1. Kapitel - Erste Begegnungen

Swami Vishnu-devananda wurde am 31. Dezember 1927 in Kannimangalam geboren, einem kleinen Dorf in Kerala, Südindien. Er wurde Swamy Kuttan Nair genannt. Seine Familie besaß Land im Ort und in der Umgebung. Er wuchs heran und lebte das typische einfache Leben im ländlichen Südindien. Noch heute kann man sein Heimatdorf nicht mit einem motorisierten Fahrzeug erreichen. Man muss an der Hauptstraße halten und den Dammweg entlang gehen, der von Reisfeldern, Bananenplantagen und allen Arten von tropischen Gewächsen umgeben ist. Als ich einmal dort war, war das einzige „Fahrzeug“, das ich im Dorf sah, ein Elefant.

Mit den Schönheiten der Natur aufwachsend hatte der kleine Junge seine ersten spirituellen Erfahrungen und Konflikte auf dem Schulweg, wo er vier Meilen hin und zurück gehen musste.

"Wenn ich in meiner Kindheit zur Schule ging, musste ich mehrere Reisfelder durchqueren. Es gab unterwegs Wasserschlangen, deren Hauptmahlzeit aus Fröschen von den Reisfeldern bestand.
Diese Wasserschlangen waren nicht giftig. Meine Vorstellung von Religion und Gott begann damit, dass ich das Drama zwischen Leben und Tod beobachtete, das sich zwischen Frosch und Wasserschlange abspielte. Fast jeden Tag sah ich, wie eine Wasserschlange einen Frosch fing, meistens den hinteren Teil des Froschkörpers. Weil die Schlange nicht in der Lage ist, den Frosch ganz herunterzuschlucken, schreit der Frosch einige Minuten lang im Schlangenmaul.
Das Maul der Schlange ist so klein, dass sie den ganzen Frosch nicht auf einmal schlucken kann und der Schrei des Frosches in seinem Todesschmerz ist meilenweit zu hören.

Als ich vorbeiging und die Schlange mit dem Frosch im Maul sah, erkannte ich: „Dieser Frosch ist jetzt im Maul der Schlange und wird bald geschluckt, wahrscheinlich in 10, 20 oder 30 Minuten.“

Dieses Leiden ist unerträglich für den Geist eines Kindes. „Was soll ich machen? Soll ich die Schlange töten und den Frosch aus dem Todesmaul befreien oder soll ich weitergehen und mich um meine Sachen kümmern?“ Mein kindlicher Geist war nicht damit zufrieden, einfach vom Geschehen wegzulaufen. Angenommen, ich nahm der Schlange ihre Mahlzeit weg.
Das Leben des Frosches zu retten würde der Schlange Schmerz bereiten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und warum es solche Grausamkeit gab. Ich fragte mehrere Personen, auch meine Eltern, aber sie konnten mir keine Antwort geben. Was ist richtig? Die Schlange zu töten und den Frosch zu befreien oder zuzulassen, dass der Frosch von der Schlange gefressen wird? Einige Tage vergingen.
Jedesmal, wenn ich einen Frosch in einer Schlange sah, blutete mir das Herz.

Endlich beschloss ich, dass ich eine Philosophie der Tat entwickeln musste. Ich beschloss, die Schlange sanft mit einem kleinen Stock zu schlagen, bis der Frosch aus dem Schlangenmaul entkommen konnte. Die Schlange tat mir auch leid, deshalb würde ich sie nicht töten. Statt dessen würde ich ihr sagen: „Du kannst einen Frosch fangen, wenn ich nicht hier bin.“ Auf diese Weise löste ich mein erstes philosophisches Problem, das Problem von Leben und Tod. Ich weiß nicht, ob die Schlangen diese Lösung besonders mochten, aber das war das Ergebnis.

Von da an stellte ich mir jede Menge Fragen. Obwohl ich in der Hindureligion geboren war, konnte ich nicht alles akzeptieren, ohne meine eigenen Antworten zu finden. Ich konnte nicht alle Regeln und Vorschriften blind befolgen. Obwohl meine Eltern sehr religiös waren, war mein Verständnis von Religion das aller Teenager. Für viele von uns machte das, was die Eltern uns erzählten, überhaupt keinen Sinn. In der High School hatten wir Probleme mit den „Unberührbaren“ (die unterste Kaste im Kastensystem des Hinduismus).Wir durften nicht mit den „unberührbaren“ Kindern spielen, noch nicht einmal in ihre Nähe kommen. Wenn das geschah, mussten wir baden, um uns zu reinigen, sonst durften wir das Haus nicht betreten.

