5. Kapitel - Die erste Zeit

1957, nachdem seit Swamijis Ankunft im ashram in Rishikesh 12 Jahre vergangen waren, teilte ihm Sivananda mit, dass es an der Zeit sei, zu gehen: „Vishnu Swami, Du musst nach Amerika gehen. Die Menschen dort warten darauf, dass Du ihnen Yoga beibringst.“ Mit dem Segen des Meisters und 10 Rupien (etwa 1 Dollar) machte sich Swamiji auf den Weg. Er hatte Indien vorher noch nie verlassen. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens entweder an seinem Heimatort innerhalb eines Radius von 10 Meilen oder im ashram in Rishikesh gelebt. Er wusste nichts über das Leben im Westen.

Er erzählte uns öfter, dass er in den Westen kommen musste, weil sich dort viele spirituelle Seelen reinkarniert hatten. Im Westen war es viel einfacher, ein spirituelles Leben zu führen. Das erschien manchen von uns wider sprüchlich. Wir dachten, dass man in den Osten gehen, einen Lehrer finden und in einer Höhle sitzen müsste. Swamiji erklärte, dass man im Westen nicht so hart und lange arbeiten müsste, um das zu bekommen, was man für ein einfaches, gesundes Leben bräuchte. So hätten die Menschen eine Menge Zeit, um sich spirituellen Dingen zu widmen. Wenn du im Osten geboren bist, in der Dritten Welt und in Entwicklungsländern, verbrauchst du die meiste oder deine gesamte Zeit mit dem schlichten Versuch, zu überleben.

Swamiji reiste nicht direkt nach Amerika. Er nahm Umwege, ließ sich davon leiten, wo er als nächstes hinkommen konnte, hatte aber immer Amerika als Ziel vor sich. Er machte Schritt für Schritt, ohne zu wissen, wie er zum nächsten kommen sollte. Er hatte einfach Vertrauen, dass er dort, wo er ging, auch sein Ziel erreichen würde. Bei jedem Aufenthalt half ihm jemand dabei, meistens ein Schüler von Sivananda, einige Yogakurse zu organisieren, so dass er Geld für ein Ticket zum nächsten Ort auf seinem Weg hatte.

Ich hatte nur meinen Pass, kein Geld, keine Gönner und eine lange Reise nach Ceylon, Singapur, Malaysia, Hong Kong und Austra lien vor mir. Ich kannte keinen einzigen Menschen. Endlich kam ich Ende 1957 in San Francisco an. Zum ersten Mal verbrachte ich Neujahr und meinen Geburtstag außerhalb Indiens. Dieses Weihnachten verbrachte ich in Oakland mit dem ersten Paar, das ich je kennen gelernt hatte.

Dieses Ehepaar, Mrs. und Mr. McRury, fuhren Swamiji jeden Tag nach San Francisco, wo er Yoga unterrichtete. Swamiji entschied, dass er selbst fahren lernen wollte. Auf seiner Reise hatte der Polizeichef in Malaysia Swamiji einen internationalen Führerschein ausgestellt, da „jeder in Amerika einen Führerschein hat“. Swamiji kaufte sich ein altes Auto und brachte sich selbst auf einem Parkplatz das Fahren bei. Er fuhr nach Los Angeles, wo die medizinische Fakultät der UCLA (Universität) ihm 50$ pro Tag für verschiedene Tests zahlte, denen er sich unterzog. Mit diesem Geld fuhr er quer durch die Vereinigten Staaten, das Ziel war New York. In seiner Vorstellung stand New York stellvertretend für Amerika. Es war der Ort in den USA, von dem jeder in Indien schon einmal gehört hatte. Er wollte sich dort auf Dauer niederlassen.

Mit einem Umweg über Ostkanada, wo er unterwegs Yogakurse in Ottawa und Montreal unterrichtete, erreichte er endlich New York und begann dort im Herbst 1958 zu unterrichten. Viele seiner damaligen Schüler haben liebevolle Erinnerungen aus jenen ersten Tagen.

