26. Ein Test für Ethik und Moral

Gestern diskutierte Swamiji über Ethik und Moral. Er beschrieb sie als die Grundlage des spirituellen Lebens. Swamiji sprach nicht deshalb darüber, weil er meint, dass wir als Suchende normalerweise unethisch oder unmoralisch sind. Wir haben unsere Ethik und Moral, aber vielleicht sind es eine unanalysierte Ethik und eine ungeprüfte Moral. Denn, wenn wir sie untersuchen würden, kämen wir schnell zu der Feststellung, dass wir die meisten dieser Grundsätze als Erwachsene nicht als Bewährungsproben bestehen mussten.

Zum Beispiel waren wir wahrscheinlich nicht in einem Büro angestellt, wo uns aufgetragen wurde, etwas Unehrliches zu tun und wir hatten die Wahl zwischen Jobverlust und einer Handlung gegen unsere ethischen Grundsätze. Wenn wir also zu unserer Ethik gestanden hätten und den Verlust unseres Jobs riskiert hätten, wäre unsere Ehrlichkeit getestet worden und das geht sehr tief.

Wenn das in verschiedenen Bereichen unseres Erwachsenenlebens passiert ist, wird dadurch das Fundament unserer Ethik und Moral tatsächlich tief gelegt. Allerdings haben wir die meisten Grundregeln und Normen natürlich als Kinder gelernt und nehmen an, dass sie in Ordnung sind. Aber wenn wir darüber mit anderen Leuten sprechen, wird sich heraus - stellen, dass wir in den Einzelheiten der Ethik und Moral mit kaum jeman dem übereinstimmen.

Wie kann man ein spirituelles Leben auf einem Fundament gründen, das keine Grundlage hat, außer dem, was man gerade persönlich glaubt - auf einem Fundament, das nicht geprüft worden ist? Gibt es denn etwas, was wir als gemeinsame ethische und moralische Basis anerkennen können? Gurudev machte uns etwas sehr deutlich. Er sagte: „Vernichte dieses kleine Ich. Führe ein göttliches Leben.“ Wenn wir diese Empfehlung prüfen, werden wir tatsächlich erkennen, dass das ganze spirituelle Leben darauf gründet, die Selbstzentriertheit und Selbstbezogenheit aufzugeben, uns mit unserem Ich  nicht länger im Weg zu stehen, so dass sich das Göttliche, das immer da ist, manifestieren kann.

Geraten wir also in einen ethischen und moralischen Konflikt, können wir uns diese einfachen Fragen stellen: „Fördert das mein Ego? Bewirkt es, dass ich mich als Individuum wichtiger fühlen kann oder wird es eher mein kleines Ich wegräumen? Kann sich dadurch Gott besser durch mich manifestieren? Denke ich bei diesem speziellen Problem an mich oder denke ich an den Nutzen für andere?“ So finden wir einen Zugang zu Ethik und Moral, der uns eine gemeinsame Basis für das spirituelle Leben gibt. Und wenn wir das üben, wenn wir fortfahren, unsere Individualität und das, was wir wollen, abzulehnen und dem Göttlichen erlauben, sich durch uns zu manifestieren, dann ist es nicht mehr nur ein Mittel, sondern wird schließlich selbst zum Ziel - nämlich ein göttliches Leben zu führen.

27. Einen universellen Standpunkt einnehmen

In der Essenz kann man unser Leben als menschliche Wesen auf 2 grundlegende Faktoren reduzieren: Erstens sind wir amsas, Teile von paramatma, dem höchsten Selbst, wir sind Söhne und Töchter des Höchsten. Das bedeutet, dass wir grundsätzlich universelle Wesen sind. Wir sind jenseits von Zeit und Raum. Wir sind nicht in der Welt, die Welt ist in uns. Das ist eine grundlegende Wahrheit über uns.

Der zweite Faktor ist, dass wir, die universellen Wesen, uns mit einem individuellen Körper und Geist identifiziert haben. Weil wir uns mit Körper und Geist identifizieren, fühlen wir uns unvollständig, rastlos und so, als ob etwas grundlegend nicht in Ordnung wäre. Wir versuchen dann, dieses Verlustgefühl zu kompensieren, indem wir uns im Versuch, uns zu vervollständigen, mit äußeren Objekten verbinden. Es kann mit einem anderen Menschen sein, es kann mit Reichtum sein, es kann mit einer Einrichtung sein, es kann mit jedem beliebigen Objekt dieser Welt sein.

