1. Wonach sehnen wir uns wirklich?

Was ist es, wonach wir im spirituellen Leben suchen? Was ist es, wonach wir uns wirklich sehnen? Wir denken, dass es darum geht, etwas für uns zu erreichen. Aber Swamiji spricht davon, an einem Ort zu sein, wo die tiefste Sorge uns nicht berühren kann, ein Ort der völligen Zufriedenheit. Dies sind subjektive Begriffe, keine objektiven. Sie schlagen nicht vor, sich etwas Neues anzueignen, sondern einen Zustand zu enthüllen, zu entdecken, der schon da ist. Diesen Unterschied zu erkennen, ist für unser spirituelles Leben wesentlich.

Es bedeutet eine völlig andere Vorgehensweise. Die Schriften und die großen spirituellen Lehrer sagen uns, dass unser zentrales Problem Verlangen ist. Wenn wir also immer noch versuchen, etwas Neues zu erlangen, selbst wenn es Selbstverwirklichung ist, ändern wir unser begehrendes Wesen in keiner Weise. Das wirkliche Ziel des spirituellen Lebens ist, das zu beseitigen, was ständig etwas Neues, etwas anderes will. Es geht weniger darum, etwas Neues in unser Bewusstsein zu bringen, als vielmehr zu seinem Ursprung zu gelangen.

Wonach wir uns wirklich sehnen, wenn wir die Gnade und Weisheit haben, dies zu erkennen, ist nicht, unsere Herzenswünsche zu erfüllen, sondern kein Begehren mehr im Herzen zu haben. Was wir wirklich ersehnen, ist nicht, etwas für uns selbst zu bekommen, sondern kein Selbst mehr wahrzunehmen. In Wirklichkeit wollen wir von dem in uns - was sich ständig etwas wünscht, was Sorgen erzeugt - befreit werden, befreit von unserem begehrenden Wesen, das aus der Identifikation mit dem Körper und dem Geist stammt.

Diese Erkenntnis ist für den Verstand radikal. Vielleicht sehen wir den Fortschritt, den wir uns erhoffen, deshalb häufig nicht. Wir erkennen die kompromisslose Natur des spirituellen Lebens nicht. Es ist genau richtig, wo wir uns gerade befinden. Es geht darum, loszulassen, Dinge zu lassen, wie sie sind, sie Gott zu überlassen. Und genau in der Mitte unseres gegenwärtigen Lebens, unseres gegenwärtigen Bewusstseins, sollen wir entdecken, was wirklich ist, unser wahres Selbst.

2. Wir müssen die Wahrheit wissen wollen

Swamiji spricht immer wieder davon, ein göttliches Leben zu leben. Aber neulich morgens fügte er hinzu, dass es unmöglich ist, wahrhaft das göttliche Leben zu leben, ohne unser Selbstbild zu ändern. Er sagte auch, solange wir nicht gewillt sind, unsere Identität zu ändern, kann der Guru uns nicht wirklich helfen.

Er bezog sich dabei auf etwas, was er hier viele Jahre zuvor gesagt hat: „Das spirituelle Leben beginnt nicht wirklich, bis du weißt, wer du bist.“ Vielleicht haben wir uns schon über das weltweite Phänomen bei Suchen den gewundert, das zeigt, dass nach Jahren ernsthafter spiritueller Praxis keine wirkliche Veränderung in ihrem Wesen eintritt. Swamiji hat für uns seinen Finger darauf gelegt. Egal, was wir alles tun, wieviel Zeit wir für unsere spirituelle Praxis verwenden, wieviel selbstlosen Dienst wir tun; wenn wir nicht am Kernpunkt des spirituellen Lebens arbeiten, unserer grundlegen den Identität, wird es keine wesentliche Veränderung geben.

Woher kommt es, dass wir nicht an diesem zentralen Punkt arbeiten, obwohl wir diese Wahrheit nur zu gut kennen? Wir wissen es und uns wird ständig erzählt, dass die individuelle Seele nichts anderes als Brahman ist. Wir wissen und laufend hören wir, dass es nur Gott allein gibt. Er ist die einzige Wirklichkeit.

