3. Kapitel - Mit dem Meister

Swamiji verbrachte die Jahre zwischen 1947 und 1957 meist im Sivananda Ashram in Rishikesh, um dort von einem der größten gegenwärtigen, indischen Heiligen zu lernen und ihm zu dienen. Es war nicht immer einfach für ihn. Er hatte seine Heimat verlassen, die 2.000 Meilen südlicher war. Da er der einzige Sohn war, erwartete seine Familie von ihm, dass er zurückkehrte. Wo lag nun seine Pflicht, bei seiner Familie oder bei seinem guru? Er kämpfte mit diesem Problem. Mit seinen Worten:

Nach etwa 6 Monaten Aufenthalt gab es einen erbitterten Kampf in meinem Geist. Wenn du zum ersten Mal in einen  Ashram gehst oder zu einem Meister, denkst du, dass es viel einfacher ist. Es ist alles neu. Es ist wie wenn du aus einer Wüste kommst. Plötzlich bist du unter einem schattigen Baum, kühl, mit viel Wasser. Wie fühlt sich das an? So wunderbar, nicht wahr? Du trinkst das Wasser, badest darin und sitzt im kühlen Schatten. Aber wenn du jeden Tag im selben Pool liegst, unter demselben Baum, wie fühlt sich das nach einiger Zeit an? Es wird monoton. Aber das erste Mal, wenn du kommst, ist es einfach wunderbar.

Es ist das Gleiche, wenn du in einen Ashram oder zu einem Meister gehst. Wenn du ankommst, kommst du aus einer Welt, wo es wie in der Wüste ist, die Menschen sind alle negativ, die Gedanken sind negativ, jeder versucht, dem anderen die Kehle durchzuschnei den. Aber wenn du in den Ashram kommst, ist alles rein, die Menschen sind alle gut und jeder versucht, anderen zu helfen. Sie sind noch nicht perfekt und jeder hat seine eigenen Fehler, aber er ver sucht, sie zu korrigieren. Es gibt eine Menge Probleme in Ashrams, sie sind wirklich nicht so heilig, wie man glaubt. Du  findest dort alles zwischen Heiligen und Sündern, manchmal kommen Gauner als spirituelle Aspiranten verkleidet und werden dann von der Polizei abgeholt. Also ist es ganz schön schwierig im Ashram, es gibt jede Art von Temperament und Zustand. Aber dennoch ist es wie unter einem großen Baum, wenn du beim Meister bist. Jeder kann unter diesem Baum sitzen und den Schatten genießen. Es gibt keine Parteilichkeit unter diesem Baum; sein Schatten ist vollständig offen für alle, die zu ihm kommen. Wir sind einfach ausgedörrte Menschen, die aus Städten und Dörfern und  verschiedensten Teilen der Welt kommen und der Meister ist wie ein großer Baum, der jedem Schatten spendet, der zu ihm kommt.

Nach einiger Zeit beginnt dein Geist langsam sogar in diesem Schatten die Monotonie zu spüren. So kam dieses schreckliche Problem zu mir: ein Teil meines Geistes begann, mich zurück nach Hause zu ziehen, zu den alten samskaras, weißt du, zu meinem Vater, meiner Mutter, meinem Haus, meiner Familie und meinen Schwestern. Die andere Seite meines Geistes zog mich zum Meister, weil ich mein Wort gegeben hatte. Welchen Weg sollte ich gehen? Sollte ich fortgehen, meinen Eltern dienen und bei ihnen bleiben oder sollte ich bei meinem Meister bleiben? Ich konnte damit nicht leben, ich konnte es nicht mehr aushalten! So ging ich zu meinem Meister und fragte ihn: „Was soll ich tun?“

Ich war nicht stark genug, direkt zu ihm zu gehen und ihm von meinen Problemen zu erzählen, weil wir unserem Meister stets Respekt zollten und ich ihm sehr nahe stand. Es war sehr schwer für mich, ihm direkt eine solche Frage zu stellen. Soviel wusste ich jedenfalls, mein Herz zog mich zu meinen Eltern. Also schrieb ich ihm eine kleine Notiz über meinen Geisteszustand.

