11. Kapitel - Beziehungen

Auch wenn Swamiji nie verheiratet war und sein Leben überwiegend als Sannyasin im Zölibat verbrachte, besaß er ein einmaliges Verständnis dafür, wie Menschen in einer festen Beziehung miteinander umgehen sollten. Er sprach offen und frei über Liebe und Sex. Er verhalf den Menschen zu einem klareren Verständnis über diese Themen in Bezug auf ihre spirituelle Praxis.

Ihr solltet euch wegen sexueller Gefühle nicht schuldig fühlen. Das ganze Universum ist abhängig von sexuellen Gefühlen. Sonst würde es keine Welt mehr geben. Gegen sexuelle Gefühle anzugehen, ist ungefähr so, wie die Niagarafälle hochzuklettern. Es ist diese große Energie, die sich seit ewigen Zeiten nach unten bewegt. Wenn man sie zwangsweise verschließt, wird sie stärker und braust herab. Und die Wasserfälle hinaufschwimmen? Es gibt nur wenige, die das können! Das ist nicht nur durch eigene Anstrengung zu erreichen. Wir brauchen Gottes Gnade.

Versucht nicht, das sexuelle Gefühl zu unterdrücken. Das geht nicht. Aber wir können es sublimieren. Wie Wasser, das normalerweise von oben nach unten fließt, aber beim Erhitzen nach oben steigt, so kann die Sublimierung die sexuelle Energie wie Dampf werden lassen. Dieser Dampf wird ojas genannt, spirituelle Energie. Er steigt zu den höheren Energiezentren auf, anstatt zum unteren Energiezentrum, dem Sexualzentrum, hinunter zu gehen. Wenn sexuelle Gefühle kommen, sind unsere eigenen Bemühungen gewöhnlich nicht ausreichend, um sie zu stoppen. Wenn ihr asanas und pranayama übt, wenn ihr regelmäßig Japa Mantrawiederholung) ausführt und euch richtig ernährt, ohne Zwiebeln, Knoblauch und bestimmte Wurzeln, welche die Nerven überstimulieren, dann wird die Sublimierung ganz allmählich eintreten. Das ist der Fall, wenn die Energie beginnt, sich zu den oberen Chakras (psychische Energiezentren) zu bewegen und dann das Gehirn erreicht. Die gleiche sexuelle Energie wird nun zu einer kreativen Kraft, einer positiven spirituellen Kraft. Das ist der Grund, warum man Heiligenscheine um die Köpfe von Weisen und Heiligen sehen kann, das ist die Austrahlung von ojas shakti. Wenn ein Mensch auch nur einen Teil seiner sexuellen Kraft kontrollieren kann, ist sein Gesicht anders. Er wird keine Falten bekommen. Die Haut wird trocken und voller Falten, wenn zuviel Energie im sexuellen Akt verschwendet und grobstofflich wird.

Sowohl Männer als auch Frauen haben diese psychische Energie, die vom Gehirn herunterfließt und dann grobstofflich wird. Wenn ihr einmal gelernt habt, diese Energie umzuwandeln und in die entgegengesetzte Richtung umzuleiten, ist es nicht länger etwas Sexuelles. Erinnert ihr euch an die Geschichte von Krishna und den 16.008 Frauen? Alle lernten, ihre Energie zu kontrollieren und zu sublimieren. Jede erreichte die Einheit mit Krishna, aber es war keine physische Einheit sondern Einheit auf einer höheren Ebene. Die gopis waren wunderschöne Kuhhirtinnen, die Krishna so sehr liebten, dass sie ihre Augen nicht von ihm nehmen konnten, nicht einmal für eine Minute. Die gopis wurden geprüft, um zu sehen, ob sie fähig waren, diese Energie zu sublimieren.

