Goraksha Shataka

 

Vers 39: Pranayama

 

Ist der Atem unstet, ist alles unstet. (Ist der Atem) unbeweglich, ist (alles) unbeweglich, und der Yogi erlangt (innere und äußere) Bewegungslosigkeit. Darum soll er den Atem anhalten.


    चले वाते चलं सर्वं निश्चले निश्चलं भवेत् |
    योगी स्थाणुत्वमाप्नोति ततो वायुं निबन्धयेत् || ३९ ||


    cale vāte calaṃ sarvaṃ niścale niścalaṃ bhavet |
    yogī sthāṇutvam āpnoti tato vāyuṃ nibandhayet || 39 ||

    chale vate chalam sarvam nishchale nishchalam bhavet |
    yogi sthanutvam apnoti tato vayum nibandhayet || 39 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    cale : unstet, beweglich (Chala)
    vāte : (ist der) Atem ("Wind", Vata)
    calam : unstet, beweglich
    sarvam : (ist) alles (Sarva)
    niścale : (der Atem) unbeweglich (Nishchala)
    niścalam : (alles) unbeweglich
    bhavet : ist, wird (bhū)
    yogī : (und) der Yogi (Yogin)
    sthāṇutvam : Bewegungslosigkeit (Sthanutva)
    āpnoti : erreicht (āp)
    tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
    vāyum : den Atem, ("Wind", Vayu)
    nibandhayet : er soll kontrollieren, anhalten (ni + bandh)

Anmerkung: Dieser Vers wird nahezu wortwörtlich in der Hatha Yoga Pradipika (2.2) überliefert. Dort heißt es allerdings cale vāte calaṃ chittam... "Ist der Atem unstet, ist der Geist (Chitta) unstet. (Ist der Atem) unbeweglich, ist (auch der Geist) unbeweglich". Hiermit wird der enge Zusammenhang zwischen dem Anhalten bzw. der Kontrolle des Atems und der Kontrolle des Geistes bzw. dem Anhalten der Denkprozesse (Chittavritti) besonders deutlich gemacht (vgl. auch Vers 90 der Version 2 des Goraksha Shataka). Die Synonyme Vata und Vayu, die beide wörtlich "Wind" bedeuten, stehen hier gleichermaßen für Prana, den Lebensatem bzw. die Lebensenergie.

Die innere und äußere Bewegungslosigkeit (Sthanutva) ist zugleich Vorraussetzung und Folge des Vorgangs der Verinnerlichung bzw. des "Rückzugs der Sinne" (Pratyahara) und des Eintauchens in Meditation (Dhyana) und Versenkung (Samadhi).