2. Kapitel - Den Guru finden

Was ist ein guru? Wörtlich bedeutet gu „Dunkelheit“ und ru „Licht“.
Ein guru führt uns von der Dunkelheit ins Licht. Ein guru ist ein männlicher oder weiblicher spiritueller Lehrer, der seine Schüler zur Gottesverwirklichung führt. Sie können berühmte Männer und Frauen wie Mahatma Ghandi oder Anandamayi Ma sein oder auch jemand, der nur einem einzigen Schüler bekannt ist. Ein guru ist kein gewöhnlicher Lehrer. Er oder sie ist eine gottesverwirklichte Seele oder auf dem Weg zum universellen Bewusstsein. Der Guru vermittelt dem Schüler spirituelles Wissen und zeigt den Weg zur Wahrheit, aber der/die Schüler/in erreicht die Befreiung nur durch seine oder ihre eigene Anstrengung. Swami Sivananda, der guru von Swami Vishnu-devananda, definiert in seinem Buch „Göttliche Wonne“ einen „guru“ wie folgt:

„Der satguru ist Brahman (Gott) selbst. Er ist ein Ozean von Wonne, Wissen und Gnade. Er ist der Kapitän deiner Seele. Er ist der Brunnen der Freude. Er beseitigt all deine Probleme, Sorgen und Hindernisse. Er zeigt dir den richtigen, göttlichen Pfad. Er zerreißt den Schleier der Unwissenheit. Er macht dich unsterblich und göttlich. Er transformiert deine niedere Natur. Er gibt dir das Rettungsseil des Wissens und zieht dich hoch, wenn du in diesem Ozean von Samsara zu ertrinken drohst. Halte ihn nicht einfach für einen normalen Menschen. Verehre deinen guru und verneige dich vor ihm mit Hingabe.“ Swami Vishnu-devananda beschrieb folgendermaßen, wie er erkannte, dass Sivananda sein guru war:

Als ich die Armee verließ, beschloss ich, vor meiner Rückreise nach Hause (über 2.000 Meilen weiter südlich) nach Rishikesh zu fahren und 2 Tage bei Swami Sivananda in seinem Ashram zu verbringen. Ich wollte von ihm lernen und ihm einige Fragen stellen.

Es war schon fast Abend, als ich im ashram ankam. Swami Sivananda verließ gerade mit einigen Schülern sein winziges Büro und ging den Hügel hinunter zum Ufer des Ganges, wo seine Hütte lag. Ich ging Richtung Büro und er kam gerade aus dem Büro, also traf ich ihn von Angesicht zu Angesicht.

Jetzt erkannte ich, dass ich ein Problem hatte. Es ist in Indien üblich, sich vor allen Heiligen, Swamis und frommen Menschen zu verbeugen. Swami Sivananda war nicht nur ein Swami und ein heiliger Mann, er wurde auch als einer der größten indischen Meister ungesehen. Aber ich war nicht bereit, mich vor jemandem  zu verbeugen. Ich wollte mich vor keinem heiligen Mann verbeugen, einschließlich Swami Sivananda, weil letztlich alle Menschen gleich sind. Warum sollte ich mich vor ihm oder jemand anderem verbeugen? Aber ich dachte, dass es sehr unhöflich wäre, vor jemandem zu stehen, ohne mich zu verbeugen, besonders vor einem Heiligen. Ich wollte nicht unhöflich zu ihm sein, besonders nicht in Gegenwart seiner
Schüler. Das war für mich derart unangenehm, dass ich sofort den Weg verließ und mich in einer Ecke versteckte, um Sivananda und seine Schüler vorbeizulassen. Sivananda ging weiter den Weg entlang und als er sich dem Platz näherte, an dem ich stand, schaute er auf und sah mich versteckt in der Ecke stehen. Er kam direkt auf mich zu. „Du bist aus Jalandhur gekommen“, sagte er, verbeugte sich vor mir und berührte meine Füße!

Ich stand da wie eine Statue. Dieser große Mann, wirklich ein Riese (natürlich war er ein spiritueller Riese, aber auch körperlich war er ziemlich groß, mehr als 1,80m), verbeugte sich vor einem törichten, einfältigen Dummkopf wie mir und berührte meine Füße. Diese Berührung, diese Handlung erschütterte mich vollkommen. Und das war das erste Mal, dass ich mich jemals vor jemandem verneigte.
In diesem Augenblick fiel ich Swami Sivananda zu Füßen, mit meinem ganzen Herzen, mit all meiner Liebe. Bis zu diesem Tag hatte ich nicht geglaubt, dass irgendein Wesen dieser Welt mich dazu bringen könnte, mich zu verbeugen, besonders mit solch einer Liebe und Hingabe. Swami Sivananda belehrte mich auf diese einfache Art und Weise. Er sah, was in meinem Herzen versteckt war, er sah meinen Schmutz und meine egoistische Natur und ohne zu zögern, lehrte er
mich große Demut.