Seit dem Ereignis mit dem Frosch verursachten viele Ungerechtigkeiten – Unberührbarkeit, Leiden, Hunger, Tod – Aufruhr in meinem Geist."

Nachdem er die High School beendet hatte, verließ Swamy Kuttan im Alter von 16 Jahren zum ersten Mal sein Dorf und trat in die Armee ein. Das geschah während des 2. Weltkriegs, als die Rekrutierungsregeln ziemlich locker waren, so dass die Armee ihn aufnahm, obwohl er minderjährig war. Er hatte sich auf der High School in wissenschaftlichen Fächern ausgezeichnet und wurde daher als Rekrut im Ingenieur Corps aufgenommen. Er verließ seine Heimat teilweise aus Lust, die Welt zu sehen, wie jeder Teenager sie hatte, aber auch, weil er fühlte, dass ihn etwas zog. Er absolvierte das Basistraining und wurde dann in Jalandhur in Nordindien stationiert. Sein Geist wurde immer noch von philosophischen Fragen beherrscht. Im folgenden beschreibt er, wie er die Antworten fand, nach denen er gesucht hatte.

"Eines Abends hatte ich einen Wortwechsel mit einem meiner Freunde, einen dummen Wortwechsel, aber er rüttelte meinen ganzen Geist auf: Was ist das Leben? Was ist es? Wir machen immer dieselben Dinge. Wir stehen morgens auf, wir essen, wir waschen uns, wir gehen ins Büro, wir arbeiten, wir geben ein paar Anweisungen, wir nehmen Anweisungen entgegen, wir verdienen etwas Geld, wir gehen schlafen, wir genießen. Gibt es irgendetwas darüber hinaus?

Ich beschloss, mich von all diesen Dingen zu lösen und zog mich zurück, außer von meinen offiziellen Pflichten. Am nächsten Morgen suchte ich in meinem Büro nach einem verlorenen Brief, aber ich konnte ihn nirgends finden. Vielleicht war er im Papierkorb. Ich schaute nach, aber ich fand ihn nicht. Ich fand etwas anderes.
Im Papierkorb lag eine göttliche Nachricht. Es war eine kleine Broschüre, welche die Essenz des Yoga enthielt. Sie nannte sich Sadhana Tattwa, Praxis des Yoga. Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah. Der Mann, der diese bereits zerknüllte Broschüre geschrieben hatte, war Sri Swami Sivananda aus Rishikesh im Himalaya. Ich las den klaren, einfachen Inhalt.

Es begann mit einigen Überschriften: „Ein Gramm Praxis ist besser als Tonnen von Theorie.“ Dann beschrieb er einen einfachen Weg, Frieden zu finden. Er begann mit „Kultur der Gesundheit“, dann „Kultur der Energie“, „Kultur der Ethik“, „Kultur des Willens“, „Kultur des Herzens“, „Kultur der Psyche“, und zum Schluss „ Kultur der Spiritualität“.

Für die Pflege der Gesundheit forderte er uns auf, asana und pranayama zu praktizieren. Ich wusste überhaupt nichts darüber, aber ich kannte die Bedeutung der Worte. In Sanskrit bedeutet asana „Körperhaltung“. Ich hatte es tatsächlich schon einmal als kleines Kind gesehen. Ein Yogi kam in unsere Schule und führte die Yogahaltungen vor, daher konnte ich mich daran erinnern. Damals war Yoga selbst nicht besonders gut bekannt, also wollte ich es kennen lernen. Aber ich wollte nicht einfach nur Yoga lernen. Alles, was in diesem Flugblatt geschrieben stand, war das, wonach ich gesucht hatte. Ich spürte, dass ich diesen Mann finden musste, wo immer er auch war. Seine Schriften hatten einfach mein Herz durchdrungen.

Es war während des Krieges fast unmöglich, Rishikesh im Himalaya zu erreichen, das etwa 600-700 Meilen von meinem Armeecamp entfernt lag. Vor allem war es nicht erlaubt, Sonntags länger als 2 Stunden das Camp zu verlassen. Ich wollte 2 oder 3 Tage Ausgang haben, was normalerweise nicht erlaubt war. Egal, ich stellte einen Antrag und wartete ab, was passieren würde. Er wurde genehmigt, es war Gottes Wille.

