10. Kapitel - Guru und Schüler

 

In seinen Büchern gibt Swami Sivananda das Wesentliche der traditionellen Lehren wieder. Er vermittelt in diesen Lehren auch die geheime Botschaft, wie man mit dieser Wahrheit in Verbindung bleiben kann und wie man diese zu einem festen Bestandteil im eigenen Leben machen kann. Swami Sivananda verkörperte diese Lehre. Obwohl beispielsweise sein ganzes Leben im wahrsten Sinne des Wortes aus Karma Yoga bestand, schrieb er fast nichts über Karma-Yoga. Er hielt nicht viele Vorträge, doch die wenigen Worte seiner Anweisungen vergaßen seine Schüler nie. Die meiste Zeit lebte er die Wahrheit vor. Seine Taten sprachen die Menschen weitaus mehr an als ein lauter Redner.

Der erleuchtete Guru kann seine grundlegenden Erfahrungen nicht in Worte fassen. Was niedergeschrieben wurde, ist nur ein Bruchteil der Erkenntnisse des Weisen. Da ist etwas, das er erfahren hat und das nicht ausgedrückt werden kann. Selbst der kleine Teil, den er in Worte fassen kann, geht bei der Übermittlung verloren, weil der Schüler nicht aufmerksam genug ist. Aus diesem Grund riet Swami Sivananda meistens, sich nicht während des Vortrags Notizen zu machen, sondern erst im Nachhinein.

Kommunikation geschieht fast immer non-verbal. Oft war es so, dass ein Dialog, der sehr inspirierend gewesen war, bei weitem nicht mehr so inspirierend war, wenn er schriftlich festgehalten wurde, denn Swami Sivanandas Schwingung, sein Lächeln, Gesichtsausdruck und Blick hatten eine enorme Wirkung und Bedeutung. Die Kommunikation fand durch seine persönliche Ausstrahlung statt. Ideen können nur vermittelt werden, wenn Schüler und Meister zu einer Einheit geworden sind, wenn sie sich auf der gleichen Ebene und auf der gleichen Wellenlänge befinden. Dann wird die Lehre aufgenommen, ohne dass Worte nötig sind.

In der Katha Upanishad heißt es:
Uttishtata, jagrata prapya varan nibodhata.
Erhebe dich, erwache, sei wachsam; dann gehe zu einem großen Meister und erlange Erleuchtung.

Das Erheben und Erwachen ist Aufgabe des Schülers, nicht des Gurus, aber Swami Sivananda machte für die Menschen im Ashram, welche diese Voraussetzungen nicht hatten, eine Ausnahme. Er hielt die spirituelle Wahrheit nicht zurück – sie war schon da, veröffentlicht – aber er stellte sein Wissen auch nicht zur Schau. Das war ein außergewöhnlicher Charakterzug von ihm. Viele Swamis und Yogis, denen man eine einfache Frage stellt, wie etwa: „Kann man auch im Winter im Ganges baden?“, machten aus der Antwort einen Vortrag über Vedanta: „Du bist nicht der Körper, du bist nicht der Geist, du bist das unsterbliches Selbst. Es ist nicht das unsterbliche Selbst, welches die Kälte spürt – es ist der Körper und es sind die Gedanken, die die Kälte fühlen!“ Swami Sivananda sprach nie so. Er fühlte sich in sein Gegenüber hinein. Er war eher am körperlichen und geistigen Wohlbefinden des Anwärters interessiert, als ihm spirituelle Unterweisung aufzudrängen, wann immer er nieste oder hustete. Er wartete, bis sein Schüler eine spirituelle Frage stellte und wenn der Suchende die Antwort wirklich wissen wollte, vermittelte er ihm dieses Wissen auf geheimnisvolle Weise.

Normalerweise zogen sich Heilige und Weise in eine Höhle zurück und warteten bis Schüler mit den nötigen Voraussetzungen zu ihm kamen – Schüler, die ein inneres Erwachen erfahren hatten, die wachsam und von ganzem Herzen interessiert waren und die viel Energie und Zeit aufwenden mussten, um zu ihnen zu kommen und um Unterweisung zu bitten. Swami Sivananda hatte diese Tradition insofern in großem Ausmaß angenommen, als er „sein Wissen unter einem großen Umhang verhüllte“, so dass die Menschen, die zu ihm kamen, ihn oft wegen seiner Zuneigung und Liebe, seinem großen Interesse an ihrem geistigen und körperlichen Wohlergehen, in Erinnerung behielten. Das waren seine vorrangigen Interessen – Weisheit, Atma-jnana, kam zur gegebenen Zeit. Aber wenn die Schüler in völliger Liebe und Zuneigung eins mit ihm wurden, dann konnte die non-verbale Kommunikation problemlos stattfinden. Das war sein Geheimnis. Aber er hatte erkannt, dass ein Mensch Weisheit, Leidenschaftslosigkeit, edle tugendhafte Eigenschaften und ein beständiges Verlangen nach Befreiung haben musste, sonst waren mündliche Belehrungen, ganz gleich wie viele, von keinerlei Nutzen und nonverbale Kommunikation war dann gar nicht möglich.

Schülerschaft

Wenn Menschen in früheren Jahren nach Rishikesh gingen, erlebten sie, wie Swami Sivananda Glückseligkeit, Frieden und Freude ausstrahlte, obwohl all dass, was wir für Frieden, Glück und Wohlstand als notwendig erachten, fehlten. Dort gab es absolut nichts. Er lebte unter diesen Voraussetzungen und war doch in der Lage Freude auszustrahlen. Was besaß er denn, dass er solch ein Leben führen konnte? Der Ausdruck in seinen Augen verriet, dass er die Wahrheit gefunden hatte. Wenn du in seine Augen geschaut hast, konntest du erkennen, dass er die Wahrheit gefunden hatte und dass du sie noch nicht gefunden hast. Das reichte, um dich demütig werden zu lassen und dich zu seinen Füßen niedersinken zu lassen.