Je höher du in die spirituellen Höhen gehst, desto bescheidener wirst du und das bewies Sivananda einem einfachen Jungen wie mir. In diesem Moment nahm ich ihn als meinen Lehrer an, meinen Meister, mein Alles. Swami Sivananda bat mich dann, einige Tage zu bleiben. Ich antwortete, „Ja, ich werde bleiben.“ Dann bat er einen seiner Schüler, mich zur Küche zu bringen und mir etwas zu essen zu geben. Am selben Abend bei Sonnenuntergang versammelten sich alle Schüler Sivanandas am Ufer des Ganges, um den Fluss zu verehren. Natürlich war es für mich abergläubisch, einen Fluss zu verehren. Ergab das irgendeinen Sinn? Ich dachte, dass alle Schüler Sivanandas ungebildete Dummköpfe sein müssten. Sie wussten nichts über Wasser und Flüsse. Wasser besteht aus H²O (beim Setzen verbessern: kleine 2 unten). Als Kind war ich ein wenig wissenschaftlich interessiert gewesen, in der Schule lernte ich Chemie, Physik, Elektronik usw. Nicht nur das, in meiner Chemieklasse stellte ich sogar selbst Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff her. Keiner von den Schülern aus dem Sivananda ashram schien irgendetwas darüber zu wissen. Sie verehrten diesen dummen Ganges!

Jedenfalls war es eine wunderschöne Szenerie wegen des Sonnenuntergangs, dem majestätischen Himalaya im Hintergrund und dem fließenden Strom. Auf jeder Seite saßen Swamis in orangefarbener Kleidung und meditierten, sangen und klingelten. Das war ohne Zweifel sehr schön, aber für mich war die Verehrung des Ganges reiner Aberglaube. „Es ist nur ein Fluss, was soll das?“, fragte ich mich, als ich die ganze Zeremonie beobachtete.

Dann kam Swami Sivananda und gesellte sich zu seinen Schülern. Das konnte ich nicht verstehen, weil Sivananda doch im Gegensatz zu seinen Schülern nicht ungebildet war. Bevor er Swami wurde, war er Arzt. „Ein Arzt, der noch nicht einmal weiß, dass Wasser aus H²O (beim Setzen verbessern: kleine 2 unten) besteht, was für ein Arzt ist das?“ Als ich so über Sivananda nachdachte, gesellte er sich zu der Gruppe. Genau in dem Augenblick, in dem ich dachte, „Wie kann ein Arzt nichts über H²O wissen?“, drehte Sivananda sanft seinen Kopf zu mir – er sagte nichts – und dann wieder zurück, um weiter an der Verehrung des Ganges teilzunehmen. Plötzlich sah ich den Ganges nicht mehr, der Fluss verschwand.

Stattdessen sah ich eine Masse von fließendem Licht mit der Botschaft, „Alles ist Gott, sogar der Fluss ist Gott. Gebrauche nicht Deinen winzigen Verstand, um Gott zu verstehen, das Unendliche. Dein Intellekt ist endlich. Dein Verständnis von Chemie, Physiologie, Wissenschaft, Biologie, Physik und Mathematik ist nichts. Dein
Wissen ist so klein, so endlich, so winzig, dass Du noch nicht einmal ein Sandkorn am großen Strand berührt hast. Weit über Deinen Intellekt, über Dein Verständnis hinaus gibt es unerschöpfliches Wissen und Reichtum, Stärke und Kraft, Frieden und Freude. Gebrauche nicht Deinen Intellekt, um Antworten über Gott und seine Offenbarungen zu finden. Alles ist Gott.“

Ich lernte an einem Tag zwei sehr schwierige Lektionen. Die erste lehrte mich Bescheidenheit, weil ich dachte, ich wäre etwas Besonderes. Die zweite lehrte mich, dass ich von nichts eine Ahnung hatte. So hatte ich zwei harte Lektionen an diesem Tag. Ich stellte nichts an Sivananda mehr in Frage. Dieser Tag war genug für mich.

Nach einem 2-tägigen Aufenthalt besuchte Swamiji seine Familie in Kerala und kehrte dann zur Armee zurück, um weiterhin seine Pflicht zu tun. Während dieser Zeit begann er, asanas und pranayama zu praktizieren und zu meditieren. Er lernte aus Büchern, die er im ashram gekauft hatte. Nachdem er die Armee verlassen hatte, fuhr er kurz nach Hause, aber es zog ihn zurück nach Rishikesh zu Sivananda. Er kehrte zurück zu einem weiteren „kurzen Besuch“, aber es endete damit, daß er 10 Jahre blieb. An diesem Punkt seiner Geschichte war er 20 Jahre alt.