Ich fuhr nach Rishikesh und sah Swami Sivananda das erste Mal. Diese Begegnung veränderte mein ganzes Lebenskonzept. Ich hatte erwartet, Swami Sivananda auf einem Tigerfell sitzen zu sehen, mit einem langem Bart, mit Blumen in der Hand, um die Schüler zu segnen, halt die Art, wie man die meisten Swamis sieht.
Ich glaubte nicht an diese religiösen Scheinheiligen, aber ich hatte immer noch diese Vorstellung im Kopf. Zu meinem Erstaunen hatte Swami Sivananda weder ein Tigerfell noch Blumen oder Schüler, die sich vor ihm verbeugten. Es gab eine Gruppe von Pilgern und Besuchern, die herum standen und saßen und ihm beiläufig Fragen stellten. Seine Antworten waren so wunderschön, so genau und so einfach.Ich war mitten in der Menge und saß weit entfernt. Ich konnte nur 2 Minuten bleiben, das war alles. Ich musste den Bus zurück nehmen oder man würde mich vor ein Kriegsgericht stellen.

Aber diese 2 Minuten waren für mich der Mühe wert, ihn zu sehen und zu wissen, welche Persönlichkeit er war. Ich konnte mich ihm nicht nähern, weil ich sehr unbedeutend und unwissend war. Ich konnte nicht einmal in seine Nähe kommen, denn ich war klein und unwissend. Welche Frage konnte ich ihm stellen?
Dort waren Hunderte von Menschen, die sehr intelligent, sehr gebildet und spirituell entwickelt waren. Ich war ein unbedeutender Junge von 17 Jahren. Welche Frage konnte ich solch einem spirituellen Riesen stellen? Aber das war für mich nicht wichtig. Als ich ihn sah, war ich zufrieden.
Zum ersten Mal sah ich einen aufrichtigen Menschen und was er sagte, war so direkt und wenn er lächelte, war es, als ob Energie von seinem Gesicht in meines strömte. Es berührte meinen Körper und meinen Geist. Mein ganzer Körper war in einer Art Exstase, einfach wenn ich ihn anschaute. Dann verließ ich meinen zukünftigen Meister.

Wenn du einer großen Seele, einem Heiligen, begegnest, können die merkwürdigsten und wunderbarsten Dinge passieren. Du spürst eine Veränderung in Geist und Seele, eine Bewegung, ein Aufrichten. Etwas hat sich zum Besseren geändert. Manchmal sind diese Veränderungen offensichtlich und dramatisch: Gefühle von Ekstase, ein starkes Gefühl, die Person bereits vorher gekannt zu haben oder auch Verwirrung, nicht wissen, was passiert ist aber spüren, dass eine unwiderrufliche Veränderung stattgefunden hat. Die Wirkungen können auch subtiler sein. Beim ersten Mal bemerkst du sie vielleicht nicht einmal oder überhaupt nicht. Aber auf einer gewissen Ebene hat die Begegnung einen tiefen Eindruck hinterlassen, der sich offenbaren wird, wenn du bereit dazu bist.

*Schüler:

Viele Menschen waren tief bewegt, wenn sie Swami Vishnudevananda zum ersten Mal trafen. Einige seiner Schüler erzählen von ihren ersten Begegnungen:

"Ich lebte in Crystal Lake, Illinois, als mir im März 1966 ein Freund erzählte, dass ein indischer Mönch in der Chicagohall am nächsten Tag eine Yoga vorführung geben würde. Aus reiner Neugierde beschlossen meine Frau und ich, dem Mönch zuzuhören und uns die Vorführung anzusehen. Da ich aus Indien stamme, kannte ich einige Aspekte dieser spiri tuellen Disziplin. Aber ich hatte noch nie eine echte Vorführung der körperlichen Seite des Yoga gesehen.

An diesem Nachmittag sprach Swami Vishnu-devananda ausführlich über Raja Yoga, wie er von dem indischen Weisen Patanjali beschrieben wird. Er führte die Zuhörer durch die 8 Stufen: yama, niyama, asana, pranayama, pratyahara, dharana, dhyana und samadhi. Er sprach im Besonderen von asana und pranayama, die Aspekte von Raja Yoga, welche als Hatha Yoga bekannt wurden. Er bezog sich auf sein Buch Das Große Illustrierte Yoga-Buch und betonte nachdrücklich die Vorzüge des Vegetarismus.