*Schüler:

Gerade als ich mich für etwas Bewegung bereit fühlte (ich wusste nicht, dass Yoga viel mehr war als das!), erzählte mir ein Freund, dass Indiens größter Hatha Yoga Lehrer in New York angekommen sei. Und so begann meine erste Stunde mit Swamiji. Er saß kreuzbeinig auf dem Bett in seinem billigen Hotelzimmer, damit ich auf dem Boden Platz hatte. Mit seinem gelben Schreibblock auf dem Schoß schrieb er sein „Großes Illustriertes Yoga-Buch“. Es war mir kaum bewusst, dass meine Spende, die ich geben würde, darüber entscheiden könnte, ob Swamiji an diesem Tag essen würde oder nicht. Dann kamen die Kurse in billigen Proberäumen am Broadway, Studios unterm Dach und anderen erschwinglichen Orten, bis das erste feste Sivananda Yoga Vedanta Center in der East 20th Street angemietet wurde.

In dieser ersten Zeit denke ich liebevoll an die Wochenenden zurück, die Swamiji in unserem Haus auf dem Land verbrachte: meine Freunde, die von meinen Yogaübungen hörten, fragten mich nur, ob ich auf meinem Kopf stehen oder auf einem Nagelbett liegen könnte; Swamiji, der nach einer einstündigen Cocktailstunde mit hors d’oeuvres, gerade als das Dinner angekündigt wurde, ausrief: „Wie, das war noch nicht alles?“; das Haus voller Gäste, die protesti
erten, dass sie wohl kaum auf dem Kopf stehen könnten und Swamiji sie prompt in den Kopfstand stellte, in einer Reihe auf unserem Steg!

Sylvia K
New York, NY

Ich glaube, es war zu Beginn des Jahres 1959, als ich an einer Veranstaltung über biologisches Gärtnern in der Carnegie Hall teilnahm. Neben mir saß eine Frau, die den ganzen Abend von einem Mann schwärmte, der sie lehrte, richtig zu atmen. Sie war so inspirierend, dass ich mir alle Informatio nen geben ließ, die nötig waren, um diese Person zu kontaktieren. Die folgende Woche machte ich einen Termin mit diesem Mann aus, der sich Swami Vishnu nannte. Wir wollten uns in einem Zimmer in einem Hotel in der 23sten Straße in New York treffen. Mein Mann und meine 5-jährige Tochter begleiteten mich auf meiner Fahrt von Long Island nach Manhattan. Nachdem ich Swamis Zimmer gefunden hatte, klopfte ich an und er öffnete die Tür. Wir konnten sehen, dass in den Raum kaum 3 Leute passen konnten, er war so winzig. Der Swami war ein junger Mann, dunkelhäutig und hatte ein warmes Lächeln. Mein Mann, der sehr misstrauisch war, ging zielstrebig durch den Raum und setzte sich. Swamiji bot meiner kleinen Tochter einen Apfel an und fand für sie einen Platz in einer Ecke. Dann sagte er, dass ich mich mit dem Gesicht nach oben auf den Boden legen sollte und begann, mir Atemübungen und ein paar einfache Asanas beizubringen. Auf diese Art trafen wir uns noch einige Wochen lang. Damals wurde gerade das erste Yoga-Zentrum nur einige Häuserblocks weiter eingerichtet. Als unsere Sitzungen wegen der Sommerferien zu Ende gingen, fragte ich Swamiji, wieviel ich ihm schuldete. Er sagte, ich solle auf mich achtgeben und wenn jemand irgendwann von mir Geld wolle, um für Dienst und Wissen bezahlt zu werden, sollte ich schleunigst in die andere Richtung laufen! Er sagte, ich könne nach der Veröffentlichung sein Buch kaufen.