Warum ist diese Wahrheit uns heute nicht wirklich näher als damals, als wir sie zum ersten Mal hörten? Vielleicht glauben wir es immer noch nicht wirklich. Egal wie oft wir es schon gehört haben, egal wie oft wir es diskutiert haben oder darüber nachgedacht haben, wir können nicht glauben, dass wir keine getrennte Wirklichkeit sind. Und wenn wir tief in unsere Herzen schauen, wollen wir es vielleicht nicht wirklich glauben. Wenn also trotz allen ernsthaften Bemühens unser spirituelles Leben keine wahrnehmbaren Fortschritte gemacht hat, kann es gut sein, dass wir nicht das zentrale Thema betrachten, unsere grundlegende Identität. Wir stellen uns ihm nicht, weil wir es nicht wirklich glauben und vielleicht weil wir es nicht wirklich glauben wollen.

Trotzdem bleibt die Wahrheit die Wahrheit. Deshalb ist die erste Entscheidung, die wir treffen müssen, die, ob wir unser Leben auf die Basis der Wahrheit stellen wollen oder ob wir auf der Basis der Unechtheit, dem Glauben an eine falsche Individualität, fortfahren wollen. Während wir darüber nachdenken, sollten wir erkennen, dass unabhängig von dem, was wir wollen, die Wahrheit die Wahrheit ist: Auch wenn wir unser Leben auf falsche Voraussetzungen bauen wollen, ändert das nicht die Tatsache unserer wahren Identität. Aber es ändert ganz bestimmt die Art, wie wir unserer Leben erfahren und ausdrücken.

Es gilt zu bedenken, dass unser Leben selbst nicht wahrheitsgemäß sein kann und uns in fortwährende Probleme führen wird, wenn wir es weiterhin auf einem Irrtum gründen. Wenn wir also über unsere gegenwärtigen Erfahrungen des Lebens hinausgehen wollen, gibt es sicherlich keine Alternative. Wir müssen es auf der Wahrheit gründen. Und je eher wir das tun, um so eher können wir ein göttliches Leben führen und um so mehr kann der Guru für uns tun, was er wirklich tun möchte.

3. Von der Klippe springen

Der Mensch ist oft als denkendes Tier bezeichnet worden. Tatsächlich denken Tiere auch. Was den Menschen unterscheidet ist sein Ich-Sinn. Der Mensch kann wahrnehmen, dass er denkt, er kann logisch denken und wahrnehmen, dass er logisch denkt. Aber obwohl das so ist, stimmt es auch, dass die Mehrheit der Menschen nur geringfügig oberhalb der Ebene intelligenter Tiere funktioniert, weil wir unser Leben mechanisch ausführen.

Selbst wenn wir sehr gebildet oder im materiellen Sinn sehr erfolgreich sind, stellen wir, wenn wir unser Leben unter suchen, fest, dass es insgesamt recht tierähnlich ist, dass wir selten selbst denken. Fast alles in unseren Gedanken beruht auf dem, was wir von anderen aufnehmen. Deshalb könnte man sagen, wirklich Mensch zu werden bedeutet, anzufangen, selbstständig zu denken. Alle Vorstellungen, die wir von unseren Eltern und unserer Kultur aufgenommen haben, überdenken wir noch einmal.

Jene, mit denen wir übereinstimmen, akzeptieren wir, aber wir akzeptieren sie mit unserer eigenen Begründung. Wenn wir Vorstellungen in unserer Kultur finden, die wir nicht mehr akzeptieren können, weisen wir sie zurück. Wir leben auf der Basis dessen, was wir in unserem Herzen für wichtig halten, woran wir glauben. Auf diese moralische, selbst durchdachte Weise zu leben, bedeutet, wirklich Mensch zu sein. Aber für uns spirituell Suchende ist das trotzdem noch nicht genug.

