Das Ahimsa Ideal

Einst ging ein bettelarmer Man durch einen Hain. Er hatte großen Hunger, denn er hatte in den letzten drei Tagen nichts gegessen. Der Hain war voller Mangobäume und sie waren gerade reif. Die köstlichen Früchte waren so verlockend, dass der hungrige Mann instinktiv nach einem Stein griff. Er hob ihn auf und warf ihn in den Baum. Ein paar Mangos fielen zu Boden. Der Mann strahlte vor Freude und als seine Hände hungrig nach der Frucht griffen, lief ihm bereits das Wasser im Mund zusammen. In der großen Freude seinen Hunger mit einer Frucht stillen zu können, dachte der arme Mann nicht weiter darüber nach, was mit dem Stein passierte, nachdem er das Obst vom Baum geschlagen hatte. Der Stein fiel auf die Erde, nachdem er sein Ziel erreicht hatte. In seinem Hunger hatte dem Mann dem Stein einen kräftigen Schwung verliehen und der Stein schoss hoch in den Himmel, ehe er herabfiel.

Das Schicksal, Schöpfer seltsamer Situationen, hatte es gewollt, dass sich an diesem Tag in diesem Hain sowohl dieser Ärmste der Armen als auch auch der regierende Herrscher des Landes aufhielten. Der arme Mann, an der Schwelle des Todes, suchte etwas – egal was – um seinen Hunger zu stillen. Der große Herrscher wollte einköniglichens Mahl unter dem kühlen Schatten der Bäume geniessen, und sich mit seinen Gemahlinnen und Ministern beim Schachspiel die Zeit vertreiben. Der Herrscher und der elende Arme wussten nicht von einander. Das Geschoss, das den Baum traf und die Früchte herabwarf, war ein lebloser Stein; er konnte daher dem Herrscher nicht respektvoll ausweichen. Er landete auf dem Kopf des Königs. Der Turban schützte zwar seinen Kopf, aber der Turban fiel herunter und geriet völlig aus der Fasson. Der Herrscher, versunken im ergötzenden Spiel mit seinen Gemahlinnen, dachte nicht daran der Ursache des traurigen Schicksals seines Turbans nachzugehen.

Seine Höflinge jedoch konnten die Beleidigung seiner Majestät nicht dulden. Sie suchten den Missetäter, eben jenen armen Mann, der gierig seine köstliche Frucht ass. Die Diener wollten dem Herrscher in der schweren Bestrafung des Missetäters eifrig zuvorkommen und ihm ihre Treue beweisen. Sie verhängten daher die Todesstrafe über denjenigen, der seine Person am wenigsten beleidigt hatte. In diesem Fall traf es sich auch, dass der Justizminister des Königs unverzüglich Gericht hielt und den armen Mann auf der Stelle wegen seines Anschlags auf den König zu Tode verurteilte. Als der König von seinem Spiel aufstand verkündete der Justizminister, dass der Missetäter für seine ungeheuerliche Tat aufs strengste bestraft worden sei. „Bring ihn vor mich“, sagte seine Majestät. Der arme Mensch wurde vor den Herrscher gebracht. „Warum hast du den Stein geworfen?“ „Um eine Mango zu bekommen.“ „Wonach hast du den Stein geworfen?“ „Nach dem Baum.“ „Hast du die Mango bekommen?“ „Jawohl, eure Majestät.“ „Hast du die Mango gegessen?“ „Jawohl, eure Majestät.“ Der Könige wandte sich an seinen Justizminister. „Der arme Mann hatte Hunger und warf einen Stein nach dem Baum. Er hat eine Mango bekommen und sie gegessen. Nun sag mir, wie lange wird er keinen Hunger mehr verspüren?“ „Für ungefähr 24 Stunden, Majestät.“ „Das reicht mir. Ich werde jetzt das Urteil sprechen.“

Die ganze Gesellschaft hielt den Atem an. Konnte es noch etwas schlimmeres sein als das bereits gefällte Urteil des Richters? „Ich befehle, dass dieser arme Mann von dem heutigen Tag bis ans Ende seines Lebens auf dieser Erde so viele Reichtümer aus unserer Schatzkammer erhalte, dass er seinen Unterhalt bestreiten kann! Diesen Befehl sofort an den Finanzminister weitergeben!“ Alle staunten! Was war das denn für eine Strafe? Die Königin dachte, sie habe dies zu verantworten, und dass die gute Laune, die sie dem König gebracht hatte, ihn so vergnügte, dass er den Mann belohnte. Sie lächelte dementsprechend bedeutungsvoll. „Meine Liebste“, sagte der König daraufhin zur Königin, „sag mir, ist dieser Baum empfindungsfähig oder nicht empfindungsfähig?“ „Aber natürlich nicht empfindungsfähig, mein Herr.“ „Und ich?“ „Was für eine Frage oh großer König! Der Mensch, die Krone der Schöpfung, ist ein empfindungsfähiges Wesen. Ihr seid das Juwel unter den Menschen. Ihr seid wahrlich göttlich. Wer hat euch je an Wissen und Weisheit übertroffen?“

„Dann, meine Geliebte, ist es nicht rechtens, dass ich, als ein von Gott geschaffenes empfindungsfähiges Wesen, zeige, dass ich, würdiger bin als ein empfindungsunfähiger Baum?“ „Ihr seid es mein Herr; ihr seid sogar würdiger und weiser als alle Menschen. Aber warum sagt ihr all dies?“ „Schau! Der arme Mann traf einen Baum mit einem Stein. Der Baum gab ihm eine köstliche Frucht zu essen. Sie wird seinen Hunger für einen Tag stillen. Danach fiel der Stein auf mich. Es wurde befunden, er habe mich damit getroffen. Sollte ich mich nicht als würdiger erweisen als der Baum? Daher habe ich angeordnet, dass Zeit seines Lebens für seinen Unterhalt gesorgt wird.“ Minister, Diener und die Königin fielen dem Herrscher zu Füßen und küssten den Staub unter ihm. Sie verherrlichten ihn. „Oh Herr, ihr seid wirklich eine Göttlichkeit auf Erden. Wer außer Gott könnte in diesen Zeiten solches Mitgefühl zeigen! Oh Herr! In dieser Tugend seid ihr Buddha und Jesus, seid ihr den größten Heiligen und Weisen aller Zeiten gleich. Wir verehren euch! Möge eure weise und segensreiche Herrschaft noch viele Jahre auf dieser Erde andauern. Denn nur Herrscher wie ihr können die Menschen dazu anregen, Mitgefühl, kosmische Liebe und Nachsicht zu üben. Angeregt durch euer glorreiches Beispiel werden die Menschen einander lieben, einander dienen und mit gereinigtem Herzen werden sie sich in göttliche Wesen verwandeln. Segne uns oh Herr, mögen wir Untertanen eurer würdig sein!“