Goodman, New York, NY

Swamiji konnte nicht in New York bleiben, da er die amerikanischen Einreiseverfahren nicht klären konnte. Er ging nach Kanada und überließ seinen etwas fortgeschritteneren Schülern das neue Zentrum. Die kanadische Politik war für ihn günstiger, wahrscheinlich weil er aus einem Land des British Commonwealth stammte und vielleicht auch, weil eine seiner ersten Schülerinnen Mrs. Massey, die Schwiegertochter des kanadischen Generalgoverneurs, war. Unterstützt von einigen Jesuitenpriestern wurde er kanadischer Einwanderer. Er ging zurück nach Montreal und begann 1959 dort zu unterrichten. Für den Rest seines Lebens war Montreal und später sein Ashram in Val Morin, 50 Kilometer nördlich der Stadt, sein Hauptstützpunkt.

Swamiji erzählte oft die Geschichte seines ersten Jahres in Montreal. Die Kurse liefen gut im Frühjahr, es kamen viele Schüler. Im Sommer sank plötzlich die Anzahl der Schüler dramatisch. Als er nachfragte, wo denn alle seien, erfuhr er, dass alle im Laurentiangebirge, nördlich der Stadt, in den Ferien waren. Da er sich grundsätzlich nicht abschrecken ließ, beschloss er, seinen Unterricht dorthin zu verlegen, wo sich seine Schüler aufhielten.

Das 1. Yoga-Camp führte ich 1959 in St. Hippolyte, nicht weit von Val Morin, durch. Es war ein kleines Häuschen, das den Eltern eines meiner Schüler gehörte. Es gab kein fließendes Wasser, nur zwei Außentoiletten und ein Häuschen.

Wir nahmen einen Abfalleimer, schnitten ein Loch hinein, befestigten ihn im Wipfel eines Baumes und füllten ihn dann mit Wasser, um uns zu duschen. Es gab oben im Haus nur einen Raum. 15 Frauen schliefen in dem kleinen Dachgeschoss, die Männer schliefen auf der Veranda in der kalten Witterung der Laurentianberge.

Das erste Mal dauerte das Camp 3 Wochen. Als ich sah, wie die Leute, die hierher in ihren Ferien ins Camp kamen, ihren ganzen Luxus, Komfort und Bequemlichkeiten hinter sich ließen, um hier im Dachgeschoss und auf der kalten Veranda zu schlafen, öffnete sich mein Herz. Ich wusste, dass es trotz der materialistischen Einstellung im Westen Menschen gab, die sich einer inneren Welt zuwenden konnten. Sie wussten, dass es mehr gab als die Jagd nach materiellen Objekten, sie nahmen harte Disziplin auf sich. Ich erkannte, dass es hier einen fruchtbaren Boden gab, um yogischen Samen zu säen. Ich wusste, dass noch nicht einmal indische Schüler so diszipliniert wären. Sie würden das, was diese Schüler hier machten, nicht tun. In Indien gehen die Menschen in einen ashram, um sich segnen zu lassen und von Pfauenfedern berührt zu werden. Das ist alles, was sie tun.

In Indien schmücken sie mich von oben bis unten mit Blumengirlanden, sie verehren mich wie einen Gott oder einen Engel, aber wenn ich von ihnen erwarte, dass sie einer bestimmten Disziplin folgen, kommt keiner zu mir. Ich vollbringe keine Wunder. Mir sind Pfauenfedern egal. Ich möchte, dass ihr alle auf euren eigenen Füßen steht, um an eurem karmazu arbeiten. Das kann ich euch zeigen. Und das fand ich im Westen.