Eines kalten Morgens gingen sie zum Fluss Yamuna und beteten: „Lass Krishna meinen Gatten sein.“ Dann badeten sie im Fluss. Krishna kam, nahm alle ihre Kleider, die sie am Ufer zurückgelassen hatten und legte sie auf die Spitze eines Baumes. Dann begann er mit seinem Flötenspiel. Die Mädchen sahen alle nach oben, um ihn zu sehen und entdeckten, dass er jedes ihrer Kleidungsstücke ordentlich befestigt hatte, jedes an einem anderen Zweig. Ihnen war kalt und sie konnten nicht zu lange nackt im Fluss bleiben. Sie mussten herauskommen, also baten sie ihn: „Oh Krishna, gib uns unsere Kleider. Warum bist Du ungezogen? Warum machst Du das?“ Er sagte: „Wenn ihr sie wollt, kommt heraus und holt sie euch. Ich werde hier bleiben und euch eure Kleider geben. Kommt einfach aus dem Wasser.“ Aber sie weigerten sich. „Gut, dann müsst ihr halt im kalten Wasser bleiben.“ Als sie es zum Schluss nicht mehr aushalten konnten, kamen sie heraus und bedeckten ihre Blöße mit den Händen. Aber Krishna sagte:, „Nein, nein. Ihr müsst die Hände wegnehmen.“ Als sie ihm drohten, es seinem Vater und seiner Mutter zu erzählen, sagte er: „Erzählt es ihnen, wenn ihr wollt.

Das wird euch eure Kleider nicht zurückbringen.“ Zum Schluss ergaben sie sich Krishna, hoben ihre Hände und kamen heraus. Krishna wollte damit nicht irgendetwas Unrechtes tun. Die gopis wollten Krishna zu ihrem Ehemann, aber Krishna ist kein menschliches Wesen. Wenn Krishna ihr Ehegatte sein sollte, dann durften sie nicht denken, dass sie Frauen waren und er ein Mann. Sie mussten ihr körperliches Bewusstsein vergessen. Sie mussten das körperliche Bewusstsein transzendieren. Männlich und weiblich ist nur eine Vorstellung. Heute bist du ein Mann und morgen nach einer Operation kannst du eine Frau sein. Das passiert jeden Tag. Aber der Atman ist das unsterbliche Selbst, mit dem ihr euch verbinden sollt.

Die saguna Form von Brahman (Gott mit Formen oder Attributen) ist Krishna oder Rama, und wenn ihr euch mit Gott vereinen wollt, könnt ihr nicht denken: „Ich bin ein Mann“ oder „Ich bin eine Frau.“ Ich komme zu dir und du musst mein Ehemann sein.“ Also sagte Krishna, als er das Gebet der gopis hörte: „Ihr seid noch nicht soweit.“ Jeden Tag kamen die Gopis und meditierten morgens in der Kälte. Krishna wusste, dass sie ihren Körper transzendierten, aber sie hatten immer noch ein kleines Ego, ihr weibliches Ego existierte immer noch. Solange sie dieses weibliche Ego nicht zurücknahmen und solange sie weiterhin dachten, dass er als ihr Ehemann nur ein Mann sei, waren sie nicht so weit, sich mit ihm zu vereinigen.

Das ist der tiefere Sinn dieser Geschichte. Als sie ihr Körperbewusstsein verloren, sagte Krishna: „Bei Vollmond werdet ihr meine Flöte hören. Ihr werdet nach Vrindavan kommen und den kosmischen Tanz mit mir tanzen.“ Also, sexuelle Gefühle sind schwierig zu überwinden, solange ihr dieses Gefühl nicht in Hingabe an Gott verwandelt. Nonnen zum Beispiel bleiben allein, aber sie glauben, dass sie mit Jesus verheiratet sind. Das ist keine sexuelle Heirat, es ist eine göttliche Heirat. Sie verbinden sich mit Jesus, so dass sie in der Lage sind, diese Energie zu sublimieren.

Sexuelle Gefühle kommen zu jedem. Schuldgefühle zeigen euch, dass ihr etwas tut, wovon ihr denkt, dass es nicht richtig ist. Wenn ihr Schuldgefühle habt, wiederholt den Namen Gottes und gebt euch ihm wieder hin: „Dein Wille geschehe, oh Gott. Ich habe mein Bestes gegeben und nun ist es an dir. Ich kann mir nicht helfen. Ich kann nichts tun.“

Es ist das Gleiche mit dem Leben der Swamis, wisst ihr. Es ist sehr schwierig, diese Energie zu überwinden. Jeder Heilige, Weise und Yogi im Himalaya hatte Probleme. Nicht nur ihr habt diese Probleme. Meint ihr, dass dieses Problem verschwindet, nur weil sie in die Höhlen des Himalayas gehen? Es wird eher stärker.