SivanandaEs war Anfang 1947. Swami Sivananda saß in seinem Büro. Ein junger Mann aus Südafrika, der ungefähr drei Monate im Ashram gewesen war, reiste an diesem Tag ab. Er kam ins Büro, warf sich vor Swamiji nieder und begann zu weinen. Mit äußerster Liebe und Zuwendung sah Swamiji ihn an. Er sagte: „Swamiji, ich muss heute gehen, wo sollen wir in Afrika einen Guru wie dich herbekommen?“

Plötzlich veränderte sich der Ausdruck auf Swamijs Gesicht und mit einem schönen, bedeutsamen und schelmischen Lächeln sagte er: „Huh, Du kannst in Afrika keinen Guru finden?“ Inzwischen war der Kummer des Mannes vergangen und seine Tränen waren getrocknet. Er sah Swamiji lachen und lächeln. Dann heftete Swamiji seinen Blick auf ihn und sagte: „Es ist sehr leicht, einen Guru zu finden. Es ist sehr schwer, einen Schüler zu finden. Sei ein Schüler von Kopf bis Fuß! Dann wirst du auch einen Guru finden.“

Swami Sivananda sagte niemals: „Ich bin dein Guru.“ Gelegentlich pflegte er zu sagen: „Du bist mein Schüler.“ Oder: „Er ist mein Schüler.“ Seinen ersten Schülern schrieb er: „Ich habe dich als meinen geliebten Schüler angenommen. Ich werde Dir dienen und Dich führen.“ Wenn er sagte „Ich habe Dich als meinen geliebten Schüler angenommen“, fühlte der Schüler, dass er einen Anspruch auf Swamiji hatte und konnte ihm nun freimütiger schreiben. Das wollte Swami Sivananda erreichen. Der nächste Satz lautete: „Ich werde Dir dienen.“ Normalerweise dient der Schüler dem Guru! Mit dieser Formulierung machte er selbst die Vorstellung von sich als Guru zunichte. Er betrachtete sich niemals als Guru. Es war alles für die Schüler, nicht für ihn.

Dem Guru zu dienen ist äußerst wichtig. Indem man dem Guru dient, findet man seine Wellenlänge heraus und wie man sich zu ihr emporheben kann. Der Schüler macht etwas auf eine bestimmte Weise und mit einer bestimmten Geisteshaltung, der Guru macht es auf andere Weise. Es mag eine Eigenheit des Gurus sein, doch wenn der Schüler nicht lernt, Dinge auf die Art und Weise des Gurus zu tun, kann er die Wellenlänge des Gurus nicht erreichen. Daher hat das Dienen seine Berechtigung. Auch wenn Swamiji den Schülern das Gefühl gab, ihr Dienst sei ein bedeutender Beitrag für die Mission, schuf er eigentlich damit Gelegenheiten für die Schüler, sich auf ihn einzustimmen. Er tat es nicht, weil er ihre Dienste benötigte. Er arbeitete hart, um den Schülern Bereiche zu schaffen, in denen sie ihre Talente ausüben konnten und half ihnen somit, sich zu entwickeln, so dass Kommunikation stattfinden konnte. Einmal kamen zum Beispiel ein paar Musiker in den Ashram. Er organisierte ihretwegen Musikunterricht, kaufte die notwendigen Instrumente und stellte einen Raum zur Verfügung. Das war die Art, wie der Sender sich auf den Empfänger einstellte.

Swami Sivananda betonte immer wieder, dass der Schüler sich dem Guru ganz hingeben sollte, aber er erkannte, dass diese Hingabe nicht erzwungen werden konnte, weder durch den Guru noch durch den Schüler selbst. Es musste geschehen. Aber selbst das ließ er geschehen, indem er Gelegenheiten schaffte, in denen diese Hingabe geübt werden konnte. So äußerte er zum Beispiel einen Wunsch, was erledigt werden sollte, gleichzeitig schlug er eine ganze Reihe Alternativen vor. Der Schüler wählte natürlich aus und anhand seiner Wahl erkannte Swami genau, wo dieser stand - ob er überheblich war oder lediglich eitel, gleichgültig, nur zum Schein demütig oder scheinbar demütig mit dem Geist der Selbsthingabe. Gleichzeitig versetzte er den Schüler in die Lage, zu erkennen, wo er stand und gab ihm Gelegenheit, sich in dieser Situation selbst zu studieren. Auf diese Weise konnte der Schüler das Ego und dessen Spiel erkennen. Wenn er sich bewusst wurde, wie widerwärtig die Aktivität des Ego war, konnte Selbsthingabe in ihm aufkommen.

Höchste Dienstbeflissenheit

In den frühen Jahren seiner Mission wählte Swami Sivananda streng aus, wen er als Schüler in den Ashram aufnahm. Sie hatten ein sehr hartes Leben zu führen. Er sagte den Bewerbern klipp und klar, wie die Lebensbedingungen aussahen. Aber nachdem er den Ashram errichtet hatte und die Grundbedürfnisse für die spirituellen Sucher sicherstellen konnte, nahm er bereitwillig mehr und mehr Menschen in den Ashram auf, so dass alle die Möglichkeit hatten, spirituell zu wachsen.

Swami Sivananda arbeitete pausenlos, so dass den Aspiranten, die Zuflucht zu seinen Füßen suchten, die Schwierigkeiten erspart blieben, mit denen er selbst während seiner Anfangszeit in Rishikesh konfrontiert gewesen war. Er scheute keine Mühe, um sie davor zu bewahren, kostbare Energie zu verschwenden, um ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse – Essen, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung – zu befriedigen, so dass sie frei von Angst und Sorgen den Weg verfolgen konnten, den sie gewählt hatten.