Aber alle Objekte sind vergänglich. Sie befinden sich in Zeit und Raum und sie verändern sich. So kann dieser Versuch, uns durch Objekte zu vervollständigen, bei genauer Untersuchung niemals erfolgreich sein. Letztlich erkennen wir, dass die einzige Möglichkeit, ein Gefühl der Vollständigkeit, der Ganzheit zu bekommen, darin besteht, uns zu erinnern, wer wir wirklich sind, d.h. uns mit Gott wieder zu vereinigen.

Das ist der Zweck all unserer spirituellen Übungen. Wenn der Zweck unserer spirituellen Praxis ist, uns zu erinnern, dass wir universelle Wesen sind und keine individuellen Wesen – wäre es sehr sinnvoll, so beständig wie möglich einen universellen Blickpunkt einzunehmen. Lasst uns dies vom moralischen Standpunkt aus betrachten. Angenommen, wir wären versucht, eine Unwahrheit zu sagen statt die Wahrheit. Fragen wir uns selbst: „Wenn jeder Lügen erzählen würde, was wäre das für eine Welt? Und was wäre es für eine Welt, wenn jeder Mensch die Wahrheit spräche, so dass, egal was jemand sagt, man ihm trauen könnte?“

Und angenommen, jemand hätte uns wirklich Unrecht getan, könnten wir uns fragen: „Wie wäre die Welt, wenn ein jeder in Begriffen von Vergebung denken würde anstatt von Vergeltung, wenn wir Gutes zurückgeben, wo wir Böses empfangen?“ Diese Einstellung können wir auf alle Aspekte des Lebens anwenden. Wenn wir in Versuchung geraten, uns so zu verhalten, dass es nicht mit den Gesetzen der Reinheit zusammengeht, können wir es vom universellen Standpunkt aus betrachten.

Wir können uns fragen: „Was wäre es für eine Welt, wenn jeder der Versuchung zur Unreinheit widerstünde und ein vorbildliches Leben führen würde?“ Ein Weg also sich zu erinnern, wer wir sind, eine Möglichkeit sich in Richtung unserer universellen Natur zu bewegen, ist, uns ständig zu fragen: „Wie wäre die Welt, wenn jeder sich so verhielte, wie ich es zu tun gedenke? Ich werde alle meine Gedanken und Taten verallgemeinern, was auch immer ich zu tun gedenke. Ich stelle mir vor, wie die Welt wäre, wenn jeder vom universellen Standpunkt aus handeln würde.“

28. Die Sinne beherrschen

Eine der Grundlagen des spirituellen Lebens, gleichgültig welcher Tradition, ist die Beherrschung der Sinne. Gurudev verweilte immer wieder bei diesem Thema. Er sorgte sich weniger um die Kontrolle der Sinne des Geruchs oder der Berührung, aber er sagte einiges über Sehen, Hören, Schmecken und Sprechen sowie auch Brahmacharya. Zum Beispiel: „Vermeide es, Zeitungen zu lesen und höre auf, ins Kino zu gehen“ und ich bin sicher, er hätte auch gesagt: „Schau kein Fernsehen.“ Er sagte auch: „Hör nicht auf Tratsch und Geschwätz. Gib dich nicht dem Verleumden hin.“ Er sprach regelmäßig über die Praxis von Brahmacharya (sexuelle Enthaltsamkeit; Vermeidung von sexuellem Fehlverhalten).

