Goraksha Shataka - Version 2

 

Vers 52: Pranayama: Vereinigung von Prana und Apana

 

Ein Mensch, der einen stabilen Lotussitz eingenommen hat, beide Hände (auf dem Schoß) ineinander legt, das Kinn fest auf die Brust presst (und somit Jalandhara Bandha setzt), und über das (im Inneren) wahrgenommene meditiert, dabei immer wieder Apana, den nach unten fließenden Lebenshauch, aufwärts lenkt (indem er Mula Bandha setzt), und den eingeatmeten Lebenshauch (nachdem er ihn angehalten hat) wieder ausatmet, erlangt durch das Erwachen der göttlichen Energie (Shakti) eine unvergleichliche Einsicht (in die Wirklichkeit).


    कृत्वा सम्पुटितौ करौ दृढतरं बद्ध्वा तु पद्मासनं
    गाढं वक्षसि सन्निधाय चिबुकं ध्यात्वा च तत्प्रेक्षितम् |
    वारं वारमपानमूर्ध्वमनिलं प्रोच्चारयेत्पूरितं
    मुञ्चन्प्राणमुपैति बोधमतुलं शक्तिप्रबोधान्नरः || ५२ ||


    kṛtvā sampuṭitau karau dṛḍhataraṃ baddhvā tu padmāsanaṃ
    gāḍhaṃ vakṣasi sannidhāya cibukaṃ dhyātvā ca tat prekṣitam |
    vāraṃ vāram apānam ūrdhvam anilaṃ proccārayet pūritaṃ
    muñcan prāṇam upaiti bodham atulaṃ śakti-prabodhān naraḥ || 52 ||

    kritva samputitau karau dridhataram baddhva tu padmasanam
    gadham vakshasi sannidhaya chibukam dhyatva cha tat prekshitam |
    varam varam apanam urdhvam anilam prochcharayet puritam
    munchan pranam upaiti bodham atulam shakti-prabodhan narah || 52 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    kṛtvā : legend ("machend", kṛ)
    sampuṭitau : (in Form einer halbkugelförmigen Schale) ineinander ("zusammengefügt", Samputita)
    karau : beide Hände (Kara)
    dṛḍhataram : sehr fest, stabil (Dridha)
    baddhvā : eingenommen habend ("gebunden, aufgebaut habend", badh)
    tu : aber, jedoch, wiederum (Tu)
    padmāsanam : den Lotussitz (Padmasana)
    gāḍham : fest, kräftig (drückend, Gadha)
    vakṣasi : auf die Brust (Vakshas)
    sannidhāya : legend (sam + ni + dhā)
    cibukam : das Kinn (Chibuka)
    dhyātvā : nachsinnend, meditierend ("meditiert habend", dhyai)
    ca : und (Cha)
    tat : über jenes (Tad)
    prekṣitam : Erschaute (Prekshita)
    vāraṃ vāram : immer wieder, wiederholt (Vara)
    apānam : Apana, den nach unten fließenden
    ūrdhvam : aufwärts (Urdhva)
    anilam : Atem, Lebenshauch ("Wind", Anila)
    proccārayet : er lenke ("lasse ertönen", pra + ud + car)
    pūritam : (nach der Atemverhaltung) den eingeatmenten ("gefüllten", Purita)
    muñcan : ausatmend ("frei gebend", muc)
    prāṇam : den nach oben fließenden Lebensatem (Prana)
    upaiti : erlangt, erreicht (upa + i)
    bodham : Erkenntnis, Einsicht, Wachheit (Bodha)
    atulam : unvergleichliche (Atula)
    śakti-prabodhāt : durch das Erwachen (Prabodha) der Energie (Shakti, d.h. der Kundalini)
    naraḥ : ein Mensch (Nara)

Anmerkung: Dieser Vers wird mit einigen abweichenden Lesarten in der Yogachudamani Upanishad (Vers 40) sowie in der Hatha Yoga Pradipika (1.50) überliefert.

Die Ausführung von Padmasana bzw. Kamalasana wurde bereits in Vers 12 beschrieben. Hier geht es um die Vereinigung von Prana und Apana durch das Setzen von Jalandhara Bandha und Mula Bandha, also um die Praxis von Pranayama. Brahmananda, der Kommentator der HYP, erläutert in diesem Zusammenhang, dass durch die Vereinigung (Aikya "Einheit") von Prana und Apana die Kundalini erwacht, und aufgrund dessen die Lebensenergie (Prana) durch den Kanal der Sushumna zum Brahmarandhra aufsteigt. Wenn sie da anlangt, erfolgt die Bewegungslosigkeit (Sthairya) des Geistes (Chitta), und infolge dessen wird durch den sich ergebenden Samyama das Selbst (Atman) unmittelbar erfahren (Sakshatkara).