14. Kapitel - Ich bin nicht dieser Körper

Der folgende Text ist ein Auszug einer Rede, die Swamiji in den späten 1980er Jahren in Berlin hielt, daher die ganzen Hinweise auf Deutschland.

Um die Yogaphilosophie zu verstehen, sind 2 Dinge wichtig: alles verändert sich – man kann diesen Prozess noch nicht einmal für einen Moment aufhalten – und Materie wird nicht zerstört. Diese Prozesse der Veränderung nennt man Geburt und Tod. Der Tod der Tomate in meinem Mund ist die Geburt meines Körpers, der Tod meines Körpers ist die Geburt von neuen Würmern, Keimen, Bakterien oder Pflanzen. Materie kann nicht erschaffen oder zerstört werden, aber sie bleibt nicht im selben Zustand, sie verändert sich.

Der Körper verändert sich jetzt in diesem Moment. Schaut genau auf meine Haare. Seht ihr irgendein neues graues Haar wachsen? Seht ihr genau in diesem Moment irgendwelche neuen grauen Haare? Oder erscheinen meine Haare so, als blieben sie jeden Moment genau gleich? Kann dieser Prozess der Veränderung zu einer bestimmten Zeit aufgehalten werden? Wenn ich irgendeine Lösung auf meine Haare auftrage, wird dieser Prozess dann aufgehalten? Ob  ihr es nun seht oder nicht, der Prozess geht immer weiter. Schaut euch die Bilder im „Großen Illustrierten Yoga Buch“ an. Das sind alles Bilder von mir, als ich 30 Jahre alt war. Jetzt bin ich 60. Der Körper, den ihr hier seht, ist nicht derselbe wie der, als ich aus Indien  kam. Man sieht den Unterschied im Körper.

Aber diese Veränderung geschieht nicht über Nacht oder einmal pro Jahr. Geschieht sie wirklich? Plötzlich ist euer  Geburtstag und euer Körper ist 1 Jahr älter. Wie geschieht diese Veränderung? Von Augenblick zu Augenblick. Dieser Prozess hört nicht auf, er hat nie aufgehört. Wenn ich in 10 oder 15 Jahren wieder hierher kommen würde, hätte sich mein Körper verändert. Aber diese Veränderung, die ihr in 10 oder 15 Jahren bemerken würdet, findet bereits in diesem Moment statt. Aber vergesst nicht, ihr verändert euch gleichzeitig auch. Ihr denkt: „Gut, klar, Swami Vishnu wird alt,  aber wir bleiben ewig jung.“ Auch ihr verändert euch jetzt gerade in diesem Moment. In 30 oder 40 Jahren werdet ihr die ganzen Veränderungen sehen. Dieses Gebäude verändert sich, der Planet Erde, die Sonne, der Mond, die Sterne und die Galaxien – nichts bleibt auch nur für einen Moment im selben Zustand. Das ist die Philosophie des Yoga.

Veränderung ist unvermeidlich. Könnt ihr irgendetwas finden, was sich nicht verändert? Ah, jetzt kommt die Antwort, die nur Yoga geben kann. Alle Objekte, alle Materie verändert sich, aber das Subjekt wird sich nie verändern. Nun, was ist das Subjekt? Das Subjekt ist „Ich bin“ und das Objekt ist etwas, was ich nicht bin. Was immer nicht „Ich“ ist, muss Objekt sein, versteht ihr das? Also, was bin ich? Subjekt. Und ihr seid alle? Objekte.

Ist die Blume Subjekt oder Objekt? Natürlich ein Objekt. Was ist die Eigenschaft von Objekten, von Materie? Was ist die Eigenschaft aller Dinge? Alle Dinge verändern sich jeden Moment und alle Objekte können abgegeben und auch wieder zurück genommen werden. Das ist ein einheitliches Gesetz, ein Grundgesetz für Objekte. Dieses Gewand ist es ein Objekt oder ein Subjekt? Auch wenn ich dieses Gewand trage, wird es kein Subjekt werden, oder? Es verändert sich, oder? Und ich kann dieses Gewand weggeben. Also ist es offensichtlich ein Objekt. Es verändert sich und es kann weggegeben werden.