Meine Eltern liebten mich. Sie hatten mir bereits zahlreiche Briefe geschrieben und erwarteten mich zu Hause. Sie wussten zu keinem Zeitpunkt, dass ich im ashram bleiben wollte, aber jetzt, nach 6 Monaten, hatten sie es vermutet. Sie schrieben mir, dass ich nach Hause kommen und mit ihnen leben sollte, mich um das Land meines Vaters kümmern und meinen Verpflichtungen nachkommen sollte, da sie langsam zu alt wurden. Das ist das Normale, das ist der Brauch in Indien. Man kümmert sich um seine Eltern, besonders wenn man ein Mann ist. Es ist seine Pflicht, sich um sie zu  kümmern, und so erwarteten sie von mir, zu Hause zu sein.

Aber ich hatte auch andere Verpflichtungen. Ich hatte meinem Meister mein Wort gegeben und ich fühlte eine tiefe Liebe zu ihm, zu seiner Organisation und seiner Mission. Also schrieb ich ihm: „Meine Eltern ziehen mich in die eine Richtung, ich möchte nach Hause zurückkehren. Ich möchte aber auch hier bleiben und dienen. Ich weiß nicht, welchen Weg ich gehen soll. Ich habe schreckliche Qual in meinem Herzen. Ich brauche Deinen Rat. Was soll ich tun? Soll ich nach Hause gehen oder soll ich bleiben?“

Was war Sivanandas Antwort?: „Mata nasti, Pita nasti.“ Das heißt, „für Dich weder Mutter noch Vater.“ Das ist eine großartige philosophische Formel. In unzähligen vergangenen Leben hatte ich Mütter und Väter. Auch in diesem Leben gab es einen Vater und eine Mutter, aber sie würden nicht ewig hier sein. Das war alles, was er sagte. Er sagte nicht viel. Aber das war genug, weil ich genau wusste, was er meinte. Er konnte alles sehen, was mit mir und meiner Zukunft geschah. Damals war ich noch jung, ich konnte das nicht verstehen, ich wusste nicht, was er sah, ich konnte es noch nicht einmal glauben, was er sah, aber ich akzeptierte es.

Es erscheint sehr grausam, einem jungen Mann zu sagen, er soll Vater und Mutter vergessen. Der Meister sagte damit, dass ich sicherlich nicht glücklich werden würde, wenn ich nach Hause zurückkehrte, weil es für mich nicht bestimmt war, in einer kleinen Familie zu leben, mit Freunden, einigen Kindern usw. Das war keinesfalls in mir angelegt. Ich konnte das damals nicht erkennen. Jetzt kann ich sehen, in welchem Zustand ich wäre. Es gibt für mich kein persönliches Familienleben, es ist einfach nicht bestimmt.

Nach diesem Tag habe ich nie wieder gedacht, dass ich nur einen Vater und eine Mutter habe, sondern ich sah in allen Lebewesen in diesem Universum meinen Vater und meine Mutter. Das ist die Lehre, die ich von meinem großartigen Meister empfing. Ich war ein kleines bisschen friedlicher und stärker und eindeutig bereit zu bleiben. Dennoch musste ich durch verschiedene Entwicklungsstufen gehen. So viele Dinge musste ich durchleben. Das war nur der allererste Schritt meines Lebens.


Was meinte Sivananda wirklich, als er zu Swamiji sagte: „Du hast keine Mutter und keinen Vater?“ Sivananda war Arzt. Er wusste, dass Swamiji physisch einen Vater und eine Mutter haben musste, aber er sprach in einem höheren Sinn und nutzte diese Gelegenheit, um eine größere Wahrheit zu lehren. So lange wir denken, dass wir dieser Körper sind, so lange wir uns mit Vater, Mutter, Familie, unserer physischen Realität identifizieren, können wir unsere wahre Natur nicht verstehen. In unserer Essenz, unserer Seele sind wir eins mit Gott, nicht getrennt oder individualisiert. Unsere wahre Natur geht über unseren Körper hinaus und in diesem Sinn haben wir keinen Vater und keine Mutter. Wir sind sowohl ohne Geburt als auch ohne Tod.

Bald nach diesem Ereignis legte Swamiji das Brahmacharya-Gelübde (Keuchheitsgelübde; Vorstufe zum Mönchstum) ab, gab alle Vergnügungen der Sinne auf und nahm den Namen Vishnu Chaitanya an. Im März 1948 legte er dann sein  Sannyas-(Mönchs-)Gelübde ab und wurde Swami Vishnu-devananda.