Da er die Gefahr des Extremen in der spirituellen Praxis kannte, pflegte er zu sagen: „Es ist gut Luxus abzulehnen, aber nimm die einfachen Annehmlichkeiten an, um deine grundlegenden körperlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn Du viel arbeitest, lehne kräftigendes, nahrhaftes Essen nicht ab. Wenn Du geistig arbeitest, nimm ein wenig kühlendes Öl wie Brahmi Amla für den Kopf. Lehne auch Früchte nicht ab, wenn sie Dir angeboten werden.“ So bewegte Swami Sivananda die Schüler, die sich zu Studien- und Schreibarbeiten verpflichtet hatten, dazu, etwas Milch und Ghee zusätzlich zu sich zu nehmen und bot ihnen Mandeln, Nüsse usw. an. Wenn sie das ablehnten, sagte er: „Das ist nicht klug. Möchtest Du Diabetes und Neurasthenie herausfordern? Schau mich an, was meine Enthaltsamkeit angerichtet hat. Trockenes Brot und Dhal (Linsensuppe) sind nicht der ausschlaggebende Test der Entsagung.“

Nicht einer im Ashram hatte größere körperliche Behinderungen als Swami selbst und doch gab es niemanden, der härter arbeitete als er. Wenn es einmal jemandem nicht gut ging, selbst wenn es nur einfachstes Kopfweh war, sagte er: „Geh´ und ruhe Dich aus“, ließ den Arzt und ein halbes Dutzend Anderer kommen, um sich um ihn zu kümmern. Aber wenn er selbst krank war, fegte er des Doktors Rat, er solle seinem Körper ein wenig Ruhe gönnen, strikt beiseite. In diesem Punkt bestand ein beträchtlicher Unterschied zwischen seiner Lehre und seiner eigenen Praxis. Er opferte sich auf in selbstlosem Dienst, anderen predigte er jedoch: „Bitte nimm Rücksicht auf Deine Gesundheit.“ Seine Liebe zu ernsthaften Aspiranten war unvorstellbar.

1946 war der Ashram noch recht armselig; es gab nur wenig Räumlichkeiten und kaum irgendwelche Annehmlichkeiten oder Komfort. Es gab auch keinen Schutz vor den Affen, die gelegentlich in den Ashram einfielen. Ein kleiner Raum mit ein paar wackeligen Türen war das „Büro“. Daneben lag ein schmaler Raum mit niedriger Decke und einem tiefer gelegenen Eingang. Swami pflegte diesen den „Eingang der Demütigen“ zu nennen. Wenn man sich nicht duckte, büßte man seinen Kopf ein. An einem Mittag im Hochsommer war es so heiß, dass drei oder vier Büroarbeiter sowohl die Türen des Büros wie auch die Verbindungstür geschlossen hatten und sich im hinteren Raum aufhielten. Swamiji bat beim Mittag essen um einen zweiten Teller, auf den er einen Teil seines Essens legte. Nachdem er gegessen hatte, nahm er den zweiten Teller, bedeckte seinen kahlen Kopf mit einem dünnen Tuch, ging von Raum zu Raum und gab jedem seiner Schüler ein wenig von diesem Essen. (Das war recht ungewöhnlich, denn viele Swamis ließen damals weder ihre Schüler noch sonst jemanden sehen, was sie aßen.)

Mütterlich riet er ihnen: „Kommt nicht heraus. Es ist sehr heiß draußen“. An diesem Tag, ging er gegen Uhr in der glühend heißen Sonne mit dem Teller in der Hand zum Büro. Er sah, dass alle Türen geschlossen waren und vermutete, dass die Schüler schliefen. Er ging in die angrenzende Küche und fand hier einen Swami. Er gab ihm das Essen und sagte: „Die anderen drei Jungs ruhen sich im Büro aus. Bitte störe sie nicht. Aber wenn sie aufwachen, gib ihnen das.“

Sein ganzes Leben lang achtete Swamiji mehr auf andere als auf sich selbst. (Vielleicht war das der Grund, warum er so viele körperliche Krankheiten hatte.) Von seiner Sorge um seine Schüler, seiner mütterlichen Liebe, welche seine Haltung ihnen gegenüber charakterisierte, konnten selbst die liebevollsten Eltern von ihm lernen.

Einmal kam Swamiji gerade aus seinem Kutir, als einer der Ashramarbeiter auf seinem Fahrrad die Straße entlang fuhr. Sowie er Swami Sivananda sah, stieg er ab und ging zu Fuß weiter. Swami sagte zu ihm: „Solche Formalitäten sind nicht notwendig für mich. Liebe und Achtung haben ihren Sitz im Herzen. Du solltest immer Liebe und Achtung für Ältere im Herzen haben. Ich werde das wissen. Diese Äußerlichkeiten haben für mich keine große Bedeutung. Du hast in dieser heißen Sonne zu tun, erledigst Einkäufe in Rishikesh und beaufsichtigst die Bauarbeiten. Nimm dir alles, was Du brauchst. Du musst jetzt etwas Kühles trinken und in etwa einer halben Stunde solltest Du etwas Heißes trinken. Wenn Du auf dem Basar Lust auf ein paar Früchte hast, kaufe sie dir. Du hast vollkommene Freiheit, alles zu tun, um Deinen Körper bei bester Gesundheit zu erhalten.“

Swamiji war der Meinung, dass es ein Segen sei, am Ufer des heiligen Ganges, am Fuße des Himalaya zu leben und Japa (Mantrawiederholung), Meditation und selbstlosen Dienst zu praktizieren. Und das wollte er möglichst vielen zugänglich machen. Zahllose junge Menschen suchten in Notlagen Zuflucht bei ihm und Swamiji stellte nie eine Frage nach ihrem Vorleben. In dem Moment, wo er den Ausdruck der Verzweiflung in den Augen des Neuankömmlings wahrnahm, gab er diesem das Gefühl, dass Swamiji schon lange auf ihn gewartet hatte und dass er ihm durch sein Eintreten in den Ashram einen großen Dienst erwies.