Aber nun ist dieser Finger ein Problem. Ist er ein Objekt oder ein Subjekt? Es gibt Menschen, die sagen, er ist ein Subjekt. Das ist das Problem im Westen. Also, dies ist ein indischer Finger, oder nicht? Es ist auch ein hinduistischer Finger und auch ein Swamifinger. Also ist dieses Subjekt Hindu, Swami und indisch. Aber morgen sagen mir meine Schüler: „Swamiji, ich arbeite in Paris und es gibt jede Menge zu tun, also brauche ich noch einen Finger.“ Also gehen wir zum Arzt, der meinen Finger nimmt und ihn an seiner Hand anbringt. Und nun, welcher Finger ist es? Ist er immer noch mein Finger, obwohl er jetzt auf seiner Hand ist? Wem gehört der Finger? Wer benutzt ihn? Er benutzt ihn, als sei es sein  eigener. Es gibt eine Eigenschaft eines Objekts, ihr könnt es abgeben oder es zurücknehmen.

Die nächste Frage ist: „Verändert sich dieser Finger?“ Schaut einfach auf euren Finger. Als ihr ein Baby wart, konnte er sich ganz zurück krümmen. Nun steht er gerade wie ein Stahlrohr, aber eure Finger waren einmal sehr flexibel. Dann kommt die Arthritis und die Hand ist steif und krumm. Habt ihr schon einmal Menschen mit arthritischen Händen gesehen? Diese Hände haben nicht so angefangen und sie haben sich nicht auf einmal verändert. Es ist im Laufe der Zeit passiert. Wenn ihr es nicht glaubt, schaut eure Hände in 30 Jahren an. Sie verändern sich. Also können sie kein Subjekt sein. Wenn ihr mir das nicht glaubt, gebe ich euch noch ein anderes Beispiel.

Am Samstag spürte ich Schmerzen in der Brust und im Herzen. Ich rannte zum Arzt. „Doktor! Doktor! Ich bekomme einen Herzinfarkt!“ Der Arzt sagte: „Ok Swamiji, ich werde alles gründlich untersuchen. Hmm, ja. Ein Herzanfall, ich kann Ihren Herzanfall sehen.“ „Was soll ich machen, Doktor?“ „Keine Sorge. Ich habe ein scharfes Messer. Ich schneide Ihr Herz heraus und werfe es weg. Und ich gebe Ihnen ein Affenherz.“ „Vielen Dank, Doktor. Sie sind klasse.“

Also verschwand mein süßes Herz im Papierkorb und ich bekam ein neues Herz, ein Affenherz. Jetzt mit einem Affenherz, wer ist das Subjekt „Ich bin?“ Wer bin ich? Werdet ihr meine Botschaft anhören, wenn ich ein Affenherz habe? Werdet ihr denken, dass ein Affe zu euch spricht? „Hi Affe! Wir wollen nicht, dass dein Affenherz so zu uns spricht.“ „Er ist ein Affe!“ Würdet ihr mir immer noch kostbare Geschenke bringen? Werdet ihr mir Blumen bringen, wenn ich ein Affenherz habe? Seid vorsichtig, ich habe ein Affenherz und Affen fressen Blumen. Aber das Subjekt ist immer noch das Gleiche, oder nicht? „Ich bin“ ist derselbe geblieben.

Gut, wenn das so ist, was ist dann mit der Leber? „Doktor, Doktor! Meine Leber tut mir weh!“
Der Doktor untersuchte mich, nahm Blut ab und sagte mir: „Swami Vishnu, Sie haben sehr wenig Blut in Ihrem Alkoholfluss!“
„Was soll ich tun, Doktor?“ „Ich gebe Ihnen eine Schweineleber.“

Ein Mann in Amerika lebte 15 Tage mit einer Schweineleber. (Ich erzähle euch nicht irgendeine Story, wirklich. Er lebte 15 Tage mit einer Schweineleber.) Am nächsten Tag brauche ich neue Nieren, weil sie ausgefallen sind und ich bekomme die Nieren einer Ziege.