Denn Brahmacharya in intelligenter Weise zu praktizieren, bedeutet, alle Sinne zu beherrschen. Aber obwohl Gurudev uns sehr genaue Anweisungen gab, sagte er oft: „Entsprechend deiner Möglichkeit, entsprechend deinem Alter.“ Obwohl er uns bestimmte Anweisungen und Regeln gab, gab er die Verantwortung, diese zu interpretieren, an uns zurück. Wir müssen entscheiden, was richtige Beherrschung unserer Sinne ist und was nicht. Wie machen wir diese Unterscheidung? Swamiji sagte einmal: „Das Ziel des spirituellen Lebens ist, sich auf Gott zu konzentrieren.“ Und das kann eine sehr nützliche Richtlinie sein, uns zu helfen, zu wissen warum und wie wir unsere Sinne kontrollieren sollten. Die Frage, die wir uns dann stellen müssen, lautet: „Hilft das, was ich tue, mich auf Gott zu konzentrieren?“

Wenn wir also Puja (Verehrungsritual), Japa (Mantrawiederholung) oder Swadhyaya (Selbststudium) machen, wenn wir irgendeine spirituelle Praxis üben, wird uns das natürlich helfen, uns auf Gott zu konzentrieren. Aber was passiert, wenn wir ins Kino gehen oder Zeitung lesen, was passiert, wenn wir tratschen oder schlimmer noch, jemanden verleumden? Wo ist da unsere Konzentration auf Gott? Zumindest ist Zeit verloren gegangen, welche wir für die spirituelle Praxis hätten verwenden können.

Aber das ist nicht das Schlimmste daran. Ist es möglich, Zeitung zu lesen, einen Film zu sehen oder die anderen Sachen zu machen und es dann einfach nur als verlorene Zeit abzutun? Denn leider werden wir feststellen, dass jetzt, wenn wir uns zur spirituellen Praxis hinsetzen, besonders zu den tieferen wie Meditation und Achtsamkeit, anstelle von Gott alle Zeitungsartikel, Filmgeschichten und allerlei Geschwätzerinnerungen in unserem Geist auftauchen.

Dies ist der wahre Grund, die Sinne zu beherrschen. Wenn wir unsere Sinne nicht unter Kontrolle bringen, ist es fast unmöglich, unsere spirituelle Praxis mit ihrem echten Zweck durchzuführen, nämlich uns mehr auf Gott zu konzentrieren. Häufig ist der Grund, warum wir Zeitung lesen und ähnliche Aktivitäten tun, der nach außen gerichtete Sog der Sinne. Unsere Sinne wollen nach außen gehen. Sie wollen nicht nach innen. Wie können wir dieses Problem lösen? Eine der besten Übungen ist Karma Yoga, das selbstlose Dienen. Der Nutzen von selbstlosem Dienst ist, dass er das Verlangen der Sinne nach außen zu streben befriedigt.

Gleichzeitig aber ist er eine wichtige spirituelle Praxis, wenn er mit der richtigen Einstellung getan wird. Wenn Karma Yoga ernsthaft geübt wird, ist es nicht nur Zeit, in welcher man sich nicht auf andere äußere Dinge konzentriert - sondern es erleichtert es sogar, zu regelmäßiger spiritueller Praxis zu kommen. Unser Geist wird langsam immer feiner und reiner werden – bis er sich letzten Endes nur noch auf Gott konzentrieren möchte.

29. Aus unserem langen Traum erwachen

Viele unserer Lehrer bezeichnen unseren gegenwärtigen Zustand als einen langen Traum. Sie erzählen uns, dass wir 3 Zustände haben: Tiefschlaf, Traum und Wachsein, aber der Wachzustand sei nichts als ein langer Traum: „Deshalb: erwache, erwache und erkenne, wer du wirklich bist!“ Deshalb treiben sie uns dauernd an und benutzen manchmal verschiedene Methoden, uns daran zu erinnern, dass wir aufwachen sollen.

Sie sagen uns, wir sollen uns an den Tod erinnern und erinnern uns sogar an die Geschichte eines Heiligen, der sitzend auf einer Leiche meditierte. An den Tod zu denken, mag uns morbide erscheinen, aber wenn wir es ernsthaft tun, bringt es uns der Wahrheit des Lebens näher. Wir wissen alle, dass wir geboren wurden und sterben werden. Aber wir leben unseren Alltag, als wären dieser Körper und dieser Geist etwas Ewiges.

