Goraksha Shataka

 

Vers 36: Jalandhara Bandha

 

Wenn Jalandhara Bandha ausgeführt wird, der Verschluss, der durch das Zusammenziehen der Kehle gekennzeichnet ist, fällt der Nektar nicht ins Feuer (der Verdauung), und auch der Lebenshauch (Vayu) wird nicht erregt.


    जालन्धरे कृते बन्धे कण्ठसङ्कोचलक्षणे |
    न पीयूषं पतत्यग्नौ न च वायुः प्रकुप्यति || ३६ ||


    jālandhare kṛte bandhe kaṇṭha-saṅkoca-lakṣaṇe |
    na pīyūṣaṃ pataty agnau na ca vāyuḥ prakupyati || 36 ||

    jalandhare krite bandhe kantha-sankocha-lakshane |
    na piyusham pataty agnau na cha vayuh prakupyati || 36 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    jālandhare : Jalandhara (das "Festhalten des Netzes, das Auffangen des Wassers")
    kṛte : (wenn) ausgeführt wird (Krita)
    bandhe : der Verschluss (Bandha)
    kaṇṭha-saṅkoca-lakṣaṇe : der durch das Zusammenziehen (Sankocha) der Kehle (Kantha) gekennzeichnet (Lakshana) ist
    na : nicht (Na)
    pīyūṣam : der Nektar (Piyusha)
    patati : fällt (pat)
    agnau : ins Feuer (Agni)
    na : nicht
    ca : und, auch (Cha)
    vāyuḥ : der Lebenshauch ("Wind", Vayu)
    prakupyati : wird erregt ("erzürnt", pra + kup)

Anmerkungen: Dieser Vers wird wortwörtlich in der Hatha Yoga Pradipika (3.72) überliefert. Dort gibt der vorangehende Vers (HYP 3.71) gleich zwei Erklärungen für die Bedeutung der Bezeichnung Jalandhara:

    badhnāti hi sirā-jālam adho-gāmi nabho-jalam |
    tato jālandharo bandhaḥ kaṇṭha-duḥkhaugha-nāśanaḥ || 3.71 ||

"Weil es das Netzwerk (Jala) der (feinstofflichen) Kanäle (Sira) unterbindet, und das herabfließende Wasser (Jala) des Himmels (Nabhas) auffängt, deshalb (heißt es) Jalandhara Bandha. Es ist (ein Mittel zum) Vertreiben einer Menge von Leiden (Duhkha) der Kehle (Kantha)." (HYP 3.71)

Mit dem "Wasser des Himmels" oder "himmlichen Wasser" (nabho-jalam) ist der "Nektar" (Piyusha) gemeint, der aus yogischer Sicht normalerweise vom Gaumen (Talu) bzw. dem "Mond" in das Verdauungsfeuer (Agni) bzw. die "Sonne", das in der Nabelgegend sitzt, hinabtropft und dort verbrennt, was zu Alter und Tod führt (vgl. auch Vers 79 der Version 2 des Goraksha Shataka).

Wo sich "Sonne" und "Mond" im Körper des Yogis befinden, wird in den Versen 57-58 des Goraksha Shataka erklärt, wo die Praxis von Viparita Karani als ein weiteres Mittel gelehrt wird, den herabfließenden "Mondnektar" bzw. "Unsterblichkeitsnektar" (Amrita) zu bewahren.

Die Kontraktion der Kehle in Jalandhara Bandha verhindert somit das Herabtropfen des himmlichen Nektars ins Verdauungsfeuer und wirkt so dem Alterungsprozess entgegen. Die in Hatha Yoga Pradipika 3.71 erwähnte heilsame Wirkung auf Krankheiten des Kehl- und Halsbereichs (s.o.) könnte auch ein Hinweis auf das Verständnis der Aussage des Goraksha Shatakas sein, der "Wind" (Vayu) würde durch Jalandhara Bandha nicht erregt bzw. "erzürnt" (prakupyati): aus ayurvedischer Sicht wird somit der Vata ("Wind") genannte Dosha nicht erregt, d.h. nicht aus dem Gleichgewicht gebracht bzw. besänftigt. Eine Störung von Vata kann sich etwa im Bereich der Atmungsorgane und der Kehle als Krankheit zeigen, Jalandhara Bandha wiederum verhindert oder heilt demnach solche Störungen.

Vayu kann sich zudem auf die Lebensenergie Prana beziehen, deren Verlauf durch Jalandhara Bandha in bestimmten Energiekanälen, insbesondere in Ida und Pingala, gehemmt wird. Hatha Yoga Pradipika 3.73 ist hierzu interessant: kaṇṭha-saṅkocanenaiva dve nāḍyau stambhayed dṛḍham "Allein durch das Kontrahieren (Sankochana) der Kehle (Kantha) unterbreche man dauerhaft die beiden Energiekanäle (Nadi, d.h. Ida und Pingala)".

Erwähnenswert ist noch, das in der Shiva Samhita (4.38) nicht der Gaumen, sondern das Sahasrara Chakra als Quelle bzw. Eintrittspunkt des himmlichen Nektars genannt wird:

    nabhi-stha-vahnir jantūnāṃ sahasra-kamala-cyutam |
    pibet pīyūṣa-vistāraṃ tad-arthaṃ bandhayed idam || 4.38 ||

"Das im (Bereich des) Nabels (Nabhi) befindliche Feuer (Agni) der Lebewesen (Jantu) trinkt den gesamten Nektar (Piyusha), der von dem tausend(blättrigen Sahasra) Lotus (Kamala) herabtropft. Daher soll man dieses (Jalandhara Bandha) setzen." (ShS 4.38)