Durch dieses erste 3-wöchige Retreat entstand die Idee, Yogaferien anzubieten. Anstatt der üblichen Art von Ferien auf der ständigen Jagd nach verschiedenen Vergnügungen bot Swamiji den Menschen die Möglichkeit zur intensiven Yogapraxis, zum wahrhaften Lernen durch Praktizieren. Nach und nach eröffnete er 5 Ashrams: Das Hauptquartier in Val Morin, Quebec; in den Catskills in Woodbourne, New York; zu Füßen der Sierra in Grass Valley, Kalifornien; auf Paradise Island, Bahamas und in Trivandrum, Kerala, in Südindien, auf einem Hügel mit Blick auf einen See. Interessanterweise liegt jeder von Swamijis ashrams in einer bergigen Landschaft (außer dem ashram in Nassau, der sich auf einer flachen Koralleninsel befindet), ähnlich wie der Sivananda Rishikesh ashram am Fuße des Himalaya.

*Schüler:

„Meine Familie ist mit Swami Sivananda und der Divine Life Society in Rishikesh verbunden. Mein Vater verbrachte zwischen den 1930ern und 1940ern 10 Jahre mit Sivananda. Später kehrte er nach Südindien zurück, nahm sannyas und arbeitete mit armen Dorfbewohnern. Auch mein Mann und ich trafen Swami Sivananda 1961 in Rishikesh. Ich hatte von Swami Vishnu-devananda gehört, als ich noch in Indien war, dass er ein Schüler Sivanandas sei und im Westen, in Amerika lebte. 1993 reisten mein Mann und ich nach Amerika, um unsere Tochter zu besuchen. Sie schlug vor, irgendwohin zu fahren und ich sagte, dass ich gerne Swami Vishnu-devananda sehen wollte. Wir fanden heraus, dass er im Sommer nach Val Morin zurückkehren wollte, also fuhren wir im Juni dorthin. Ich hatte das Gefühl, dass sich der ashram in Val Morin kaum vom ashram in Rishikesh unterschied. Wenn ich morgens aufwachte und die Augen öffnete, hatte ich oft das Gefühl, in Rishikesh zu sein.

Saraswati Devi
Südindien

Menschen aus aller Welt und allen Berufen kamen in die ashrams, um zu lernen, was Swamiji lehrte. Wenn sie nach Hause zurückkehrten, fühlten sie sich gesünder, friedlicher und durch die Erfahrungen erhoben:

Yoga-Camp im Jahre 1963. Die Yogahalle war eine winzige Wellblechhütte ohne Fenster. Die Temperatur in diesem Sommer betrug ca. 50 Grad Fahrenheit. Alle Gäste wechselten sich bei der Küchenarbeit ab, beim Tischdecken, beim Säubern des Esszimmers und beim Geschirrspülen. Swamiji begann jeden Tag in der Yogahalle mit einer kurzen Meditation und langem, lautem Rezitieren von OM. Wie konnten wir die Kraft der Schwingungen verstehen, die er für die künftigen Jahre aufbaute?

Swamiji lehrte Atemübungen, Augenübungen und 4 Yogastunden asanas pro Tag – je eine für Anfänger und für fortgeschrittene morgens und nachmittags. Er ging in seiner Badehose und seinem T-Shirt hin und her, manchmal auf den Füßen und manchmal auch auf den Händen! Er gab alle Vorträge selbst. Eines abends führte er das ganze Camp in einen nahegelegenen französischen Nachtclub. „Letzten Endes sind diese Menschen erst Anfänger“, sagte er. „Man kann nicht erwarten, dass sie ihren Geist ständig in spirituellen Höhen haben. Man muss ihr Interesse wecken.“

An einem Nachmittag rief Swamiji uns zu einem „kleinen Spaziergang“. „Sollen wir Schuhe anziehen, Swamiji?“ „Nein, die braucht ihr nicht. Ihr könnt ohne Schuhe kommen.“ Und dann kam eine lange Wanderung, wir kletterten bergauf und bergab, verirrten uns in den Wäldern, wandten uns hier und dorthin, über Stock und Stein und kamen endlich in gehobener Stimmung zurück ins Camp, besonders diejenigen, die sich solch eine Wanderung nie zugetraut hätten, was Swamiji genau wusste!