Wenn also Gurudev sagt, wir sollen uns an den Tod erinnern, meint er etwas, was von wahrem spirituellen Nutzen für uns sein kann. Denn wenn wir inne halten und den Tod betrachten, erkennen wir, dass uns nichts davon überzeugen kann, dass wir sterben werden. Es gibt etwas Grundsätzliches in uns, das glaubt, dass wir gelebt haben, bevor wir geboren wurden und dass wir auch nach dem Tod leben werden. Das Problem ist, dass wir uns ein Leben nach dem Tod als ein Leben mit Körper und Geist vorstellen - anstatt zu begreifen, dass das in uns, das davon überzeugt ist, nicht zu sterben, etwas Tieferes und Grundlegenderes als unser Körper und Geist ist.

Wenn Gurudev uns also bittet, uns an den Tod zu erinnern, möchte er vielleicht, dass wir selbst diese tiefe Überzeugung finden, dass wir niemals sterben werden. Er möchte, dass wir herausfinden, was es ist, das in uns überzeugt ist, niemals zu sterben. Deshalb ist eine Betrachtung wie diese gar nichts Morbides, sie ist etwas sehr Positives. Wir müssen uns gegenüber sehr wahrhaftig werden. Wir müssen ernsthaft in uns schauen und meditieren: „Wer bin Ich?“ Wir müssen hinab bis zu den Wurzeln unseres Wesens tauchen und dort etwas entdecken, das mehr ist als dieser vorübergehende Name und diese vorübergehende Form, die wir gegenwärtig nur träumen zu sein.

30. Das Geheimnis des Glücks

In einigen Upanishaden gibt es eine Geschichte, die das großartige Glück beschreiben soll, das wir in Gott finden. Sie beschreiben den idealen Menschen: Er regiert die ganze Welt in vollkommener Gesundheit, alle Macht liegt in seinen Händen, er ist jugendlich und schön. Er hat alles, was du dir vorstellen kannst in dieser Welt zu besitzen. Wenn du dir dieses Glück als ein Stück vorstellst, dann ist das Glück der nächsten Welt das Hundertfache davon.

Im Weiteren steigt das Glück jeder höheren Welt hundertfach über das vorherige an und ganz zum Schluss ist das Glück der höchsten Welt nur ein Tropfen im Glück Brahmans, des Absoluten. Das ist eine wundervolle lehrreiche Geschichte, die darstellt, dass wahres Glück in höheren Dingen zu finden ist und schließlich nur in Gott. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, Glück und Unglück zu betrachten. Unglück gründet im fortwährenden Denken an uns selbst; je mehr wir an uns selbst denken, umso unglücklicher sind wir.

Je mehr wir unsere Gedanken von uns selbst weglenken, umso glücklicher sind wir. Wenn zum Beispiel ein Geschäfts- oder Fachmann daran denkt, wie er sich in den Dienst anderer stellen kann, anstatt daran zu denken, wie er ständig mehr Geld für sich machen könnte, dann wird sein Glück wachsen. Je mehr wir uns in etwas einbringen, das größer ist als wir selbst, desto mehr wächst das Glück und schrumpft das Unglück. Darum ist der Königsweg zum Glück, sich Gott hinzugeben, alles aufzugeben, was wir selbst wollen, um Gott zu dienen und ihm zu gehorchen. Deshalb ist die wichtigste Ursache für das Unglücklichsein, Dinge für sich selbst haben zu wollen.

Darum wird „Begehren“ in allen Traditionen als der wichtigste spirituelle Feind des Menschen betrachtet. Vereinfacht ausgedrückt ist Glück im Leben Folgendes: Wir müssen unseren Geist von uns wegbringen, indem wir uns langsam von unseren egoistischen Wünschen entwöhnen und ihn auf etwas Größeres richten. Unseren Geist auf etwas Größeres in dieser Welt zu richten als auf uns, kann ein wichtiger Schritt sein.

Aber es kann unser Problem nicht vollständig lösen. Vielleicht dienen wir einer Familie oder einer Institution, in der wir uns selbst verlieren können. Aber leider vergeht alles in dieser Welt und enthält so die Saat des Unglücklichseins. Das Einzige, worin wir uns verlieren können, das nicht vergeht und sich nicht verändert, ist Gott. Darum liegt das einzige wahre Geheimnis zum Glück darin, uns Gott hinzugeben. Dies geschieht durch Selbstaufgabe, indem wir Diener Gottes werden, durch das Hören auf Gott und letztlich darin, uns in Ihm zu verlieren.