Es ist kaum vorstellbar, was das für eine psychische Kraft gab. Der Mensch fühlte sich groß und hatte augenblicklich das Gefühl, die Vergangenheit sei ein schlechter Traum und er habe eine großartige Zukunft.

1945 suchte eine Frau Zuflucht im Ashram, die von ihrem Mann misshandelt worden war und ihre Familie verlassen hatte. Die Ashramverantwortlichen zögerten, ihr Asyl zu gewähren, obwohl sie von Swami Sivananda diszipliniert ausgebildet worden waren. Aber Swamiji blieb fest entschlossen, sie bleiben zu lassen. Allein der Gedanke, dass sie anderenfalls ihrem Leben ein Ende setzen könnte, war Grund genug für ihn, die ganze Welt zu ignorieren und diesem einen Menschen zu helfen. Es würde Bände füllen, die wunderbaren Methoden zu beschreiben, wie Swamiji sie lehrte, ihren Schmerz zu überwinden, ihren Geist zu beherrschen und schließlich als unabhängige spirituelle Lehrerin unter den Frauen Indiens zu wirken. Von einem Minus verwandelte Swamiji sie in ein Plus der Gesellschaft, in ein wahres Beispiel für Rehabilitation.

1955 begrüßte Swamiji einen Koch im Ashram. Der Koch war überhaupt nicht in der Absicht gekommen, dazubleiben. Er war überrascht, als Swamiji ihm gleich, als er ihn das erste Mal sah, sagte: „Bitte bleibe hier. Du kannst in der Nähe ein Hotel eröffnen. Ich werde alles tun, um Dir zu helfen.“ Anschließend bat er seinen Sekretär, dem Koch einen Raum und die notwendigen Geräte für den Start dieses Unterfangens zur Verfügung zu stellen. „Du kannst im Ashram essen und die Einnahmen aus Deinem Geschäft für Dich behalten“, sagte Swamiji. Später erklärte er seine Motivation: „Es ist ein Segen, hier am Ufer des Ganges in Rishikesh zu leben. Eines Tages wird er der Welt entsagen wollen. Bis dahin ist es gut, ihn selbst in seinem Ehrgeiz Geld zu verdienen, zu unterstützen. Erst soll er einmal hier bleiben, später können wir ihn zum Sadhana bewegen.“

Eine andere Frau hatte ihren Mann verloren, war ruhelos und kam nach Rishikesh, um in der Nähe des Ashrams zu sein. Sie sagte zu Swamiji: „Ich habe Schmuck im Wert von 4000 - 5000 Rupien und ein Haus. Ich möchte ganz hier bleiben. Wenn Du gestattest, verkaufe ich den Schmuck und das Haus.“ Swamiji erwiderte: „Behalte das Haus und auch den Schmuck. Du kannst nach Brindavan gehen.“ Er gab ihr einen Empfehlungsbrief an einen sehr guten Sadhu in Brindavan und schickte sie weg. Er wies auch sie noch an: „Reise durch die nahegelegenen Dörfer. Verbreite den Ruhm von Gottes Namen. Führe in jedem Haus Kirtan durch. Lehre die Kinder.“

Eine Weile befolgte sie Swami Sivanandas Anweisungen. Dann litt sie an einer geistigen Störung. Sie kam nach Rishikesh zurück und begann Swamiji mit Liebeserklärungen zu verfolgen. Durch das Fenster gab sie wohlriechende Essenzen auf Swamijis Bett. Wenn er die Tür aufmachte, kam sie herein und setzte sich neben ihn. Er machte dann mit seiner Arbeit weiter, ohne auch nur daran zu denken, dass sie da war. Nach einer Weile ging sie von selbst wieder. Swamiji hätte sie natürlich sehr gut auffordern können, zu gehen, aber nein, er wollte niemanden auch nur im Geringsten verletzen. Er war voller Liebe für alle.

Swami unterweist eine junge Schülergruppe

Als diese Belästigungen zunahmen, bat Swamiji uns, einen Stacheldrahtzaun um seinen Kutir zu ziehen. Als sie den Zaun wahrnahm, wurde sie oft wild bis zur Raserei. Dann warf sie Steine auf Swamijis Kutir. Selbst dann sagte Swami Sivananda nichts. Nach einiger Zeit verließ sie die Gegend. Ein paar Jahre später kam sie in der Kleidung einer Sannyasin nach Rishikesh
Sie war alt geworden. Swamiji ließ sich nie von Vorurteilen leiten. „Sie hat sich vielleicht geändert. Jeder entwickelt sich jede Sekunde weiter. Wir sollten niemanden nach seinem Verhalten in der Vergangenheit beurteilen“, sagte er. Das war sein Leitprinzip. Er gestattete ihr, in der Nähe des Ashrams zu bleiben. Eine Weile lang ging sie jeden Tag auf den Basar nach Rishikesh und erzählte vor jedem Geschäft allen möglichen Unsinn über Swamiji. Sie beschimpfte ihn sogar öffentlich. Abends kam sie dann in den Ashram. Swamiji schickte ihr Früchte und Mandeln. 

Die Saat säen

Viele Menschen, die sich inmitten von Disharmonie, Zwietracht und Furcht nach Frieden sehnten, fanden in „Sivananda Swami vom Ananda Kutir“, wie er in und um Rishikesh allgemein genannt wurde, eine Vaterfigur, die ihnen näherstand als ihre eigenen Verwandten; wer tief religiös und spirituell veranlagt war und Sadhana zum Hauptzweck seines Lebens gemacht hatte, fand in ihm eine unversiegbare Quelle spirituellen Lichtes und Weisheit.