Der neue Swami Vishnu-devananda wurde Sivananadas persönlicher Assistent, verbrachte fast den ganzen Tag mit ihm und war bei Sivananda in jedem Moment, den dieser in der Öffentlichkeit verbrachte. Durch diesen nahen täglichen Kontakt mit einem so großen Weisen lernte er viele Lektionen sehr schnell. Das ist ganz anders als von einem normalen Lehrer zu lernen, jemandem, der dir Mathematik, Automechanik oder etwas anderes beibringt. Swamiji erklärt es hier folgendermaßen:

Es ist nicht so, dass wir ohne weiteres und blindlings jedem Lehrer folgen sollen, aber wenn wir einmal einen Lehrer als den unserenakzeptiert haben, wissen wir, dass es des Lehrers einzige Absicht ist, uns zu helfen und uns den richtigen Weg zu zeigen. Wir verstehen, dass der Lehrer in unser Herz sehen kann und welchen Anteil er erst versuchen muss, zu verändern, bevor er das Feuer anzünden kann.

Dein Geist ist wie ein Spiegel. Wenn auf dem Spiegel etwas Schmutz ist, ist alles getrübt und du kannst dein Bild nicht klar erkennen. Macht es dann einen Sinn, nur dein Gesicht zu säubern? Wenn du das Bild sehen willst, musst du erst den Spiegel säubern. Dein Geist ist ein Spiegel, welcher vollständig durch Begierde, Ärger, Habgier, Hass, Eifersucht, Neid, Angst, Selbstsucht, Egoismus und Überheblichkeit getrübt ist, wenn du wie ich aus einer höheren Kaste kommst. So lange dieser Schmutz existiert, kannst du dein Bild nicht klar erkennen. So half mir mein Meister von Anfang an, klarer zu sehen. Später verstand ich den Grund, aber am Anfang nicht. Ich schaue heute zurück und kann die ganze Situation sehen, wie er versuchte, systematisch Schritt für Schritt meine Unreinheiten zu beseitigen, ohne mir etwas davon zu sagen, ohne es je zu erwähnen. Diese klebten sehr an mir. Es ist wie ein Fleck auf der Kleidung, den du nicht mit gewöhnlichem Waschmittel reinigen kannst, du musst besondere Enzyme benutzen, die eventuell den Stoff selbst auflösen. Auf dieselbe Art musste er eine besondere Art Enzym benutzen, um diese Art von Verunreinigung in meinem Herzen aufzulösen.

Sivananda lehrte hauptsächlich durch sein Vorbild. Er war ein lebendes Beispiel des Einsseins mit Gott und ermutigte andere, das Gleiche zu tun. Was Swamiji lehrte und sogar wie er lehrte, kam direkt von Sivananda. Das ist das Großartige an der indischen Tradition. Jeder Lehrer gibt sein Wissen an seine Schüler weiter, die es wiederum an ihre Schüler weiter geben und so weiter, ein endloser Strom der Weisheit. Swamiji hatte lange einen lebenden Weisen in Aktion beobachtet und lernte viele Lektionen durch das, was er sah.

Der Meister trug ständig 3 einfache Stoffbeutel mit sich herum. Eine enthielt die Korrespondenz, die er an die Swamis in den verschiedenen Abteilungen verteilte. Eine andere enthielt seine persönliche Dinge: Füllfederhalter, Brille usw. Die dritte enthielt Früchte, Nüsse und kleine Snacks. Du möchtest bestimmt wissen, warum. Sie waren nicht für ihn.

Eines seiner Mottos war: „Diene, liebe, gib, reinige Dich, meditiere, verwirkliche.“ Das ist Sivanandas Lebensspruch, seine Grundphilosophie. Diene und liebe und gib. Ohne zu geben, kannst du nicht dienen und lieben, weißt du. Wenn du alles für dich behältst und sagst: „Oh ja, ich liebe euch alle“ und wenn du isst, ohne anderen
etwas abzugeben, dann ist das keine Liebe. Du musst deine Liebe in der Tat zeigen. So diente und liebte der Meister. Er teilte alles, aber auch alles, er behielt niemals etwas für sich. Wenn er zwei Früchte hatte, gab er sofort eine davon jemand anderem und dann erst aß er etwas von der anderen.