Sivananda kam an mir vorbei, als er sein Büro verließ. Er sah mich an und sagte: „Hmm, bleib hier.“
„Ja, Swamiji.“ Das war alles, was ich sagte, ohne überhaupt zu denken. Dann verstand ich. Warum hatte ich mein Wort gegeben, dass ich bleiben würde? Von meinen Eltern hatte ich gelernt, dass man, wenn man sein Wort gibt oder sagt, dass man etwas Bestimmtes tun wird, dieses unter keinen Umständen zurücknehmen darf. Und jetzt hatte ich mein Wort nicht irgendeinem Menschen ge geben, sondern einem großen Weisen. Ich sagte, dass ich bleiben würde. Es war so eindeutig, und jetzt war ich hier, ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht nach Hause zurück, ich hatte mein Wort gegeben. Also ließ ich mich mit dem Segen des Meisters im Sivananda Ashram nieder, ohne zu wissen, ob ich die Kraft hätte, dieses neue Leben auch zu meistern. Aber in mir war eine Art Frieden und Freude im Wissen, dass mich in Zukunft ein großer Meister führen würde.

Es gab aber auch so etwas wie eine falsche Befriedigung in dem, was ich tat. Ich war froh, dass ich in der Lage sein würde, mehr über kundalini zu lernen, woran ich großes Interesse hatte. Ich wollte Hatha Yoga, Kundalini Yoga usw. lernen. Also dachte ich, der Meister müsste etwas in mir gesehen haben, etwas Großes. Ich dachte, er würde mich in Kundalini Yoga einweihen und ich wäre in der Lage, meine kundalini zu wecken. „Deswegen praktiziere ich jetzt mehr als 1 ½ Jahre Yoga, ich denke, jetzt bin ich bereit für eine solch tiefe Einweihung. Mit dieser falschen Vorstellung nahm ich seine Aufforderung an und blieb im ashram, ohne die wahre Absicht des Meisters zu kennen.

Am nächsten Morgen bat mich der Meister zu meinem Erstaunen, zu den Gästeräumen zu gehen, um die schmutzige Kleidung zu holen und sie im Fluß zu waschen. Ich hatte die Aufgabe bekommen, die Wäsche der Gäste zu reinigen! Ich konnte nicht verstehen, warum mich der Meister diese Arbeit machen ließ. Das könnt ihr vielleicht nicht verstehen, weil ihr in einer anderen Gesellschaft aufgewachsen seid, aber wenn ihr in Indien in einer höheren Kaste geboren worden seid, wird euch beigebracht, keine niedere Arbeit zu tun. Seit der Kindheit wird dir das eingetrichtert. Es sitzt in deinem Kopf. Du kannst nicht so einfach ausbrechen. Ich dachte: „Was ist der Sinn dieses Wäschewaschens? Ich bin gekommen, um Yoga zu lernen. Ich bin gekommen, um die kundalini zu erwecken. Ich bin gekommen, um Gott zu sehen!“

Aber der Meister hatte seine eigene Art des Lehrens. Jeder Einzelne, der zum Meister kam, hatte seine besonderen Fehler. Er sah von Anfang an, schon bei unserem ersten Treffen, dass mein ganzes Problem mein Ego war. Es war schon extrem. Ich war egoistisch und bis zu einem gewissen Grad bin ich es bis heute. Wenn ich irgendwo in die Nähe der Gottverwirklichung kommen wollte, musste ich das durchbrechen. Von Anfang an war das Training des Meisters, diesen größten Fehler in mir zu beseitigen, meinen größten Schmutz, das Ego. Also gab er mir die schwierigste Arbeit von allen. Es ging nicht um den Aufwand. Das war wirklich gar nichts. Es dauerte noch nicht einmal eine halbe Stunde, um ein halbes Dutzend Kleidungsstücke zu waschen. Das war es nicht. Es war das Leiden, das für mich damit verbunden war. Es war für mich sehr schmerzhaft, eine solche Arbeit zu tun, weit mehr, als ihr euch vorstellen könnt.

Von diesen frühen Lektionen stammt der Kern von Swamijis Lehren: Sieh Gott in allem und in jedem und diene allen in Demut. Wenn du diese einfachen Lehren ernsthaft praktizierst, wird dein Ego langsam schrumpfen und dein Herz wird wachsen. Wie weißt du, ob du deinen guru gefunden hast? Leider ist das wie die sprichwörtliche Frage zu stellen: „Wieviele Engel können auf einem Nadelkopf tanzen?“ Manche Menschen wissen es einfach fast sofort und intuitiv, wenn ie ihrem Lehrer begegnen. Andere kämpfen Jahre, zweifelnd, fragend, wünschend, hoffend. Es gibt keine leichte Antwort. Alles, was man dazu sagen kann, ist, dass man es einfach weiß, wenn es soweit ist.