Also sorgt euch nicht um dieses Gefühl, sondern sublimiert es. Wiederholt jedes Mal euer Mantra und wenn es trotzdem kommt, bringt es Gott als Opfer dar. Das ist der einzige Weg, wie wir euch helfen können, es gibt keinen anderen. Wenn jemand behauptet, er habe Sex überwunden, ist er weder ehrlich zu sich noch zur Welt. Es dauert bis zum letzten Atemzug. Man weiß nie, wann Maya zuschlägt. Selbst wenn man 100 Jahre alt ist, kann es das Denken überwältigen.

Swamiji gab niemals vor, besser als andere zu sein oder über bestimmten Problemen zu stehen, nur weil er sannyasin war und das Gelübde der Enthaltsamkeit geleistet hatte. Er akzeptierte seine vielen Schüler, die im Familienleben standen und stieß sie niemals vor den Kopf, weil sie nicht fähig oder interessiert waren, dem von ihm gewählten Weg zu folgen.

*Schüler:

Als ich das erste Mal überhaupt mit einem persönlichen Problem zu Swamiji ging, kämpfte ich mit dieser ganzen Idee des Zölibats. Ich war irgend wie in meinem Geist zu dem Punkt gekommen, dass ich nur dann spirituell fortschreiten könne, wenn ich Brahmacharya annehmen würde (den Eid des Zölibats), aber ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet. Ich erzählte Swamiji, dass ich mich schuldig fühlte, da ich nicht den „richtigen“ Weg ginge. Swamiji lächelte mich nur sanft an und  sagte: „Sogar die großen Rishis (Seher) hatten Ehefrauen und Sex mit ihnen.“ Er fuhr fort, mir zu erklären, dass als Familienmensch kein Zölibat von mir erwartet wurde. Wichtiger sei die Haltung zu meiner Frau. Ich solle sie nicht nur als  eine Frau sehen sondern als eine Inkarnation der Göttin. Ich sollte immer an sie denken und sie anbetungswürdig behandeln. Wenn ich das tat, würde es keinen Unterschied in meinem spirituellen Fortschritt machen, wenn ich ein Fami lienleben führte.

Gopala Krishna
Ottawa, Ontario, Canada

Als ich versuchte, meine sexuellen Beziehungen zu spiritualisieren, riet Swamiji mir: „Sex und Yoga sind zwei verschiedene Dinge. Wenn Du Sex hast, genieße es, aber versuche nicht, Yoga daraus zu machen.“ Also versuche ich es nicht und es geht wunderbar.

Sarabess Forster
Silver Springs, Maryland

Swamiji unterstützte aktiv seine Schüler, die in Beziehungen lebten, ermutigte sie und erinnerte sie an ihre gegenseitigen Pflichten. Er war immer aufrichtig an dem Wohlergehen aller Familienmitglieder interessiert.

Mein Mann Jim und ich wurden von Swamiji getraut. Er leitete persönlich eine wunderschöne Feuerzeremonie. Er hielt einen Vortrag über den Nutzen und die Schönheit des Familienlebens. Unsere Verwandten, die sich wegen der Fremdheit der Zeremonie zu Beginn ein wenig unbehaglich fühlten, waren bewegt und berührt von Swamijis Liebe und Enthusiasmus.

Eines Tages, als ich während einer zweistündigen Fahrt Swamiji vom New Yorker Zentrum zur Yogaranch fuhr, fragte ich ihn, ob er mir bei einem Problem behilflich sein könne. Ich hielt einen langen Vortrag darüber, dass Jim sich nicht so wie ich als Mitarbeiter auf der Ranch verpflichten wollte und dass das Spannungen erzeugte usw. usw. Obwohl ich am Anfang schüchtern war, konnte ich nicht mehr aufhören, als ich einmal angefangen hatte. Als ich end lich aufhörte, drehte sich Swamiji zu mir um und fragte: „Entschuldigung, was hast Du gesagt?“ Ich war etwas bestürzt, aber dann erkannte ich, dass es mir schon besser ging und dass ich die Situation nun präziser schildern konnte. Danach riet Swamiji mir, mich nicht zu sorgen und zu Gott zu beten.