Swami Sivananda hatte zu verschiedenen Menschen ein unterschiedliches Verhältnis. Einige fortgeschrittene Aspiranten kamen mit dem brennenden Feuer der Entsagung, Leidenschaftslosigkeit und Unterscheidungskraft zu ihm.

Er bildete sie auf ganz andere Weise aus. Er war selten mit ihnen zusammen. Ihre Beziehung zu Swamiji war insgesamt auf einer ganz anderen Ebene − der Spirituellen. Das waren sehr wenige.

Die meisten anderen mit denen Swamiji arbeitete und mit denen er viel zusammen war, waren „halbgebackene“ Aspiranten. (Manche von ihnen hatten nicht den leisesten Schimmer von spirituellem Streben, sondern hatten hier eine Zuflucht gefunden, die sie vor dem Selbstmord bewahrte, nachdem sie im Leben völligen Schiffbruch erlitten hatten. Swami Sivananda musste erst die Samen von Vairagya (Leidenschaftslosigkeit) säen. „Wegschicken kann ich ihn nicht. Geben wir ihm wenigstens die Chance, ein besserer und glücklicherer Mensch zu werden. Wenn er scheitert, macht das auch nichts. Auf jeden Fall müssen wir es versuchen“, pflegte er zu sagen, wenn ein verwirrter junger Mann in den Ashram aufgenommen wurde. Folglich wurde dem Aspiranten auch keine Qualifikation abverlangt. Es war damals ein gängiger Witz, wenn ein junger Mann seine Examen nicht bestanden hatte oder geschäftlich in Konkurs gegangen war, zu sagen: „Sucht ihn im Sivananda Ashram!“ Swamiji nahm gescheiterte Existenzen großzügig auf und versuchte sie zur Spiritualität zu erwecken.

Nicht alle, die Swami Sivanandas Schutz suchten, waren gute Menschen, aber Swamiji sah nur das Gute in ihnen, dem Schlechten gegenüber war er blind. Er verurteilte nie jemanden oder war hart zu jemandem, der sich schlecht benahm. Er pflegte zu sagen: „Mag er eventuell bösartig sein; das macht nichts. Dadurch, dass er meinetwegen hierher gekommen ist und ich ihm Schutz gewährte, habe ich dafür gesorgt, dass es einen Schurken weniger in Delhi gibt.“ Das war seine Philosophie. „Allein die Tatsache, dass Soundso hierher gekommen ist, zeigt, dass ein wenig Offenheit da ist, wie geringfügig sie auch sein mag. Lasst ihn hier bleiben und ich werde einen Samen säen. Egal ob in diesem Leben oder im nächsten, jetzt oder in vielen Jahren wird dieser Samen keimen.“

Swami Sivananda sagte, es sei vielleicht zu viel verlangt von einem Menschen, der in der heutigen Welt lebt und von allen Seiten Zerstreuungen und Ablenkungen ausgesetzt ist, dass er Unterscheidungskraft, Leidenschaftslosigkeit und Selbstaufgabe entwickelt. Selbst in jemandem, der vor den Fehlschlägen flieht, ist es möglich, einen Funken zu finden und ihn zu einer leuchtenden Flamme zu machen. In dieser Hinsicht war Swami Sivananda einzigartig. Er pflanzte die Saat des Göttlichen, nährte, wässerte und zog sie auf. Auch wenn das gewaltige Schwierig keiten für ihn mit sich brachte, es machte ihm nicht das Geringste aus. Es ist nicht einfach, sich heutzutage die Gefühle der Suchenden, die in den frühen 40er Jahren in den Ashram kamen, vorzustellen. Einige mochten Swamis flammende Worte gelesen haben, welche so inspirierend waren, dass man, wenn man sie las, sofort den Wunsch hatte, seine Kleider vom Leib zu reißen, in den Himalaya zu eilen, um intensiv zu praktizieren und sofort Selbstverwirklichung zu erreichen. Das war die bezaubernde Wirkung seines Stils. Viele Schüler, die so von seinen Büchern inspiriert waren, kamen in den Ashram. Meist kamen sie ohne auch nur ein zusätzliches Kleidungsstück mitzubringen. Sie hatten in Swami Sivanandas Buch „Wie man Vairagya erlangt“ gelesen: „Entsage allem!“ − und so entsagten sie allem. „Suche die Einsamkeit“ − und so kamen sie, um diese Einsamkeit im Ashram zu finden. Manche entdeckten kurz nach ihrem Eintritt, dass ältere Schüler vielleicht ein hübsches Gewand hatten. Dann kam in ihnen das Gefühl auf: „Oh, sie sind vom rechten Weg abgekommen. Schau dagegen, wie unverhaftet ich bin. Mein Streben ist weitaus größer als ihres, die doch schon so lange bei Swami Sivananda sind. Sie wissen nicht, was Tapasya (Askese), Vairagya (Leidenschaftslosigkeit; Nicht-Anhaften) und glühendes spirituelles Streben bedeuten. Jeden Morgen um 4 Uhr setze ich mich hin und meditiere. Sieh dagegen all die älteren Ashrambewohner!“ Swami beobachtete und verstand sie.

