Mysterium und Kontolle des Geistes

Auszüge aus dem Buch "Mind - Its Myteries and Control" von Swami Sivananda

6. Kapitel

Die Wahrnehmungstheorie, CHITTA5 und Erinnerung

Das Geistorgan beherbergt zwei Funktionen: Denken und Wahrnehmen. Das Denken anzuhalten ist, im Vergleich zum Anhalten der Wahrnehmungsfunktion, einfach. Das Denkorgan bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit vorwärts und rückwärts, so dass die Leute der Meinung sind, das Geistorgan wäre dazu imstande, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Doch das ist ein grober Fehler. Die Wahrnehmung durch den endlichen Geist, in Form von Erkenntnis oder Erfahrung, findet gestaffelt und serienmäßig, und nicht gleichzeitig statt. Gleichzeitige Erkenntnis ist nur im NIRVIKALPA SAMADHI34 möglich, wo Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart verschmelzen. Nur ein Yogi wird jene gleichzeitige Erkenntnis haben. Zwei Gedanken können nicht gleichzeitig existieren, wie eng sie auch miteinander verwandt sein mögen. Das Geistorgan kann immer nur einen Sinnenreiz zur Denkfabrik senden, um dort eine anständige Wahrnehmung und eine angenehme Vorstellung bauen zu lassen.
Solange der Geist seine Aufmerksamkeit dem Sehen widmet, wird er nur sehen können. Er kann nicht gleichzeitig hören und sehen, was jedermanns tägliche Erfahrung ist. „Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders, so dass ich weder sehen noch hören konnte“, lautet eine häufige Bemerkung. Wenn man ernsthaft an ein Problem denkt, wird man weder etwas sehen noch hören oder fühlen können, da alle INDRIYAS9 vom Denkorgan abgekoppelt sind. Im Geistorgan sind Wille und Sehvermögen voneinander getrennt. Im reinen Bewusstsein sein, CHIT, hingegen sind Wille und Sicht eins; beides ist miteinander verbunden und nicht, wie im Denkorgan, voneinander getrennt.
Der unterbewusste Geist heißt in der VEDANTA80-Philosophie ‘CHITTA5’. Aus CHITTA, dem Unterbewusstsein, leiten sich, gemäß der RAJAYOGA35-Terminologie von PATANJALI36, die drei Vrittis namens MANAS30, BUDDHI37 und Ahamkara38 ab. Mit Hilfe des unterbewussten Geistes kann man durch die Erweckung und Kultivierung tugendhafter Fähigkeiten, die in jedermanns Herzen schlafend ruhen, seine boshafte Natur verändern. Wer Angst und Furcht zu überwinden versucht, sollte diese Störungen gedanklich verneinen und sich auf die gegensätzliche Eigenschaft, - das Ideal von Mut und Tapferkeit -, konzentrieren. Sobald sich Mut einstellt, verschwindet die Furcht von selbst, denn das Positive überwindet stets das Negative.
Das Unterbewusstsein ist im Kleinhirn lokalisiert. Man kann die vergangenen Erfahrungen aus dem Lagerraum des unterbewussten Geistes hervorholen. Die Vergangenheit ist dort bis in die kleinsten Einzelheiten aufbewahrt. Nichts geht verloren. Wenn die feinen Samskaras als große Wellen an die Oberfläche des bewussten Geistes aufsteigen und die vergangenen Vrittis per Erinnerung wieder bewusst werden, nennt man dies Gedächtnis. Wer zum ersten Mal eine Orange wahrnimmt und ihren Geschmack verspürt, erhält Kenntnisse hinsichtlich des Geschmacks und der Form usw. über eine Orange, womit sofort ein Samskara im Unterbewusstsein gespeichert ist. Irgendwann kann dieser Gedankeneindruck eine Erinnerung an das Objekt hervorrufen. Obwohl das Objekt und die Erkenntnishandlung vertauscht werden können, sind beide untrennbar miteinander verbunden. Eine Vritti verursacht im Geistorgan ein Samskara und ein Samskara umgekehrt wiederum eine Vritti. Infolge der Reizung von innen oder außen dehnen sich samengleichen Samskaras wieder aus und regen dadurch zu weiteren Handlungen an. Dieser Vritti- und Samskarazyklus hat keinen Anfang und endet erst, wenn er Göttliche Erkenntnis und Befreiung erreicht, wo sie sich dann in der Natur auflösen.
Sobald sich ein Samskara oder eine tugendhafte Handlung erhebt, mischt sich sogleich ein anderes Samskara gegensätzlicher Art in dieses Spiel ein, um so zur erfüllenden Ergänzung beizutragen. Dies ist dann der Ringkampf zwischen den tugendhaften und den üblen Samskaras. In dem Augenblick, wo man versucht, den Geist auf Gott zu fixieren, stürmen alle üblen Gedanken gewaltsam hervor, um sich gegen das Gute zu behaupten. Gute Samskaras rotten sich zusammen und helfen Dir, die üblen Samskaras zu vertreiben. Wer gute Samskaras hat, der hat auch gute Wünsche und gute Gedanken, und umgekehrt ebenso. Selbst wenn man bis zur Lebensmitte hin in abstoßenden Handlungen verschlungen war, sollte man mit tugendhaften Taten, wie Wohltätigkeit, Japa23, Dama39, Svadhyaya26, Meditation, selbstlosem Dienst an Armen und Kranken, Dienst an Heiligen usw., beginnen, so dass diese guten Samskaras zu weiteren tugendhaften Handlungen anregen. Dadurch werden weitere aufbauende Wünsche und edle Gedanken ins Leben gerufen.