Als nächstes ist mein Blut völlig vergiftet. Wieviele Arten von Blut gibt es? Gut, lasst uns überlegen. Es gibt deutsches Blut, englisches Blut, russisches, amerikanisches, Hindublut, afrikanisches Blut, protestantisches Blut, Ostberlinerblut, Westberlinerblut… Wie viele Sorten von Blut gibt es? 4: A, B, AB und O. Ihr könnt diese 4 Sorten Blut überall in der Welt finden. Mein Hindu A-Blut ist nicht gut, also sagte mir der Arzt, er kann mir eine Transfusion mit neuem Blut geben, aber es gäbe nur einen Hindu hier und er hat die Blutgruppe B, „Oh Swami, ich bin Hindu, ich gebe Ihnen mein B-Blut.“

Dann sagt jemand anderes: „Nein Swamiji, ich habe Blutgruppe A, deutsches Blut Gruppe A.“ Oh nein, nein, nein! Ich möchte kein deutsches Blut. Ich bin ein indischer Hindu. Ich werde nur Hindublut nehmen.“ Aber wenn es Hindu B-Blut ist, werde ich sterben. Dem Körper ist es egal, ob es Hindu oder amerikanisches Blut ist, solange es Blutgruppe A ist. Also nahm der Arzt mein ganzes Hindu A-Blut und gab mir deutsches A-Blut.

Nun habe ich ein Affenherz, eine Schweineleber, Ziegennieren und deutsches Blut. „Was ist mit Ihrer Religion, Swamiji, und Ihrer Nationalität?“ Gut, ich war vorher Inder, aber seit 30 Jahre lebe ich in Kanada, ich habe einen kanadischen Pass, ich reise als ein Kanadier. Wenn dieser Körper einen indischen Pass hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, die deutsche Grenze zu überqueren, auch wenn der Körper derselbe ist. Einfach die Tatsache, dass sie einen indischen Pass sehen – nur der Ausdruck Indien auf einem Stück Papier – „Oh nein! Sie brauchen ein Visum.“ Wenn ich hier einen Monat bleiben möchte, brauche ich 3 Monate, um ein Visum zu bekommen. Mit einem kanadischen Pass gehe ich einfach durch. Also bin ich Kanadier. „Und was ist mit Ihrer Religion, Swamiji?“ Gut, ich wurde Swami, ein hinduistischer Mönch. Das können die Menschen verstehen, es ist wie ein Priester, Vater Johannes. Und was ist mit dem Geschlecht? Eine kleine Operation mit Hormonen und ich werde eine Frau. Das passiert häufig.

Also, nun bin ich hier mit einem Affenherz, einer Schweineleber, Ziegennieren, deut-schem Blut, mit Plastiknase und Plastikaugen, Frau Vater Johannes. Wer bin ich? Wer bin ich? Ich komme hierher. Ich habe all diese verschiedenen Teile in mir, ich habe sie nun in diesem Körper, genau wie ich sie beschrieben habe und ich spreche zu euch. Wer bin ich? Habe ich mich verändert? Hat sich meine Persönlichkeit verändert? Bin ich das? Bin ich das? Bin ich das?

Ich bin, der Ich bin. Ich bin nicht Vishnu. Ich bin kein Kanadier. Ich bin kein Deutscher. Ich bin nicht dieser Körper. Ich bin nicht die Hand, das Herz, die Leber, die Füße, die Nieren. Ich bin nicht der kausale Körper. Ich Bin. „Ich Bin.“ Das ist die Antwort zu „Wer bin Ich?“ Das ist die zentrale Philosophie des Yoga und das Ziel des Lebens ist, dieses Ich zu finden.

Im Januar 1991 erlitt Swamiji einen Schlaganfall. Die linke Seite seines Körpers war von da an gelähmt und er konnte nur minimal sprechen. Einige Monate später setzten seine Nieren aus und er musste sich täglich einer Dialysebehandlung unterziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte uns Swamiji viele Jahre im satsang erzählt: „Eines Tages werde ich alt und verkrüppelt sein, in einem Rollstuhl sitzen und so aussehen.“ Dann beugte er sich vor und verzog sein Gesicht in Falten. Wir lachten alle. Damit hatte er uns nur demonstriert, dass der Tod eines Tages zu uns allen kommen würde.

