Prana ist die Energie, die Lebenskraft hinter allem. Sie steuert den physischen Körper, ist die Ausstrahlung hinter der Schönheit, ist das Charisma, die Kraft hinter Emotionen und Gedanken. Prana kann grobstofflich oder feinstofflich sein. Um höhere Bewusstseinsebenen zu erreichen, große Liebesfähigkeit zu entwickeln und Wonne zu erfahren, brauchen wir feinstoffliches Prana, also Ojas (spirituelle Energie).

Anmerkung: Ich verwende hier die Ausdrücke Ojas und Vayus in einem erweiterten Sinn, wie es mein Meister Swami Vishnu-devananda getan hat und wie es der Hatha-Yoga-Tradition entspricht. In der Ayurveda-Tradition haben diese Ausdrücke eine etwas spezifischere Bedeutung.

Ojas und spiritueller Fortschritt

Um höheres Bewusstsein zu erlangen, muss grobes Prana in feines, spirituelles Ojas umgewandelt werden. Auf dem spirituellen Weg gibt es zahllose Paradoxien. Zum einen heißt es, dass es nichts Leichteres als die Selbstverwirklichung gibt: Da wir ja jetzt schon das unendliche, reine, wonnevolle Selbst sind, gibt es nichts zu erreichen. Das Selbst zu verwirklichen ist daher so einfach wie eine Rose anzuschauen, die wir in unserer Hand halten. Dieser Gedanke kann uns viel Trost und Entspannung schenken. Egal, was wir machen: Wir sind das, ewig reine, makellose Unendliche Bewusstsein. Zum anderen heißt es, dass es nichts Schwereres gibt als die Selbstverwirklichung. Reich zu werden, Macht zu bekommen, andere zu beherrschen und so weiter sei einfach. Sich selbst zu beherrschen dagegen sei schwierig.

Selbstverwirklichung als Ziel des Lebens

Letztlich ist die Selbstverwirklichung der Sinn und Zweck des menschlichen Lebens, sie zieht sich über viele Lebensspannen hinweg.

Faktoren, die den spirituellen Fortschritt verlangsamen

Es heißt, dass es drei verlangsamende Faktoren für das Erreichen der Selbstverwirklichung gibt: Karma, Samskaras und Ojas.

  • Karma sind die Lektionen und Erfahrungen, die wir noch machen müssen. Erst wenn ein großer Teil des Karmas abgearbeitet ist, kann sich das Bewusstsein dauerhaft vom Begrenzten lösen. Daher gibt es Phasen auf dem spirituellen Weg, wo man einfach seine Praktiken geduldig fortführen muss, sein Leben bewusst leben muss, auch wenn man keinen echten spirituellen Fortschritt spürt. Wenn die karmischen Lektionen gelernt sind, kommt dann plötzlich ein Bewusstseinssprung.
  • Samskaras sind die Eindrücke im Unterbewusstsein. Um das Bewusstsein zu erweitern, muss es sich von den vielen unterbewussten Gewohnheiten lösen können. Daher ist ein großer Teil der Arbeit auf dem spirituellen Weg die Transformation liebgewonnener Handlungs- und Denkweisen sowie Neigungen. Manche Menschen sind dazu nicht bereit. Sie sagen: „Ich bin halt so.“ Zwar ist die Selbstakzeptanz Bedingung dafür, dass man liebevoll und damit effektiv an sich arbeiten kann. Aber dann muss man es auch tun – und an sich arbeiten. Ein Lehrer, der seinem Schüler etwas beibringen will, muss erst den Schüler lieben und respektieren. Das heißt aber nicht, dass er sagt: „Ich liebe meine Erstklässler so, wie sie jetzt sind. Sie können nicht lesen, schreiben und rechnen. Sie sind halt so. Daher werde ich sie nicht verändern und ihnen nichts beibringen“. Man sollte lernen sich zu lieben, wie man jetzt ist. Und dann an sich arbeiten und sich entwickeln.
  • Ojas ist, wie bereits beschrieben, die spirituelle Energie. Damit das Bewusstsein alle Grenzen transzendieren kann, muss der Geist auf eine höhere Ebene gehoben werden. Der Geist braucht viel subtiles Prana, um in diese Ebene zu kommen. Zwar ist es langfristig so, dass die erwachte Kundalini unendliche Menge an Ojas geben wird, wenn sie in die höheren Chakras aufgestiegen ist. Aber bis dahin gilt es, durch bewusste Praxis Prana in Ojas umzuwandeln.

Fünf Prana Vayus

Prana ist auf der physischen Ebene in Form der fünf Vayus aktiv. Vayus sind die Steuerungsenergien, die die Funktionen des physischen Körpers regulieren. Gemäß der Lehre des Kundalini-Yoga kann der physische Körper allein gar nichts. Es ist das Prana, das für alle Lebensfunktionen verantwortlich ist.

Die fünf Vayus, die die Körperfunktionen steuern, sind:

  • Prana-Vayu ist die Energie hinter dem Atemsystem. Es steuert die Funktion der Lungen und der Atemmuskeln und hat seinen Sitz in der Brust. Es ist auch die Energie hinter dem Überlebensinstinkt.
  • Apana-Vayu ist die Energie hinter dem Ausscheidungssystem, der Sexualität, der Menstruation und der Geburt. Es steuert Enddarm und Anus, Nieren, Blase und Geschlechtsorgane und hat seinen Sitz im Beckenbereich. Es ist auch die Energie hinter Kreativität und Arterhaltung.
  • Samana-Vayu ist die Energie hinter der Verdauung. Es steuert alle Verdauungsorgane und hat seinen Sitz im Bauch. Es ist auch die Energie hinter Willenskraft, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit.
  • Vyana-Vayu ist die Energie hinter dem Blutkreislauf und dem Bewegungssystem. Es steuert das Herz, die Blutgefäße und die Muskelaktivität. Sein Sitz ist im ganzen Körper. Es ist auch die Energie hinter jeder Bewegung.
  • Udana-Vayu ist die Energie hinter den Kommunikationssystemen. Es steuert die Sprache, die Nerven, das Gehirn und die Hormone. Es hat seinen Sitz in der Kehle. Es ist auch die Energie hinter Schlafen, Träumen, Astralreisen und die Kraft, mit der die Seele im Moment des Todes zusammen mit dem Astral- und Kausalkörper den physischen Körper verlässt.

Mittels diverser Yoga-Techniken kann die Funktion dieser Vayus harmonisiert und so die Gesundheit verbessert werden. Gleichzeitig wird dabei ein Teil dieser Vayus sublimiert, also verfeinert, in Ojas umgewandelt und in den höheren Chakras aufgespeichert.

Schulmedizinische Interpretation der Prana Vayus

Der Lehre des Kundalini-Yoga zufolge werden die Vayus als feinstoffliche Energien interpretiert, welche alle physischen und viele geistigen Funktionen steuern. Man kann die Vayus aber auch einfach als physiologische Steuerungsfunktionen bezeichnen, als Zusammenfassung einer ganzen Reihe von physiologischen Prozessen.