Was immer ein Aspirant auch tat, zuerst wurde er ermutigt. Dann folgte ein sanfter Hinweis. „Begeisterung ist sehr gut. Du hast einen wunderbaren Eifer. Du bist großartig, du bist ein wahrer Sukadeva. Aber Enthusiasmus allein ist nicht gut.“ ’Erst eine Menge Butter und dann eine kleine bittere Pille’ war seine Methode. Niemand sollte entmutigt werden oder das Gefühl haben, dass das, was er machte, vollkommen falsch sei. Seine Einstellung war: „Ja, mach´ das, es ist wunderbar. Aber stelle sicher, dass es nicht nur jugendlicher Enthusiasmus ist, der letztlich zu einer Gegenreaktion führt.“

Da die Schüler nicht nur ungeschliffen, sondern noch nicht einmal erwacht waren, musste selbst der Impuls, der zum Erwachen führt, vom Meister kommen. Manchmal kamen ältere Schüler mit zahlreichen Beschwerden zu ihm. Swamiji musste es auch ihnen recht machen. Er tat dann so, als sei er wirklich ärgerlich. Dann waren sie zufrieden und dachten, Swami Sivananda würde dem jungen Aspiranten den Kopf zurechtsetzen. Aber das Gegenteil geschah: Derjenige, über den sie sich beschwert hatten, bekam als erstes ein paar Bananen. Ein kleiner Junge diente Swamiji damals. Er kam dann vorbei und sagte: „Swamiji schickt Früchte.“ Eine halbe Stunde später kam vielleicht jemand anderes angelaufen: „Swamiji schickt Dir Kaffee.“ Eine Stunde später bekam er Swami Sivananda selbst zu sehen. Er sagte: „Du strahlst, Du leuchtest. Meditierst du viel und machst Japa? Gut. Du studierst Vedanta? Sehr gut.“ Was geschah mit den Beschwerden? Er wartete ab, ob diese Aufmunterung etwas bewirkte. Statt zu sagen: „Du bist ein schlechter Mensch“, konzentrierte er sich auf die guten Eigenschaften in Dir,
sagte Dir, wie wunderbar Du arbeitest, selbst wenn Du keinerlei spirituelles Streben oder Hingabe hattest. „Du bist wirklich unglaublich tüchtig. Niemand arbeitet so hart wie Du.“ Dann fügte er sanft hinzu: „Wann immer Du arbeitest, sieh Gott in allem. Warum gehst du nicht in die Küche und hilfst beim Ausgeben des Essens? Du bist ein großartiger Mensch. Du hast einen schönen Körper und eine wohlklingende Stimme. Wenn Du Rotis austeilst, sage dabei: ‘Roti Bhagavan, Roti Narayan, Roti Maharaji!’ So pflanzte er die spirituelle Saat.

Swamiji sorgte für die Suchenden, wie es selbst die liebevollsten Eltern nicht immer taten. Sobald er bei jemandem auch nur eine Spur eines verborgenen Talentes entdeckte, widmete er sich intensiv der Förderung und Entfaltung dieses Talentes. Tag und Nacht dachte er über Mittel und Wege nach, um dem Sadhaka zu ermöglichen, sich zum Nutzen der Menschheit voll zu entfalten. So entstanden verschiedene Tätigkeitsfelder im Ashram. 1948 kam ein junger Mann in den Ashram, der von sich behauptete, er wisse über die Technik der Papierherstellung Bescheid. Am nächsten Morgen bat Swamiji, Gräben auszuheben und Rohmaterial zu bestellen, um dem jungen Mann zu ermöglichen, seine Vorstellungen umzusetzen. Dieser hatte keinerlei Zeugnisse − wonach Swamiji auch niemals fragte. Swami Sivananda zeigte sich an solchen Projekten so interessiert, dass man glauben konnte, er hätte nur auf diesen Menschen gewartet, damit er ihm bei diesem Werk hilft. Seine Begeisterung war so tief, dass er in kürzester Zeit Vorschläge machte, wie man die Sache geschickter angehen könnte – auf einem Gebiet, wo der Aspirant der Fachmann war! So war es auch mit einem Fotostudio im Ashram.

Selbstreinigung

Manchmal betonte Swami Sivananda, dass Atma-Jnana (Selbstverwirklichung) ganz leicht ist. Es ist tatsächlich sehr einfach, aber die Voraussetzung dafür, die Reinigung, ist äußerst schwierig. Seine Trainingsmethoden zur Selbstreinigung waren sehr einfach und hatten eine tiefgründige Wirkung. Das Training musste beständig sein (also ständig wiederholt werden). Swamiji musste es wieder und wieder tun. Er hatte solch große Geduld, dass er niemanden jemals als hoffungslosen Fall betrachtete. Wenn ein Schüler es auf die eine Weise nicht verstand, versuchte Swamiji es auf eine andere und noch eine andere Weise. Er versuchte es von allen Seiten und hoffte, der Schüler würde eines Tages erkennen, was er ihm beizubringen versuchte.

Wenn jemand eine Schwäche hatte, verschloss Swamiji seine Augen davor und sagte: „Er hat eine Schwachstelle, aber er hat auch eine Reihe großartiger Eigenschaften.“ Er hatte sich die Technik zu eigen gemacht, niemals die Mängel aufzuzeigen, außer wenn es sein musste – zum Beispiel, wenn es eine Auseinandersetzung zwischen zwei Schülern gab, er davon Kenntnis erhielt und beide zu ihm kommen mussten. Wenn er dann auf Fehler hinwies, machte er es sehr liebenswürdig. Zuerst lobte er den Aspiranten: „ Du hast diese und diese gute Eigenschaft. Schon der Welt zu entsagen, hierher zu kommen und im Ganges zu baden ist ein glücklicher Umstand. Du musst in Hunderten früherer Inkarnationen spirituelle Praxis geübt haben, um so spirituell entwickelt zu sein. Du musst die Gnade von Tausenden von Heiligen verdient haben, so dass du jetzt hierher in einen Ashram geführt wurdest, um ein spirituelles Leben führen zu können.“ Dann fügte er hinzu: „Warum willst Du streiten? Das ist nur ein kleiner Makel. Verliere nicht die Beherrschung. Wenn Du Deine Beherrschung verlierst, verdirbst du all deine bisherigen Anstrengungen. Hattest Du schon gefrühstückt? Was hast Du gehabt? Kaffee, Tee? Willst Du noch etwas?“ Es gab zuerst Bananen, dann gab er ihm einen kleinen Stich, gefolgt von Butter und Honig. Wenn die Bananen verdaut, Butter und Honig aufgegessen waren, dämmerte plötzlich die Erkenntnis: „Das ist es, was Swami gemeint hat!“

Swami Sivananda ließ seine Schüler nie in einem angespannten Zustand. Er übte einen gewissen Druck aus, um das nötige Training zu vermitteln, aber wenn er merkte, dass der Schüler zusammenbrach, wurden alle Vorschriften gelockert. Grundsätzlich kritisierte er niemanden. Kritik hätte das Ganze unwirksam gemacht.