*Schüler:

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich die sofortige Verehrung für Swamiji empfand wie er für Sivananda, aber dann würde ich nicht die Wahrheit sagen. Er wuchs mir gewissermaßen langsam ans Herz. Ich sah ihn zum ersten Mal 1978 im ashram von Val Morin während der geschäftigen Sommermonate. Ich verbrachte dort ein Wochenende, um „die Szene zu checken“. Während des satsangs morgens und abends saß Swamiji vorne in der Yogahalle und sprach zu uns. Was er sagte, war interessant, oft unterhaltend und immer bezog es sich auf das spirituelle Leben. Aber er war einfach ein lustiger kleiner Inder! Ich respektierte ihn aufgrund seines Wissens, aber sicherlich fühlte ich keine Ehrfurcht.

Ich kehrte immer wieder zum ashram zurück. Ich mochte das Gefühl der Gemeinschaft, ich mochte die Kurse, ich mochte all die Menschen, die ich hier traf. Meine persönliche Beziehung zu Swamiji begann, als ich ihn eines Tages auf der Straße traf. Ich hatte ihm nichts zu sagen, aber aus Respekt verbeugte ich mich vor ihm. Er lächelte und verbeugte sich auch. Das war unsere ganze Beziehung während der nächsten Zeit, einander zuzulächeln und sich zu verbeugen. Er fand meinen Namen heraus und sprach manchmal ein paar Worte zu mir, aber ich behielt meine Distanz, auch als ich mich mehr im ashram und in der Organisation engagierte, Kurse gab und jedem von diesem wunderbaren Platz in den Laurentians erzählte.

Eines Tages, als ich große emotionale Schwierigkeiten hatte, wollte ich Swamiji privat sprechen, um mir einen Rat zu holen, der meinen Geist beruhigen und mich aus meiner Zwangslage befreien würde. Ich erzählte ihm meine Probleme, während er zuhörte und lächelte. Ich konnte wirklich seine Liebe zu mir und seine Anteilnahme für meine Probleme spüren. Er gab mir einen Rat, was zu tun sei und was er sagte, passte zu einem yogischen Leben. Ich spürte eine neue Nähe zu Swamiji, ein neues Gefühl der persönlichen Beziehung zu ihm. Aber ich konnte immer noch nicht völlig Loslassen. Ich hielt mich zurück. Es war gut, ihn um Rat zu fragen, aber ich wollte ihn nicht mein Leben bestimmen lassen, wie ich es bei anderen um mich herum sah. Ich wusste selbst, was am besten für mich war.

Im Sommer 1986 plante Swamiji eine Tour durch Indien für das kommende Jahr, zum Gedenken an Sivanandas 100. Geburtstag. Er lud seine Schüler ein, ihn zu begleiten. Meine Frau und ich sprachen darüber und entschieden, dass sie fahren würde, während ich zu Hause blieb, um mich um unsere beiden Kinder zu kümmern. Sie waren damals 7 und 12 Jahre alt. Es war einfach undenkbar, sie bei Freunden und Verwandten zu lassen, während wir beide 6 Wochen durch Indien reisten. Swamiji fragte mich während des Sommers und im Herbst mehrere Male, ob ich ihn nach Indien begleiten würde. Jedes Mal sagte ich ihm:

„Nein Swamiji, Madasala geht mit, ich muss zu Hause bleiben und mich um die Kinder kümmern.“ Es schien, als würde er meine Antwort akzeptieren, aber das nächste Mal, wenn er mich sah, stellte er mir wieder die gleiche Frage. Es frustrierte mich wirklich. Ich dachte: „Diese sannyasins verstehen nichts vom Familienleben.“ Er war unglaublich beharrlich, und ich war genauso hartnäckig. Gleichzeitig fühlte ich eine Art Schuld. Wenn er mein Lehrer war, warum zeigte ich ihm nicht mehr Aufmerksamkeit und tat, was er sagte. Mein praktischer Verstand sagte mir eine Sache, mein Herz sagte eine andere.