Der Swami führte verschiedene Asanas vor, erst Kopfstand und dann Schulterstand, Pflug, Vorwärtsbeugen und die Gleichgewichtsübungen wie Krähe und Krieger. Er beendete die 40-minütige Vorführung mit einigen bandhas (Verschlüssen) und 2 Atemübungen. Das Publikum lauschte hinge rissen und es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Der Swami lud zu Kommentaren und Fragen ein und ich erinnere mich an einen schwergewichtigen Mann, der mit einiger Kühnheit in der Stimme fragte: „Woher bekommen Sie die stärkenden Proteine, wenn Sie sich nur vege tarisch ernähren?“ Der Swami lud den Fragesteller ein, seine Stärke zu testen, während er die „Brücke“ vorführte (eine Rückbeuge mit Schultern und Füßen am Boden und den Hüften hoch in der Luft, gestützt von den Armen). Er bat den Gentleman, sich auf seinen Bauch zu setzen. Der Mann nahm die Herausforderung nicht an und das Ganze endete in lautem Gelächter.“

Dr. Jagdish C. Prabhakar
Northridge, CA

Ich war sehr aufgeregt, als ich Swami Vishnu zum ersten Mal treffen sollte. Das war in Brur-Hail in Israel, 2 Jahre nach meiner Yogalehrerausbildung. Ich hatte viele Geschichten über Swamiji gehört. Der Raum war voll mit Yogaschülern und Anhängern, die im Kerzenlicht saßen. Swami Vishnu ging aufs Podium und verneigte sich mit großer Inbrunst vor dem Bild seines Gurus Swami Sivananda. Im Bruchteil einer Sekunde verstand ich, dass dieser Mann sein Leben seinem Meister und seinen Lehren gewidmet hatte. Ich erfuhr ein tiefesGefühl der Liebe und Tränen traten in meine Augen."

Ananda
Israel

 

"Ich traf Swamiji das erste Mal in San Francisco. Ein Jahr zuvor hatte mir ein Swami in Rishikesh in Indien von ihm erzählt. Ich suchte in Indien nach einem Lehrer und er riet mir, nach Kanada zu gehen und den „Fliegenden Swami“ zu treffen. Aber mein Weg führte nach San Francisco. Dort gab mir jemand auf der Straße eine Broschüre, in der stand: „Der „Fliegende Swami“ kommt in die Stadt, Vortrag und satsang um 20 Uhr.“

Ich erinnerte mich an die Empfehlung aus Rishikesh und ging zu dem Vortrag. Das Zentrum war voller Menschen. Swamiji hielt einen Vortrag und während der ganzen Zeit, in der er sprach, stand ein Mann auf dem Kopf. Durch meinen Kopf gingen viele Gedanken, „dumm, tapfer, störend, egoistisch…“ Ich fand es nicht angemessen von ihm, dies während des Vortrags zu tun. Am Ende des Programms versuchte ich näher an Swamiji heranzukommen. Ich sah den Mann mit dem Kopfstand neben ihm. Swamiji begrüßte ihn liebevoll und erzählte allen, wer er war. Er kam gerade aus einem Gefängnis in der Nähe von San Francisco, wo Swamiji während eines Besuchs sein „Großes Illustriertes Yoga-Buch“ in der Bücherei zurück gelassen hatte. Dies hatte das Leben des Mannes verändert und aus einem Gefühl der Dankbarkeit und der Anerkennung stand er während des Vortrags auf dem Kopf, um Swamiji zu zeigen, dass er etwas gelernt hatte."

Swami Durgananda

 

Ich war 17 Jahre alt, als ich Swamiji das erste Mal traf. Es war im Frühling 1971. Unsere Lehrerin hatte ihre Schüler eingeladen, mit ihr ein Wochenende im ashram in Val Morin zu verbringen. In diesem Jahr waren hochhackige Schuhe „in“ und ich ließ meine an der Tür des Krishnatempels zurück. An diesem Tag saßen nicht mehr als 15 Leute bei Swamiji. Ich dachte, dass er mich direkt ansah, als er sagte: „Wenn Gott gewollt hätte, dass wir hochhackige Schuhe tragen, glaubst Du nicht, dass er dafür gesorgt hätte, dass ein Knochen aus dem Fuß heraussteht?“ Ich lachte mit den anderen. Es war keine Bosheit in seiner Stimme, nur eine einfache Aussage. Ich lache auch jetzt, um seine Stimme in meinem Kopf zu hören. Nichts hatte sich für mich jemals ehrlicher angehört. An diesem Wochenende hörte ich zum ersten Mal Kirtan (spirituelle Gesänge). Als ich Val Morin am Sonntag verließ, nahm ich ein Geschenk mit, welches mir in den  folgenden 20 Jahren Kraft gab, das Mantra Om Namo Bhagavate Vasudevaya. Dieses Mantra schwingt in meinem Herzen und meinem Geist seit dem Tag, an dem ich es zum ersten Mal hörte.