Wohlergehen der Schüler

Tag und Nacht hatte Swami Sivananda das Wohlergehen, Wachstum und den Fortschritt − sowohl weltlicher als auch spiritueller Natur − seiner Schüler im Sinn. Oft rief er sie leidenschaftlich auf und appellierte an sie, um mit glühenden Worten alle Spuren persönlichen Interesses auszurotten und völlig in dem edlen Ziel, der Welt zu dienen, aufzugehen.

Er verherrlichte selbstloses Dienen und Gottesverehrung als größtes und wichtigstes Yoga. Wie alle Aspiranten waren sie zeitweise entmutigt wegen der Endlosigkeit und dem gewaltigen Ausmaß menschlicher Probleme und Leiden. Swamiji tröstete sie mit seiner mitfühlenden Versicherung, dass ein Leben, das allumfassendem Dienst gewidmet ist, nie umsonst sei. Er rüttelte sie auf mit den Worten: „Macht euch keine Gedanken, ob die Verwirklichung kommt oder nicht. Setzt alle Bemühungen daran, euch ethisch weiter zu entwickeln, euch dadurch für den Dienst an der Menschheit perfekt zu machen. Seht Gott in den Menschen. Betrachtet den Menschen als Gott. Wenn Eure Vorstellung von Gott die Idee einschließt, dass er alldurchdringend ist, warum könnt Ihr ihn dann nicht in all seinen Geschöpfen sehen? Warum zögert Ihr, Euren Glauben in die Tat umzusetzen? Ihr müsst die Vorstellung aufgeben, dass Gott nur hinter verschlossen Türen und geschlossenen Augen zu finden ist. Zu Beginn fühlt Seine Gegenwart in jedem und allem, wenn Ihr dient. Dann schaut, ob Er von sich aus in Euren Herzen strahlt. Wenn das Herz noch nicht von allen Unreinheiten frei ist und die niedere Natur noch nicht frei von Schlacken ist, wie können dann spirituelle Erfahrungen zu Euch kommen? Ist es möglich, die Wahrheit eines Wesens zu verwirklichen, welches die Essenz der Vollkommenheit selbst ist, bevor Ihr Eure Natur vollkommen gemacht habt? Zuerst rottet Egoismus, Zorn, Hass, Gier und Doppelzüngigkeit durch aufrichtigen selbstlosen Dienst aus. Schon wenn es Euch gelingt, zehn Menschen ein bisschen zu helfen, einen einzigen negativen Charakterzug auszurotten und eine edle Tugend zu entwickeln, seid sicher, dass Euer Leben nicht vergeblich gelebt wurde. Selbst das schaffen kaum zehn von einer Million Menschen. Was macht es also, wenn Ihr Samadhi und Selbstverwirklichung nicht erreicht? Seid heiter! Bringt Herz und Verstand hier bei dieser Arbeit mit ein. Ich garantiere Euch, dass Ihr gesegnet und glücklich sein werdet. Seid nie unzufrieden mit eurem Schicksal oder niedergeschlagen wegen eures Fortschritts. Handelt nach meinen Worten. Denke ich nicht an euer spirituelles Wohlergehen? Wenn Ihr nur wüsstet, dann würdet Ihr sehen, dass mein Herz Tag und Nacht immer für Euer Wohlergehen schlägt.“

Abgesehen vom „inneren Familienkreis“ der Aspiranten, Schüler und Mithelfer im Ashram gab es viele Suchende in anderen Ländern mit einer großen Liebe und Ehrfurcht für Swami Sivananda, denen er ebenfalls spiritueller Führer und Lehrer war. Er beantwortete ihre Briefe umgehend, antwortete auf all ihre Fragen und führte sie auf dem Weg.

Einer von ihnen, Swami Sahajanandaji aus Südafrika, schrieb:
„Wahrscheinlich hat jeder Anhänger von Swamiji die Erfahrung gemacht, dass man seine grenzenlose Gnade und sein Mitgefühl nur still im Herzen empfinden und nicht wirklich in Worten ausdrücken kann. Ich habe einmal etwas gelesen, wo seine tätige Nächstenliebe als „leichtsinnig“ bezeichnet wurde, aber ich denke, dass seine Liebe und Gnade sich sogar in noch größerem Überfluss manifestierte, als seine Wohltätigkeit. Es ist nichts Besonderes, wenn ein erstklassiger Aspirant die Gunst eines Weisen gewinnt, aber wenn jemand, der mühsam auf dem Weg der Gottesverwirklichung kämpft, die liebevolle Zuwendung eines großen Heiligen bekommt, erfüllt ihn dies ganz sicher mit tiefster Ehrfurcht und unbeschreiblicher Dankbarkeit. Unglücklicherweise bin ich einer von jenen, die nicht „rein“ oder mit einer großzügigen Menge spiritueller Samskaras (Eindrücke aus früheren Leben) geboren wurden. Aber durch Swamijis Gnade erlange ich langsam aber sicher den Sieg. Es ist diese Liebe und Sorgfalt, die Swamiji einem fünftklassigen Aspiranten wie mir erweist, die ihn als eine Inkarnation Gottes ausweisen. Obwohl wir tausende Meilen von seiner körperlichen Gegenwart entfernt sind, kümmert Swamiji sich um uns auf dieselbe Weise, wenn nicht sogar noch besser, wie um jene, die in seiner Nähe im Ashram leben. Hier ein paar Beispiele:

Vor einer Weile schrieb ich ihm einen dringenden Brief wegen einiger körperlicher Beschwerden. Das war gerade, als er von seiner Vortragsreise durch ganz Indien zurückgekehrt war. Obgleich er sicher Hunderte von Briefen zu beantworten hatte, schrieb er mir noch am selben Tag.