An Neujahr fuhr ich für 2 Tage mit der Entscheidung in den ashram, dass ich einfach nachgeben würde, wenn Swamiji mich noch einmal fragen würde, ob ich mit ihm nach Indien ginge. Während der 2 Tage sah ich ihn mehrere Male, aber es war, als ob ich gar nicht da wäre. Er grüßte mich nicht, sprach nicht mit mir, er nannte noch nicht einmal meinen Namen, wenn er an mir vorbeiging. Das war äußerst ungewöhnlich und bestürzend für mich. Was war mit meiner persönlichen Beziehung zu ihm geschehen? Dann war es Silvester 1 Uhr morgens. Das Silvesterprogramm war vorbei und Swamiji machte sich zum Gehen bereit. Ich wollte am Morgen nach Hause fahren und würde ihn lange Zeit nicht wiedersehen. Ich stand hinter einer Menge von 50 oder 60 Menschen, fühlte mich deprimiert und dachte: „Na gut, ich denke, ich gehe nicht mit nach Indien.“

In dem Augenblick drehte sich Swamiji zu mir um, sah mich an und sagte: „ Gopala Krishna, geh nach Indien.“
Ich antwortete: „ Ja, Swamiji.“ Er drehte sich um und sagte kein weiteres Wort. Ich war völlig verblüfft. Woher wusste er, was ich dachte? Woher wusste er genau in diesem Moment, dass ich reif dafür war, endlich loszulassen und ja zu sagen, ihn einfach zu akzeptieren? Ich fühlte eine herrliche Welle von Erleichterung und Freude. Ich machte mir überhaupt keine Sorgen darüber, wie alles werden würde, ich wusste einfach, dass alles gut sein würde. Swamiji würde dafür sorgen.

Gopala Krishna

Ich brauchte Jahre, um Swami Vishnu als meinen guru zu akzeptieren. Anfangs passte er irgendwie nicht in mein Bild von einem guru. Mein erster Yogalehrer in Fredericton, New Brunswick, hatte bei Swamiji und im Yoga-Zentrum in Montreal in den frühen 60ern gelernt. Swamiji übte dort früher mit seinen Schülern zusammen Asanas. Die Sivananda Yogakurse gefielen mir wirklich. Eines Abends brachte der Yogalehrer eine Kassette mit Kirtans von Swami Vishnu mit in den Kurs. Ich war davon sehr angetan, war mir aber nicht sicher, was ich davon halten sollte.

Nachdem ich Fredericton verlassen hatte, war ich ständig auf der Suche nach einem guten Yogakurs. Ich lebte eine Weile in Boston und besuchte die dem Sivanandastil ähnlichste Yogaklasse, die ich finden konnte. Ich besuchte ihren ashram, wo ich ihren guru traf, Swami Satchidananda. Ich war äußerst beeindruckt! Ein aufrechter, großer Mann, so würdevoll. Als ich ihn sah, wie er die Yogahalle betrat, fragte ich mich, ob seine Füße den Boden berührten oder ob er über ihm schwebte. „Ah, ein guru“, war ich überzeugt. Als ich Swami Vishnu 1982 in Nassau bei der Yogalehrer-Ausbildung das erste Mal sah, konnte ich es nicht glauben. Er schrie das Personal an, bellte Befehle, stürzte sich auf alles. Keine Stille, kein Schweben. Er schien verärgert. Nach der Yogalehrer-Ausbildung verpflichtete ich mich für 6 Monate im Montrealer Zentrum. Daraus wurden 5 ½ Jahre in Montreal und Val Morin, alles in unmittelbarer Nähe von Swamiji. Ich war immer unsicher, ein bisschen wachsam und fragte mich, ob er es war, ob er es sein könnte, mein guru.

Manchmal dachte ich, er müsste es ein. Nachdem ich jahrelang in der Organisation gearbeitet hatte, war ich beeindruckt von seinem Lachen, seiner Freude, der Weisheit im satsang. Zu anderen Zeiten war ich nicht so sicher.
Das Schreien, die manchmal angespannten Beziehungen zu seinen jetzigen und früheren Schülern störten mich. Nach 5 Jahren konnte ich noch nicht einmal sicher sein, ob Swamiji sich von Woche zu Woche an meinen Namen erinnern würde. Während der Jahre überwand ich meine Furcht, aber ich war mir immer noch nicht sicher, ob er mein guru war, mein Lehrer, der Entferner der Dunkelheit.

Es kam für mich die Zeit, die Organisation zu verlassen und wieder ein Familienleben zu führen. Zu dieser Zeit war ich Mitarbeiter im ashram in Val Morin. Ich wurde zusammen mit Michael, einem anderen Mitarbeiter, zu Swamijis Haus gerufen, um an einem Buchhaltungs-Meeting teilzunehmen. Es war ein außerordentliches Meeting. Michael stellte Swamiji ein paar persönliche Fragen und erhielt einige persönliche Ratschläge. Dann drehte sich Swamiji zu mir um und sagte: „ Arjuna, jetzt gehst Du in die Welt hinaus. Es wird nicht leicht sein…“ und fuhr fort, mir persönliche Ratschläge zu geben, eheliche Ratschläge, Unterstützung.