Swamiji stimmte nur widerwillig zu, einen geringen Betrag festzusetzen, denn es gab kein Geld, um das Camp durch zu führen, da die Gäste oft nur 1 Dollar pro Tag gaben oder manchmal auch gar nichts. In seinem Herzen hatte er nie den Grundsatz aufgegeben, dass sich Yoga weder kaufen noch verkaufen ließ. Er hatte noch nie jemanden weggeschickt, der ernsthaft Yoga lernen wollte oder Hilfe brauchte, unabhängig von Geld.

Sylvia K
New York

Meine engsten Kontakte mit Swamiji hatte ich im ashram in Val Morin in Kanada. Ich fuhr zwischen den 1960ern und 1970ern jedes Jahr ins Camp. Einmal fragte mich Swamiji während der Yogastunde am Nachmittag, wie mir das Üben der Asanas gefalle. Ich antwortete, es sei wie die alte Listerine- Reklame: „Ich hasse es 2x am Tag.“ Ich wusste immer, wie ich ihn zum Lachen bringen konnte.

Einmal, als ich mich verabschiedete, um nach New York zurückzukehren, fragte er mich, wie mir der Aufenthalt im Camp gefallen habe. Ich sagte ihm, dass ich in den letzten 2 Wochen an nichts anderes gedacht hatte, als nach Hause zurückzukehren. Er sah enttäuscht zu Boden, bis ich hinzufügte, dass ich die nächsten 50 Wochen zu Hause an nichts anderes denken würde als an meine Rückkehr nächstes Jahr. Ihr hättet das Lächeln auf seinem Gesicht sehen sollen!

Thomas Zepler
Brooklyn, NY, USA

Meine spätere Frau Theresa überredete mich, sie in den ashram nach Val Morin zu begleiten, wo wir am 1. August 1967 ankamen. An diesem Tag, nachdem ich Swamijis Vortrag über das Übel des Rauchens und die Vorteile des Vegetarismus gehört hatte, gab ich für immer das Rauchen auf und wurde Vegetarier, obwohl ich über 30 Jahre Pfeife, Zigarre und Zigaretten geraucht und immer Fleisch gegessen hatte. Ich schulde Swamiji ewigen Dank, da ich überzeugt bin, dass ich ohne ihn mein gegenwärtiges Alter von 91 Jahren in guter Gesundheit nicht erreicht hätte.

Leo Silverstein
New York, NY, USA

Einmal war eine Frau hier, eine Berühmtheit. Wir saßen alle zusammen mit Swamiji, sagten ihm, wie großartig das Camp war und wie sehr wir davon profitierten. Ziemlich viele Menschen kamen, weil sie physisch krank waren. Viele kamen mit anderen Problemen. Die elegante Dame aus New York setzte sich zu uns, als wir unsere Sorgen und Nöte erzählten und sagte in arrogantem Ton: „Also ich bin glücklich. Ich habe keine Probleme.“ Swamiji wusste, dass sie sehr privilegiert und auch sehr talentiert war. Er schaute ihr direkt in die Augen und sagte: „Wenn Sie keine Probleme hätten und vollkommen glücklich wären, dann wären Sie nicht hier.“

Neela Devi
Washington, DC, USA

Ich werde nie das erste Mal vergessen, als ich Swami Vishnu getroffen habe. Mein Mann und ich kamen Weihnachten zum ersten Mal etwas ängstlich ins Yogaretreat auf Paradise Island. Wir verliebten uns bald in dieses innere Gefühl des Friedens, ins Yoga und in diese unglaublich schöne Umgebung. Wir konnten es kaum abwarten, 4 Monate später zum Osterretreat zurückzukehren, wenn Swami Vishnu dort sein würde.