Es war, als wollte uns Swamiji auf diese Zeit vorbereiten. Bis zu seinem mahasamadhi im November 1993 brauchte er ständige Pflege und Betreuung. Viele seiner Schüler verbrachten ihre Zeit damit, ihn während dieser Phase zu pflegen. Für alle war es eine anschauliche Lektion in „Ich bin nicht dieser Körper.“

Im Sommer 1991 fuhr ich für 2 Wochen in den ashram nach Val Morin. Ich wollte gerne aushelfen und etwas Karmayoga machen. Da ich ziemlich geschickt war, vermutete ich, in die technische Crew zu kommen und bei den üblichen sommerlichen Bauprojekten mitzumachen. Sehr zu meiner Überraschung wurde ich gefragt, ob ich die ‚Nachtschicht‘ übernehmen wollte, um bei der Pflege Swamijis zu helfen. Ich nahm das freudig an, obwohl ich nicht viel darüber wusste, was auf mich zukommen würde.

Fast die ganze erste Woche war Swamiji im Krankenhaus in Montreal, wo er wegen des Nierenversagens behandelt wurde. Ich fuhr gegen 18 Uhr ungefähr eine Stunde in die Stadt und begann meine Schicht um 19 Uhr. Ich war mit einem, manchmal auch mit zwei anderen Mitarbeitern zusammen. Wir schliefen auf dem Fußboden neben seinem Bett, immer bereit, alles zu tun, was Swamiji von uns brauchte. Viel schlafen konnten wir nur selten.

Swamiji hatte sehr große Schmerzen und körperliche Beschwerden. Da er auf der ganzen linken Seite gelähmt war, konnte er sich ohne unsere Hilfe nicht umdrehen, aufsetzen, hinlegen, auf die Toilette gehen oder irgendetwas anderes tun. Wir massierten ständig seine Beine und seinen Rücken, um die Schmerzen und die Anspannung zu lindern. Er mochte das Krankenhausessen nicht und wurde zu den seltsamsten Stunden hungrig. Oft endete es damit, dass wir ihm mitten in der Nacht etwas zu essen oder zu trinken gaben. Er war oft rastlos und wir mussten ihm aus dem Bett in seinen Rollstuhl helfen und ihn die Krankenhausflure entlang fahren. Jedesmal, wenn wir ihn bewegten, mussten wir die Arme um ihn legen und ihn hochheben. Wir mussten sehr vorsichtig sein, dass wir nicht an die Dialy seschläuche stießen, die aus seinem Nacken heraushingen.

Es war wunderbar. Ich umarmte Swamji jede Nacht mehrere Male. Ich liebte es, einfach meine Arme um ihn zu legen, ihn zu fühlen und für ihn die Kontrolle über seinen Körper zu übernehmen. Ich wusste, dass es ihn jedesmal schmerzte, wenn ich ihn bewegte, aber er beschwerte sich nie. Stattdessen sagte er jedesmal „Ram“, wenn ich ihn hochhob.

Früh am Morgen gegen 5.30 Uhr oder so, noch bevor die täglichen Aktivitäten des Krankenhauses anliefen, hatten wir unseren eigenen kleinen satsang, meditierten und sangen leise, um die anderen Menschen im Krankenhaus nicht zu stören. Ich bekam jedesmal einen riesigen Energieschub durch diesen privaten darshan, oft nur ich und Swami Kartikeyananda wie wir uns am Bettrand gegenübersaßen mit Swamiji liegend oder halb sitzend auf dem Bett.