Radha
Montreal, Quebec, Canada

"Im April 1976 kam ich zum ersten Mal zum Yoga-Retreat nach Nassau, zur Konferenz für Yoga und Psychologie. Mein erster Blick auf Swamiji war eine überraschung. Hier war dieser große, irdische Mann mit einem warmen, lachenden Gesicht, der strahlte, auf dem Retreat ohne Begleitung von Bedien steten heumspazierte, die Menschen grüßte und sich darum kümmerte, dass alles gut lief. Später während des Bunten Abends sang ein junger englischer Komiker vom Typ Monty Python ein Lied nach der Melodie von Belafontes Banana Boat Man. „Swami Vishnu macht dich jederzeit glücklich“, war der Refrain, der Inhalt voller satirischer Anspielungen auf das Gedränge auf dem Retreat, die Reihen von Menschen, die auf dem Boden schliefen, auf das ausgehende Wasser, die fehlenden Badezimmer u.s.w. Ich sah hinüber zu Swami Vishnu, ob er verärgert war, aber er lachte noch herzlicher als sonst. Hier war ein guru, der nicht erwartete, dass man ihn in gedämpften Tönen verehrte. Leben war erlaubt, Glück war o.k. und Humor wurde anerkannt."

Silvia Goldsmith
New York City

 


"Ich besuchte das Sivananda Yoga Vedanta Zentrum in Tel Aviv, Israel, nachdem meine Mutter mir eine kleine Werbeanzeige gegeben hatte, die sie aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte. Es war eine Anzeige für Yogakurse, woran ich sehr interessiert war. Eigentlich mochte ich diese Geschäftsanzeige nicht besonders, ich war ziemlich beschäftigt damit, einen Weg nach Indien zu finden, wo ich einem großen Yogi in einer Höhle begegnen wollte, der mich von den Fesseln meines Geistes befreien sollte.


Sofort nachdem ich das Zentrum betreten hatte und von dem jungen Leiter namens SivaDass begrüßt wurde, hatte ich das seltsame Gefühl, dass ich „zu Hause“ war und einiges Gewicht von meinen Schultern genommen wurde. Da ich kein Geld hatte, schlug SivaDass mir vor, mich zu unterrichten, wenn ich täglich das Zentrum reinigen würde. Wir fingen gleich an, ich mit der Reinigung und er, imdem er mir ununterbrochen von jemandem namens Swamiji erzählte, der auf den Bildern aussah wie ein rundlicher, heiterer Inder, aber nicht wie der Höhlenguru, nach dem ich suchte. SivaDass lehrte mich asanas und Meditation, aber meistens pries er die Tugenden seines gurus, diesen Mann namens Swamiji. Rukimi, eine andere Mitarbeiterin, stimmte auch ein und immer, wenn sie sich an die eine oder andere Geschichte über Swamiji erinnerten, schienen ihre Augen in einem besonderen Licht zu strahlen.

Das machte mich noch neugieriger, diesen Mann zu treffen. Wer war er und warum ließ er ihre Augen so glänzen, wenn sie an ihn dachten? Die Zeit verging, SivaDass und Rukimi mussten in die USA zurückkehren und dieser Mann namens Swamiji schickte eine Frau mittleren Alters, Swami Dayananda, um das Zentrum zu leiten. Sie war ziemlich streng, aber sie schien viel von spirituellen Dingen zu wissen. Auch sie sprach ständig über ihren Swamiji und ihre Augen glänzten ebenso.
Eines Tages erfuhren wir, dass Swamiji uns für einige Tage besuchen würde. Er wollte in der Nähe von Jerusalem und in Tel Aviv ein Retreat durchführen.
Diese Nachrichten lösten eine unglaubliche Aufregung aus. Viele Dinge mussten plötzlich arrangiert werden: Leute riefen an, das Zentrum wurde geschrubbt und geschmückt, alles wurde aufgeräumt, das Retreat geplant, Räume für die öffentlichen Vorträge gemietet und Anzeigen aufgegeben. Eine gute Freundin des Zentrums, Rachel Salzburg, bot an, Swamiji bei seiner Ankunft zu bewirten, ihre Freunde wollten ein besonderes Essen zubereiten. Es gab eine Menge Vorbereitungen und noch mehr Aufregung.
Ehrlich gesagt dachte ich, dass das alles ein bisschen viel Wirbel um einen einfachen Menschen war, aber meine Neugierde auf diese Person, die solch
einen Betrieb und Geschäftigkeit und so viel deutliche Freude verursachte, wuchs immer mehr.

