von Dayasindhus großer Liebe zum Gott Jaganatha und hatten daher nichts dagegen. In Ekstase sang und tanzte er und die Menschen um ihn herum sangen seinen Namen. Plötzlich stürmte eine junge Frau stürmte verzweifelt in den Tempel. Wie eine Wahnsinnige rannte sie mit wirrem Haar herein, ihre Kleider fegten über den Boden, wild blickte sie um sich. „He Jaganatha! He Krishna!“ rief sie. Aber als sie Dayasindhu erblickte, sprang sie nach vorne und fiel ihm zu Füßen. Ein Schauer durchlief ihren Körper und ein verzücktes Lächeln erhellte Dayasindhus Gesicht. Die Gläubigen, die diese mitreißende Szene beobachtet hatten, wussten nicht, dass die junge Frau vor einem Augenblick, den höchsten Segen des Gottes Jaganatha erhalten hatte.

Sie hatte gerade das Abendessen fertig zubereitet und wollte den Säugling in seine Wiege bringen. Aber sie legte ihn nicht in die Wiege sondern ließ ihn vor Schreck fallen. Sie blickte wild um sich und fiel auf die Knie. Die älteren Kinder konnten nicht verstehen, was passiert war und weinten vor Schreck. Aber sie beachtete sie nicht. Tränen strömten über ihre Wangen und einen Moment lang war sie still und schwieg. Dort wo sie war, vor der Wiege ihres Kindes, dort leuchtete plötzlich in ihrem Herzen das Licht Gottes. Sie sah Jaganatha in diesem Licht und sie erkannte den Bettler Dayasindhu, der den Lumpen schwenkte, den sie in sein Gesicht geworfen hatte und der nun zu einer Fackel des Wissens geworden war. Sie schrie auf: „Hey Prabho! Prananatha (Leben und Seele)!“

Ihr Ehemann, ihre Eltern und die Nachbarn versammelten sich um sie, aber deren Gesichter bedeuteten ihr nichts, sie erkannte ihre Liebsten nicht. Sie rannte hinaus und niemand wagte es sie zurückzuhalten. Im Tempel lag sie zu Füßen Dayasindhus. Kein Wort fiel zwischen den beiden. In den mitfühlenden Augen Dayasindhus las die Frau die  Botschaft: „Ein Bhakta (Gottergebener) nimmt alles als einen Segen des Gottes an. Was ihm auch gegeben wird, wird auf Gott übertragen. Er kann nicht getrennt vom seinem Gott existieren. Er lebt in der Liebe des Gottes und im Dienste des Gottes. Gibst du ihm eine Tasse Milch erreicht sie Gott. Wirfst du einen Lumpen in sein Gesicht, so erreicht auch dieser Gott. Er wird ihm freudig geopfert. Ein Bhakta reinigt und erleuchtet alle die mit ihm in Berührung kommen.“ Sie wurde zur größten Schülerin Dayasindhus.