Auf die gleiche Art und Weise teilte Swami Vishnu-devananda sein Essen. Du konntest ihn nie besuchen, ohne dass er dich fütterte. Bevor du überhaupt eine Chance hattest, irgendetwas zu sagen, hatte er sichergestellt, dass du zu essen und zu trinken hattest. Sogar wenn du nur in sein Haus kamst, um den Wasserhahn zu reparieren oder sonst eine Hausarbeit zu erledigen, ohne daran zu denken, ihn auch nur zu sehen, gab es kein Entkommen.

*Schüler:

Ich nahm 1979 an der Yogalehrer-Ausbildung teil. Zu Beginn meines Aufenthalts wurde ich gebeten, zu Swamijis Haus zu gehen, um Karma-Yoga (ehrenamtliche Mithilfe) im Hof zu machen. Ich erinnere mich, wie entschlossen ich war, meine Arbeit gut zu machen. Als ich ankam, stand ich dort einen Augenblick und betrachtete den Shivalingam (Symbol für Shiva) in der Mitte der Lagune. Swamiji kam aus dem Haus und weil er in jenem Sommer mauna (Schweigen) praktizierte, machte er mir Zeichen, die Kettensäge zu nehmen und einen großen Baumstumpf weiter zu zersägen. Ich bin 1,70 m groß und 55 kg schwer und der Stumpf sah aus wie ein riesiger Elchbulle, der sich nicht bewegen würde. Ich lächelte, nickte, schnappte mir die Säge und zog den Starthebel. Dann ging ich und begann den Stumpf zu attackieren, als hinge mein Leben davon ab.

Als ich fast zur Hälfte durch war, stoppte die Säge plötzlich. Ich tastete nach dem Starter und zog und zog. Nach ein paar Minuten klopfte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und da stand Swamiji mit einem Zettel.
„Kein Gas mehr?“ Ich öffnete die Gasflasche und sie war tatsächlich leer. Ich nickte und er brüllte vor Lachen. Ich fragte, wo ich Gas bekommen könnte und er zeigte zurück zum Camp. Also rannte ich los, und ich meine wirklich „rennen“, zurück zum Camp, rannte wieder zurück mit dem Gasbehälter und machte meine Arbeit fertig, woraufhin Swamiji mich mit frischen Früchten überschüttete: Pfirsiche, Nektarinen, Pflaumen, Trauben und Bananen.

Balarama

Sivananda hatte einen regelmäßigen Tagesablauf. Sein Häuschen war unten am Ganges und sein Büro weiter oben am Hügel. Zweimal täglich wanderte er den Hügel hoch und runter, zum Büro und wieder zurück. Als Sivanandas persönlicher Assistent begleitete Swamiji ihn ständig.

Ich trug die Taschen, wenn wir von seinem kutir (Hütte, Haus) zum Büro gingen. Andere Schüler folgten. Der Meister ging vorne weg, unterwegs verteilte er Leckerbissen. Es war nur ein Fußweg von 15 Minuten und er sprach nicht viel, aber manchmal verlängerte er den Weg etwas, indem er stehen blieb, Anekdoten erzählte oder Fragen über unser Wohlergehen oder unsere Gesundheit stellte. Wenn zum Beispiel ein neuer Gast gekommen war, fragte er ihn: „Wie geht es Dir? Woher kommst Du? Führst Du ein spirituelles Tagebuch?“ Dann fragte er nach seinem spirituellen Wohlergehen und den familiären Verhältnissen. Er war glücklich, die Menschen in jeder Weise zu unterstützen und zu helfen, wenn sie es wünschten. Jeder der Schüler glaubte, dass Sivananda sich besonders um ihn kümmerte. Das ist die Schönheit eines großen Meisters. Jeder glaubte, dass Sivananda ihn mehr als jeden anderen liebte. Ich hatte auch das Gefühl, dass Sivananda mich mehr liebte als jeden anderen. Alle Schüler glaubten dasselbe. „Sivananda liebt mich mehr als jeden sonst.“ Eigentlich glaube ich, dass nur eine andere Person diese Qualität hat: Krishna. Als er im physischen Körper war, glaubte jede Gopi (Hirtenmädchen), dass Krishna sie mehr liebte als jede andere Gopi, weil sie die Einheit mit ihm erreichten. Auf diese Weise waren wir alle glücklich, dem Meister nah zu sein und dieses Gefühl zu spüren, jeden Tag mehr und mehr.