Es kommt ein Punkt, an dem wir alles Dharma, all unsere Rechtschaffenheit und Weisheit aufgeben und einzig bei Gott Zuflucht nehmen. Es kommt ein Punkt, an dem wir hinaus in die Dunkelheit gehen und unsere Hand in die Hand Gottes legen. Dann kommt ein Punkt, an dem wir vom Bekannten ins Unbekannte ziehen müssen. Wenn es ein schwieriger Schritt ist, als Mensch selbstständig zu sein und selbst zu denken, so ist es mindestens genauso schwierig, wenn nicht noch schwieriger, den Schritt von der Sicherheit unseres Sich-Selbst-Genügens zur Abhängigkeit von Gott allein zu gehen.

Manchmal wird das als „von der Klippe springen“ beschrieben. Wir haben keinen Standpunkt mehr, denn wir haben all unser Dharma aufgegeben, all unsere Vorstellungen von richtig und falsch. Solange wir in unseren vertrauten menschlichen Dimensionen von Entscheidungen, was eine richtige oder falsche Handlung ist, bleiben, können wir immer sehr entscheidungsfreudig und sehr logisch sein. Aber wenn wir von der Klippe springen, unsere Hand in die Hand Gottes legen, im Unbekannten ruhen, wenn wir einfach nicht wissen, dann können wir nicht auf die gewohnte Weise sicher sein. Und genau das ist es letztlich, wozu wir Suchende aufgerufen sind.

Wir sind gerufen, uns in Gott zu verwurzeln, im Unbekannten zu verwurzeln. Das ist die endgültige Sicherheit, die Sicherheit des Nicht-Wissens, aber des Lebens in der Weisheit Gottes.

4. Bereitet dich deine spirituelle Praxis auf das Schlachtfeld vor?

Die Bhagavad Gita ist eine einmalige Schrift. Sie ist nicht nur eine einmalige hervorragende Darstellung der höchsten Wahrheit, die Essenz aller vedischen Schriften, sondern sie wurde unter einmaligen Bedingungen empfangen - auf einem Schlachtfeld. Wenn wir uns an die Lehren Jesu erinnern, denken wir an den Berg, wo er die Bergpredigt hielt oder an das Ufer des Sees von Galiläa oder an den Tempel.

Und wir können uns nicht vorstellen, dass die Lehren Buddhas von einem Schlachtfeld kommen. Vielleicht ist die größte Lehre der Gita ihre Umstände, denn wenn die Botschaft der Großen nicht auf dem Schlachtfeld angewendet werden kann, dann haben wir ihre Lehren nicht tief genug verstanden. Es ist nicht allzu schwierig, in dieser Welt Menschen zu finden, die die Schriften mit einem Scharfsinn verstehen, der einfach atemberaubend ist.

Es ist auch nicht zu schwierig, Menschen zu finden, die Visionen haben, manchmal eine nach der anderen, die so großartig sind, dass man sich geehrt fühlt, einfach nur von ihnen zu hören. Es ist auch nicht die Schwierigkeit, Menschen von tiefem Mitgefühl zu finden oder Leute, die ihr ganzes Leben dem Dienst an anderen widmen. Was am schwierigsten ist, ist jemanden zu finden, der die Botschaft so tief verinnerlicht hat, dass sie auch auf einem Schlachtfeld gültig bleibt.

Das ist eine Wahrheit, an die wir immer in unserem Sadhana (spirituelle Praxis) denken sollten. Das ist der Test, dem wir unser Sadhana unterziehen können. Hält das, was ich erkenne, auch auf einem Schlachtfeld stand? Wenn ich im Krieg wäre, im übertragenen Sinn oder im wirklichen, ist mein Wissen, mein Verständnis, meine Verwirklichung dann noch gültig? Sehr Wenige wären fähig, ja zu sagen.

Unsere Verwirklichung, unsere Religion ist da gültig, wo sie uns passt. Sei es in der Meditationshalle, in der Kirche, im Tempel oder in der Stille unseres eigenen Zimmers. Das bedeutet, es gibt noch etwas mehr zu tun. Wir müssen unsere gegenwärtige Praxis so vertiefen, dass wir leer werden, wir ein Nichts werden anstelle angenehmer Gefühle oder Einsichten, anstatt von perfekter Ausführung. Wir kommen zu dem Punkt, wo uns nichts mehr genommen werden kann. Deshalb bleiben wir gleich, egal wo wir sind, wir sind leer, wir sind nichts, wir sind nicht die Handelnden.