Am Abend von Swamijis Ankunft fuhren Swami Dayananda und Rachel zum Flughafen, während sich in Rachels Wohnung ungefähr 25 Menschen versammelt hatten. Wir saßen herum, plauderten und diejenigen, die Swamiji kannten, erzählten amüsante Geschichten über ihn. Aber das Flugzeug hatte Verspätung und wir wurden immer unruhiger und aufge wühlter. Einige mussten gehen. Nach mehr als vier Stunden Wartezeit gab es plötzlich einen riesigen Tumult im Treppenhaus. Irgendetwas Mächtiges kam die 4 Etagen heraufgestürmt und kam offensichtlich in unsere Richtung. Die Tür flog mit einer wirbelnden Energie auf und ein sehr kleiner Inder in einem braunen Regenmantel und braunen Hosen stand direkt vor mir und sah mich sehr aufmerksam an.

Mein Herz stand still, als er seine beiden sanften Händen ausstreckte, meine Hände in seine nahm und sagte: „Ich habe alles über Dich gehört.“ In diesem Moment fühlte ich, dass meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft durch seine Hände ging und er alles von mir wusste. In der nächsten Sekunde ging er durch den Raum, begrüßte alte Freunde, lachte schallend, machte neue Bekanntschaften und gab Anweisungen an seinen Sekretär und an Swami Dayananda. Das Merkwürdige war, dass er nun sehr groß erschien und keineswegs mehr klein. Ich war gleichzeitig verwirrt, erschüttert, sprachlos und verblüfft. Er wusste alles über mich – mein ganzes Herz, das ich versteckt gehalten hatte, er wusste es einfach so.

Wir setzten uns alle um einen großen Tisch, um zu essen. Der nächste Schock. Ich bin in einer britisch-kolonialen Weise erzogen worden, wo es sogar ein Sakrileg ist, einen Ellbogen auf den Esstisch zu legen. Und dieser Swami hier vermischte sein Essen auf dem Teller mit der Hand! Er zerquetschte sogar das Essen zwischen seinen Fingern und steckte es dann mit der Hand in den Mund, er aß wie ein Verrückter, wie ein kleines Kind. Er sagte auch zu Rachel, die eifrig Essen auf seinen Teller lud, dass er „ein guter Junge“ sei. „Schau, ich esse alles auf.“ Ich konnte diese barbarische Szene kaum begreifen und mein Geist hatte fast einen Kurzschluß. Ich starrte mit offenem Mund. Swamiji starrte zurück und fragte mich nach meinem Alter, mitten in der Unterhaltung mit jemand anderem. Ich konnte es gerade herausstammeln, aber er sprach schon mit jemand anderem. Er nahm einen Krug mit Wasser, hielt ihn in Armlänge in die Höhe, kippte seinen Kopf nach hinten und schüttelte den halben Inhalt von dieser Höhe direkt in seine Kehle. Das war zuviel für mich. „Überhaupt keine Manieren“, dachte ich. (Erst später, als ich nach Indien kam und dort jeden auf diese Weise essen und trinken sah, habe ich erkannt, dass dies eine kulturelle Norm war).

Als ich diese Nacht wach lag, war mein ganzes Sein ausgefüllt mit der außergewöhnlichen Präsenz dieses Menschen, der gleichzeitig so klein und groß, so nah und fern, so aufmerksam und scharfsichtig war und sich an scheinend nicht darum kümmerte, was andere von ihm dachten. Er war wirklich eine ziemlich geheimnisvolle Persönlichkeit. Ich glaube, als ich einschlief, funkelten meine Augen ein wenig, einfach weil ich an ihn dachte."

Swami Sankarananda