Als wir in die Straße zur Ranch einbogen, stand Jim dort und Swamiji begann sofort, ihn zu ermutigen und zu lieben. Die ganze Zeit, die Swamiji auf der Ranch war, schenkte er Jim besondere Aufmerksamkeit. An einem satsang rief er Jim nach vorne und ließ ihn „Die Regeln für menschliches Seins“ aus einer früheren Ausgabe von „Yoga Life“ vorlesen. Nach jeder Regel drehte Swamiji sich um und wandte sich direkt an Jim, als er darüber sprach, das Leben vollständig und wunderbar zu leben, ohne Gott zu vergessen. Weder schimpfte er, noch ermahnte er ihn. Er verströmte nur reine Liebe und Anteilnahme. Nach dem satsang sagte er zu Jim, er solle mit dieser Ausgabe von „Yoga Life“ unter seinem Kopfkissen schlafen. Das tat Jim. Später legten wir es unters Bett. Jetzt nach 7 Jahren liegt es immer noch da.

Die ganzen Jahre hinweg vergaß Swamiji nie, mich zu fragen: „Wie geht es Jim?“ Als ich einmal den ashram in Val Morin besuchte, wollte ich Swamiji begrüßen, der allein auf einer Picknickbank saß. Er praktizierte mouna, also würde er nicht sprechen, aber er begann, einige Buchstaben auf die Bank zu zeichnen. Nach einigem Zaudern erkannte ich, dass er E-h-em-a-n-n buchstabierte. Eine andere Erinnerung an Pflichterfüllung bekam ich, als Swamiji einmal die Ranch nach einem kurzen Besuch wieder verließ. Swamiji lag auf der Rückbank des Wagens und ich beugte mich hinein, um seine Füße zu berühren und mich zu verabschieden. Er sagte etwas zu mir, aber das Ganze geschah nach seinen Schlaganfällen und er war schwer zu  erstehen. Ich riet: „Bleib dran an Deinem sadhana?“ Swami schüttelte seinen Kopf. „Arbeite hart im ashram?“ Nein, das war es auch nicht. Ich riet und riet, bis Swamij Kartikeyananda ins Auto stieg und übersetzte: „Wo ist Jim? Ist er zur Arbeit gegangen?“ Wieder erinnerte mich Swamji daran, an meinen Mann zu denken! Das war die fortwährende Botschaft.

Das letzte Mal, als Swamiji auf die Ranch kam, war er recht schwach, aber wie gewöhnlich wunderbar für alle erreichbar und interessiert an allen. Jim und ich hatten darüber nachgedacht, Kinder zu bekommen, aber wir hatten doch noch einige Zweifel. Ich wollte unbedingt mit Swamiji darüber sprechen und ich wusste, dass wir befolgen würden, was immer er uns riet. Ich erzählte Swamiji unsere Bedenken darüber, Kinder zu bekommen. Swamiji antwortete sofort: „Warum nicht?“ Ich antwortete, dass sich unser sadhana verändern würde und dass ich nicht mehr viel im ashram helfen könnte. Es würde sich alles um das Kind drehen. Ich war mir nicht sicher, da es so eine große Umstellung wäre. Swamiji aber antwortete mir: „Sogar Rama hatte Kinder. Das höchste Gut ist es, Kinder sorgsam zu erziehen, und sie in einem ashram aufzuziehen, ist ein großer Segen.

Lisa
Woodbourne, NY

Am 22. September 1992 besuchten meine Frau und ich Swamiji in seinem Haus in Val Morin. Obwohl er nicht deutlich sprechen konnte, erkundigte er sich mit Hilfe von Zeichensprache und seinen Augen nach meinen Kindern. Er betete für uns alle, so als könne er sehen, dass bald etwas mit uns geschehen würde. Früh am Morgen des 26. September starb mein Sohn Sandeep bei einem Autounfall.

Shambu Das
Toronto, ON, Canada