Ein Gast des Retreats schlug uns vor, inzwischen bei einem alten ehrwürdigen Yogi in New York City zu studieren. Frisch, eifrig und enthusiastisch gingen wir dorthin. Wir begannen, an seinen Yogakursen teilzunehmen, die anstrengend und anregend waren. Dann sagten wir ihm, dass wir pranayama und Meditation lernen wollten. Er nahm uns mit in seinen privaten Meditationsbereich und sagte, es würde jeden von uns 50 $ für pranayama und 50 $ für die Meditation kosten. Dafür würde er mit uns arbeiten, solange es notwendig war. Unnötig zu sagen, dass das unsere Begeisterung ganz schön dämpfte. Schließlich bot der gerissene alte Yogi einen pranayama Kurs zu einem vernünftigen Preis für alle an, an dem wir dann auch mit Neugier, Misstrauen und Vorbehalten teilnahmen.

Mit dieser Erfahrung im Hintergrund fuhren wir zum Osterretreat ins Yogacamp. Eines Nachmittags wurde mit großer Aufregung angekündigt, dass Swami Vishnu eine pranayama Stunde für alle Gäste geben würde. Alle versammelten sich am Tennisplatz, es waren mindestens 100 Menschen. Es war eine großartige Atmosphäre von Vorfreude und freudiger Erregung.

Swami Vishnu kam geschäftig herbei und brachte eine enorme Energie mit sich. Die Stunde erstaunte uns sehr. Er konnte uns gar nicht genug geben, seine Großzügigkeit überschwemmte uns geradezu. Er wollte uns soviel wie möglich beibringen. Er leitete uns zu kapalabhati (Schnellatmung) und anuloma viloma (Wechselatmung) an und machte mit fortgeschrittenen Praktiken weiter. Mein Mann und ich waren überwältigt. In einer zweistündigen Sitzung hatten wir mehr gelernt als in der ganzen Zeit mit diesem anderen Yogi. Welch ein Unterschied! Wie Tag und Nacht!

Swami Vishnu überflutete uns. Anstatt Schüler zu sein, die versuchten, aus einer unwilligen Quelle Wissen für sich herauszuziehen, waren wir nun Schüler mit dem vergnüglichen Problem, dass wir nicht wussten, wie wir alles behalten sollten. Vom Hungern zum Festmahl! Es war alles da, für uns bereit, uns angeboten, mehr noch, es wurde uns überreicht! Wir hatten uns gemausert von Cinderella zu willkommenen Gästen am Tisch der sprichwörtlich jüdischen Großmutter: Wieviel wir lernen konnten, hing nur von unseren Möglichkeiten ab, wieviel wir aufnehmen und behalten konnten.

Martha Gunzburg
New York, NY, USA

Wenn der Schüler bereit ist, wird der Lehrer kommen und manchmal werden wir zu unserer Bestimmung an die unglaublichsten Plätze geführt. Ich traf Swami Vishnu das erste Mal 1963. Ich nahm Yogaunterricht im YWCA in New Haven, Connecticut. Unsere Lehrerin war exzellent. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Art, uns zu vollkommener Entspannung zu führen. Wo hatte sie das gelernt? „Oh“, antwortete sie, „geh da bloß nicht hin. Es ist ein kleiner Ort, abseits gelegen in Kanada. Man kann abends nichts machen, keine Nachtclubs, kein Tanzen!“ Also fuhr ich zum Yoga-Camp nach Val Morin in Quebec. Ich nahm einen Turnanzug und ausgefallene Klamotten mit. Wenn es nichts war, wollte ich nach Maine an die Strände fahren.

Offen gestanden war ich nicht vorbereitet auf meinen Empfang an der Rezeption des Camps. Swamiji, ein kleiner, dunkler Mann in roten Badesachen, saß auf seinem bevorzugten Felsen und unterhielt sich mit einem Gast. Er sprang auf und rannte barfuß den Hügel hinunter, und alles, um mich zu begrüßen. Eines der Dinge, die mich am meisten beeindruckten, jetzt und später, war die Tatsache, dass er mich nie fragte, was ich im Leben so machte oder halt eine andere dieser typischen Fragen, die wir für selbstverständlich halten. Er nahm die Menschen einfach, wie sie waren.