Ich war erstaunt: er kannte mich, er kannte mich wirklich und meine Frau auch. Er sagte: „Arjuna, du weißt es nicht, aber ich kenne alle meine Schüler, liebe sie, sorge gründlich für sie. Es ist mir wichtig, wie es ihnen geht.“ Ich hatte so etwas noch nie vorher gehört, hatte Swamiji nie in diesem Ton reden hören. In diesem Augenblick wusste ich, dass er mein guru war. „Nimm Dein Mantra mit Dir und wiederhole es, Du wirst es als Schutz in der Welt brauchen“, sagte er.

Arjuna
Aylmer, Quebec, Kanada

Ich traf Swamiji das erste Mal im Januar 1987 am Ende der Yogalehrer-Ausbildung in Neyyar Dam in Indien. Jeder freute sich auf seinen Besuch. Als er ankam, war die Atmosphäre von Bhakti erfüllt, alle wiederholten Om Namo Narayanaya, verbeugten sich vor ihm und warfen ihm Blumen zu. Ich begann zu weinen, erst leicht, dann immer stärker. Für gewöhnlich zeige ich meine Gefühle nicht so öffentlich und ich fand auch keinen sichtbaren Grund dafür.

Ich habe lange über dieses Ereignis nachgedacht und vor ein paar Monaten gewann ich den Eindruck, dass Swamiji in vorigen Leben ein guru war und seine alten Schüler wiedertraf. Ich mag es nicht, viel über frühere Leben zu spekulieren, aber es scheint die einzig akzeptable Erklärung für mich. Wenn man nach einer langen Zeit einen guten Freund oder einen Verwandten trifft, weint man manchmal wegen des intensiven Gefühls. Dieses Ereignis war definitiv etwas sehr Wichtiges in meinem Leben. Wahrscheinlich beschloss ich deswegen, mit meiner Suche nach einem anderen Weg oder guru aufzuhören.

Swami Atmaramananda

Swamiji erzählte uns oft, dass er in früheren Leben unser guru gewesen sei. Anstatt in seinem früheren Leben seine Pflicht uns gegenüber zu erfüllen, sei er fortgegangen, um in den Wäldern zu meditieren und hatte uns alleine kämpfen lassen. Er musste sich reinkarnieren und wieder unser guru werden, um seine Verpflichtung uns gegenüber zu erfüllen. Viele Menschen hatten dieses deja vu Erlebnis, wenn sie ihn das erste Mal sahen. Andere kamen auf anderen
Wegen dazu, Swamiji als ihren guru anzunehmen.

*Schüler:

Ich kam im Spätherbst 1983 zum ersten Mal zusammen mit meinem Mann Jim auf die Yogaranch nach Woodbourne. Wir nahmen am Unterricht teil und halfen an den Wochenenden. Wir begegneten Swamiji zum ersten Mal in diesem Winter nur kurz und dann wieder, als wir Mitarbeiter geworden waren und an der Yogalehrer-Ausbildung im Herbst 1984 teilnahmen.

Ich war über die Bedeutung eines gurus verwirrt und ob man überhaupt einen brauchte. Obwohl ich mich Swami Sivananda sehr nahe fühlte, hatte ich noch viele Zweifel darüber, wer Swami Vishnu-devananda eigentlich war. Dann hatte ich nach der Mantraeinweihung einen sehr eindrucksvollen Traum:
Swamiji kam im Traum zu mir, ganz weiß gekleidet und eingehüllt in ein strahlendes Licht. Er brachte sein Gesicht sehr nah an meines, sah mich mit einem schelmischen Lächeln an und sagte: „Ich bin Dein guru, weißt Du.“ Ich antwortete: „Ich weiß, Swamiji, aber Du bist so anders und seltsam, ich verstehe einfach nicht.“

Aber Swamiji sah mich eindringlich an und meine Zweifel verschwanden. Irgendwie verstand ich in meinem Inneren, obwohl er jenseits von allem war, was ich verstehen konnte, dass er mein guru war. Danach träumte ich oft von Swamiji. Einmal dachte ich darüber nach, mir einen spirituellen Namen zuzulegen. Jim wollte nicht, dass ich meinen Namen in einen Sanskritnamen änderte. Swamiji kam im Traum und sagte: „Mach Dir keine Sorgen über einen Namen. Es macht keinen Unterschied. Lass es, wie es ist.“

Diese Träume waren nicht wie normale Träume. Ich hatte das Gefühl, sie waren wirkliche Besuche von Swamiji. Das Gefühl von Frieden und Inspiration danach war das Gleiche wie in seiner Gegenwart. Einmal, als Swamiji zur Ranch kam, fragte ich ihn, ob er von meinen Träumen wusste. Er lächelte wissend und sagte: „Träume nicht von Swami Vishnu, träume von Gott Vishnu.“