Man lernte viele Lektionen beim Beobachten von Sivanandas täglichen Aktivitäten, aber die vielleicht stärkste Lektion erfolgte durch ein außergewöhnliches Ereignis. Swamiji erzählte uns diese Geschichte oft. Er schien ihrer nie müde zu werden und auch nicht der Lektion, die er durch sie erhielt:

Eines Morgens kam Govinda, einer der neuen Schüler des Meisters, der erst seit 6 Monaten da war, zum Meister. Er sagte, dass er nach Hause zurückgehen wolle. Der Meister fragte ihn nach dem Grund. „Oh, ich weiß nicht, ich muss einfach zurück.“ Der Meister kannte das Leben dieses Mannes. Er hatte Anfang 20 geheiratet und seine Frau hatte sich seinetwegen umgebracht. Sie konnte das Leben mit ihm nicht länger ertragen. Er hatte keinen Frieden in der Seele. Er hatte sich vollständig verloren. So kam er in den ashram. Er hatte nicht die Absicht, für immer zu bleiben, er wollte nur ein wenig Frieden finden, vielleicht etwas arbeiten. Also gab der Meister ihm einige leichte Arbeiten und bat ihn, Japa (Mantrameditation) für seinen Seelenfrieden zu machen. Der Meister ist sehr mitfühlend mit Menschen wie ihm.

Nach 6 Monaten wollte er zurück nach Hause. Gut, es war kein Problem, wenn er zurück wollte, aber er wollte auch das Geld für die Rückreise. Sein Zuhause war in Südindien, 2.000 Meilen entfernt und unser ashram war ständig  verschuldet. Der Meister gab immer mehr aus, als wir einnahmen. Das war seine Natur. Er versorgte täglich um die 200 Menschen, für die wir Nahrung brauchten. Wir hatten immer Schulden, Schulden und nochmals Schulden. Er schrieb und druckte auch Bücher und gab sie dann weg. Bücher umsonst, Literatur umsonst, Nahrung umsonst. Das war so, weil sein Herz immer nur geben wollte. Also hatten wir kein Geld. Es stand damals in diesen früheren Zeiten so schlecht, dass einige Swamijis manchmal außerhalb des ashrams um ihr Essen betteln mussten. Also sagte der Meister an diesem Tag zu Govinda: „Das ist zur Zeit nicht möglich. Wir haben das Geld nicht. Bleib noch ein paar Monate, um inneren Frieden zu bekommen, statt nach Hause zu gehen.“

Govinda war damit nicht zufrieden. Er verließ den Meister und ging in sein Zimmer. Am nächsten Abend nach dem Essen trug ich wie immer die Taschen des Meisters. Noch einige andere Schüler waren auf dem Weg hinauf zur Vedantahalle, wo wir abends meditierten. Als wir hoch gingen, fragte mich der Meister: „Vishnu Swami“, so nannte er mich, „wo ist Govindas Zimmer?“ „Swamiji, ich glaube, er wohnt da und da.“
„Bring mich erst dahin, bevor wir zur Yogahalle gehen. Lass uns dorthin gehen, ich möchte mit ihm reden.“

Es muss den Meister geschmerzt haben, dass er Govinda abgewiesen hatte, da er zu niemandem Nein sagen konnte. Das war sein Herz. Aber er hatte überhaupt kein Geld. Wenn er welches gehabt hätte, hätte er es ihm sofort gegeben. Aber er dachte immer noch an die verletzten Gefühle dieses Mannes. Das war ein weiteres Motto von ihm, niemals die Gefühle eines anderen zu verletzen. Er wusste, er hatte die Gefühle eines anderen verletzt, also wollte er sich wenig stens entschuldigen. Also sagte er: „Bitte bring mich zu ihm.“

Ich führte ihn. Ich hatte nachts eine Laterne, ein kleines Windlicht. Im trüben Licht gingen wir den Berg hinauf zu verschiedenen Hütten, um sein Zimmer zu finden. Wie üblich folgten ihm seine Schüler. Der Meister klopfte an die Tür und Govinda öffnete. Er war in sehr depressiver Stimmung. Der Meister fragte: „Govinda, wie geht es Dir?“ Er antwortete nicht. „Willst Du wirklich nach Hause? Es geht Dir nicht einfach nur schlecht? Du willst wirklich nach Hause?“