Das ist es, was wir durch wahre Hingabe erreichen, durch unerschütterliches Vertrauen, durch völligen Gleichmut, durch das Praktizieren der Gegenwart eines Gottes, der nicht erkannt, nicht verstanden oder festgehalten werden kann. Es ist die Bereitschaft, alles aufzugeben, einschließlich unseres Wissens, unserer guten Gefühle, die uns auf das Schlachtfeld vorbereitet. Es ist die Bereitschaft, alles zu verkaufen, was wir haben, um eine sehr teure Perle zu erwerben. Alles Andere hat begrenzten Wert. Die Perle hat ewigen Wert.

5. Spirituelle Praxis ist nicht ein Ziel für sich

Spirituelles Leben ist ein Suchen nach etwas, was für den Verstand unbekannt und undenkbar ist, das Feinste vom Feinen. Deshalb sollte man bedenken, dass wir bei der Suche ständig einen scharfen Geist entwickeln müssen, der feine aber wichtige Unterschiede erkennen kann. Einer dieser feinen Punkte ist, dass wir erkennen sollten, wie aus einem Wert ein Laster werden kann. Zum Beispiel ist die Tugend der Beharrlichkeit absolut wichtig für unser spirituelles Leben.

Ohne die Fähigkeit in uns, ausdauernd zu sein, verlieren wir schnell das Bestreben, unser Ziel zu erreichen. Aber wenn Beharrlichkeit in Sturheit und in Anklammern an eigene Positionen, in die Zurückweisung neuer Ideen umschlägt, dann wird sie ein Laster. Dasselbe trifft beim Studieren der Schriften zu. Wir müssen das befreiende Wissen verstehen. Deshalb ist das Studieren und Verstehen der Schriften entscheidend für unser spirituelles Leben. Sie sind ein Wert. Wenn aber das Studieren der Schriften nur ein Ansammeln von Wissen ist, dann wird es mit Swamijis Worten eine Last für unseren Kopf.

Unser spirituelles Wissen wird dann, anstelle uns zur Freiheit zu leiten, ein Teil unserer Verhaftung, weil es unser Ego nährt. Überraschenderweise kann sogar Gurudevs Maxime „Sei gut, tue Gutes“ falsch verstanden werden. Der Zweck von Gut-Sein und Gut-Tun ist, unser gesamtes Wesen zu reinigen. Es dient dazu, unser Ego auszudünnen, weniger egoistisch und selbstzentriert zu sein. Aber wenn Gut- Sein und Gutes-Tun in sich selbst endet, wenn wir denken, wir verdienen uns so den Weg in den Himmel, wenn es uns reicht, dass wir uns bessern, dann wird es letzten Endes zum Laster. Warum?

Weil es unser Ego genährt hat, anstatt es auszumerzen. Der ganze Zweck des spirituellen Lebens liegt darin, die Persönlichkeit zu transzendieren, sie hinter uns zu lassen. Ob wir nun eine wundervolle oder hässliche Persönlichkeit hinter uns lassen, ist am Ende letztlich unwichtig. Das Wesentliche ist, alles hinter sich zu lassen. Krishna sagt: „Beende alle Dharmas.“ Uns muss klar sein, dass das letzte Ziel des Lebens nicht ist, Wissen anzusammeln oder gut zu sein und Gutes zu tun, obwohl das auch notwendig ist.

Das letzte Ziel des spirituellen Lebens ist, über alles hinauszugehen. Das sollten wir uns also in unserer spirituellen Praxis immer vergegenwärtigen. Die spirituelle Praxis ist nicht Ziel an sich, sie ist ein Mittel für das eigentliche Ziel. Das Ziel müssen wir immer im Bewusstsein haben. Ziel des spirituellen Lebens ist Moksha. Befreiung ist das Ziel des spirituellen Lebens. Freiheit ist das Ziel spirituellen Lebens.