Lisa
Woodbourne, NY, USA

Letzten Monat (Dezember 1984) reiste ich mit dem Team des New Yorker Sivananda-Zentrums nach Kanada, um Weihnachten und Neujahr mit Swami Vishnu im ashram in Val Morin zu verbringen. Zuerst fuhren wir zur Ranch im Norden New Yorks, dann reisten wir gen Norden bis hinter Montreal und weiter in das Laurentiangebirge. Als wir in Val Morin ankamen, schneite es heftig. Die Mitarbeiter gingen zu Swamijis Haus hinunter, um ihn zu besuchen, aber ich sah ihn erst beim satsang, wo er vom Stern Bethlehems sprach und uns bat, diesen geistig zu visualisieren. Als er sprach, begann mein Geist zu wandern. Ich dachte: „Dieses Sternengerede wird ziemlich langweilig.“ Plötzlich, als ich dort mit geschlossenen Augen saß, sah ich etwas Glänzendes, Sternenförmiges. Ich dachte: „Er mag sich wiederholen, aber es funktioniert.“ Ich wunderte mich über diese besondere Wirkung seiner Geisteskraft auf mein Bewusstsein.

Trotzdem hatte ich während meines ganzen Aufenthalts ständig etwas an ihm auszusetzen. Als er zur Meditation erschien, fragte ich mich: „Wer macht hier solchen Lärm?“ Eine schwerfällige, atemlose Person kam in den Raum, mit sehr viel unwürdigem Gepuste und Gekeuche. Ich blinzelte verstohlen und da war es Swamiji mit einem mürrischen Gesichtsausdruck, der seine Füße unter sich begrub, als er sich in seinem riesigen, orangefarbenen Stuhl niederließ. Außerdem hustete er, was ich als störend empfand.

War das der heilige Mann, den ich im Herbst in New York so verehrt hatte, als er eine Devi Puja zu Ehren der großen Göttin gab? Ich war damals so überwältigt von Swami Vishnus Heiligkeit, dass ich ihn auf der Stelle um eine Mantraeinweihung bat. Seitdem hatte ich stets gewissenhaft mein Mantra wiederholt und sehr fleißig meditiert. Aber ich kam nicht voran. Ich war nach Val Morin gekommen, weil ich hoffte, dass Swamiji mir helfen würde, meinen Meditationsstillstand zu durchbrechen. Jetzt, wo ich endlich in seiner Gegenwart war, wusste ich nicht so recht, was ich von ihm halten sollte.

Am Tag nach Weihnachten gab es stundenlange Schneeschauer und Swamiji wurde durch die Eisschicht in seinem Haus festgehalten, weil die Straße, die steil von seinem Haus hinaufführte, für ihn unpassierbar war. Zuerst wurde angekündigt, dass die Meditation ausfiel. Dann wurde uns gesagt, dass sie doch stattfand, aber ohne Swamiji. Ich glaube, wir waren alle ziemlich untröstlich bei dieser Aussicht, ich jedenfalls war es. Ich wollte soviel Zeit wie möglich mit ihm verbringen, obwohl er mich verwirrte oder vielleicht gerade deswegen. Also war ich sehr aufgeregt, als wir zur Meditation in sein Haus eingeladen wurden.

20 von uns marschierten die vereiste Straße zu Swamijis Haus hin unter und wurden in das angrenzende Gewächshaus geführt. Am Ende des Raumes gab es einen großen Whirlpool mit dampfendem Wasser, von Hängepflanzen tropfte Kondenswasser auf unsere Köpfe. Die feuchte, üppige Atmosphäre war ein willkommender Kontrast zu der eiskalten Welt da draußen, aber es war nicht die asketische, spartanische Umgebung, die ich erwartet hatte. Ich kam zum Schluss und setzte mich auf den einzigen freien Platz, direkt zu Füßen von Swamijis orangefarbenem Stuhl. Ich blickte nervös umher und fragte mich, was ich machen sollte. Endlich kam er. Er brauchte einige Zeit, bis er sich auf seinem Stuhl niedergelassen hatte und dann informierte er uns, dass er nicht reden, sondern uns in die Meditation führen würde. Knapp und wunderschön erklärte er Meditation und Mantras und erreichte dann den meditativen Zustand. Ich konnte das genau sehen, da ich nicht meditierte, sondern ihn beobachtete. Ich riss mich zusammen und begann nun gewaltig zu arbeiten, um meinen Geist zu beruhigen. Nichts geschah. Ich war so enttäuscht. Ich war sicher, dass ich anfangen würde, Fortschritte zu machen, so mittendrin in seinem Energiefeld.