Govinda zuckte nur mit den Achseln, gab aber keine Antwort, weder ja noch nein. Vielleicht, weil er wütend war, vielleicht auch, weil er ärgerlich war. Wir wussten nicht, was er dachte. Nach 10 Minuten fragte der Meister ihn wieder, aber er antwortete nicht. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt, mit ihm zu reden. „O.k., Vishnu Swami, lass uns gehen. Ich werde morgen mit ihm sprechen.“

Wir gingen zur Yogahalle. Der Meister saß normalerweise direkt an der Tür zwischen zwei Reihen von Menschen, auf der einen Seite Frauen, auf der anderen Seite Männer. Sobald der Meister kam, nahm ich die Bhagavad Gita, las aus ihr vor und dann löschten wir das Licht. Es gab nur das Windlicht und in diesem matten Schein begannen wir mit der Meditation. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich schreckte aus meiner Meditation hoch und schaute, woher der Lärm kam. Der Meister saß immer noch auf seinem Platz, aber jemand schlug ihn auf den Kopf! Instinktiv sprang ich auf. Da ich ständig bei ihm war, war es mein natür licher Instinkt, ihn zu beschützen. Also lief ich hin, um den Angreifer aufzuhalten. Ich wusste nicht, wer er war oder was es war, gar nichts. Wir zündeten das Licht an und erst dann sahen wir, dass es Govinda war. Alle waren wie betäubt.

Ich sah, wie er dem Meister 4x auf den Kopf schlug. Ich sah, wie der Meister Govinda einfach ansah, ohne sich zu bewegen und Govinda schlug mit einer großen Axt auf seinen bloßen Kopf! Irgendwie gingen alle Schläge daneben, es war wie ein Wunder. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass er eine Axt benutzte, ich dachte, er hätte einen Stock. Ein Schlag auf den bloßen Kopf hätte ihn spalten können. Ich war stark genug, um den Angreifer festzuhalten. Dann schlug ich ihn nieder. Das war das erste Mal, dass ich so etwas gemacht habe. Ich bin ein Swami. Ich darf niemanden schlagen, aber ich tat es. Es war einfach instinktiv.

Dann kamen alle herbei, die ganzen Schüler. Sie wollten Govinda lynchen. Der Meister stand auf und brachte Govinda aus dem Raum. Er rief die Polizei und sagte zu dem Inspektor: „Tun Sie ihm nichts, behalten Sie ihn einfach heute nacht in Sicherheitsverwahrung, sonst werden die Menschen ihm etwas antun. Wir werden ihn morgen nach Hause schicken. Es geht ihm nicht gut.“ Das war alles, was der Meister sagte. Es war ein furchtbarer Tag für uns. Unser Meister war knapp einem Attentat entkommen.

Am nächsten Morgen ging der Meister wie gewöhnlich in Richtung Büro, aber anstatt hineinzugehen, nahm er ein paar Blumen, Girlanden und Früchte. Manchmal ging er morgens zum Tempel, so dass wir dachten, er ginge wegen der schlimmen Ereignisse der letzten Nacht dorthin. Wir folgten ihm, aber er ging nicht zum Tempel. Er ging zur Polizeistation direkt zum Tor und bat den Offizier, ihm zu öffnen. Er fragte nach dem Häftling, der vorübergehend verhaftet worden war. Und dann ging er zu dem Attentäter!

Ich werde diesen Tag niemals vergessen. Er bekränzte Govinda mit den Blumen, seinen Schüler oder Angreifer oder wer immer er auch war, verehrte seine Füße und schmückte sie mit Blumen, und dann warf er sich vor ihn, als würde er Gott verehren. Ich erinnere mich an seine Demut. Er verbeugte sich vor einem Attentäter, vor einem Mörder! Aber der Meister sah in ihm keinen Mörder. Er dachte, dass Gott gekommen war, um ihn zu testen, dass Gott seinen Schüler geschickt hatte, ihn zu testen. Das war, was er fühlte. Er sah Gott überall und an diesem Tag sah ich, wie der Meister seinen eigenen Attentäter verehrte.

Sieh Gott in jedem, sogar in jemandem, der versucht, dich zu töten. Derselbe Gott ist in allen, unabhängig von ihren Handlungen.