Vor kurzem fragte ich ihn wegen einer Änderung in meinen Sadhanagewohnheiten. Sofort kam eine zweiseitige Antwort direkt in seiner eigenen Handschrift. Noch bemerkenswerter – und das brachte die tiefsten Saiten meines Herzens zum Schwingen – war: Swamiji hatte den Umschlag selbst adressiert und ihn offensichtlich eigenhändig zur Post gebracht. Stell´ dir vor – so jemand Bedeutungsloses wie ich wird mit so viel Liebe von ihm überschüttet! Und welch ermutigende und beruhigende Worte seine Briefe enthalten. Jedes Wort ist durchdrungen von der Wärme seiner unergründlichen Liebe. Es ist diese Liebe seines Herzens, die uns fühlen lässt, wie unwürdig wir sind, seinen kostbaren Segen zu empfangen.

Swamijis Buchgeschenke erreichen uns dutzendweise. Wenn ich ihn um ein Buch bitte, schickt er sechs. Selbst als ich darum bat, er möge nur dann Bücher schicken, wenn ich sie auch bezahlen darf, kamen sie weiterhin mit unerschrockener Beharrlichkeit. Nicht nur Geschenke in Form von Büchern erreichten dieses Land, sondern auch leckeres Prasad in Form von Süßigkeiten, frisch verpackt in Dosen. An dieser Stelle soll eine interessante Erfahrung nicht unerwähnt bleiben, die einer meiner Freunde, Sri G. V. Naidoo, machte, als er den Ashram besuchte. Sobald er Swamiji traf, wurde er buchstäblich in Liebe gebadet. Swamiji betreute ihn persönlich und mein Freund ging mit einem Stapel Bücher nach Hause. Er erzählte, wie er ein Foto aus der Zeit von Swamijis strengen Askesepraktiken an der Wand bewundert hatte. Swamiji nahm es sofort von der Wand und gab es ihm. Was für eine unglaubliche Großmütigkeit strahlt er aus!

Auch Swamijis heilende Kräfte manifestierten sich hier in Südafrika, diesem weit entfernten Land. Zwei Fälle habe ich selbst erlebt. Einer meiner Freunde, ein TB-Patient, klagte über schwere Schlaflosigkeit. Ich schrieb Swami Sivananda davon. Seine unverzügliche Antwort enthielt konkrete Anweisungen dazu. Obgleich der Patient die Anweisungen nicht befolgte, konnte er plötzlich gut schlafen. Nach ein paar Wochen jedoch wurde er abermals von Schlaflosigkeit geplagt. Schade, dass er sich nicht an die Empfehlungen gehalten hat. Das andere Beispiel war ein anderer Freund, der unter schmerzhaften Muttermalen an den Händen litt. Er befand sich in ärztlicher Behandlung, allerdings mit wenig Erfolg. Wiederum schrieb ich an Swamiji. Das einfache Heilmittel, das er empfohlen hatte, führte zum völligen Verschwinden der schmerzhaften Male. Das ist nun schon Monate her und sie sind nicht wieder aufgetreten.

Wie schafft Swamiji es, die Alltagsprobleme seiner Aspiranten zu lösen, die nicht das Glück haben, seine mündlichen Anweisungen zu erhalten?

Das geschieht auf eine erstaunliche Weise. Manchmal, wenn ich ein schwieriges Problem habe, nehme ich aufs Geradewohl eines seiner Bücher in die Hand, schlage es zufällig irgendwo auf und die richtige Antwort auf mein Problem springt mir entgegen. Manchmal empfängt man seine Ratschläge auch in der Meditation. Oder es kann auch sein, dass Menschen oder ein Ereignis die richtige Antwort geben. Man muss einfach nur achtsam sein, um die Führung auch wahrnehmen zu können. Meistens sind es aber Swamijis Bücher, die uns helfen. Das haben auch andere seiner Anhänger hier erfahren und es geschieht so oft, dass wir deshalb keinen Zweifel daran haben, dass Swamiji all unsere Schwierigkeiten kennt und seine Führung immer bei uns ist, ungeachtet der vielen Meilen, die ihn von uns trennen. Swami Sivananda kennt auch den Geist und das Herz von uns allen ganz genau. Man kann ihm gegenüber nichts vortäuschen. Einmal schrieb ich ihm einen Brief mit der Bitte um Antwort auf einige spirituelle Fragen. Swamiji erkannte, dass ich mit den Antworten jemanden herabwürdigen wollte und er gab keine direkte Antwort. Von da an wagte ich niemals mehr, etwas vor ihm zu verheimlichen. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass alles, was er sagte, früher oder später eintrat. Seine Worte sind unfehlbar.

Das Geheimnis, Swamijis Gnade zu gewinnen, bestand darin, ihm von ganzem Herzen zu dienen. Ein kleiner Dienst an Kranken oder ein paar Flugblätter zu verteilen, genügte, um einen Platz in der Wärme seines Herzens zu gewinnen. Jeder seiner Tausenden von Schülern weiß das. Dienst für Swamiji, den ich „Sivayoga“ nenne, ist das größte Yoga des Jahrhunderts. Lasst jene, die den vielen Wegen zu Gott folgen, dies tun; meine größte Freude besteht darin, Swamiji zu dienen, egal ob das nun zur Gottverwirklichung führt oder nicht.“