Gegen 7 Uhr kam die „Tagesschicht“ und ich fuhr zurück in den ashram, wo ich gegen 8 Uhr ankam. Ich berichtete alles dem dienstältesten Mitarbeiter und kroch dann in mein Zelt, um bis zum Brunch um 10 Uhr ein paar Stunden zu schlafen. Nach dem Brunch war es im Zelt zu heiß, also wickelte ich mich in eine Decke und tat mein Bestes, auf dem Rasen unter einem Baum zu schlafen, mitten im Betrieb des ashrams, wo die Leute hin und her liefen und die Glocken läuteten. Ich stand gegen 14 Uhr  auf, um zu schwimmen und in die Sauna zu gehen, Asanas und Pranayama zu machen, ein schnelles Abendessen zu mir zu nehmen und dann zurück nach Montreal zur nächsten Schicht zu fahren.

Ich schlief wahrscheinlich höchstens 4 Stunden täglich und auch das war immer nur ein Dösen und kleine Nickerchen. Es erstaunte mich sehr, dass ich mich so unglaublich gut fühlte. Oft beendete ich meine Schicht und konnte kaum einschlafen, weil ich durch das Zusammensein mit Swamiji so energetisiert war. Ich fragte mich oft, wer sich eigentlich um wen kümmerte. Es wurde mir klar, dass ich zwar Swamijis Körper diente, er sich aber um mich kümmerte und mir die Energie gab, die ich zum Durchhalten brauchte.

Ich erinnere mich an einen sonnigen Morgen, wie ich nach dem Ende meiner Schicht herumstand und mich mit einigen Leuten unterhielt. Ich war richtig high, voller Energie. Ich war auch aufgeregt und sagte zu den anderen: „Er ist nicht dieser Körper! Es ist mir wirklich klar, dass sein Körper nichts mit dem zu tun hat, was er wirklich ist.“ Sie lächelten alle nur.

Trotz seines eigenen Schmerzes und Unbehagens nutzte Swamiji seine körperliche Verfassung einfach als einen zusätzlichen Weg, um mich die Lektionen zu lehren, die ich lernen musste. Ich verstand endlich ganz konkret, was Swamiji uns die ganzen Jahre über gesagt hatte.

Gopala Krishna

Im Oktober 1992 unternahm Swamiji eine Ganga parigrama, eine Pilgerfahrt den heiligen Ganges in Indien entlang, von seiner Quelle in Gomukh im Himalaya bis zur Mündung in Kalkutta.

Am Tag als wir Gangotri verließen, war die Reise hinunter aus den Bergen für Swamiji sehr beschwerlich, er musste sich oft übergeben und hatte Durchfall. Nach einem besonders schlimmen Anfall hielten wir den Wagen an, um ihn sauberzumachen. Swami Kartikeyananda, Gayatri und Prahlad standen an Swamijis Füßen und versuchten, seinen beschmutzten dhoti und seine Tücher zu wechseln. Ich hob sehr behutsam seinen Kopf, da ich befürchtete, dass ihn sein kürzlich gebrochener Wirbel schmerzen könnte. Als ich seinen Kopf hochhob und versuchte, etwas von dem Schmutz auf seinem Kopf abzuwaschen, sah Swamiji mich an und sagte: „Kamala, geht es Dir gut?“ Ich starrte diesen armen, gebrochenen Körper an, der in solch einen Schmutz eingehüllt war und sagte: „Ja Swamiji, mir geht’s gut.“ Ich sah zu den anderen hinunter, die sich vor Lachen ausschüttelten. Sie waren Swamijis Art gewöhnt. Er fragte mich nach meiner Migräne, an der ich vor 5 Tagen gelitten hatte, völlig blind gegen sein eigenes Leid.

Kamala
Katomba, Australien

Swamijis guru Swami Sivananda hatte in seinen späteren Lebensjahren auch Probleme mit den Beinen. Eine lange Zeit konnte er überhaupt nicht laufen, außer unter Einsatz größter Willenskraft. Ein Beispiel war das 1. Parlament der Religionen, das von Sivananda in den 1950er Jahren organisiert wurde. Es war eine Zusammenkunft der religiösen Führer aus vielen verschiedenen Glaubensrichtungen, um die Einheit aller Religionen zu demonstrieren. Swamiji konnte sich gut daran erinnern:

Es war während des 1. Parlaments der Religionen. Es war die größte Feier überhaupt. Alle großen Führer aus unterschiedlichen Ländern kamen aus diesem Grund zusammen und der Meister war der große Gastgeber, der alle diese großartigen Menschen von überall her eingeladen hatte, aus Japan und anderen Ländern. Der Meister hatte Rückenschmerzen und Arthritis. Ausgerechnet einige Tage vor dem Eröffungstag hatte der Meister mitten in den intensiven Vorbereitungen schreckliche Rückenschmerzen. Er konnte sich noch nicht einmal aus dem Bett bewegen. Die Ärzte sagten, dass er die nächsten Monate nicht aufstehen könne. Der Meister konnte nicht aufstehen, aber immer noch befolgte er seine strenge Routine. Zu einer bestimmten Zeit machte er eine bestimmte Sache. Jeden Tag, wenn es an der Zeit war, sein Buch zu schreiben, schrieb er sein Buch. Da er nicht aufstehen und schreiben konnte, schrieb er liegend, aber trotzdem hielt er seine Routine ein.

Wir waren alle beunruhigt, da das ganze Parlament der Religionen ohne ihn nichts wäre. Seine Gegenwart war notwendig, aber er konnte sich noch nicht einmal bewegen. Viele Minister und große Politiker trafen inzwischen ein. Der Meister wollte eigentlich am Einführungstag die Begrüßungsrede halten. Aber wie sollte er das machen? Seine Hütte war ganz unten am Fuß des Hügels direkt am Ganges gelegen. Ganz oben auf dem Hügel waren der Hauptashram und die Yoga halle, wo alle großen Veranstaltungen stattfinden sollten. Das bedeutete, dass er von unten vom Ganges bis zur Spitze des Hügels hinaufgehen musste. Aber er konnte noch nicht einmal seinen Rücken bewegen, er lag seit einigen Tagen im Bett und die Ärzte hatten gesagt, dass er eine sehr lange Zeit nicht in der Lage sein würde, sich zu bewegen.

Und eine halbe Stunde, bevor die Veranstaltung anfangen sollte, stand er einfach auf und ging den Hügel hinauf. Genau auf die Minute stand er da und hielt seine Begrüßungsansprache. Er sprach über eine Stunde lang in stehender Haltung, ging dann den Hügel hinunter und legte sich wieder ins Bett. Er konnte sich anschließend nicht mehr bewegen. Er konnte einfach den Schmerz von sich weisen, wenn er das wollte. Weise können den Schmerz überwinden, wenn sie wollen, aber nur zu diesem entscheidenden Zeitpunkt hat er seine Willenskraft benutzt, um den Schmerz zu besiegen. Danach lag er einige Monate nur im Bett.

Das nennt man prarabdha karma, das Karma, was wir in diesem Leben erfahren müssen. Sogar Weise und Heilige versuchen nicht, das zu umgehen, da es der Zweck dieses Körpers ist, dieses karma zu erfahren.

Obwohl Swami Vishnu-devananda linksseitig gelähmt war und auch ernsthafte Probleme mit seinem rechten Bein hatte, überwand er das, wenn es notwendig war und spiegelte auf eine gewisse Weise damit die Geschichte wider, die er über Sivananda erzählte.

Im April 1991 wurde ich gefragt, ob ich einen Monat helfen wollte, Swamiji zu pflegen. Mein Herz war schwer, weil ich nicht wusste, in welcher Verfassung ich ihn finden würde. Ich kannte Swamiji nun seit 25 Jahren, seit meinem 15. Lebensjahr. Er war eine Mann ohne Begrenzungen, voller Liebe, Kreativität und großem Respekt für die Menschheit. Wie konnte er sich jetzt ausdrücken, ohne die Fähigkeit zu sprechen, zu gehen, Asanas zu machen, zu fliegen, all seiner Bewegungsfähigkeit beraubt?