Er sagte mir, dass das neue Gebäude fertig sei, aber noch keine Toiletten habe. Ich könne auch in einer kleineren Hütte schlafen, wenn ich das bevorzugen würde. Es war nicht das Hilton. Später stellte ich fest, dass meine Zimmergenossin ein Gesundheitsfreak war, die die ganze Nacht aufblieb, auf Karotten herumkaute und ständig ins Bad lief, um verschiedene innere Reinigungen zu machen. Nach einer Nacht auf einer Matratze, die sich wie ein Eierkarton anfühlte, hatte ich mich entschlossen, am nächsten Morgen nach Maine zu fahren.

Ich ging Richtung Yogahalle zur Morgenmeditation. Swamiji war von seiner Hütte den Hügel hinaufgeklettert, immer noch in seinen roten Hosen, aber er hatte einen orangen Umhang darüber. Während er sich auf der Bühne niederließ, sah ich mich um. Alle hatten die Auge geschlossen, also machte ich es genauso. Und der Rest, wie man so sagt, ist Geschichte.

Swamiji war allgegenwärtig, schlüpfte aus seiner Meditationsrolle als spiritueller Führer, indem er von der Bühne sprang und uns asanas zeigte, die er in Perfektion vorführte. Er wirbelte durch den Raum und zog eine Wolke von besänftigender Energie hinter sich her. Man war fast versucht, einen Fehler zu machen, nur um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und immer war auch gute Laune mit dabei. Es war noch gar nichts, wenn man Mrs. Reyser kreischen hörte: „Swami, Swami, nicht weggehen“, als sie im Handstand schwankte und Swamiji sagte: „Ich bin ja hier“, während er wegging und sie mitten in der Luft hängenließ.

Wir aßen alle zusammen, Swamiji am oberen Ende des Tisches. Eine meiner ersten lebhaftesten Erinnerungen ist, als er mir einen Teller voller Essensreste gab und mir sagte, ich solle damit den Hügel hinuntergehen und die Ziege füttern. Wer? Ich? Eine Starerzieherin aus Connecticut sollte sich mit Kiddie, seiner Hausziege, beschäftigen? Wir mussten vorsichtig bei Kiddie sein, aber Swamiji balgte mit ihr herum und tat so, als würden sie mit den Köpfen zusammenstoßen, um sich dann umzudrehen und von Kiddie gejagt zu werden.

Swamiji war spielerisch, manchmal fast wie ein Kind. Er nannte uns nie bei unseren richtigen Namen. Ich war „Kon-nek-ti-kut“ oder „New Heaven“. Wie ich mich danach sehnte, dass er mich Alice nannte. Als er es endlich tat, tat es mir leid, denn jetzt hieß es: „Alice mach dies, Alice mach das.“

Das Leben mit Swamiji war nicht nur Spaß und Spiel. Er lehrte Karma Yoga, den Yoga des selbstlosen Dienstes. Wir hatten eine Menge Arbeit auf dem Camp. Swamiji praktizierte, was er predigte. Er kam und half, schleppte, zog und hackte. Ich bemalte alles, was sich nicht bewegte. Jeder half in der Küche. Die Mahlzeiten waren oft weniger üppig, wenn wir bei dem Kaufmann am Ort Schulden hatten. Swamiji war sehr, sehr großzügig und hätte nie jemanden abgewiesen. Da die Spenden für den Aufenthalt vollkommen freiwillig waren und sehr schwankten, war es nicht einfach, die Finanzen zu verwalten.

Am letzten Morgen meines Aufenthalts saß ich in der Meditation. Tränen standen in meinen Augen. Swamiji sah meinen Kummer und beauftragte jemanden, eine Dose Kekse für mich einzupacken, wie um ein kleines Kind glücklich zu machen. Als ich die Straße entlangfuhr, wurden die traurigen Tränen zu Freudentränen als ich sang: „Om Namah Shivaya“. Ich war glücklich, dass ich Yoga entdeckt hatte.

Alice Frazier
Woodmont, CT