„Bitte, guru, reinige meinen Geist“, betete ich, und ich meinte es so. Nichts. Also fand ich mich einfach damit ab, mich in seiner Aura zu sonnen und akzeptierte es als das, wofür ich zur Zeit bereit war. Dann kratzte er sich. „Wie geht das?“, fragte ich mich. „Kann sogar er herum zappeln und sich kratzen?“ Aber der Gedanke entschwand sofort aus meinem Geist und kaum hatte er sich gekratzt, erreichte ich einen glückseligen geistigen Zustand.

Als die Meditation beendet war, sangen wir unter seiner Führung 15 Mi nuten Om Namo Naranayana. Er verabschiedete uns, indem er sagte: „Dieses Mantra wird Euch helfen, den Geist zu reinigen.“ Ich hatte das Gefühl, dass er mich direkt ansah und mir geschäftsmäßig ein bisschen zunickte. An unserem Abreisetag schneite es heftig. Swamiji rief uns New Yorker hinunter zu seinem Haus, um uns zu verabschieden. Er begrüßte uns an seinem Schreibtisch in einem schwarzen Lederdrehstuhl sitzend, seine Füße unter ihm vergraben. Wir saßen auf dem Boden und tranken heiße
Schokolade. Auf Swamijis Aufforderung las jemand laut Werbematerial vor, wie man einen Computer von Grund auf mit einer Art Teilchen-Kit bauen konnte. Wir mussten über dieses offensichtlich übertriebene Versprechen der Werbung kichern, aber Swamiji wollte unbedingt alles hören. Er war sehr angetan von der Idee, mit Hilfe eines jungen Mitarbeiters selbst einen Computer zu bauen. Ich hatte mir meinen gurunicht unbedingt als einen Mechaniker vorgestellt, aber ich musste zugeben, dass ich seine Fähigkeit zur jungen haften Begeisterung mochte. Auf jeden Fall hatte er einen wissbegierigen Geist.

Ich stellte fest, dass meine Augen brannten, als ich Swamiji ansah und ich war fast benommen von der Kraft seiner Gegenwart. Die Tatsache, dass seine Aufmerksamkeit nur einigen wenigen Leuten galt, schien seine Energie zu verstärken. Er plauderte mit uns, während wir unsere Schokolade tranken und ich wurde dadurch belohnt, dass er mich mittlerweile ein wenig kannte. Ambika und ich hatten zu Ehren seines Geburtstages an Silvester ein Theaterstück aufgeführt. Seitdem hatte ich bei der Meditation den Eindruck, dass er prüfte, ob ich da war. Vielleicht hatten wir alle dieses Gefühl? Er fütterte uns mit Mozartkugeln und Süßigkeiten und gab uns zum Abschied seinen Segen. Aber es schneite weiter und spät am Nachmittag erfuhren wir, dass Swamiji uns nicht erlaubte, bei solch einem Sturm abzureisen. Wir sollten erst am nächsten Morgen um 5.30 Uhr fahren, da es bis dahin aufhören sollte zu schneien.

Früh am nächsten Morgen waren wir auf und stapften durch den Schnee, um das Auto zu packen. Es war stockdunkel und unheimlich still. Plötzlich erschien Swamiji mit einer Taschenlampe, da er von seinem Haus auf dem Weg zur Meditation war. Er war eine erstaunliche Erscheinung in seiner orangefarbenen Robe, mit Armeestiefeln, orangefarbener Daunenjacke und Turban. Er begrüßte uns herzlich und betete intensiv für unsere Sicherheit. Er segnete jeden von uns und ging dann weiter, drehte sich aber ein- oder zweimal um, um uns weiter zu segnen. Ich habe ein deutliches Bild von Swami Vishnu vor meinem Auge, in seinem erstaunlichen Gewand, im Schnee stehend, mitten in der Dunkelheit um uns herum, große Liebe und Anteilnahme ausstrahlend.

Wir drängten uns ins Auto und fuhren davon. Die Straßen waren entsetzlich und wir schlitterten einige Male gefährlich. Ich war ungeheuer froh über Swamijis Segen. Hinter Montreal besserte sich der Straßenzustand und wir machten uns auf die lange Reise zurück nach New York. Ich starrte aus dem Fenster und ließ im Geiste meine letzten Begegnungen mit Swamiji noch einmal an mir vorbeiziehen. Ich konnte ihn nicht verstehen. Er war unverkennbar so heilig und zur selben Zeit unverkennbar solch eine Persönlichkeit. „Wenigstens machte er nichts vor“, dachte ich. Nein, er zeigte sich als eine Person, genau wie ich eine war. Ich beschloss jedenfalls, mich von seinem mangelnden Anspruch nicht täuschen zu lassen. Ich sah in ihm genau das, was er war: ein bewundernswerter Gurudev.

Saraswati
New York City