Zu meiner großen Überraschung vermisste Swamiji seinen Körper nicht. Ich war nun in der Gegenwart eines weiseren, heiligeren Swamijis – voller Anmut, Frieden und Liebe. Er machte immer Späße über seinen Zustand, sagte: „Ich bin nicht dieser Körper, dieser Körper ist nicht ich.“ Ich habe ihn nicht einmal über seine Verfassung klagen hören. Er betete und meditierte mehr als vorher und niemals, auch nicht für einen Moment, ließ er davon ab, zu dienen und sich in alles mit einzubeziehen, was um ihn herum geschah.

Wenn ich in der Nachtschicht allein war, hatte ich Angst, einzuschlafen, seine undeutliche Sprache nicht zu verstehen oder nicht zu wissen, was ich tun sollte. Es war ein wenig so, als würde man sich um ein Baby kümmern. Ich kannte mich aus mit Babies, aber ich hatte mich noch niemals um einen kranken Swami gekümmert sondern er sich um mich.

Eines Tages zog ein dicker Nebel auf, so dass die Sicht praktisch gleich null war. Swamiji wollte trotzdem zu seiner üblichen nächtlichen Fahrt aufbrechen. Ich rief das Hauptbüro und Hanuman an (einen Schüler, der neben dem ashram wohnte und der oft bei Swamiji aushalf), doch niemand nahm den Hörer ab. Ich ging zu Swamiji und erklärte ihm sanft, dass die Mitarbeiter sehr müde seien und dass es ziemlich gefährlich sei, bei diesem Wetter hinauszugehen. Swamiji sagte „OK“. 10 Minuten später bat er wiederum um eine Autofahrt. Ich rief wieder jeden an, mit dem gleichen Erfolg. Diesmal sagte Swamiji: „Ok, dann lass mir ein Bad ein.“ Das würde für mich auch sehr problematisch werden. Swamiji war in der unteren Etage. Ich wusste, dass es für mich allein unmöglich war, ihn die Treppen hinauf ins Bad zu bringen.

Trotzdem sagte ich: „Ja, Swamiji.“ Ich ging nach oben, bereitete das Bad und als alles fertig war, bat Swamiji mich, Swami Kartikeyananda zu wecken. Ich ging zu ihrem Zimmer und bat sie um Hilfe bei Swamiji. Sie war zu müde, um mir überhaupt zu antworten, geschweige denn aufzustehen.

Das war das erste Mal, dass ich mich nicht beeilte, als Swamiji mich rief. Aber ich konnte ihm diese Bitte auch nicht abschlagen, also gab ich mir einen Ruck. Er nahm meinen Arm und sehr langsam gingen wir Richtung Treppe. Ich betete inständig, dass es klappen würde. Swamiji bemühte sich gewaltig, seine Beine zu bewegen, aber er konnte es nicht und bat mich um Unterstützung. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber endlich erreichten wir das Bad oben an der Treppe. Er lag dann sehr lange in der Badewanne.

Kanti Devi
Montevideo, Uruguay

Ich traf Swamji 1991 während einer Yogalehrer-Ausbildung in Kanada. Ich wusste bereits, dass er an einer schmerzhaften Krankheit litt, die ihn in den Rollstuhl zwang. Am ersten Abend des Kurses gingen Gerüchte um, dass Swamiji zur Yogahalle kommen würde. Alle Schüler waren aufgeregt, da sie die Möglichkeit hatten, Swamiji zu sehen. Ich selbst hatte ihn nie
zuvor gesehen.

Als er erschien, sah ich einen Mann, deutlich als Inder zu erkennen, der auf seinen eigenen beiden Beinen ging! Zwei Männer waren die ganze Zeit äußerst um ihn bemüht. Swamiji machte ihnen gegenüber einige Gesten, dass sie nicht so viel Aufhebens machen sollten.

Mein erster Eindruck von Swamiji war sehr kraftvoll. Er erschien ‚wild‘ wie ein Löwe, physisch unglaublich stark – ein Mensch weit ab vom Gewöhnlichen. Niemals zuvor hatte ich solch ein Gefühl verspürt. Ich weinte, wie ich nie vorher in meinem Leben geweint hatte. Dieser ungestüme Mann lehrte mich, bis zum Schluss Mut und Standhaftigkeit zu zeigen.

Brahmaswaroop
Madrid, Spanien